Prolog
Es wurde im Vorfeld geunkt, was das Zeug hält, unter uns Gladbach-Fans. Die Chance, endlich wirklich mal wieder weit kommen zu können im Pokal, bei machbaren Gegnern, die noch im Wettbewerb waren. Die Bayern hatte der VfL ja selbst legendär rausgefidelt, am Vorabend das Spiels in Hannover dann auch noch das Ausscheiden des BVB und des ungeliebten rheinischen Erzrivalen. Ich habe mir auf die Zunge gebissen, mich zurückgehalten mit Häme gegenüber der Kölner und Dortmunder Konkurrenz. Weil auch ich meine Borussia kenne und die vielen "ausgerechnet..."-Geschichten, mit denen es sich dieser Herzensverein immer wieder selbst schwer gemacht hat und macht. Wo Tragik ist, ist der VfL Borussia Mönchengladbach bekanntlich selten weit.
Dennoch habe ich bei Twitter mit einem provokant positiven Eintrag dagegengehalten, gegen die vielen Stimmen, die schon vorher wussten, dass der Ausflug nach Niedersachsen der letzte Pokalauftritt der Saison werden würde. "Wir schaffen das!" - das war meine Losung, weil es doch verdammt noch mal klappen müsste, gegen einen Zweitligisten, der selbst seine Probleme in diesem Spieljahr hat.
Weil die Mannschaft doch jetzt und vor allem nach dem Pokaldienstag endgültig wissen würde, worauf es ankommen würde: konzentriertes Spiel, Fighting Spirit, klare Aktionen und Zusammenspiel. Aber natürlich habe ich insgeheim selbst genau das andere Szenario befürchtet und im Kopf gehabt, dies aber mit Macht wegdrücken wollen. Als ob das etwas daran ändern könnte, wenn auf dem Rasen in Hannover nicht jeder das tun würde, was nötig war.
Das Drama
0:3. Das ganze Spiel über einfach nur ein chancenloser, peinlicher Auftritt - obwohl Borussia sogar genug gute Torchancen hatte, um das Ergebnis zumindest ausgleichen zu können. Wer diese Gladbacher Mannschaft in den vergangenen Jahren kontinuierlich beobachtet hat, weiß um die unerklärliche Spreizung der gezeigten Leistungen zwischen Weltklasse und unterirdisch. Das Spiel heute war aber noch einmal eine Schippe drauf: auf eine Beerdigung erster Klasse. Und auf der anderen Seite: Natürlich ehrliche Glückwünsche an den Gegner, der hochverdient weitergekommen ist.
Ich kann es nicht erklären, deshalb versuche ich es auch gar nicht erst. Aber warum diese Mannschaft es nicht schafft - nach sensationell guten und erst recht nach sensationell schlechten Spielen -, von der ersten Minute an einen Gegner so anzunehmen, wie er kommt, ist ein Rätsel, das offenbar auch im Moment keiner im Verein lösen kann. Köln, Augsburg, Union, heute Hannover - jede Mannschaft, die spielerisch vermeintlich der Hütter-Elf unterlegen ist, weiß, dass sie sich über den Einsatz, die Zweikämpfe, die Laufbereitschaft Sicherheit und Spielkontrolle erarbeiten kann.
All das gilt aber auch umgekehrt - etwa, wenn man die Leichtigkeit und die Selbstverständlichkeit im eigenen Spiel verloren hat, und schon viel zu viel auf den Deckel bekommen hat in dieser Saison, um die Gegner als "Borussia Barcelona" mit feinen Pässchen und Hacke, Spitze, eins, zwei, drei chirurgisch in seine Einzelteile zu zerlegen.
Dann kann der Kampf, das füreinander fighten und der unbedingte Wille, jeden Zweikampf zu suchen und zu gewinnen, der Anfang einer Wiederaufstehung sein. Doch bei Borussia 2021 und 2022 funktioniert dieser Schalter, den es umzulegen gilt, offenbar nur gegen die Bayern und gegen den BVB.
In Spielen wie dieser Alles-oder-nichts-Aufgabe heute kannst du viel gewinnen, viel gutmachen, Serien starten - den Bock umstoßen. Wenn das nicht gelingt, und es so aussieht, als hätten es nicht alle wirklich mit vollem Herzen versucht (was ich damit aber nicht behaupten will), dann ist es einfach eine Bankrotterklärung, sofern man die Niederlage nicht wenigstens mit abwegigen Schirientscheidungen oder Verletzungs- oder grobem Schusspech erklären kann.
Ja, auch heute lief nicht alles so glücklich, wie es vielleicht hätte sein können. Über den Elfmeter (zu einem blöden Zeitpunkt und von Yann Sommer ja sogar fast noch gehalten) und seine Berechtigung könnte man lange berechtigt diskutieren, und ich bin ja bekannt dafür, dies auch immer gern als einen Teil der Erklärung von Spielverläufen heranzuziehen. Aber heute tue ich das nicht, auch wenn ich die Entscheidung nach Videobeweis für höchst diskutabel halte.
