Die neue Saison rückt näher, einiges ist klar, anderes weiter offen - und wie das Spieljahr 2025/26 für die Elf vom Niederrhein enden wird, darüber lässt sich auch heute nur spekulieren.
Hier und heute aber soll es um das gehen, was in den letzten Wochen gefühlt die Hauptbeschäftigung innerhalb des Vereins gewesen zu sein schien: die Jubiläumsvorbereitungen und dann das rauschende Fest am Wochenende, mit dem die Vereinsgründung vor 125 Jahren und die wechselvolle Klubgeschichte zelebriert wurde.
Zunächst also auch an dieser Stelle, wie es sich gehört: Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum und alles Gute für die Zukunft, lieber Fußball-Club Borussia, lieber Verein für Leibesübungen 1900 e.V. aus München Gladbach bzw. Mönchengladbach!
Du einzige und eigenartige Borussia! Du nervige Zauderprinzessin, du draufgängerische Fohlenherde, du Provinzglück und Wohlfühloase, du schnell Zufriedene und meist Unvollendete, du Unglückliche in großen Dramen, Stolperexpertin mit Ansage, du vernünftige Realistin und selbstangemaltes Mauerblümchen.
Du verzückender, verrückter und vereint so großer, glänzender, herzlicher Verein - du Freund wie Feind in den Wahnsinn treiben könnender unvergleichlicher VfL!
Borussia blickt zweifellos zurück auf eine äußerst spannende Geschichte, die mit der Gründung am 1. August 1900 ihren Anfang nahm. Und hat es verdient, dies auch jetzt angemessen zu begehen, trotz oder obwohl es in der Gegenwart nicht so rund läuft, wie es alle, die es mit der Borussia halten, so gern hätten.
Aber vielleicht ist es auch ganz gut, sich die Historie dieses stolzen Vereins immer mal wieder zu Gemüte zu führen, um den einen oder anderen Fehlschuss richtig einzuordnen.
Ich bin jetzt seit fast einem halben Jahrhundert Gladbach-Fan. Als kleines Kind habe ich, eher am Rande, das Aushauchen der 70er-Erfolgsjahre erlebt.
Ich habe in den Achtzigern an jedem Wochenende mit meinen Idolen gefiebert und versucht, ihnen so gut es ging auf den Sportplätzen meiner Umgebung nachzueifern. Siege trugen mich fröhlich durch die Woche, Niederlagen drückten die Laune tagelang, vor allem, wenn auf dem Pausenhof das Thema auf Fußball kam.
Es gab auch in diesen Jahren viele begeisternde Momente und ein paar schlimme Niederlagen, die es verhinderten, dass eine mit wirklich talentierten Spielern ausgestattete Gladbacher Mannschaft in diesem Jahrzehnt etwas "Blechernes" in die Höhe strecken durfte. Dennoch war es eine gute Zeit für alle, die die Raute im Herzen tragen.
Ich habe in den 90ern mit Ausnahme der zweiten "Effenberg-Ära" und in den Nuller-Jahren mehr und mehr verzweifelt den Weg in die Bedeutungslosigkeit verfolgt, und doch jedes Jahr aufs Neue auf eine gute neue Saison gehofft, nach dem Motto "Es kann doch nicht immer jedes Jahr wieder so viel falsch laufen". Doch, es konnte. Immer wieder. Aber auch das waren Erfahrungen, die bleiben, und die heute als Anekdoten leicht von der Zunge gehen und nicht mehr wehtun.
In den Zehnerjahren konnte ich vieles aufholen, was mir als Kind und junger Erwachsener in Sachen Borussia verwehrt geblieben ist, einfach weil 250 Kilometer bis zum Niederrhein damals zu weit weg und eigentlich nie genug Geld für große Sprünge zum Stadion oder für ein Trikot da waren.
