2020-08-18

Saisonvorbereitung III: Das letzte Puzzleteilchen?

Da ist er also, pünktlich zum Trainingslager. Und mit dem von mir zuletzt noch in Unkenntnis seines Namens "Mister X" genannten zweiten Neuzugangs ist Max Eberl wieder einmal ein echter Coup gelungen. Als letzte Woche die ersten Gerüchte auftauchten, dass Valentino Lazaro bei Borussia im Gespräch sein könnte, war wahrscheinlich wie üblich das meiste schon längst eingetütet - Überraschung perfekt. 
 
Nicht der junge Pedri vom FC Barcelona ist demnach die noch angekündigte (Leh-)Verstärkung, sondern der österreichische Ex-Herthaner, mit dem Gladbach auch schon vor dessen Wechsel nach Italien vor einem Jahr in Verbindung gebracht worden war. 
Der Preis damals: Viel zu hoch. Der Preis heute: auch noch zu hoch, deshalb wird es wie bei Hannes Wolf eine Leihe mit einer entsprechenden Kaufoption, die der Verein nächstes Jahr ziehen kann, aber nicht muss. 
Denn: Zündet er nicht, kann man sich nächstes Jahr umorientieren. Hat der Verein dann weiterhin nicht genug Geld für große Transfers, kann man eine kostengünstigere Lösung suchen. Und erfüllt er die Hoffnungen, ist Lazaro die kolportierten 15 bis 20 Millionen Euro für die Kaufoption dann auch wert. Einziger Risikofaktor für eine Verpflichtung wäre vielleicht das Gehalt, denn der Spieler wird da sicher dauerhaft keine großen Abstriche machen wollen, was die Ausgewogenheit im Gehaltsgefüge schon etwas herausfordern könnte. Andererseits kommt Lazaro auch nicht als Stammspieler (und damit Spitzenverdiener) von Inter an den Niederrhein.
 
Unabhängig davon ergibt diese Personalie für mich aber auch sportlich total Sinn.
Er ist auf allen Positionen auf der rechten Seite einsetzbar, also als Rechtsaußen, als rechter Mittelfeldspieler oder als Außenmann in Dreier- wie Viererkette. Laut Kicker ist er auch als offensiver zentraler Spieler denkbar, wobei dies sicher nur eine eher untergeordnete Option für das Trainerteam darstellt, dafür gibt es auf der Acht, Neun oder Zehn einfach zu viele "Spezialisten" bei Borussia. 

Valentino Lazaro hat mich mit seinen Fähigkeiten in der Offensive schon damals bei der Hertha beeindruckt (ich habe mich damals ein wenig näher mit ihm beschäftigt, weil ich ihn in meiner Comunio-Mannschaft hatte ;-)). Und wie es guter Brauch ist, hat er natürlich auch schon gegen Gladbach getroffen, bei der 2:4-Niederlage der Fohlen im September 2018 in Berlin.
Lazaro ist ein ganz starker Flügelspieler, der enorm Druck auf die Abwehr machen kann, weil er nicht nur klasse Flanken schlägt (und hier aus meiner Sicht gegenüber Stevie Lainer noch ein bisschen mehr Präzision bietet), sondern weil er auch im 1-gegen-1 stark ist und somit für Abwehrspieler kaum auszurechnen ist. 
Schwächen hatte er damals ein wenig in der kontinuierlichen Defensivarbeit, aber daran sollte er inzwischen auch gearbeitet haben. Dass Lazaro auch aus dem RB-Salzburg-Stall kommt und die Spielweise verinnerlicht hat, ist sicher hilfreich, sollte man aber nicht überbewerten. Schließlich haben auch die Gladbacher Spieler, die vor Marco Rose schon da waren, dessen Vorstellungen vom Spiel schnell adaptiert.
 
Somit bringt der 24-Jährige neben Bundesliga- und internationaler Erfahrung (mit Salzburg und Inter) die nötige Polyvalenz mit, um sowohl auf der Position von Lainer oder Ginter wie auf der von Herrmann oder Thuram den Backup zu geben - oder sich auf einer dieser Positionen auch festzuspielen. Und erweitert damit eben auch die taktischen Möglichkeiten des Trainerstabs.
 
