2020-05-31

Ein nahezu perfekter Tag

Wohin führt der Weg von Borussia in dieser Saison? Das fragte ich mich nach dem 0:0 am Dienstagabend in Bremen, das viele Fragen offen ließ. Heute scheint es wieder eine klare Tendenz zu geben - und die heißt auf jeden Fall sichere europäische Auftritte in der kommenden Saison. 
14 Punkte auf Platz 6 und 7 bei insgesamt noch 15 zu vergebenden Punkten in den letzten fünf Spielen: Diesen Vorsprung auf einen Nicht-Europa-Platz kann selbst Borussia nicht mehr verspielen, da lege ich mich fest. Ein einziger weiterer Sieg reicht, um auch rechnerisch Klarheit für die Euro League zu schaffen, darüber hinaus wird die Spannung hochgehalten durch die nach diesem Wochenende wieder verbesserten Chancen auf die Königsklasse.

Die 90 Minuten heute im imposant gefüllten Borussia Park ließen wenig Wünsche offen. Nur zu Beginn beider Halbzeiten schlug das Spiel nicht so deutlich zugunsten des VfL aus, da schien jeweils der klare Sieg in Gefahr. Ansonsten hatte die Mannschaft von Marco Rose das Spielgeschehen fest im Griff und siegte auch in der Höhe verdient. 
Zu bekritteln gibt es ein paar Schwierigkeiten in der Defensive bei Berliner Standards in der zweiten Hälfte, woraus auch das unnötige Anschlusstor resultierte. 
Doch ansonsten stimmte es, kämpferisch wie spielerisch. Nun kann man spekulieren, ob das effektive Vertikalspiel immer wieder direkt in die Spitze in der ersten Halbzeit den Gästen schon ein bisschen den Stecker zog. Oder ob sie - trotz einiger rustikaler Einlagen - einfach auch nicht mehr ganz die brachiale Kampfkraft auf den Rasen bringen wie in der Hinrunde. Verwunderlich wäre das für einen Aufsteiger nicht.
Fest steht: Das Trainerteam hatte Thuram und seinen sehr offensiv aufgestellten Kollegen gute Lösungen mit auf den Weg gegeben. Mehrfach gingen die klugen Angriffe durch die Union-Abwehr wie das Messer durch weiche Butter. Das führte unter anderem dazu, dass Union mehrfach umstellen musste und den überforderten Routinier Subotic in der Halbzeit in der Kabine ließ. 
Das Gladbacher Erfolgsrezept: Schnelle, präzise Pässe, gut eingesetztes Pressing, nach Balleroberung möglichst sofort vorne spielen und nicht nach hinten (was zuletzt ein wenig das Manko war). Und von natürlich: profitieren von durchsetzungsstarken Spielern. 
Es wäre unfair, heute Spieler herauszuheben. Neben dem gewohnt unerschütterlichen Marcus Thuram, dem überall auftauchenden Alassane Plea, der wieder einmal hervorragendes Auge für den tödlichen Pass offenbarte und dem wie aufgedreht dirigierenden Flo Neuhaus (toll, wie zäh er sich beim 1:0 durchbiss) fiel heute niemand ab - im Gegenteil. 
Kapitän Lars Stindl machte in diesem Jahr sein wohl bestes Spiel als giftiger Forechecker und Ballweiterleiter, gleiches gilt für den unermüdlichen Jonas Hofmann und auch für Patrick Herrmann, dem man ein Erfolgserlebnis mal wieder gönnen würde. Die Abwehr inklusive Yann Sommer blieb fast ohne Wackler, erstickte Unions Angriffsbemühungen meist schon früh und schob immer wieder gut nach vorne an.

Ein hochverdienter Sieg also, der durch einige emotionale Momente versüßt wurde, die einmal mehr zeigten, dass Borussia Mönchengladbach kein Club wie jeder andere ist. Einmal der stille Gruß nach Amerika, den Marcus Thuram nach seinem ersten Tor mit dem Niederknien symbolisierte. Zum Gedenken an den von Polizisten in Minneapolis getöteten Schwarzen George Floyd. Würdevoll, nicht provokativ - ein bewegender Moment nicht nur für Marcus Thuram.

Und dann der Höhepunkt zum Schluss des Spieles. Fast vier Jahre ist er im Verein, als eins der größten Abwehrtalente aus Paris nach Gladbach geholt. Fast vier Jahre hat es gedauert, bis Mamadou Doucouré heute zum ersten Mal in einem Pflichtspiel zum Einsatz kam. Ich verneige mich vor einem jungen Mann, der vier Jahre für diesen Moment kämpfen musste und gekämpft hat, der vier Jahre lang immer wieder der Verzweiflung nahe gewesen sein muss, nach jeder schweren Verletzung, und der doch nicht aufgegeben hat. Und: Wen man aus der Mannschaft oder dem Verein auch über "Mams" sprechen hört, alle mögen ihn. Er muss also auch ein sehr angenehmer Zeitgenosse sein. 

Ich jedenfalls hatte Tränen in den Augen und Gänsehaut, als er heute endlich, endlich den Rasen betreten durfte. Und das hält sich auch jetzt noch ein bisschen, wenn ich daran denke, wie dieser emotionale Moment zustande kam. Es war die 90. Spielminute, das Spiel war durch und Doucouré stand wechselbereit am Spielfeldrand. Gladbach hatte den Sieg im Sack, war in Ballbesitz und Union machte es den Borussen nicht mehr schwer, auch in Ballbesitz zu bleiben. Doch dann kamen Zurufe, wahrscheinlich von außen, zunächst noch zaghaft, schließlich deutlich hörbar, sodass der ebenfalls eingewechselte Ibo Traoré auf der anderen Seite des Spielfelds sich plötzlich um die eigene Achse drehte und den Ball unbedrängt einfach ins Aus schlug. Nur damit der Wechsel noch vor dem Schlusspfiff über die Bühne gehen konnte. Das ist im Profigeschäft alles andere als selbstverständlich - und die Art, wie der junge Franzose dann auf dem Spielfeld von seinen Kollegen geherzt und begrüßt wurde, sprach einmal mehr für den Zusammenhalt in dieser Mannschaft.