Heute wäre es grundfalsch, mit diesem Elfmeter zu argumentieren und damit noch von dem eigentlichen Problem abzulenken, das die Mannschaft von Adi Hütter einmal mehr in dieser Saison in aller Brutalität offenbart hat.
Sie ist hilflos gegen gut im Raum agierende, läuferisch fleißige Gegner. Sie kann sich aus unangenehmen Situationen im Spiel nicht befreien, sie kann einem Gegner, der einen Weg gefunden hat, den VfL unter Druck zu setzen (und das haben inzwischen eigentlich alle), nichts entgegensetzen, um das Spiel wieder in die eigene Hand zu bekommen, um ein Spiel zu kippen, wie es so schön heißt. Sie hat derzeit keine Mittel, gegen einen Gegner zu bestehen, der sich nicht gerade die Tore selbst einschenkt oder sie dem Gegner vorlegt (so wie wir zum wiederholten Mal heute, etwa beim 0:1).
Ich gebe zu, ich bin ratlos, woran das in erster Linie liegt und was man am schnellsten und effektivsten verbessern muss und kann, um eine Stabilität wiederzuerlangen, die einen mit vielen überdurchschnittlich talentierten Spielern gesegneten Kader für den Abstiegskampf ausrüstet - um "mehr" geht es in dieser Saison wirklich nicht mehr.
Viel erschreckender aber finde ich, dass offenbar gerade auch sonst keiner der Verantwortlichen Antworten auf dieses Desaster hat. Jeder Woche eine neue Aufstellung - sicher, das liegt auch an Verletzungen - immer wieder neue taktische Ausrichtungen und Experimente auf den Positionen. Und wenig souveräne Erklärungsversuche, woran es denn liegt - wenn nicht doch bei manchem Spieler zu viel der Fokus auf die unmittelbar anstehenden Aufgaben nicht (mehr) ausreichend da zu sein scheint.
Die verzweifelten und ehrlichen Worte von Kapitän Stindl, der uns vor der Sky-Kamera nach dem Spiel fast mit Tränen in den Augen an seiner Fassungslosgkeit über diesen Auftritt teilhaben ließ, tat schon fast körperlich weh. Stindl lief und ackerte wieder 90 Minuten lang wie ein Verrückter, blieb dabei aber genauso wirkungslos wie seine Mitspieler. Das alles sah oft genauso aus wie in der Geschichte vom Hasen und dem Igel.
Kaum vernünftige Angriffe, Pässe ins Nichts, keine verwertbaren Flanken oder Eckbälle (wieder kein guter Standardschütze in der Startelf), überhaupt wenig Präsenz im gegnerischen Strafraum. Behäbiger, unsicherer Spielaufbau, immer wieder vorzeitiges Abbrechen von Spielzügen, Verzweiflung und Leere in den Gesichtern. Was versucht wird, verläuft im Sande.
Wie heute die Einwechslung eines zwar irre schnellen und zweikampfstarken Stürmers, der aber gefühlt seit mehreren Spielen nicht mehr aufs Tor geschossen hat (auch heute nicht) und der auch in keiner Weise mehr dazu kommt, seine Stärken im Spiel nach vorn auf den Platz zu bekommen, weil er nur lange Bälle aus der eigenen Abwehr zum behaupten bekommt und dabei meist auf sich allein gestellt bleibt. Thuram und Plea, die letzte Saison die Champions League mit ihren Toren gerockt haben - Totalausfälle. Koné, Scally, Lainer bissig und willig, aber überfordert, weil sich ihnen unmittelbar immer mehr Gegner gegenüberstehen als ihnen Mitspieler zu Hilfe eilen.
Überhaupt scheint in dieser Mannschaft nur Flo Neuhaus noch zu Torchancen zu kommen, und das auch erst, seit Jonas Hofmann fehlt. Die Unberechenbarkeit dank einer kontinuierlichen Torgefahr aller Offensivspieler, die nahezu die gleiche Mannschaft in den vergangenen zweieinhalb Jahren immer wieder auch gegen Top-Gegner ausgezeichnet hat, sie ist weg. Es stimmt nichts mehr im Spiel. Und die Reaktionen von der Bank auf Rückstände und verlorene Spielkontrolle wirken wenig überzeugend. Zumindest zahlen sie sich derzeit auch nicht aus.
Epilog
Es gibt nichts schönzureden. Diese Mannschaft sollte auch in der Aufstellung von heute in der Lage sein, gegen jeden Gegner der Liga zu bestehen. Sie ist es aber nicht. Ob das in den Köpfen überall angekommen ist? Ich weiß es nicht. Wenn sich Borussia nicht bis Ende Januar sichtbar fängt, sich notfalls mit drastischen personellen Umstellungen schnell erstens in der Defensive stabilisiert, ohne zweitens die Offensivbemühungen damit quasi einzustellen, wie es gegen die Bayern, Leverkusen und heute gegen Hannover zu beobachten war, dann wird es wirklich zappenduster.
