Zurück aus Mönchengladbach, bin ich am Tag nach dem Saisonende froh und auch halbwegs versöhnt mit einem schwierigen Spieljahr. Borussia hat ganz zum Schluss dann doch noch ganz viel richtig gemacht, was uns alle mit einem erheblich besseren Gefühl in die Sommerpause gehen lässt, als das vor zwei Wochen noch abzusehen gewesen wäre.
Es gibt noch viel zu sagen, deshalb muss ich das heute thematisch etwas gliedern. Fangen wir mit dem emotionalsten Erlebnis an.
Der Lars: Es gab eine Phase in dieser Saison, da hätte ich die schon vor langer Zeit gekauften Karten für das letzte Heimspiel der Saison abgeben wollen. Meine emotionale Bindung an das, was da auf und neben dem Platz vor sich ging, hatte sich sehr gelockert, und Stand heute hat sich das auch noch nicht wieder normalisiert. Das jüngste von drei überwiegend frustrierenden Jahren mit wenig Kontinuität hat mich borussia-emotional einfach leergesaugt.
Aber da war ja auch der anstehende Abschied von drei Spielern, die ich sehr liebgewonnnen habe. Dazu gehören Marcus Thuram und Ramy Bensebaini, aber viel mehr natürlich - zusammen mit Flaco und Tony Jantschke - der "menschliche Kitt" zwischen Fans und Team, unser Kapitän Lars Stindl.
Er war am Ende der einzige wirkliche Grund, warum ich mir nicht einen sonnigen Samstag zuhause gemacht habe, sondern den 500-Kilometer-Ritt nach Gladbach und zurück angetreten habe. Es hat sich gelohnt. Denn neben dem schönen Gefühl eines Sieges (da war ich bei meinen letzten Stadionbesuchen nicht so erfolgreich) erlebte ich einen der schönsten Tage, die ich in einem Stadion verbracht habe. Der Dank aus vollem Herzen, der Dank aus über 50000 lauten Kehlen, Tränchen in sehr vielen Augen dabei, natürlich auch in meinen. Das war der Abschied, den du dir verdient hast, Capitano!
Ich
brauche das für keinen Fan des VfL zu schreiben, es ist sonnenklar.
Lars Stindl steht für Borussia, vor allem dafür, wie der Verein sich
selbst sehen will. Er steht authentisch für das, was Fans sich von einem
Fußballprofi ihrer Mannschaft ersehnen. Er war hochbezahlter
Angestellter des Vereins, aber zugleich immer "einer von uns", einer
mit dem offenen Ohr in die Kurve genauso wie im Umgang mit jedem
anderen, mit dem er zu tun hatte. Ein Modellathlet und Modellmensch.
Lars
Stindl hat in diesen acht Jahren keinen einzigen Titel geholt, er war
nicht einmal nahe dran, wenn wir uns das ehrlich eingestehen. Das hat er
sicher manchmal bedauert, aber es war sein Weg, trotz magischer Nächte
und Tage gemeinsam mit uns einmal (oder mehrmals) mehr tragisch zu
scheitern. Er hat nicht jeden Ball so getroffen, wie es für Borussia
vielleicht perfekt gewesen wäre. Er hat lange nicht so viel "Zählbares"
erreicht wie manche andere Klublegende. Und doch steht er für mich auf
einer Stufe mit titelreicheren Borussen wie Netzer, Vogts oder Heynckes.
Denn weil er immer alles rausgehauen hat, was im Tank war, ist er einer der herausragenden Borussen in der Vereinsgeschichte. Er hat die Mannschaft geführt, mit Taten, mit Worten. Er hat viele Tore geschossen, viele vor- oder vorvorbereitet, er hat gepresst, Gegenspieler giftig gestindelt und gepiesackt, oft mal vehement abgerätscht, gemeckert und gelobt. Er war acht Jahre lang Borusse mit jeder Faser seines Körpers. Und das bedeutet: Lars Stindl hat hier alles richtig gemacht!
Deshalb
war ein ganzes Spiel diesem Abschied gewidmet, deshalb wurde ein
Schlachtruf der Mannschaft von "Mönchengladbach olé" zu "Lars Stindl
olè" umgedichtet und viele minutenlang inbrünstig durchgesungen - in
einem Verein, in dem immer wieder gesagt wird, dass kein einzelner über
dem Verein stehen darf.
Und deshalb kann ich mir heute noch in
keiner Weise ausmalen, dass beim Anpfiff der neuen Saison nicht Lars
Stindl als Mannschaftskapitän auf den Platz laufen wird.
Sicher, der sportliche Verlust von Bensebaini und Thuram wiegt schwer. Aber der von Lars Stindl wiegt schwerer. Menschlich, als Bindeglied in einem teilweise sehr inhomogenen Team. Und sportlich natürlich auch. Denn gerade der entfesselte Auftritt gestern und die starken Spiele, die Stindl in den vergangenen Wochen als Joker absolviert hat, haben auch noch einmal offenbart, welche fußballerischen Qualitäten uns ohne ihn künftig fehlen - und dass da sehr viel mehr als ein langjähriger Stammspieler ersetzt werden muss.