Dass Tikus nach dem Abpfiff sich dann auch Doucourés Trikot für den obligatorischen Eckfahnenjubel geben ließ und nicht das von Machwinnern wie Plea oder Neuhaus, machte diesen Pfingstsonntag wirklich nahezu perfekt. Und das gilt es zu genießen, so lange es geht. Denn wenn Plea und Thuram so weiterspielen, wird es schnell schwer werden, die Begehrlichkeiten anderer Vereine auf Dauer abzuwehren. In den vergangenen Spiele war es zum Beispiel auf Twitter schon gut zu bemerken, welche Aufmerksamkeit die Bundesliga im Ausland derzeit bekommt, weil die anderen großen Ligen ja noch pausieren. 

Als ein norwegischer ManU-Fan heute twitterte: "Plea and Thuram are ballers. Should both play for bigger teams", musste ich dann doch mal eine Sache klar stellen: "There is no bigger team!". Und mit meiner völlig ernstgemeinten Antwort lasse ich euch und mich eine weitere Woche das Hochgefühl und die Hoffnung mitnehmen, dass Borussia die schon jetzt punktbeste Saison seit 36 Jahren auch am Ende mit einem Champions-League-Platz krönt - dem Maximum, was derzeit wohl für uns in der Bundesliga (mit oder ohne Zuschauer) möglich ist. 

Ich jedenfalls kann es nicht anders sagen als so: Ich bin - wieder einmal - so unglaublich stolz auf mein Team!
  

Bundesliga 2019/20, 29. Spieltag: Borussia Mönchengladbach - FC Union Berlin 4:1 (Tore für Borussia: 1:0 Neuhaus, 2:0 Thuram, 3:1 Thuram, 4:1 Plea)

2020-05-27

Null mit Fragezeichen

Es gibt heute ein paar positive Dinge zu berichten:

- Seit langem spielte Borussia mal wieder zu Null - und das, obwohl selbst der ansonsten wieder famose Torwart Yann Sommer mit der einen oder anderen Harakiri-Aktion auch dieses kleine Erfolgserlebnis noch in Gefahr brachte.

- Es wurde nicht die Niederlage, die eigentlich verdient gewesen wäre.

- Stattdessen reichte der Punkt sogar zur schnellen Rückkehr auf Platz vier.

- Es gab (so ist zumindest mein Stand am Abend) keine weiteren Verletzten zu beklagen.

- Ein Manuel Gräfe auf Valium ist immer noch besser für Gladbach als manch anderer hellwacher Referee.

Das war es dann aber eigentlich auch schon, was man an Positivem aus dem Bremen-Spiel mitnehmen kann. Es war für mich eins der schwächsten unter Rose. Der VfL hatte nicht nur in der ersten Halbzeit ähnlich viele Probleme wie bei der Niederlage am Samstag gegen Leverkusen, gegen einen geschickt die Räume verdichtenden Gegner gute Angriffe zu kreiern.
In der zweiten Halbzeit zerfiel die fragile Ordnung trotz des erkennbaren Willens dagegenzuhalten, von Minute zu Minute mehr und mehr. Kramer und Co. ließen den angesichts der laschen Linie des Schiedsrichters immer mutiger und herber in die Zweikämpfe gehenden Gastgebern die Initiative, verloren viele zweite Bälle und brachte sich so immer wieder selbst in die Bredouille.
Werder hingegen tat das, was man von Kohfelds Mannschaft in ihrer prekären Situation erwarten musste - sie liefen um ihr Leben. Und das Gladbacher Glück an diesem Abend war, dass sie mit ihrer Abschlussschwäche einmal mehr demonstrierten, warum sie im Tabellenkeller stehen.

Bei Borussia schien es dagegen eher so, als seien zu viele Spieler zu schnell müde. Die, die neu ins Spiel kamen, konnten keine rechte Werbung für ihre Stammelf-Ambitionen machen, während Routiniers wie Raffael und Traoré einmal mehr ohne Einsatzminute blieben.
   
Bezeichnend, dass in Sommer und Florian Neuhaus die beiden Spieler am auffälligsten waren, die zugleich die größten "Pulstreiber" für die Fans im Negativen waren. Sommer mit seiner aufreizenden Gelassenheit, unter Druck nach vorne zu spielen, was zweimal fast ins Auge gegangen wäre. Und Flo Neuhaus, dem das Etikett Chancentod schon fast aufs Trikot geflockt werden muss. Dass er kein Torjäger ist, wissen wir zur Genüge. Ich mag ihn und seine elegante Spielweise auch wirklich sehr. Aber mehrfach frei zum Schuss zu kommen und dabei nicht einen Ball wirklich gefährlich (oder mal unhaltbar) aufs Tor zu bringen, das ist zu wenig - vor allem, wenn wie heute kein anderer beim Toreschießen in die Bresche springt.
Getoppt wurde das nur noch von den unterirdischen Standards. Gegen die bei ruhenden Bällen mit Abstand schwächste Mannschaft kam nicht eine brauchbare Flanke heraus. Das ist schon blamabel.

Gut, ich will nicht alles schlecht reden. Immerhin gelang es, wo vorne schon nichts lief, den Laden irgendwie hinten dicht zu halten. Da steckt nicht nur Glück, sondern auch Einsatzwille und Defensivqualität dahinter. Und wer weiß, wofür der eine Punkt in der Endabrechnung noch gut sein kann. Die Leverkusener Niederlage hätte aber eigentlich den Weg für eine noch etwas komfortable Ausgangsposition für die letzten sechs Spiel geebnet. Einmal mehr: Chance vertan.

So, und damit noch kurz zum Thema Schiedsrichterglück. Das hatten wir heute in der 18. Minute. Es tut mir zwar gut, dass ein Schiedsrichter für eine Szene wie die zwischen Kramer und Klaassen keinen Elfmeter gibt und auch Bremens Trainer nach dem Spiel damit gut leben konnte. Denn die unbeabsichtigte leichte Berührung am Fuß, die Klaassen aus dem Tritt brachte, während er den Strafraum gerade verließ - das ist grundsätzlich einfach kein Vergehen, das eine so harte Strafe wie einen Elfmeter nach sich ziehen sollte. Schließlich wird dadurch keine Torchance verhindert, es gibt nicht einmal den Hauch einer Torgefahr.  Aber egal, ich weiß natürlich auch: Der Regel nach wäre es ein Foulelfmeter für Bremen gewesen. Ob ein möglicher früher Rückstand Gladbach wachgerüttelt oder die Mannschaft noch mehr durcheinandergeschüttelt hätte, ist Spekulation. Nur beschweren hätte man sich über einen Pfiff nicht dürfen.