Es darf jetzt nur noch der ehrliche Blick auf Platz 16 zählen und zwar, um den Abstand dorthin zu halten und möglichst schnell auszubauen. Am Samstag kommt Union Berlin, auch ein Gegner von der Sorte, die Borussia überhaupt nicht liegen. Auch das wird ein Charakter- und Willenstest. Und ich bin mir gerade nicht sicher, ob ich die Nerven habe, darauf zu hoffen, dass sich jeder Spieler im Team für den anderen zerreißt, die Abwehr dicht bekommt und dazu noch den Weg aus der spielerischen und (Tor-)Armut findet. Denn sonst wird das der nächste ganz üble Samstagnachmittag für den VfL.
Auch wenn der berühmte Spruch von Max Eberl gerade in den letzten erfolgreichen Jahren öfter belächelt oder ins Lächerliche gezogen wurde. Es war klar, dass er mit dem "wir wissen, wo wir herkommen" recht hatte und es war auch klar, dass auch zehn gute Jahre einen Verein wie Borussia nicht immun dagegen machen, ins Trudeln zu kommen oder dümmstenfalls gar abzusteigen. Die Schalker, HSVer, Bremer haben es als Warnung vorgemacht. Auch der heutige Gegner Hannover, der auch mal ein paar Schritte vor Borussia unterwegs war, wie wir wissen.
Wir wissen nach wie vor, wo wir herkommen. Aber wir wissen auch, wann wir wieder da sind, wo wir herkamen. Und im Moment sind wir da leider ganz nah dran. Und keiner im Verein sollte sich mehr den Sand von der "zu hohen Qualität im Kader" in die Augen streuen, von dem "wir müssen nur eine Serie starten" oder "wir hatten ja auch ein schweres Auftaktprogramm". Das Beschwichtigen, wie es auch Adi Hütter zeitweise öffentlich praktiziert hat, hilft jetzt keinem mehr. Und wir wissen ja auch, wie es sich mit der Benachteilung durch strittigen oder von Fehlentscheidungen von Schiedsrichtern verhält, wenn man unten oder eben oben steht. Ein Vorgeschmack waren sicher die jüngsten beiden Spiele - aber auch das taugt nicht zur Erklärung fortgesetzt schwacher Auftritte.
Was bleibt? Außer der diffusen Hoffnung, dass am Ende doch nur ein paar korrigierter, gut gesetzter Puzzleteile - Transfermarkt, Taktik, Formfaktor, Trainer - ausreichen könnten, um wieder in die Spur zu finden? Nicht viel. Und das liegt mir schwer im Magen. Ich habe mir seit langem nicht mehr so große Sorgen um Borussia gemacht. Wie auch sonst, nach allem, was diese Saison schon passiert war - und dann noch nach diesem Spiel heute, das als große Chance begann und einen am Ende nur noch ratlos zurücklässt.
DFB-Pokal, Endstation Achtelfinale: Hannover 96 - Borussia Mönchengladbach 3:0.
Saisonspende:
Nichts. Leere. Es bleibt bei 95 Euro. Und ich lobe jetzt offiziell die schon einmal angedeutete Nichtabstiegsprämie über 20 Euro aus. Es ist Zeit, der Wahrheit ins Auge zu blicken.
Folgendes gilt für die Saison 2021/22: Ich spende am Ende der Saison einen Betrag X für einen (oder mehrere) gute(n) Zweck(e), auf den/die ich mich später festlege. Die Spendensumme setzt sich wie folgt zusammen: Jedes erzielte Tor von Borussia in Bundesliga oder DFB-Pokal: 1 Euro. Jedes Tor von Tony Jantschke: 10 Euro. Platzverweis von Max Eberl: 2,50 Euro. Gehaltener Elfmeter von Yann Sommer (oder einem Ersatzmann): 2,50 Euro; Zu-Null-Spiel: 1 Euro. Derbysieg gegen K***: 5 Euro. Siege gegen Bayern, Dortmund oder Leipzig: 10 Euro. Ein Sieg in Freiburg oder Wolfsburg: 10 Euro. Internationaler Startplatz am Saisonende: 20 Euro. Deutsche Meisterschaft: 121 Euro. DFB-Pokalsieg: 50 Euro. Gladbacher Torschützenkönig: 30 Euro.
Kein Konzept, kein Plan, keine Linie, keine Automatismen und eine verunsicherte Mannschaft, die weder richtig kann noch will. So spielt ein Abstiegskandidat. Gnade uns der Fussballgott! Halleluja!
AntwortenLöschenFreiburg 2.0 - man(n) sitzt einfach nur fassungslos vor dem TV und sagt sich "Kämpfen Jungs" ... und wirklich nichts passiert. Fußball ist kämpfen und laufen, für einander da sein, als Mannschaft bestehen ... all das sehe ich nicht. Wenn nun davon auszugehen ist, dass es nicht an der individuellen Qualität liegt, dann kann es ja nur am Coaching liegen, oder? Bitte erkläre mir das mal einer, ich bin nicht nur fassungs-, sondern auch ratlos.
AntwortenLöschen