Das war wirklich sehenswert. Dreißig Minuten lang Borussia Mönchengladbach, wie es konzentriert verteidigt und etwas glücklich, aber auch effektiv einen überraschenden 2:0-Vorsprung beim Champions-League-Anwärter herausspielt. Und 90 Minuten lang der SC Freiburg, der den Gegner unbeirrt mit einer reifen Spielanlage bearbeitet, ihn sich langsam zurechtlegt - und dann ohne große Aufregung den Spielverlauf auf 3:2 dreht.
Nur einen Fehler machten die Breisgauer in der zweiten Halbzeit. Sie nahmen Gladbach in der 93. Minute nicht mehr ernst, als die mit dem quasi letzten Angriff Herrmann anspielten und der eher aus einer Mischung aus "Wohin-mit-dem-Ball" und "Ist-ja-jetzt-auch-egal" in die Mitte flankte, wo sich Routinier Lars Stindl zwischen zwei Schlotterbecks hochschraubte und zu aller Überraschung zum 3:3-Schlusspunkt einköpfte. Ein schönes Tor zweier "Joker", das sich nun wirklich nicht mehr angedeutet hatte.
Dieses Endergebnis war nichts anderes als unverdient. Als Borussia selbst noch in der oberen Tabellenhälfte um europäische Startplätze kämpfte, mussten wir ja auch immer wieder solche späten und oft unverdienten Nackenschläge von sogenannten Underdogs hinnehmen. Deshalb nehme ich diesen unerwarteten Punkt natürlich heute auch gern mit. Ich habe aber auch eine angemessene Prise Mitgefühl mit den enttäuschten Freiburgern.
Eine Woche nach dem in allen Belangen enttäuschenden Derby war für mich der Ausflug der Hütter-Truppe in den Schwarzwald die ganze Woche über schon nichts, für das ich mich erwärmen konnte oder wollte. Vorfreude auf das Spiel, das ohnehin traditionell meist freudlos endet? Glatte Fehlanzeige. Ich machte dann heute Nachmittag das, was man als treuer Fan eben macht. Man guckt trotzdem.
Und da war die erste halbe Stunde durchaus geeignet, etwas mit dem blutleeren Auftritt gegen Köln zu versöhnen. "Warum erst jetzt?" stand dennoch in großen Buchstaben über diesen ersten 30 Minuten geschrieben. Gut, Adi Hütter hatte offensichtlich tatsächlich eine andere Taktik ausgegeben. Eine, mit der man spielstarken Teams wie dem FC Bayern oder manchmal dem BVB begegnen kann - wenn man es gut macht. Defensiv in 5-3-2-Ordnung kompakt stehen, die Räume verdichten und erst in der eigenen Hälfte zupacken.
Das sah von Beginn an deutlich stabiler aus als das teilweise vogelwilde Halbpressen über den ganzen Platz, mit dem man sich sonst regelmäßig auskontern lässt. Es hatte auch damit zu tun, dass Jonas Hofmann in der Defensivordnung quasi auf einer Höhe mit den anderen zentralen Mittelfeldspielern Koné und Neuhaus agierte und damit zwischen Mittellinie und eigenem Strafraum die Räume zu- und Gegenspieler auf der gesamten Platzbreite gut gestellt werden konnten. So hatte Freiburg zwar mehr Ballbesitz, kam aber lange nicht so oft wie gewünscht in für das Gladbacher Tor gefährliche Räume.
Erleichtert wurde diese gute Spielphase des VfL durch den frühen Führungstreffer, der nach 14 Sekunden (!) durch Höflers Handspiel im Strafraum eingeleitet und nach drei Minuten durch Ramy Bensebaini sicher vollendet wurde. Zu den Entscheidungen, was wohl Elfmeter war oder doch nicht, komme ich später nochmal.