Überhaupt war es ein Spiel mit merkwürdigen Strafraumszenen. Denn streng genommen wäre Pavlenkas seltsamer Aussetzer in der ersten Hälfte auch ein Strafstoß gewesen. Der Bremer Torwart verschätzte sich beim Rauskommen völlig, verpasste den Flankenball und faustete stattdessen gegen Marcus Thurams Waschbrettbauch. Torwart nicht am Ball, Angreifer nicht am Ball - streng genommen aber ein ahndungswürdiges Foulspiel im Strafraum. Auch Klaassens Klammerschlag gegen Ginters Hals bei einer Ecke in der zweiten Halbzeit erfüllt die Kriterien eines Foulspiels im Strafraum. Doch für uns alle war es am Ende glaube ich gut, dass Gräfe nach keiner dieser seltsamen Szenen auf den Elfmeterpunkt zeigte. Vor allem, wenn man bedenkt, wofür man manchmal in der Bundesliga keinen Elfmeter zugesprochen bekommt.

Ich jedenfalls war froh, als das Spiel halbwegs glimpflich rum war. Ich fand es anstrengend und nicht schön anzusehen, weil Gräfes sehr großzügige und phlegmatische Linie, mit zunehmenden Spielminuten immer seltener in die Pfeife blasen zu wollen, zu einer ziemlichen Hackerei in den Zweikämpfen führte. Die Spielkultur blieb dabei mehr und mehr auf der Strecke, was bei zwei offensiv ausgerichteten Mannschaften etwas schade ist. Immerhin ging es dadurch wild hin und her, Aufregung gab es also vor allem in Halbzeit zwei für beide Fan-Lager genug.

Doch wohin führt nun der Weg des VfL? Die letzten beiden Spiele waren ganz sicher keine Offenbarung. Und ich wage derzeit nicht einzuschätzen, ob die Rose-Elf die Kraft hat, sich gegen alle Widerstände durchzuboxen oder ob ihr auf den letzten Metern doch wieder die Puste ausgeht. Aber angesichts der Tatsache, dass sich die Bayern aller Voraussicht nach heute zum achten Mal hintereinander die Meisterschaft gesichert haben (gähn!), ist mir der Abschluss der Saison auch irgendwie wieder ein Stückchen egaler geworden.

Bundesliga 2019/20, 28. Spieltag: SV Werder Bremen - Borussia Mönchengladbach 0:0

2020-05-23

Entscheidende Auslegungssachen

Fünf Punkte Abstand auf den Gegner hätten es werden können. Stattdessen läuft Borussia der Werkself aus Leverkusen im Kampf um die Champions-League-Plätze jetzt wieder hinterher. Das ist kein Beinbruch, denn es wird bis zuletzt ein sehr enges Rennen in dieser Tabellenregion bleiben. Aber es ist aus verschiedenen Gründen ziemlich ärgerlich.

Der Sieg der Gäste ist unter dem Strich verdient, weil sie das Spiel in der ersten Hälfte klar dominierten und der VfL da nur mit etwas Glück und dank der Fahrigkeit von Demirbay im Torabschluss mit dem knappen 0:1 in die Pause ging. Da war sehr wenig von dem zu sehen, was die Rose-Elf zuletzt so ausgezeichnet hatte. Das Tempo nach vorne war nicht das gleiche wie in Frankfurt. Das lag einerseits am gut eingestellten Gegner und andererseits daran, dass der Respekt vor den Kontern der Bayer-Elf bei den Hausherren deutlich spürbar war - und das nicht ohne Grund, wie sich wieder einmal zeigen sollte.

Die zweite Hälfte bot zwar ein ganz anderes, ein echtes Spitzenspiel auf Augenhöhe - Gladbach kam da von Minute zu Minute besser in die gewohnten Räume und war aus meiner Sicht auch die bessere Mannschaft. Doch effektiver vor dem Tor war der Gegner. Borussia hatte genug Chancen, das Spiel für sich zu entscheiden. Bayer aber reichte der Konter über Bellarabi, der zum Elfmeter führte und eine von Gladbach schlecht verteidigte Standardsituation, um den Deckel auf das Spiel zu machen. Und das, obwohl gerade in den letzten zehn Minuten für die Borussen viel mehr möglich war - vor allem Alassane Plea bekam zwei Vorlagen serviert, aus denen er in einem anderen Spiel bestimmt mehr gemacht hätte.

Also: Leverkusen hat es heute in vielen Phasen des Spiels besser gemacht als Gladbach. Das kann man sportlich fair anerkennen - und aus diesem Grund nehme ich die Tatsache, dass wieder einmal die Unparteiischen dem Spiel eine klare Wendung gegen den VfL gegeben haben, mit etwas mehr Gelassenheit zur Kenntnis. Ich will dem Schiedsrichter Sören Storks persönlich auch gar nicht so viel zur Last legen, denn bei den beiden entscheidenden (Elfmeter-)Szenen gibt es Argumente für beide Seiten. Doch dass der Ermessensspielraum auch nach fast zwei vollen Saisons mit dem Premium-Hilfsmittel Videoassistent sich so extrem unterschiedlich auswirkt, ist desillusionierend. Weil es jeden Gerechtigkeitssinn rebellieren lässt, solange mal so und mal so entschieden wird.

Eins vorweg: Ich habe schon wesentlich schlechtere Schiedsrichterleistungen in dieser Saison erlebt. Gut, das Spiel hätte durchaus ein paar mehr Verwarnungen (vor allem in Richtung Leverkusen) vertragen. Andererseits hatte auch Ramy Bensebaini einmal Glück, dass er nicht seine zweite Gelbe kassierte. Zur Strafe fiel aus diesem Freistoß dann das 1:3. Dazu kamen zwei sehr krasse Abseitsfehlentscheidungen gegen Gladbach, die von Storks auch sofort abgepfiffen wurden. In einer Szene war das sehr ärgerlich, weil sich daraus eine gute Chance entwickelt hätte. Es geht mir aber heute weniger um solche Dinge, sondern um zwei Szenen, die unmittelbar miteinander verbunden waren.