Wenn man den früheren Aussagen von Max Eberl Glauben schenkt, wäre mit Wolf und Lazaro das Transfergeschehen auf der Zugangseite dann erst einmal abgeschlossen. Erst einmal bedeutet, dass es zu einem späteren Zeitpunkt durchaus noch Bedarf für eine Ergänzung geben könnte. Mit Blick darauf, dass derzeit mit Thuram und Plea schon zwei Topstürmer wohl noch für eine Weile fehlen, auch Zakaria noch Zeit braucht und mögliche Abgänge aus der "zweiten Reihe" nicht ausgeschlossen bis wahrscheinlich sind, könnte also nochmals Handlungsbedarf bestehen. Und international ist das Transferkarussell ja noch lange nicht heißgelaufen. All das kann auch noch Einfluss auf Borussia haben, was wir natürlich nicht hoffen.
 
Aber nehmen wir mal an, dass es bei diesem Kader bleibt und dieser auch in voller Kraft in die Saison starten kann. Dann hätte der VfL eine Topmannschaft zusammen, deren erste Elf in jeder Zusammensetzung beeindruckend klingt:
 
Zum Beispiel so: 
Sommer - Bensebaini, Elvedi, Ginter, Lainer - Zakaria, Kramer, Neuhaus - Plea, Thuram, Lazaro.
 
Oder so:
Sommer - Elvedi, Ginter, Bensebaini (Wendt) - Zakaria, Hofmann, Lainer, Wolf - Plea, Embolo, Herrmann.
 
Oder so:
Sommer - Bensebaini, Elvedi, Ginter, Lainer - Zakaria - Neuhaus, Stindl, Embolo, Wolf - Thuram.

Oder, oder, oder. Und damit habe ich viele gleichwertige oder nahezu gleichwertige Spieler wie Tony Jantschke, Beyer, Benes oder Traoré ja noch gar nicht genannt - von den jungen Wilden ganz zu schweigen. Vielleicht ein Luxusproblem, aber auf der reinen Sechserposition wäre auch mit Lazaro der Abgang von Strobl nicht komplett ausgeglichen, wie ich im letzten Teil beschrieb. Allerdings sollten neben "Zak" und Kramer mit Benes, Hofmann, Stindl, Neuhaus oder gar Ginter (sowie Quizera oder dem in den Testspielen ganz gefällige Rocco Reitz) genügend taugliche "Aushilfen" zur Verfügung stehen.

Borussia hat also zum jetzigen Zeitpnkt ihre Hausaufgaben gemacht und steht damit voraussichtlich noch ein Stückchen stärker da als vergangene Saison. Doch das ist nur ein Teil der Rechnung. 
Was diese Stärken auf dem Papier wert sind, können wir uns ungefähr ausrechnen. Doch wie es auf dem Platz klappt, vor allem wenn die zweite Unbekannte in der Gleichung dazu kommt - der Gegner -, das ist wie immer offen. 
 
Aber das ist ja auch der Thrill, wenn es in eine neue Saison geht: Dass die Träume, die unser Team verspricht, erst mit der Realität abgeglichen werden müssen. Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich jedenfalls mit dem Zwischenstand gut leben. Und das bedeutet: Bei mir steigt - endlich - langsam wieder die Ungeduld, ungeachtet der weiterhin unvermeidlichen und freudeschmälernden Einschränkungen. Die Bundesliga kann kommen - immerhin vier Wochen sind es bis zum Auftakt-Knaller gegen den BVB noch. Aber egal, was die anderen machen - wir sind auf einem guten Weg!

2020-08-07

Saisonvorbereitung II: Qualitäten gehen, Qualitäten kommen

Bevor ich anfange, die Stärken von Borussias Neuzugängen mit denen der Abgänge zu vergleichen, ist es erstmal Zeit, zu danken. Ich weiß, damit komme ich reichlich spät. Aber es gehört für mich noch dazu.