Komplett unerwartet war die Erhöhung des Ergebnisses auf 2:0 nach gerade einmal 13 Minuten. Florian Neuhaus gewann den Ball in einem robusten Zweikampf im Mittelfeld und der Ball kam so über Hofmann zum steil startenden Breel Embolo, der den Freiburger Abwehr-Shootingstar Nico Schlotterbeck in dieser Szene gekonnt abkochte und auch Torwart Flekken mit seinem Schuss in die kurze Ecke überraschte. Ein Tor nach schnellem Konter, gefühlt schon lange nicht mehr gesehen. Doch auch nach dem 2:0 blieb ich skeptisch, ob dieser Vorsprung für diese Gladbacher Elf bis zum Schluss zu verteidigen sein würde.
Leider blieb das 2:0 auch der einzige wirklich gute Gladbacher Spielzug bis zum 3:3 - sofern man die letzte Angriffsaktion als stringenten Angriff mit echtem Zug nach vorne werten möchte. Denn zu diesem Zeitpunkt schien sich die Mannschaft längst mit der erneuten Niederlage abgefunden zu haben und rückte auch minutenlang gar nicht mehr in voller Stärke nach. In den Minuten nach dem (lange vorhersehbaren) 2:3 in der 80. Minute war überhaupt nur wenig davon zu spüren, dass Borussia wenigstens nochmal Nadelstiche nach vorne setzen wollte. Das Spiel schien einfach so auszuplätschern, und das eher noch mit einem weiteren Freiburger Tor als mit einem der Gäste. Das sah die SC-Abwehr wohl ähnlich. So kann man sich täuschen.
Auf jeden Fall kam ungefähr nach 30 Minuten in der ersten Hälfte das, was seit Wochen früher oder später in Spielen der Borussia geschieht. Der Gegner analysiert das eigene Spiel, checkt, woran es hakt und reagiert taktisch darauf. Er kommt besser ins Spiel, bringt seine Stärken besser durch, und sei es nur, Standardsituationen zu erzwingen und diese dann ab und zu auch zu verwerten. Von Minute zu Minute kam Freiburg also besser ins Spiel, und es war positiv, dass Yann Sommer und seine Vorderleute den Anschlusstreffer bis zum Pausentee noch vermeiden konnten.
Danach aber kam das, was zu befürchten stand, solange sich der "Plan-A-only"-Trainer die Sache weiterhin nur anschauen wollte. Freiburg brauchte nach Wiederanpfiff vier Minuten bis zum Anschlusstreffer per "Foul"-Elfmeter und 16 Minuten bis zum Ausgleich. Besonders mühevoll sah das nicht aus, nur die Borussen hatten inzwischen ihre liebe Mühe, den Ball mehr als ein paar Sekunden aus der eigenen Hälfte oder gar dem Strafraum rauszuhalten.
Das hatte auch damit zu tun, dass Freiburg in Höler einen beweglichen und agressiveren Stürmer einwechselte, der in vorderster Reihe allein durch sein Anlaufen für sehr viel Unruhe sorgen kann. Beobachter des 0:6 im Hinspiel könnten sich noch daran erinnern.
Den Trainer der Borussia störte das offenbar nicht weiter. Er griff erst in der 70. Minute steuernd ein, als er positionsgetreu Scally für Lainer brachte und statt Neuhaus den jungen Conor Noß, eher ein Zehner als ein Sechser. Fortan blieb Koné der defensivere Part, Noß und Hofmann waren eher als Achter unterwegs.
Warum zum zweiten Mal hintereinander nicht als erste Einwechseloption der Kapitän der Mannschaft ins Spiel kommt, muss Adi Hütter erklären. Ich kann es nicht. Und ich finde auch, dass man Conor Noß keinen Gefallen tut, wenn man ihm in solchen Spielphasen Aufgaben gibt, die er nicht erledigen kann. Man sah ihn auch diesmal nicht, zumindest nicht als Faktor im Spiel nach vorn. 7 Ballkontakte und 4 gespielte Pässe in 25 Minuten waren seine Bilanz. Lars Stindl, der fünf Minuten weniger spielte, kam auf 18 Ballkontakte, 11 Pässe und 2 Torschüsse - auf der noch offensiveren Position, auf der auch Noß sicher besser aufgehoben wäre.