1) Die Ringereinlage von Dragovic im Strafraum gegen Thuram, der inder 54. Minute mit seinem dadurch eher unkontrollierten Schuss an Torwart Hradecky scheiterte.
2) Genau 40 Sekunden später der Schuss von Karim Bellarabi neben das Tor, der sichtbar nach seinem Abschluss von Nico Elvedi am Fuß getroffen und gefoult wurde.
Daneben gab es aus meiner Sicht in der zweiten Halbzeit noch eine mögliche Handsituation aus kurzer Entfernung, wo der angelegte Arm von (ich glaube) Demirbay den Richtung Tor geköpften Ball stoppt. Auch das wäre für den Schiri sicher eine schwierige Abwägungsentscheidung gewesen.
Aber wie in den anderen beiden Szenen zeigt es eindrücklich, dass die Spieler auf dem Feld und wir Fans mit dem VAR oft nicht wie gewünscht mehr Klarheit bekommen, sondern jetzt von der oft diskutablen Einschätzung zweier Schiedsrichter abhängen, wie eine Szene bewertet oder ob sie überhaupt in eine Überprüfung durch den Hauptschiedsrichter gegeben wird.

Fangen wir mit dem Elfmeter gegen Elvedi an. Aus meiner ersten Reaktion heraus eine klare Sache. Der Verteidiger nimmt mit seinem Einsatz das Foul in Kauf, auch wenn er ihn nicht klassisch mit dem langen Bein trifft, sondern im reinrutschen abräumt. Regeltechnisch ist das ebenfalls in Ordnung, denn es gibt keine Regel, die ein Foul im Strafraum nach dem Schuss anders bewertet als vor einem Torabschluss. Beides ist zu bestrafen.
Wie immer gibt es aber auch da einen Ausweg, mit dem man sich als Schiedsrichter in alle Richtungen absichern kann. Die Regelexperten von Collinas Erben nannten es in diesem Fall heute ein "ungeschriebenes Gesetz", nach dem nur äußerst selten ein Elfmeter verhängt wird, wenn der Schütze vorher unbedrängt zu einem Torschuss gekommen ist und erst danach gefoult wird - wie hier heute. 
Das stimmt übrigens, ich erinnere mich allein an zwei Situationen in der Vergangenheit, bei denen Gladbachern (Hofmann und Herrmann) Elfmeter mit dieser Begründung versagt wurden, weil sie noch knapp zum Abschluss kamen und ebenso wie Bellarabi heute das Tor verfehlten (wie "unbedrängt" sie da in ihrem Abschluss wirklich waren, lassen wir heute mal der Einfachheit halber weg).
Das Schöne an solchen "ungeschriebenen Gesetzen" ist nun aber, dass man sie mal anwenden kann und dann auch wieder nicht. Egal, wie man dann entscheidet, man hat irgendwie immer recht.

So weit, so unbefriedigend. Wie eingangs erwähnt, hätte ich mich auch nicht über diesen Elfmeterpfiff beschwert - wäre da nicht diese vergleichbare Szene auf der anderen Seite gewesen - ohne, dass der Ball das Spielfeld zwischendurch verlassen hatte. Bensebaini hatte zuvor mit einem langen Ball Thuram gefunden, der wiederum von Dragovic gut sichtbar im Strafraum umklammert wurde und den Ball eben - im Gegensatz zu Bellarabi - nicht unbedrängt aufs Tor schießen konnte.
Nun fiel Thuram aber, wie es seine faire Art ist, nicht wie vom Blitz getroffen zu Boden. Storks fand das Foul vielleicht deshalb auch nicht foulwürdig genug und im Kölner Keller erkannte man daraufhin auch keine klare Fehlentscheidung des Referees im Stadion. Damit bekam Storks auch nicht den Hinweis, sich vielleicht diese elfmeterreife Szene mal lieber noch vor der anderen anzusehen.
Dazu kommt noch, dass mir angesichts der folgenden Foulsituation rätselhaft bleibt, warum Köln überhaupt eine On-Field-Review zu einer Entscheidung empfohlen hat, die gleichfalls keine klare Fehlentscheidung war. Denn weder war der Ball bei Elvedis Foul gegen Bellarabi schon im Aus, was die Sache geändert hätte. Noch war Storks Elfmeterpfiff nach den Regeln völlig unbegründet. Umso besser wäre es gewesen, wenn Yann Sommers Fingerspitzen ein klein wenig fester gewesen wären und den Elfmeter von Havertz nicht ins Tor, sondern neben das Tor gelenkt hätten. Schade drum. Am Ende war es nur ein weiterer Hinweis darauf, dass im Duell der Europa-Anwärter heute Wohl und Wehe mehrmals von nur wenigen Zentimetern abhingen.

Was bleibt, ist wieder einmal ein schaler Beigeschmack. Und der Ärger darüber. Weil es - wieder einmal - eine Benachteiligung des VfL war, und dies - wieder einmal - in einem Spiel gegen einen direkten Konkurrenten, was - wieder mal - zu Punktverlusten führte. Denn heute waren die Rose-Schützlinge bei allem Willen, den sie an den Tag legten, dann leider nicht in der Lage, den zweiten Rückstand aufzuholen und dem Spiel nochmal eine andere Wendung zu geben.

Was war noch?
Die Erkenntnis, dass es in leeren Stadien äußerst schwierig zu sein scheint, einen Rückstand noch zu drehen. Das haben die bisherigen beiden Spieltage eindrucksvoll gezeigt. Der Heimvorteil ist ebenfalls so gut wie weg, was - da es alle trifft - kein großer Nachteil sein muss, aber vielleicht doch eher die Favoritenteams bevorteilt, die auswärts oft ja nur mit einem lautstarken 12. Mann des Gegners aus dem Konzept zu bringen sind.

Die Frage, warum Marco Rose heute sein Wechselkontingent nicht ausschöpfte. Neben dem verletzungsbedingt frühen Wechsel verzichtete er auf einen Halbzeitwechsel. Damit blieben ihm nur noch zwei Wechselgelegenheiten in Hälfte zwei, bei denen er jeweils aber nur einen Spieler tauschte, davon Strobl ebenfalls wegen Verletzung. Ein wenig Frische hätte in der Schlussphase vielleicht wirklich noch gut getan, doch nach dem Wechsel Wendt für Thuram war diese Chance in der 78. Minute bereits dahin. So blieben die Borussen am Ende auch läuferisch mit gut 112 Kilometern unter ihren Normalwerten.