Danken muss man den drei Spielern, denen Borussia im letzten Saisonspiel gegen Hertha nur einen sehr unzureichenden Abschied schenken konnte - immerhin noch den sportlich bestmöglichen.

Da ist Tobias Strobl, der Turm in so mancher Schlacht. Egal ob als Innenverteidiger, als Rechtsverteidigeraushilfe oder als Abräumer auf der Sechs. Strobl gehört zu den auch in den Reihen der eigenen Fans unterschätztesten Fußballern in der  Bundesliga. Als Abräumer, als (langer) präziser Passgeber, als ordnende Hand im Mittelfeld hat er es meist verstanden, sein Team gut aussehen zu lassen, ohne dass er selbst besonders auffiel.

Na klar, es gab auch Spiele, in denen er überfordert war. Aber auch da lag es nicht allein an ihm, sondern an den Räumen, die die ganze Mannschaft dem Gegner anbot. Strobl wird bei seinem neuen Club in Augsburg einen Stammplatz haben, sofern er verletzungsfrei bleibt, da bin ich mir sicher. Und doch ist es konsequent, wenn auf seiner Position bei Gladbach jetzt ein anderer (schnellerer und wendigerer) Spielertyp verpflichtet würde - sofern auch dieser so vielseitig einsetzbar ist. Oder dies dann vom Kader insgesamt aufgefangen werden kann.

 

Fabian Johnson: Leider waren Verletzungen immer wieder treue Begleiter in seiner Zeit bei Borussia. Vielleicht wäre das Bedauern über das Auslaufen seines Vertrages sonst deutlich größer gewesen. Was er kann, hat er immer wieder gezeigt, vor allem, nachdem ihn Lucien Favre vom Rechtsverteidiger zu einem der besten Linksaußen der Liga umgeschult hatte. Auch als er von manchem schon abgeschrieben war, kämpfte er sich wieder zurück. Seine beste Zeit liegt aber dennoch schon eine Weile zurück. Es war die Zeit, als der VfL noch nicht die dominante Ballbesitzmannschaft war, die sie heute ist, sondern aus einer massiven Defensive heraus, aus der Tiefe der eigenen Hälfte überfallartige Konter setzte, die flinke Stürmer wie er veredeln konnten.

Wäre die Verletzungsanfälligkeit nicht gewesen, dann wäre auch ein neuer Vertrag nach meiner Einschätzung drin gewesen. So behalten wir ihn als sehr feinen Spieler und Menschen in unseren Herzen - als einen Baustein der Mannschaft, die Borussia wieder zu dem gemacht hat, was es heute ist.

 

Und dann natürlich Raffael. In seiner Zeit bei Borussia eigentlich immer DER Hoffnungsträger - das geniale Etwas, was Borussia 10, 15 Jahre zuvor immer gesucht und doch nie gefunden hatte. Als Raffael endlich dem Werben von seinem Entdecker Favre und Max Eberl nachgab, begann eine beidseitige Liebe, der auch die etwas unangemessen leise Trennung nicht anhaben können wird.

Der trickreiche Spielgestalter, der kaltschnäuzige Torschütze, der stille Vulkan, der dann und wann völlig überraschend vor der Nordkurve (für seine Verhältnisse spektakulär) ausbrechen konnte - er wird uns fehlen. Nicht mehr so sehr als Spieler denn als Mensch und Galionsfigur des Gladbacher Weges. Und wenn man sieht, das Borussia heute auf einen wie ihn verzichten kann (die vergangene Saison mit nur wenigen Spielminuten hat das ja bewiesen), dann ist das für die entwicklung des Vereins und der Mannschaft eine Aussage mit Ausrufezeichen - eine, die vor ein paar Jahren noch unvorstellbar gewesen wäre. Der VfL ist, was die Einschätzung einer Verstärkung des Kaders angeht, seit Raffaels Verpflichtung unübersehbar um einige Stufen emporgeklettert.