Überhaupt fiel einmal mehr auf, dass die, die sich für Borussia nachweislich in jeder Situation zerreißen - also etwa Stindl, Herrmann und Kramer - bei Hütter derzeit offenbar nicht sonderlich hoch im Kurs stehen. Zweimal korrigierten jetzt hintereinander Verletzung auf dem Spielfeld seine Nichtberücksichtigung. Diesmal, weil sich Plea kurz nach der Einwechslung von Noß verletzte. Im Derby war es Benes, den Hütter die ganze Saison lang weitgehend ignoriert hatte, der vor Stindl rein und verletzungsbedingt leider gleich wieder rausmusste.
Insofern war die Koproduktion Herrmann-Stindl beim 3:3 sicher eine besondere Genugtuung für beide. Umso blöder, dass zu diesem Zeitpunkt die Begeisterungsfähigkeit der Gladbacher Anhänger, die sich unverdrossen auch diesmal in den Breisgau aufgemacht hatten, um die obligatorische Pleite zu erleben, schon ob des Spielverlaufs weitgehend erloschen schien.
Auch wenn ich Frust und Enttäuschung gut verstehen kann, weil ich selbst so empfinde. Aber das Verhalten mancher Fans erscheint mir nicht nur in dieser Szene nach dem Tor und nach dem Abpfiff wenig zielführend, um nicht deutlichere Worte zu gebrauchen. Hier nehmen sich manche vielleicht gerade noch wichtiger, als sie es den Aktiven auf und neben dem Platz immer wieder vorwerfen. Und das hilft keinem.
Bleibt noch die Sache mit den Elfmetern. Natürlich war ich froh, dass der Handelfmeter gegeben wurde. Und natürlich ist die Entscheidung in der geltenden Regelauslegung auch korrekt. Allerdings: Wenn man damit argumentiert, dass zweifellos keine Absicht vorgelegen hat, was in dieser Saison besonders in der Auslegung von strafbaren Handspielen beachtet werden sollte. Und wenn man bedenkt, dass Höflers Armbewegung im Fallen auch keineswegs unnatürlich sondern dem normalen Bewegungsablauf folgend war, wäre auch ein Nein zu diesem Elfmeter korrekt gewesen.
Und da liegt das Problem. Wenn beide Auslegungen regelkonform wären, aber zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, ist die Regel so nicht akzeptabel. Im Sinne des Spiels ist es ohnehin nicht, für so ein Handspiel Elfmeter zu geben. Aber das ist ja noch eine andere Geschichte.
Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Elfmeter der Freiburger nach der Pause. Lainers Kontakt mit Höflers Fuß ist knapp seitlich, er ist kaum wahrnehmbar. Hätte Lainer den Fuß des Gegners voll "gestempelt", wie es so schön heißt, dann wäre der Strafstoß unstrittig. So reichte der Kontakt, um Höfler die Chance zu geben, einen leichten Elfmeter zu ziehen, in dem er sich im nächsten Schritt ziemlich auffällig selbst die Beine stellte.
Ganz ehrlich: Nirgendwo auf dem Feld wird ein vergleichbarer Kontakt abgepfiffen. Eine klare Fehlentscheidung war es auch nicht, weiterlaufen zu lassen, insofern bleibt einmal mehr die Frage, warum der VAR Robert Schröder überhaupt eingriff. Dass Benjamin Brand das am Monitor dann plötzlich auch zum Foul erklärte, nachdem er in der ersten Halbzeit mit einer doch sehr großzügigen Linie gepfiffen hatte und damit auch ganz gut gefahren war, erschließt sich mir dann gar nicht.