Die Überlegung, ob die lange Phase des isolierten Trainings bei dem einen oder anderen Spuren hinterlassen hat, was das Zweikampfverhalten angeht. Nico Elvedi ist nach wie vor ein bärenstarker Verteidiger. Aber er hatte in beiden Spielen seit der Corona-Pause in einzelnen Szenen sichtbare Schwierigkeiten im Timing, leider auch in entscheidenden. Gegen Frankfurt grätschte er vor dem Gegentor mit dem "falschen Bein" ins Leere, heute hätte er vor dem 1:0 von Havertz den Pass von Bellarabi wohl mit einem langen Bein entschärfen können, ließ ihn aber passieren. Dass er beim Elfmeter nicht glücklich aussah, ist ebenso klar. Ungewohnt auch, dass er sich beim 1:3 so leicht von Bender aus der Bahn räumen ließ. Also sollte er Kraft aus Szene wie der spektakulären Rettungstat gegen Demirbay ziehen, als er in Hinteregger-Manier das frühe 0:2 aus drei Metern verhindern konnte.  

Und schließlich bleibt die Hoffnung, dass es Breel Embolo und Tobi Strobl nicht zu heftig erwischt hat und beide schnell wieder zur Verfügung stehen. Gerade Embolo hätte uns vorn mit seiner Wucht und Schnelligkeit gut getan, vor allem gegen einen Pillentorwart, der auch heute, wenn er unter Druck gesetzt wurde, keinen Ball zum eigenen Mann bekommen hat. 

Bundesliga 2019/20, 27. Spieltag: Borussia Mönchengladbach - Bayer Leverkusen 1:3 (Tor für Borussia: 1:1 Thuram)

2020-05-16

Wohltemperierter Kaltstart

So, versprochen: Heute nichts über die Umstände des Re-Starts in der Fußball-Bundesliga und die innere Zerissenheit über den sehr speziellen Fortgang der Saison. Denn heute kann ich - endlich - wieder über echten, frisch gespielten Fußball schreiben. Und dafür blende ich den Rest zumindest für heute aus.

Kompliment, das war ein höchst zufriedenstellender Kaltstart, den ich so nicht erwartet hatte. Ich war zwar zuversichtlich, dass Marco Rose und sein Trainerteam die Mannschaft auf den Punkt genau auf diese Situation vorbereitet hatten. Doch dass Eintracht Frankfurt gerade in der ersten Halbzeit so hilflos agieren würde, hätte ich nie gedacht.

Natürlich spielte es Borussia in die Karten, gleich mit dem ersten Angriff in Führung zu gehen und kurz darauf erhöhen zu können. Aber auch danach kamen die Gastgeber - trotz zwei drei passabler Chancen - auf dem Platz überhaupt nicht zurecht. Ganz anders der VfL, der zweimal eiskalt zuschlug und das Spiel dann schon in den ersten 45 Minuten sehr gekonnt - bisweilen aber etwas zu lässig - verwaltete. Dass das oft ins Auge geht, wissen wir zur Genüge. Und auch das letzte Spiel vor der Corona-Pause gegen die *ölner hatte ja einmal mehr bewiesen, dass auch ein an sich sicherer 2:0-Vorsprung schnell in Gefahr geraten und die Souveränität dann schnell dahin sein kann.

Heute kam dieser Zeitpunkt, als ein vermeidbarer Fehlpass von Stefan Lainer und eine ungewohnt unpräzise Elvedi-Grätsche ins Leere Yann Sommers Hoffnung auf ein schon lange überfälliges "Zu-Null-Spiel" zerstörte. Dieses Gegentor hätte es nicht gebraucht, verdient war es am Ende für die Frankfurter schon. Als Silva traf, war das Spiel aber dennoch bereits entschieden, weil es eben da schon 3:0 und nicht 2:0 stand.
Vielleicht wäre es auch gar nicht so weit gekommen, hätten beide Teams heute nicht fünfmal auswechseln können und dies zum Zeitpunkt des Anschlusstreffers auch schon voll ausgeschöpft gehabt.
So sinnvoll diese Regelung aus gesundheitlicher Sicht ist: Sie beeinflusst das Spiel möglicherweise mehr als als die ganzen Corona-Vorkehrungen drumherum. Denn wenn man die halbe Feldspieler-Mannschaft austauschen kann, wirkt sich das nicht nur auf die Frische im Team aus, sondern auch auf die Architektur des Spiels. Während auf Gladbacher Seite Stindl, Herrmann und Wendt nach ihrer Einwechslung so ein bisschen ihre Rolle suchten, kamen die Frankfurter plötzlich besser ins Spiel. Doch dass Borussia bis zum Schluss auf die Zähne beißen und einen knappen Vorsprung über die Zeit bringen kann, wissen wir auch. Zum Glück war dies auch heute so. Alles andere wäre sehr ärgerlich gewesen.

Gefreut hat mich, dass Laszlo Benes trotz seines Kurzauftritts von 5 Minuten noch ein Ausrufezeichen setzen konnte. Ich persönlich hätte ihn heute gern früher gesehen. Nicht, weil mich Hofmann oder Neuhaus nicht überzeugt hätten - beide bearbeiteten mit dem bärenstarken Tobi Strobl die Räume im Mittelfeld äußerst effektiv. Nein, bei Neuhaus (11,15 Kilometer) und Hofmann (12,13) war schon nach gut einer Stunde zu beobachten, dass sich kleinere Ungenauigkeiten in ihr Spiel schlichen, was auf normalen Kräfteverschleiß nach der kurzen Vorbereitungszeit schließen lässt. Bei Hofmanns ärgerlich vergebener Chance auf das vierte Tor, als er in der 85. Minute die besser postierten Plea und Herrmann vor dem Tor ignorierte und mit seinem Schuss an Hinteregger scheiterte, war das dann unübersehbar.
Benes führte sich jedenfalls hervorragend ein, mit guten Ballbehauptungen und einem Zuckerpass auf Herrmann, der allein vor dem Tor aber knapp daneben schoss. Der in der Rückrunde von Rose noch unberücksichtigte Slowake machte Lust auf mehr, und er wird sicher auch noch mehr Spielzeit bekommen.