Diese drei verdienten Borussen sind also ab September nicht mehr mit der Raute auf der Brust unterwegs - doch in meinem Borussenherzen haben sie stets einen Platz.


Zurück von ihren Leihen kommen Michael Lang, Julio Villalba, Andreas Poulsen und Jordan Beyer. Nur letzterer wird in der kommenden Saison bei Borussia eine Rolle spielen können.

Um den Schweizer Lang tut es mir leid, weil er unter anderen Vorzeichen hier angeheuert hatte und nun keinen Platz mehr finden wird - ohne, dass er selbst viel falsch gemacht hat.

Auch von Villalba verabschiede ich mich mit einem weinenden Auge. Er kam als große Versprechung aus Südamerika, und spielte doch nie eine Rolle - ständig verletzt, in der U23 nicht spielberechtigt; auch die Leihe nach Österreich brachte ihn nicht weiter. Sein Beispiel zeigt, wie wenig man auch bei den talentiertesten 17- oder 18-Jährigen vorhersehen kann, ob und wann sie bereit sind für den Profifußball in einer oberen Liga.

Andreas Poulsen bleibt uns erhalten, doch die Fortsetzung der Leihe nach Österreich fiel zunächst seiner Schulterverletzung zum Opfer. Schade für ihn, denn er scheint noch nicht so weit, dass er Bensebaini oder Wendt als Konkurrent gefährlich werden könnte. Wenn es geht, wird er sicher dann nochmals verliehen. Doch das dauert wohl noch ein paar Monate.


Was bedeutet das? Dem Neuzugang Hannes Wolf und dem zweiten geplanten Neuzugang stehen aus dem Vorjahreskader derzeit drei sichere (Raffael, Strobl, Johnson) und drei wahrscheinliche weitere Abgänge (Lang, Villalba, Leihe Poulsen) gegenüber. Auch für Torben Müsel und Keanan Bennetts ist dieses Jahr ein entscheidendes. Wenn sie keinen Leistungssprung machen und zur echten Alternative werden, wird es ganz schwer.


Daraus folgt - wenn man weitere Zgänge ausschließt -, dass dann aus der Jugend aufgefüllt werden muss, um die Kaderstärke zu halten. Dort gibt es unter anderem in dem vom VfB Stuttgart gekommenen Per Lockl, mit Famana Quizera (Portugal), Jacob Italiano und Christian Theoharous (beide Australien), Conor Noß (Deutschland/Irland), Kaan Kurt (Deutschland/Türkei) oder dem Österreicher Noah Oke Eyawo eine Reihe von Talenten, die in ihren Verbänden U-Nationalspieler sind. In der Saisonvorbereitung bei den Profis dabei ist auch noch Mittelfeldspieler Rocco Reitz, der mir im Gegensatz zu den anderen allerdings ehrlicherweise noch nicht viel sagt.

Im Januar kommt dann noch der dann 18-Jährige US-Boy Joseph Scally. Doch ob sich einer aus dieser Reihe im Laufe der Saison schon zur echten Alternative zu den Stammkräften des VfL entwickeln kann, lässt sich von außen kaum vorhersagen.

Warnende Beispiele gibt es genug - gerade hat Borussia ja den einen oder anderen früher hoch gehandelten Hoffnungsträger verabschiedet: etwa Aaron Herzog, Mika Hanraths oder Justin Hoffmanns, die für kurze Zeit immerhin mal dem Profikader ganz nah waren.

Die Weichenstellungen in der Jugend und in der U23 mit dem neuen Trainer Heiko Vogel deuten darauf hin, dass Borussia es unbedingt schaffen will, wieder mehr Nachwuchs bis in die erste Mannschaft durchzubringen. Doch Wunder kann man auch hier nicht über Nacht erwarten. Schließlich ist der Unterbau in dieser Saison auch noch in der Youth League gefordert.

Die Frage bleibt also: Ist der Kader 20/21 für die höheren Aufgaben ausreichend ausgestattet, oder zwingt Corona zu einem personellen Va-Banque-Spiel?

Was die Offensive angeht - sicher nicht.