Ich - wir alle - haben in diesen Jahren viel miterlebt, was uns für die graueren Jahrzehnte mehr als entschädigt hat. Vom Fast-Abstieg zur Champions-League, von Aue bis Barca, diese Jahre haben mich (und einen meiner Söhne) vielleicht am meisten geprägt. Oder sie blieben besser im Geächtnis haften.
Oder ich konnte einfach nur live im Stadion und im Fernsehen viel mehr davon selbst sehen, schließlich bestand meine Gladbachwelt früher überwiegend aus der Samstagnachmittag-Radiokonferenz und den Kurzfilmen aus Sportschau und Sportstudio.
Dass es nicht auf Dauer so weitergehen würde und konnte, das war absehbar. Und als vorsichtiger, skeptischer Mensch befürchtete ich schon in der Favre-Ära jederzeit einen erneuten Absturz. Es lief nach dem Befreiungsschlag in der Relegation gegen Bochum einfach zu plötzlich zu gut. Wie im Stoppok-Song "Ärger" blieben große Rückschläge aber aus, Borussia spielte wieder eine Rolle, auch international. Und scheiterte genauso in Schönheit wie früher.
Das alles geschah schon gegen alle Wetten, gegen die normalen Regeln des Geschäfts. Das durchkommerzialisierte Business Profifußball füttert, nein stopft mit dem Gros der Einnahmen nur die, die schon oben stehen. Es erlaubt Außenseiter nur der Folklore willen, um den Eindruck zu erwecken, dass der Wettbewerb fair und offen und märchenhafte Aufstiege jederzeit möglich sind.
Sie sind es natürlich nicht. Das haben alle deutschen Vereine erfahren, die mal ein wenig bei den Großen mitspielen durften und die nicht Bayern oder Dortmund heißen. Selbst Vereine, die für ihren Weg in die nationale Spitze einen dauerhaften Geldzugang von außen gelegt bekamen, stagnieren irgendwann, weil die Dauerteilnahme an den großen europäischen Geldtöpfen und die ungleichen Erlössituationen eben den Unterschied machen.
Unsere Borussia hat in diesen Jahren sehr viel richtig gemacht und ist im Rückblick doch nur wenige Schritte vorangekommen - zu wenige, um dagegen gefeit zu sein, die Erfolgstreppe auch wieder ein ganzes Stück hinunterzupurzeln.
Trotz des zwischenzeitlichen Gladbacher Höhenfluges gab es wohl nur einmal eine wirkliche Chance, sich mit einem gewagten nächsten Schritt sich länger oben festsetzen zu können. Das war die Zeit der Rose-Verpflichtung, als der Verein so sexy war, dass auch Spieler kamen, die einen sehr großen sportlichen Impact und zugleich bislang ungeahnte finanzielle Möglichkeiten bei einem Verkauf versprachen.
Wie es im Idealfall hätte laufen können, zeigt Eintracht Frankfurt, das momentan mit Glück und Geschick ganz andere Transfersummen jongliert als Borussia. Doch: Zwei Jahre ohne entsprechendes Fortune in diesem Spieler-Karussell, dann kann es auch dort wieder anders aussehen. Shit always happens.
Der mutige Schritt wurde bei Borussia jedenfalls nicht konsequent genug gegangen, für die jahrelange Aufbauarbeit belohnte sich der Verein nicht. Oder vielleicht wäre es ohnehin vergebens gewesen, wer weiß das schon. Dazu kamen negative äußere Einflüsse, die zu weiteren Fehlern führten. Seitdem ging mehr schief, als für den Verein in dieser Phase verkraftbar war. Und doch war es wahrscheinlich richtig, diese einzigartige Chance beim Schopfe packen zu wollen.
Der Rest ist bekannt. Wir sind wieder da, wo wir herkamen. Aber auch doch noch nicht wieder da unten, wo wir nie wieder hinwollen.
Ausgerechnet im Jubiläumsjahr passt die sportliche Lage nicht mit dem glanzvoll in Rückblenden erzählten Fest, der Selbstbespiegelung einer trägen sportlichen Führung und dem trotzigen Eintauchen in eine mit Tradition und Erfolgen gespickte Vergangenheit zusammen.