Natürlich waren Plea (1 Tor) und Bensebaini (1 Tor, 1 Assist) heute mit blitzsauberen Leistungen die offensichtlichen Matchwinner. Allerdings finde ich auch bemerkenswert, was Tobias Strobl als Abfangjäger im defensiven Mittelfeld heute abgeliefert hat. 92 Prozent Passquote, 67 Prozent bei den gewonnen Zweikämpfen, prima lange Bälle, kompromisslose Zweikämpfe und oft auch nur das geschickte Zustellen von Passoptionen - das ist deutlich mehr als ordentlich. So stark, dass ich heute - zumindest gegen den unter seinen Möglichkeiten spielenden Gegner - den verletzten Denis Zakaria nicht vermisst habe. Da Strobl immer noch von vielen sehr kritisch gesehen wird, freut mich das umso mehr.

Bleibt also als Kritikpunkt einmal mehr die schwache Chancenverwertung in der zweiten Halbzeit. Dass die Tordifferenz nochmal wichtig werden kann, wissen wir alle. Borussias Angreifer aber gehen mit ihren Konterchancen ein ums andere Mal zu fahrlässig um. Thuram, Plea (einmal allein vor Trapp und mit seinem sehenswerten Pfostenschuss), Hofmann, Herrmann - das hätten gut drei, vier Tore mehr werden können, wenn nicht müssen. Gut, dass sich der Gladbacher Sturm zu Beginn des Spiels viel effektiver gezeigt hatte. Sonst wäre es vielleicht nicht so ein vom VfL fast zu jeder Spielphase kontrolliertes Spiel geworden. Aber wenn die Mannschaft jede Aufgabe so aufmerksam und diszipliniert angeht, muss uns vor dem Endspurt in der Meisterschaft nicht bange sein. Mental sind die Rose-Schützlinge jedenfalls auf der Höhe. Und wenn sie mit der Grabesstille in leeren Stadien weiter so gut zurecht kommen wie im Derby und heute, ist vieles möglich. Eins ist aber genauso sicher: einen "Heimvorteil" gibt es in der Geister-Bundesliga einstweilen nicht mehr. Heute kam das Gladbach zugute, ein volles Frankfurter Stadion hätte aus der Schlussphase noch eine richtig hektische Angelegenheit machen können. Mal sehen, wie sich das weiter auswirkt, auch auf die Spiele der Konkurrenz bezogen.

Übrigens, auch das kann mal gesagt werden: Schiedsrichter Felix Zwayer zeigte heute eine anständige Leistung. Neben ein paar Dingen, die man als Fan natürlich gern anders sieht, fand ich in dieser Partie nur die vielen zugedrückten Augen beim Frankfurter Evan Ndicka daneben. Der hatte für ein rüdes Foul gegen Thuram schon in Halbzeit eins Gelb gesehen, schlug dann mit dem Ellbogen aus, wofür sein Teamkollege Kostic ebenfalls schon Gelb bekommen hatte. Da verschonte Zwayer den heute oft überforderten Abwehrspieler, ebenso, als der dann auch noch den Elfmeter verschuldete, was durchaus eine Kann-Verwarnung gewesen wäre. Sagen wir mal so: Wäre das Spiel in der Schlussphase enger gewesen, wäre ich mit Zwayer in diesen Situationen vielleicht nicht ganz so gnädig gewesen. Aber insgesamt gibt es da heute wenig zu meckern.

So kann es also gern weitergehen - machen wir das Beste draus!

Bundesliga 2019/20, 26. Spieltag: Eintracht Frankfurt - Borussia  Mönchengladbach 1:3 (Tore für Borussia: 0:1 Plea, 0:2 Thuram, 0:3 Bensebaini FEM)

2020-05-15

Anpfiff zu den Quarantäne-Spielen

Morgen um diese Zeit wissen wir, wie der erste Akt des absehbaren Trauerspiels namens Corona-Bundesliga für unseren Lieblingsverein ausgegangen ist. Klar, das interessiert mich natürlich. Ich hoffe selbstverständlich auch, dass Borussia nicht nur morgen gewinnt, sondern sich in dieser schwierigen Ausnahmesituation bestmöglich aus der Affäre ziehen kann. Aber...

Trotz des wirklich durchdachten, aufwändigen und teuren Konzepts, das die DFL vorgelegt hat und jetzt umsetzt: Es zeichnet sich von Tag zu Tag genau das ab, was ich schon in meinem letzten Blogbeitrag befürchtet hatte. Der Rest einer spannenden Saison droht zum Glücksspiel zu werden.
Fälle wie das Kabinen-Livevideo von Herthas Kalou mit einem Sackvoll Verstößen gegen die Hygieneregeln oder Heiko Herrlichs Zahnpastakauf, mit der der Augsburg-Trainer leichtfertig gegen die Quarantäneregeln verstieß, sind Wasser auf die Mühlen aller, die kritisieren, dass der Profifußball eine Sonderrolle bekommt, die er nicht verdient. Zugleich nähren solche Vorfälle die Zweifel, dass hinter den Kulissen penibel genau darauf geachtet würde, was die Liga an strengen Regeln so vorgibt. Auch Borussia hat ja bereits den ersten Fehltritt hinter sich - mit der verkürzten Quarantäne im eigenen Hotel. Konsequenzen hatte das zum Glück für uns erstmal nicht. Aber es kostet Glaubwürdigkeit. Und natürlich stellt es auch eine Gefahr für die Gesundheit aller Beteiligten dar. Und die müsste eigentlich über allem anderen stehen.

Der Saisonendspurt, der die Profiligen und ihre Vereine wirtschaftlich über Wasser halten soll und vielleicht auch wird, hat mit einem sportlich fairen Wettstreit jedenfalls nichts zu tun. In der zweiten Liga ist Dresden wegen positiver Tests bei Spielern für zwei Wochen aus dem Rennen genommen worden und wird es schwer haben, sich selbst in Form und damit konkurrenzfähig zu halten. Würde jedes andere Gesundheitsamt vor Ort genauso handeln? Fraglich. Aber wie geht es weiter: Müssen noch mehr Teams für eine zwei Wochen aus dem eng getakteten Spielplan genommen werden? Und was passiert dann. Nachdem die Ligavereine sich auch in dieser Woche noch nicht auf eine Wertung im Worst-Case-Szenario, dem Saisonabbruch, einigen konnten, ist diese Frage weiter völlig offen. Solidarität untereinander sieht anders aus, liebe DFL-Vereine.