Die Unverbesserlichen: Wie schön wäre es gewesen, wenn sich alle an diesem Tag so benommen hätten, wie es sich für das Saisonende gehört. Ich habe meinen Blog mal angefangen wegen der unsäglichen Auspfeiferei von Fans gegen eigene Spieler oder die Mannschaft. Das wurde mit dem Erfolg der vergangenen Jahre besser. Mit der zuletzt ausbleibenden Weiterentwicklung von Mannschaft und Verein wurde dies auch im Borussia Park aber auch wieder schlechter, natürlich auch diese Saison.
Ich sage es immer wieder, ich bleibe dabei und sage es in aller Deutlichkeit: Ich habe kein Verständnis dafür, dass man Spieler, Trainer oder die Mannschaft wegen ihrer Leistung auspfeift. In keiner Phase ist es hilfreich, in keiner Phase ist es angebracht. Echter Fußball ist kein Computerspiel, die Aktiven auf und neben dem Rasen sind Menschen, keine Roboter. Wenn sie ihre besten Leistungen nicht erreichen, wenn sie Fehler machen, wenn sie uns "enttäuschen", dann tun sie das nicht aus Boshaftigkeit gegenüber den eigenen Fans oder aus Kalkül. Es ist unverschämt und respektlos, ihnen das zu unterstellen.
Diese "Brot-und-Spiele-Einstellung" in Teilen des Publikums, die sich - aus verständlicher Enttäuschung heraus - Bahn bricht, das Maß verliert und in Ablehnung, Pfiffen, Häme, Unterstellungen und Kommentaren unter der Gürtelllinie ausdrückt, widert mich an.
Ich habe mich gestern (wieder einmal) geschämt für die Pfiffe, die von meiner Position in der Südkurve viel zu laut zu hören waren, wo genau auch immer sie herkamen. Gellende Pfiffe bei der Aufstellung, einem der heiligsten Rituale vor dem Anpfiff, gegen Daniel Farke. Sehr laut vernehmlich gegen Ramy Bensebaini und schon erheblich weniger gegen Marcus Thuram.
Das ist nicht die Borussia-Familie, wie ich sie oft erlebt habe, und wie sie sich gern selbst darstellt. Ich weiß, es ist eine Minderheit, auch gestern im Stadion. Aber sie ist laut, zu laut. Und sie wird nicht einsehen wollen, dass das gestern peinlich war für den Verein. Und unwürdig gegenüber Spielern, die vielleicht nicht immer auf Topniveau abgeliefert haben, die vielleicht auch nicht immer so aussahen, als würden sie alles geben. Die aber natürlich dennoch nie mit angezogener Handbremse gespielt haben, wie mancher ihnen vielleicht vorwirft.
Sie haben es nicht immer so hinbekommen, wie wir es von ihnen erwartet haben und vielleicht auch erwarten konnten. Aber wir wissen nie, unter welchen Begleitumständen sie in ein Spiel gegangen sind. Ob sie Ärger, Sorgen oder Schicksalsschläge mit ins Spiel genommen haben - so wie zuletzt Jonas Hofmann, der mit seiner Frau damit fertigwerden musste, dass sie das ungeborene Kind verloren haben.
Vielleicht waren es andere persönliche Gründe, die manchen Spieler gehemmt haben. Ängste vor dem Versagen, vor Pfiffen oder weiß der Teufel. Oder körperliche Blessuren, trotz derer man ins nächste Spiel gehen will oder muss.
Es gibt so viele handfeste Gründe, warum man vor den Augen von Millionen kritischer Augen im Stadion oder vor den Fernsehgeräten etwas nicht so hinbekommen kann, wie man es von sich selbst erwartet. Wir alle wissen vieles davon nicht, wir wissen aber inzwischen, dass Körpersprache nicht immer zeigt, wie die Einstellung zum Spiel ist. Fragt Raffael, fragt Özil.
Und, das richtet sich natürlich nur an die Leute auf den Rängen, die pfeifen für in Ordnung halten: Bringt Respekt auf, lieber einmal mehr als einmal zu wenig - auch Spielern wie Plea, Wolf, Bensebaini oder Thuram gegenüber, selbst wenn die manchmal wie Ritter von der traurigen Gestalt gewirkt haben mögen. Den Menschen vom Fußballprofi zu trennen und ihn wie einen Leistungsroboter zu behandeln, das sollten wir uns heutzutage echt verkneifen. Es kann uns als Fans nur aufwerten. In guten wie in schlechten Tagen.