Kramer, Zakaria, Wolf, Stindl, Benes, Hofmann, Neuhaus, Herrmann, Traoré, Plea, Embolo, Thuram plus Mister X, dazu Quizera, Noß, Bennetts, Müsel. Damit sollten auch mögliche Ausfälle gut kompensierbar sein.

In der Defensive fängt Beyer die durch Johnson und Strobl wegfallenden Varianten rechts und in der Innenverteidigung auf. Dazu kommt Doucouré erstmals als vollwertige Alternative, gleichwohl mit der gebotenen Vorsicht.

Daneben steht in Wendt, Bensebaini, Jantschke, Elvedi, Ginter, Lainer ausreichend Erfahrung zur Verfügung. Doch insgesamt wäre mir mit einem polyvalenten Defensivallrounder wie Strobl noch etwas wohler. Denn von den Sechsern ließe sich nun nur noch Denis Zakaria bei Bedarf in die Abwehr zurückziehen. Doch das hat seine Tücken, wie wir schon gesehen haben, weil er einige seiner Stärken im Mittelfeld einfach effektiver ausspielen kann und natürlich kein gelernter Verteidiger ist.

Also: im Normalfall ist Borussia gerüstet. Doch als Fan rechnet man ja immer auch ein bisschen mit dem Schlimmsten. An Zeiten, in denen Gladbach die Innenverteidiger ausgingen, kann ich mich gut erinnern. Das war keine spaßige Zeit. Aber seitdem hatten wir auch genügend Gelegenheit, uns davon zui überzeugen, dass in Gladbach ausgewogene und für nahezu alle Eventualitäten gerüstete Spielerkader zusammengestellt werden. Das werde ich als Außenstehender daher auch jetzt nicht in Frage stellen.

2020-08-05

Saisonvorbereitung I: Rückwärts-Vorwärts-Blick in die Kristallkugel

Die abgelaufene Saison war eine außerordentlich gute Saison - zumindest für Borussia Mönchengladbach. Aber sie ist jetzt auch schon wieder ein paar Wochen abgeschlossen, gerade hat schon wieder die Vorbereitung auf das neue Spieljahr begonnen - dazwischen hatte ich bis jetzt nicht so viel Zeit (und Muße) für eine ausführliche Bilanz der Spielzeit und für die Würdigung der Leistungen einzelner Spieler.
Das haben viele meiner Blogkollegen und die Redaktionen von RP oder Express in der Zwischenzeit auch so ausgiebig getan, das muss ich kaum nochmal alles wiederholen. 

Deshalb schaue ich hier lieber nach vorn, auf eine ungewisse neue Saison, aber immer mit dem Blick zurück auf das, was man aus dem ersten Jahr unter Marco Rose mitnehmen kann.

Wenn ich auf die neue Saison blicke, ist auch Anfang August noch ziemlich viel offen. Lässt man die weitere Entwicklung der Corona-Pandemie mal außer Acht und damit ihre Auswirkungen auf die Zuschauer und die Vereine, sind auch in sportlicher Hinsicht noch Fragen zu klären. Und das, obwohl Borussia mit einem starken Kader und geklärten Finanzen in die neue Spielzeit gehen kann.

Aber: Die Aussagen von Stephan Schippers und Max Eberl in Sachen Zurückhaltung auf dem Transfermarkt sind dank ihrer Deutlichkeit nicht misszuverstehen. Auch ein rundum gesunder Verein mit Champions-League-Einnahmen in Aussicht kann vernünftigerweise das Risiko nicht eingehen, sich an der Spielerbörse zu verzocken.

Was wäre, wenn die Zuschauer doch nicht oder nur bis zum nächsten Lockdown ins Stadion dürfen? Die bisher diskutierten Teilfreigaben der Stadien helfen vielleicht. Doch sie haben nichts mit dem Stadionerlebnis zu tun, das wir lieben. Das könnte viele abschrecken und auch so wird es die Kosten langfristig nicht decken können.