Doch erheblich geschwächt werden Vereine zum Teil auch durch den Ausfall einzelner Schlüsselspieler. In Bremen geht gerade heute ein (noch unbekannter) Spieler in Quarantäne und kann nicht eingesetzt werden, weil eine Kontaktperson infiziert ist. In Düsseldorf ist der Kapitän Oliver Fink nicht dabei, weil er aus der Quarantäne zurück zu seiner Frau und dem neugeborenen Kind ging - er hatte sicher triftige Gründe dafür. Was kommt als nächstes, und wie wirkt sich das auf die ohnehin nur mäßig ausgeprägte Chancengleichheit in den Ligen aus?

Es kann und wird vielleicht schnell so weit kommen, dass wir gar nicht mehr hoffen, dass die Spieler unseres Teams im Spiel X ihre beste Leistung abrufen, sondern, dass sie überhaupt mit einer konkurrenzfähigen Mannschaft auflaufen können. Wir hoffen, dass unser Team die Auswirkungen der Corona-Krise am wenigsten zu spüren bekommt; dass unser Team den besten und erfolgreichsten Fußball spielt, spielt schon eine untergeordnete Rolle.
Das ist es, was den Titel und die Platzierungen, egal wer sie erringen wird, am Ende ein ganzes Stück weniger wert sein lässt, bei aller ehrlicher Arbeit und Bemühungen der Beteiligten. Das trübt meinen Blick auf die nächsten Wochen. Aber die Show muss weitergehen - also lassen wir schweren Herzens die Quarantäne-Spiele beginnen...

2020-05-03

So lieber nicht!

Was sehne ich mich nach frischem Fußball! Was freue ich mich auf neue Erfolge (und fürchte Misserfolge) meines Teams! Es ist immer noch unwirklich und schwer erträglich, in der wohl spannendsten Phase einer Meisterschaft so jäh ausgebremst zu werden. Ohne eine Aussicht darauf, wie es weitergeht.

Wobei: Der Tag, an dem die Bundesliga wieder anstößt, scheint ja jetzt wirklich näher zu kommen. Die Vorzeichen vedichten sich, dass ab Mitte Mai in leeren Stadien wieder der Ball rollen wird.

Gut, ich werde dann auf jeden Fall als Pappkamerad im Borussia Park mit dabei sein. Und ich werde die Spiele des VfL natürlich auch im Fernsehen verfolgen. Aber doch anders als sonst - nach meiner derzeitigen Gemütsverfassung mit größerer Distanz denn je. 
Denn so fanatisch ich während Spielen meiner Borussia werden kann, so verbunden ich meiner Mannschaft bin - es fühlt sich falsch an. Und die Gefahr ist sehr hoch, dass am Ende überhaupt keiner glücklich wird mit einer unter diesen Umständen fortgesetzten Saison. 

Dabei finde ich, dass die DFL und die Vereine ein sehr gutes Konzept vorgelegt haben, unter welchen Bedingungen man tatsächlich weiterspielen könnte. Es ist durchdacht, es ist gegenüber den wirklichen Notwendigkeiten in unserer Gesllschaft demütig genug, weil es keine leeren Worte sind; weil der Aufwand für die Bundesliga nachvollziehbar nicht auf Kosten etwa der Testkapazitäten anderer ginge, für die es um Gesundheit, Arbeitskraft, Leben und Tod geht. 
Es wäre aus meiner Sicht auch sonst - theoretisch - vernünftig abzuwickeln, weil zum Beispiel anders als im März heute nicht damit zu rechnen wäre, dass sich viele Fans vor Stadien oder in anderen Ansammlungen zusammenfinden würden und somit die Ansteckungsgefahr außerhalb der Stadien auch nicht über das Maß hinaus erhöht würde, was die ersten Lockerungen in Geschäften und im öffentlichen Leben schon jetzt mit sich bringen.
 
Das Konzept der Bundesliga ist ein Kompromiss und der ernstzunehmende Versuch, den Bestand möglichst aller Vereine und ihrer Arbeitsplätze zu retten, den Fußballprofis die Ausübung ihres Berufes zu ermöglichen und auch zwingend notwendige sportliche und wirtschaftliche Entscheidungen in Hinblick auf den Neustart in der nächsten Saison zu ermöglichen, etwa, was europäische Startplätze, Ab- und Aufstieg, Verträge und Transfers betrifft.

Es wird und kann in der Krise allerdings keine völlige Neuorientierung und Abkehr des bisherigen Kommerzsystems sein, das viele - auch ich - aufgrund der Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre für notwendig halten. Dies wäre nur dann kurzfristig denkbar, wenn das System Bundesliga (und vor allem nicht nur der nationale Profifußball) vollends kollabiert. 
Das kann sich bei aller Kritik an denen, die über ihre Verhältnisse leben (gell, S04) eigentlich keiner wünschen. Weil es eben nicht dazu führen würde, dass die Ligen dann um die Mannschaften ärmer würden, die ohnehin in erster Linie einen von ihrer Performance unabhängigen steten Finanzzufluss von außen haben. Es würde vor allem die treffen, die sich alles selbst erarbeiten müssen, die aber als Unterbau der Eliteliga zugleich eine so wichtige wie fragile Rolle einnehmen: auf bescheidenem Niveau wirtschaftende Vereine aus erster, zweiter, dritter und den vierten Ligen. Die, die vielen auf hohem Niveau ausgebildeten Topnachwuchsspielern die Möglichkeit geben, auf hohem Niveau Spielpraxis zu bekommen, gerade wenn diese keine Überflieger sind, die es mit 17 auf Anhieb in einen Bundesligakader schaffen. Die auch all den vielen jungen Sportler eine Profilaufbahn und ein dem Aufwand angemessenes Leben ermöglichen, die den Schritt nach oben am Ende nicht schaffen, obwohl sie genauso wie die Superstars über viele Jugendjahre alles dafür gegeben haben.

Doch zurück zum Bundesliga-Corona-Plan: Ich kann all das nachvollziehen und als machbar und unter diesen Umständen als halbwegs vernünftig akzeptieren. Weil alles, was dort geplant ist, so geplant ist, um allen Interessen gerecht zu werden. Ich sehe auch, dass die meisten Vereine dringend die Fortsetzung der Saison brauchen, um die letzte Rate der Fernsehgelder zu sichern, die nunmal viel mehr Cash einbringt als unsere Stadion-Eintrittsgelder und das, was die sonstigen Sponsoren zahlen.