Möglicherweise ist da im Hinterkopf immer auch die Befürchtung, dass man im Nachhinein doch noch dafür kritisiert wird und deswegen lieber einmal mehr dem Einspruch des VAR nachgibt als einmal zu wenig.
Es wurde zwar im Spiel gar nicht thematisiert, aber der klarste Elfmeter wurde vielleicht überhaupt nicht gecheckt. Als Nico Schlotterbeck in der zweiten Halbzeit Jonas Hofmann im Strafraum klar abräumte, als der Ball beim Schuss gerade dessen Fuß verlassen hatte, ging die Fahne des Linienrichters hoch: Abseits. Für mich trotz des gerade so vorher gelungenen Schussversuches ein unstrittiges Foul (was natürlich auch schon häufig anders ausgelegt wurde). Das ist auch alles egal, wenn die vorherige Abseitsentscheidung korrekt war.
Leider sah es in der einzigen Wiederholung, die gezeigt wurde, nach einer falschen oder zumindest knappen Abseitsentscheidung aus. Ob die Szene vom VAR geprüft wurde, ist leider nicht überliefert. Deshalb muss ich hier von einem klaren Elfmeter mit Fragezeichen sprechen und hoffen, dass irgendwann mal die kompletten Infos zwischen VAR und Feldschiri nachzuvollziehen sein werden. Sollte hier gar nicht gecheckt worden sein, wäre das ein Skandal.
Bei aller Kritik betone ich aber auch, dass das den Spielausgang nicht merklich beeinflusst hätte. Freiburg hätte wohl auch ohne Elfmeter seine Chancen genutzt. Ob ein zweiter Elfmeter Borussia an diesem Nachmittag wieder in die Spur gebracht hätte, wäre zumindest fraglich gewesen. Ohne den ersten wäre es sicher heute schwieriger geworden, aus Freiburg etwas mitzunehmen. Mit dem einen Punkt im Gepäck, der den Klassenerhalt nun zu 99,99 Prozent gesichert hat, kann man diese Diskussion dann heute auch mal etwas entspannter führen.
Mal sehen, welches Gesicht die Mannschaft von Adi Hütter wohl in der nächsten Woche zeigt. Ob sie im Endspurt nochmal in der Lage sein wird, sich länger als eine halbe Stunde richtig zu konzentrieren. Und ob im Verein noch irgendwo ein Plan B rumliegt, wenn der Zugriff auf dem Spielfeld mal wieder verloren gegangen ist.
Bundesliga, 31. Spieltag: SC Freiburg - Borussia Mönchengladbach 3:3. Tore für Borussia: 0:1 Bensebaini (HEM), 0:2 Embolo, 3:3 Stindl.
Auch
im xten Anlauf hintereinander und in einem brandneuen Freiburger Stadion wurde es nichts mit der
ausgelobten Siegprämie. Das war nach der jüngsten Entwicklung aber auch kaum zu erwarten. Drei Tore lassen die Spendensumme immerhin auf 118 Euro klettern.
Folgendes gilt für die Saison 2021/22: Ich spende am Ende der Saison einen Betrag X für einen (oder mehrere) gute(n) Zweck(e), auf den/die ich mich später festlege. Die Spendensumme setzt sich wie folgt zusammen: Jedes erzielte Tor von Borussia in Bundesliga oder DFB-Pokal: 1 Euro. Jedes Tor von Tony Jantschke: 10 Euro. Platzverweis von Max Eberl: 2,50 Euro. Gehaltener Elfmeter von Yann Sommer (oder einem Ersatzmann): 2,50 Euro; Zu-Null-Spiel: 1 Euro. Derbysieg gegen K***: 5 Euro. Siege gegen Bayern, Dortmund oder Leipzig: 10 Euro. Ein Sieg in Freiburg oder Wolfsburg: 10 Euro. Internationaler Startplatz am Saisonende: 20 Euro. Deutsche Meisterschaft: 121 Euro. DFB-Pokalsieg: 50 Euro. Gladbacher Torschützenkönig: 30 Euro.