Das Spiel: Man musste es nach dem Auf und Ab in dieser Saison wirklich nicht erwarten, aber am letzten Spieltag zeigte die Mannschaft von Daniel Farke eine komplette Halbzeit lang genau das, was sie zu leisten imstande ist. Das war der Fußball, für den dieser Trainer stehene will und den seine Jungs in der Saison zu selten über mehr als 20 Minuten im Spiel umsetzen konnten. Der FC Augsburg, für den es ja noch um das Vermeiden des Relegationsranges ging, war in den ersten Minuten völlig überfordert mit dem, was das Team um den wie aufgedreht spielenden Lars Stindl ihnen abverlangte. Das 2:0 zur Pause hätte locker ein 5:0 sein müssen, ganz nebenbei hätte Tikus sich in dieser Zeit nochmal ins Rennen um die Torjägerkrone einschalten können.
Die zweite Hälfte war nach dem Platzverweis für Augsburg nicht mehr von Belang, weil der VfL zwar auch diesma ein wenig zu sehr in den Verwaltungsmodus schaltete und das Spiel verflachte. Der Gegner war allerdings trotz einer Reihe von Standardsituationen nicht in der Lage, große Chancen herauszuspielen. Bei Borussia hingegen zeigte vom Torwart bis zum Mittelstürmer jeder durchweg eine tadellose Leistung. Keiner ließ schleifen, keiner machte leichte Fehler oder war unkonzentriert. Es war ein souveräner Sieg, ein runder und sehr anständiger sportlicher Abschluss, der uns in dieser Hinsicht positiv in den Sommer gehen lässt - auch wenn diese Mannschaft natürlich so nie mehr zusammenspielen wird.
Kein Extra-Kapitel gibt's für Schiri Matthias Jöllenbeck, was ich auch gut finde. Er wollte zwar etwas zu sehr ganz ohne Karten auskommen. Dabei half ihm, dass die Gladbacher in der ersten halben Stunde viel zu handlungsschnell für die Augsburger waren, selbst um gefoult zu werden. Dennoch musste der Unparteiische dann als erste Karte gleich Rot ziehen. Insgesamt war das aber alles in Ordnung. Es war allerdings auch in dem Spiel kein großes Konfliktpotential mehr vorhanden. Sehr anständig, dass er die ausgiebigen Verabschiedungen bei den Auswechslungen von Thuram und Stindl zuließ.
So, damit ist die Saison beendet. Um die Zukunft von Borussia, des Trainers und das Kommen und Gehen von Spielern beim anstehenden Umbruch im Kader wird es noch genug zu sagen geben. Das spare ich mir heute. Und bis eine Entscheidung in Sachen Farke gefallen ist, halte ich mich auch da zurück. Ich denke, dass es kein guter Weg wäre, sich nach einem Jahr schon wieder zu trennen, wo man das Projekt doch vor der Saison auf längere Sicht angelegt hatte. Aber ich weiß auch nicht, was intern möglicherweise vorgefallen ist, oder was sonst für einen Trainerwechsel sprechen könnte. Schade fände ich es, bei aller verständlichen Kritik an mancher übertriebenen Aussage, etwa zu einer angeblich zu hohen Erwartungshaltung im Umfeld des Vereins. Dass Borussias Fans wertschätzen, was geleistet wird, wenn sie das Gefühl haben, dass alles gegeben wurde, zeigt das Beispiel Lars Stindl vielleicht am besten.
Es gibt also Lernpotenzial auf allen Seiten. Damit Borussia sich weiter stabilisiert und auf einen guten Weg zurückfindet, sollte sich jeder an die eigenen Nase fassen und bald wieder seinen Beitrag dazu leisten. Die Seele brennt!
Saison
2022/23, Bundesliga, 34. Spieltag: Borussia Mönchengladbach - FC Augsburg 2:0.
Tore für Borussia: 1:0 Netz, 2:0 Hofmann.
Zum Schluss noch zur Saisonspende: Zwei
Tore, ein letztes Zu-Null in dieser Saison und keine Prämie für die
Saisonziele - auch die Spendensaison mit Borussia endet
unterdurchschnittlich. Glatte 120 Euro sind es geworden.
In den beiden Jahren zuvor
waren es immerhin 142,50 und 137 Euro, die ich dann jeweils auf 150 Euro
aufgerundet habe. Das werde ich auch diesmal tun, es geht schließlich
darum, gute Zwecke zu unterstützen. Wohin das Geld geht, verrate ich in einem späteren Beitrag.
Das gilt in der Saison 22/23: Für jedes erzielte Tor von Borussia in Bundesliga oder DFB-Pokal zahle ich 1 Euro. Für jedes Tor von Tony Jantschke oder Christoph Kramer: 10 Euro. Gehaltener Elfmeter von Yann Sommer, Jonas Omlin (oder einem Ersatzmann): 2,50 Euro; Zu-Null-Spiel: 1 Euro. Derbysieg gegen K***: 10 Euro. Siege gegen Bayern, Dortmund oder Leipzig: 10 Euro. Ein Sieg in Freiburg: 10 Euro. Einstelliger Tabellenplatz am Saisonende: 10 Euro. Internationaler Startplatz am Saisonende: 20 Euro. Deutsche Meisterschaft: 122 Euro. DFB-Pokalsieg: 50 Euro. Gladbacher Torschützenkönig: 30 Euro.