Was passiert bei einer erneuten Unterbrechung des Spielbetriebs mit den Fernsehgeldern? Wer droht in der Liga dann pleite zu gehen - wo doch von der DFL selbst auf eine vernünftige Lizensierung verzichtet wurde. Just nachdem sich im Frühjahr gezeigt hatte, wie wenig sie ohnehin wert war, weil sich bei einigen Clubs schon bei einem Liquiditätsengpass von wenigen Wochen der Kollaps angedeutet hatte.

Dass Borussia diesen Weg geht ist kaufmännisch vernünftig und absolut nicht zu kritisieren. Allerdings ist es die Frage, wie es sich sportlich auswirkt. Denn es ist nicht zu erwarten, dass die Konkurrenten durchweg ähnliche Vorsicht und Seriösität an den Tag legen werden. Gut, ob und wie das auf dem Rasen ins Gewicht fällt, das wird sich erst noch zeigen.

Doch bis wir wirklich wissen, wo der VfL im Spieljahr 20/21 dasteht, geht noch einige Zeit ins Land. Und da die Saison nicht nur spät startet, sondern die sonst schon viel zu lange offene Transferperiode nun bis zum 1. Oktober geht, bedeutet das: Es kann am Ende viel kaputt gemacht werden, wenn einer mit den großen Geldbündeln kommt und man für einen abgeworbenen Topspieler keinen gleichwertigen Ersatz mehr bekommt. Diese Gefahr besteht bei Borussia aus meiner Sicht durchaus noch bei Spielern wie Zakaria, Elvedi oder Plea. Weniger bangen muss man um Thuram und nach dessen Klarstellung auch nicht um Matthias Ginter. Doch das gilt erstmal nur für diesen Sommer und Herbst. Nächstes Jahr kann es wieder anders aussehen.

Insofern können wir fast froh sein, dass es in diesem Sommer nicht auch noch die EM und das Olympiaturnier gegeben hat, bei dem der eine oder andere Gladbacher Nationalspieler sich in den Vordergrund hätte spielen können. Denn allein die demnächst anstehenden europäischen Finalturniere bringen weitere Unwägbarkeiten mit sich. Wenn sich dort wichtige Spieler verletzen, werden Bayern, Chelsea und Co. nachlegen wollen. Vielleicht müssen diese Clubs personell auch noch ganz neue Wege gehen, weil diese ungewohnte "Zwischensaison" mit den Spielen ums große Champions-League-Geld auch neue Belastungen für die Kader mit sich bringen wird.

Viele Fragezeichen also bis zum geplanten Bundesligastart am 18. September.

Max Eberl und sein Team haben das eine oder andere Fragezeichen immerhin bereits sehr früh tilgen können, sodass sich für uns - zumindest bezogen aufs eigene Team - ein guter Weg abzeichnet.
Die großen Verpflichtungen wird es nicht geben, daher ist auch ein Wunschspieler wie Hannes Wolf, der nach einem eher unglücklichen Jahr in Leipzig nach Gladbach kommt, noch nicht mehr als ein Leihgeschäft.

Dass er ein vielversprechender Neuzugang ist, steht außer Frage. Schließlich ist er bei RB Salzburg schon als Jugendlicher unter Marco Rose von Erfolg zu Erfolg geeilt. Und das, was ich bisher von ihm gesehen habe, lässt viel erwarten: ein schneller, arbeitender Stürmer/offensiver Mittelfeldspieler, ein guter Balleroberer, der auch in die Räume geht, wo es weh tut. Es ist für mich mehr der Typ Stindl als der Typ Raffael, den er im Kader ja nominell quasi ersetzt.

Daneben soll noch ein weiterer Spieler kommen, der ebenfalls das Mittelfeld stärken soll. Der junge Pedri von Barcelona ist da im Gespräch. Aber vielleicht wird es am Ende auch so wie schon öfter sein: dass Max Eberl einen Spieler aus dem Hut zaubert, der bei keinem auf dem Zettel stand. Wobei dies immer schwieriger wird, je mehr Aufmerksamkeit unserem Verein international zuteil wird.