Die neue Führung schwankt zwischen Aussitzen und Neustart, zwischen ausprobieren, neu ausrichten und "das haben wir schon immer so gemacht". Aber die Bilanz ist mit etwas Abstand auch wieder nicht so verheerend, wie sie oft gemacht wird. Borussia ist nicht abgeschmiert wie andere Vereine, die mal in ähnlichen Sphären unterwegs waren. Der Verein scheint sich zu festigen, was auch immer das für die nähere und fernere Zukunft bedeutet.
Denn es ändert nichts daran, dass das derzeit realistische Ziel "Mittelfeld ohne Kontakt zur Abstiegszone" nicht ausreichen wird, um die Tradition des Clubs in der höchsten deutschen Liga dauerhaft fortführen zu können.
Das moderne Fußballsystem ist elitär und ungerecht, es belohnt nicht vernünftige Wachstum und gesunde Entwicklung, sondern die Potenz, jeden Schritt bei der Monetarisierung des Spiels mitzugehen und auch sportlich bei jedem Irrsinn mithalten zu können. Das moderne Fußballsystem erlaubt keine Bräsigkeit, es bestraft Fehler und das zu lange Festhalten daran oft sehr brutal. Manchmal bestraft es auch, ohne dass jemand viel falsch gemacht hat.
Trifft das auch unsere Borussia, und am Ende noch ausgerechnet im Jubiläumsjahr? Das ist eine Gleichung mit zu vielen Unbekannten und Variablen. Ich kann mir zwischen Platz 5 und 17 vieles vorstellen. Seriös abschätzen lässt sich das allerdings von Jahr zu Jahr immer schlechter, finde ich. In dieser Saison kommen mit Köln und Hamburg noch zwei Konkurrenten hinzu, die ein anderes Potenzial haben als kleinere Auch-mal-dabei-Vereine wie Kiel.
In den vergangenen Jahren hat mich vieles von dem, was ich bereits geschrieben habe, vom Profifußball entfremdet. Es ist ein Geschäft, das zunehmend von Geldgebern von außen bestimmt wird, von Spielverderbern, die aber immer mehr Fäden in die Hand bekommen. Warum? Weil sie bereit sind, permanent irre Summen in ein Spiel hineinzupumpen, das längst kein Spiel mehr ist.
Wo Fußballer in erster Linie Sportunternehmer sind (oder werden mussten?), die das Spielen auf der Klaviatur der Gefühle von Fans genauso erlernt haben wie den exakten Pass in den richtigen Fuß des Mitspielers. Die mit gewinnmaximierend ablösefreien Wechseln das Geschäftsmodell von Vereinen aushebeln, die ihren Etat komplett selbst erwirtschaften müssen - und das kann man den Akteuren nicht einmal vorwerfen, weil es erstens vertragsgemäß ist und zweitens zum unternehmerischen Handeln dazugehört, den eigenen Marktwert bestmöglich zu nutzen. Schön ist es dennoch nicht.
In meiner Jugend hätte ich mir eher vorstellen können, dass 40 Jahre später nicht mehr Menschen, sondern Roboter gegeneinander spielen, als dass dieses unberechenbare Hin und Her, was wir als Fußball lieben, Million für Million korrumpiert, für die Besten sehr lukraktiv und für wenige Auserwählte sogar hablwegs berechenbar gemacht wird. Die Zeche zahlen wir alle, und auch wenn wir nur noch als stimungsvolle Wettbewerbs-Staffage erwünscht sind, packt uns dann doch jeder kleine Höhenflug wieder emotional und lässt unsere Portemonnaies aufspringen, für Merch, Karten, Pay-TV etc.
So betrachtet, und damit komme ich zurück zum Vereinsjubiläum, lässt sich auch so ein Fest wie das am Wochenende mit Fug und Recht als reines Kommerz-Event betrachten.