Allerdings haben all diese Pläne einen mächtigen und vor allem unberechenbaren Gegner, den man in den Planungen nicht ausschalten kann: das Coronavirus selbst. Covid19 lässt sich auch in den durchdachtesten Bundesligaplan nicht einhegen. Das Risiko, dass einzelne Spiele deswegen ausfallen müssen, lässt sich vielleicht minimieren, mit Tests, Vorsichtsmaßnahmen, Quarantäne und viel Hygiene. Doch die Gefahr von sogenannten "Kollateralschäden" - dass am Ende Menschen, die diesen schwierigen Spagat meistern und an den noch ausstehenden Bundesligapartien teilnehmen - persönlichen gesundheitlichen Schaden davontragen, ist sehr groß. Zu groß.

Denn jeder Spieler, jeder im Trainerstab, jeder aus dem beteiligten Staff der Vereine, von den übertragenden Sendern und wer sonst noch im Umfeld der Stadien im Einsatz sein wird - sie alle haben in ihrem Umfeld Risikopersonen. Das können Familienangehörige mit Vorerkrankungen sein, kleine Kinder - oder sie selbst. Es sollte sich keiner zu sicher sein, dass Profisportler nicht zur Risikogruppe bei diesem Virus zählen würden.

Wer über die Jahre beobachtet hat, wie viele Topsportler unnatürlich früh gestorben sind und wie wenig wir immer noch darüber wissen, welche Auswirkungen Verletzungen aus Kontaktsportarten haben, welche Folgen das Fitspritzen oder Behandeln mit leistungssteigernden Mitteln - der kann sich ausmalen, dass auch das Immunsystem eines Profifußballers nicht in jedem Fall spielend mit dem neuartige Coronavirus fertigwerden muss und wird.

Ich bin kein Fachmann, der das wirkliche Risiko für Profifußballer beurteilen kann. Vielleicht ist die Sorge unbegründet und der Rest der Saison geht rum, ohne dass es zu ernstzunehmenden Erkrankungen käme. Aber wer garantiert das?
Vor allem aber: Wer verantwortet es, wenn jemand tatsächlich zu Schaden käme - nach Komplikationen seinen Beruf nicht mehr ausüben kann, einen Familienangehörigen verliert oder gar selbst stirbt?
Wir wissen, dass der Profisport noch immer sehr leicht darüber hinweg geht, welche Spätfolgen unvermeidbare Zusammenstöße etwa im American Football für viele Spieler hatten und haben. Wir alle schauen wohl mit Grauen auf die Knock-out-Historie von Christoph Kramer und hoffen, dass er auch nach seiner aktiven Laufbahn gesund bleibt. Garantiert ist das nicht. 
Geändert hat sich auch trotz der gehäuften Gehirnerschütterungen nach den bekannten zweikampfbedingten Zusammenstößen in der Bundesliga bisher nicht viel. Von der Fürsorgepflicht der Vereine gegenüber den Spielern ist - für mich öffentlich wahrnehmbar - noch immer wenig zu sehen, zumindest, was über die unmittelbare "Spielfähigmachung" hinaus geht.

Wäre das jetzt unter dem enormen wirtschaftlichen Druck anders zu erwarten? Ich glaube nicht. Und als hätte es noch eines Beweises bedurft, zeigt der Streit um die Interview-Aussagen des Belgiers Birger Verstraete vom 1. FC Köln an diesem Wochenende, dass es am Ende nur um Schadensbegrenzung für den Verein geht, nicht um die Sicherheit der Spieler. 

Auch wenn Verstraete im Kader der Kölner derzeit keine Rolle spielt, gibt es keinen ersichtlichen Grund, warum er über die Covid-positiven Fälle und die offensichtlich anschließend zu lasche Umgangsweise mit den Quarantänemaßnahmen Unsinn erzählen sollte. 
Dass der Verein ihn im Anschluss zu einem wenig überzeugenden Dementi nötigte, zeigt, dass wir uns nicht sicher sein können, ob die von der Liga vorgestellten Sicherheitsauflagen im Umgang mit dem Virus intern auch so umgesetzt und kommuniziert werden (können). Da bringe ich im übrigen Gladbach genausoviel oder wenig Vertrauen entgegen wie den Verantwortlichen aus der Derbyverliererstadt - einfach weil es im Moment einer Spieltagsfortsetzung für alle wieder um zu viel geht, als dass man sich durch die tagelange Schachmatt-Setzung des halben Teams selbst schwächen wollte oder könnte.

Also: Bei aller durchdachter Planung schwebt über einer Fortsetzung der Saison ein unkalkulierbares Risiko für alle. Die Bemühungen der Bundesliga wirken sinnvoll abgewogen und wirtschaftlich bitter nötig, aber letztlich auch dadurch nicht ehrlich. Denn natürlich ist jedem bewusst, dass ein Covid19-Vorfall, der eine ganze Mannschaft zeitweise aus dem eng gestrickten Terminplan nähme, das endgültige Aus für die Saison bedeuten würde. Mit dem Unterschied, dass dann das Fernsehgeld wohl fließen würde. 
Dieses Verhalten wirkt so wie das eines Open-Air-Konzertanbieters, der weiß und sieht, dass jeden Moment ein schweres Gewitter beginnt, die Vorstellung aber dennoch beginnen lässt, weil er ab einer bestimmten Minute des Abbruchs das Eintrittsgeld nicht mehr zurückzahlen muss. Ob seine Gäste trocken oder gesund nach Hause kommen, ist ihm in diesem Moment vielleicht egal, weil er auf seine Kosten kommen will und muss.

Wir werden sehen, wie es weitergeht. Wir haben auch wenig Einfluss darauf. Ich hoffe, ich konnte euch mit diesem doch wieder sehr langen Text erklären, warum ich einerseits die Fortsetzung der Saison herbeisehne und dies zugleich nicht genießen könnte wie sonst. Und das ganz unabhängig davon, dass ich als Gerechtigkeitsfanatiker mit Sicherheit mit dem Ausgang einer Saison (wie auch immer er aussähe) meine Probleme hätte, weil aufgrund der aktuellen Gegebenheiten wohl nicht alle Teams gleiche Chancen haben dürften - sollten zum Beispiel wichtige Spieler in Quarantäne gehen oder Spiele verlegt werden müssen.

Schweren Herzens sage ich deshalb - so lieber nicht! Bin gespannt, wie ihr das seht. Schreibt es gern in die Kommentarspalte. Und ja - ich sehne mich trotz allem danach, endlich wieder über echten Fußball unserer Borussia schreiben zu können.