Ich denke zum Beispiel nicht, dass wir eine massive Fohlenskulptur gebraucht hätten, für die jetzt 1900 Paten gesucht werden, die für einen Umsatz von 1,8 Mio. Euro sorgen sollen. Was an diesem Wochenende konsumiert und geshoppt wurde, kann ich nicht annähernd schätzen. Doch trotz hoher Kosten wird am Ende ein hübsches Sümmchen übrig bleiben, das den fürs Geld zuständigen Geschäftsführer bis zur nächsten Jahreshauptversammlung vielleicht auch ein wenig ruhiger wird schlafen lassen. Vielleicht erweitert es auch die finanziellen Möglichkeiten so, das wir am Ende sagen, auch dafür hat es sich gelohnt.
Das Jubiläum also als Verkaufsveranstaltung, quasi eine Kaffeefahrt, zu der die Teilnehmer freiwillig selbst und mit gelockertem Geldbeutel anreisen. Sicherlich. Und jeder hat ja die Wahl, ob er daran teilnimmt und was er in den Warenkorb legt oder auch nicht.
Ich habe für mich aus verschiedenen Gründen entschieden, dass ich das diesmal auslasse. Mir haben die Impressionen über Social Media und in der Sky-Übertragung gereicht. Aber ich verstehe gerade deshalb auch jeden, der Teil davon sein wollte. Und darin steckt die wirkliche Chance, die diese Veranstaltung bot.
Denn wir brauchen keine Fohlen-Bronze, kein goldgerändertes Real-Madrid-Imitat als Trikot - aber wir brauchen einander.
Um zusammenzurücken, wenn der Opa dem Enkel von den tollen und den tragischen Kapiteln der Vereinsgeschichte erzählt und auch hier wieder den Funken der Begeisterung erweckt, der bei manchem anderen nur noch manchmal leise aufglimmt.
Um einig zu sein - dort, wo zusammen gelacht, geweint, gefightet und gejubelt wird, denn dort entsteht die Kraft, die einen Verein und eine Mannschaft trägt, auch wenn es gerade mal nicht so gut steht.
Das hat Borussia Mönchengladbach nach den letzten Jahren bitter nötig, die doch eher von zerbröselnder Liebe denn von unerschütterlichem Zusammenhalt geprägt waren.
Nach allem, was ich aus der Ferne von diesen zwei Tagen mitbekommen habe, hat hier am Ende vieles besser gepasst als es vielleicht im Vorfeld zu hoffen oder zu erwarten war - es gab viele glückliche Gesichter, tolle Begegnungen mit nahbaren Legenden, ein familiäres, friedliches Fest und gegen Valencia eine bemerkenswerte Stimmung im Stadion, die für Pflichtspiele auf mehr hoffen lässt.
Natürlich, der Pathos tropfte zwei Tage lang nur so aus jedem Lautsprecher, inklusive augenbefeuchtenden Filmschnipseln, Feuerwerk und einer neuen, mit allen Klischees und Worthülsen beladenen und daher auch überflüssigen Hymne.
Aber wenn es genau das braucht, um "ein einig Volk von Brüdern" zu aktivieren, den Mythos Borussia zu reanimieren, sich unterhaken zu lassen und Borussia mit ordentlich Rückenwind ins Feuer der neuen Saison zu schicken, dann bin ich fein damit und habe nie etwas anderes gewollt ;-)
Auch das wird uns wohl nicht zum Meister machen, aber es lässt alles, was da kommen mag, besser ertragen. Und wer weiß, vielleicht gibt es doch bald mal wieder mehr Grund zur Freude als zuletzt. Es muss ja nicht alles immer nur schlechter werden. Wenn Zusammenhalt in den kommenden Monaten fußballerisch Berge versetzen würde - ich würde ich mich jedenfalls nicht dagegen wehren wollen.
Die Seele brennt!
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