Sollte es wie angekündigt bei diesen beiden Zugängen bleiben, dann bin ich als vorsichtiger Mensch noch nicht ganz beruhigt. Denn eine Saison ist lang und mit Champions League ist sie vor allem in der ersten Saisonhälfte sehr kräfteraubend. Entsprechend müssen vermehrte verletzungsbedingte Ausfälle einkalkuliert werden. Und da besteht aus meiner Sicht zwischen Abgängen und Zugängen noch ein leichtes Ungleichgewicht, was die defensiveren Parts in der Mannschaft angeht. 

Und damit befasst sich der bald folgende Teil 2 meiner "Saisonvorbereitung" - ich will ja nicht mit endlos langen Blogposts eure Aufmerksamkeit überstrapazieren. Deshalb teile ich das Ganze wieder etwas auf.

2020-08-01

120 - Mehr als eine Zahl

120 Jahre wirst Du heute alt, Borussia. Das ist ziemlich stark, denn damit zählst du zwar nicht zu den allerersten, aber doch zu den ältesten Vereinen, die sich diesem seltsamen neuen Sport verschrieben hatten, der da in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von England herüber schwappte.

Grund genug, das zu feiern - auch in Coronazeiten. Toll finde ich, wie viele Gladbachfans an diesem Tag real und in den sozialen Medien Farbe bekennen und Flagge zeigen, um ihre Zugehörigkeit zum geilsten Club der Welt zu demonstrieren.
In normalen Zeiten hätte es sicher an diesem 1. August eine große Sause beim Stadion gegeben, aber das ist dieses Jahr nunmal nicht möglich. Dass einige bei so etwas dann doch - wie immer - über die Stränge schlagen müssen, wie in der Nacht zum Jubiläumstag in Eicken, wird man nie ganz verhindern können.

Dumm ist es dennoch, unabhängig von der realen Ansteckungsgefahr durch die allzu sorglos Feiernden. Denn Bilder wie diese liefern ja denen Munition, die in organisierten Fans und Ultras pauschal immer nur Chaoten und Wichtigtuer sehen und sie am liebsten aus den Stadien entfernt sehen möchten. Hilfreich sind solche Szenen bei aller Liebe und Begeisterung für Borussia nicht wirklich. Aber zurück zum freudigen Anlass.  

120 Jahre! Ich bin ehrlich: Mir persönlich bedeuten solche Jahrestage nicht besonders viel. Ich komme nicht aus Mönchengladbach, ich bin kein Lokalpatriot, der die Geschichte des Vereins aus Eicken von vorne bis hinten herunterbeten kann und will. Mich verbindet wenig mit den Helden des Vereins vor Weisweiler, Netzer, Vogts oder Heynckes. Das war nicht meine Zeit und wird es nie werden - auch wenn ich sehr wertschätze, welche Aufbauarbeit auch diese Borussen für den kleinen Verein vom linken Niederrhein geleistet haben.  

Dennoch: Für mich ist Borussia seit Kindesbeinen immer "nur" der Fußballclub meiner Wahl gewesen, in meiner Erinnerung und meinem Herzen ist daher vor allem das, was ich seither mit Borussia erlebt habe (plus natürlich die Legendengeschichten rund um die erste Fohlenelf in den 60er- und 70er-Jahren) - das aber mit Haut und Haar. 
In den vergangenen Tagen das heraufziehende Jubiläumsdatum im Kopf, habe ich aber tatsächlich öfter darüber nachgedacht, was der VfL für mich ist und war.
Und ich habe mit etwas Erstaunen (und Schrecken) festgestellt, dass ich diesen Traditionsverein doch auch schon mehr als ein Drittel seiner Zeit begleite (bin ich wirklich schon so alt?). Angefangen hat das wie bei vielen im Kindesalter, als ich das Fußballspielen für mich entdeckte und mir wohl ohne große Hintergedanken meinen favorisierten Verein aussuchte.
Das war irgendwann 1976 oder '77 - zu spät für die erste Glanzzeit der Fohlen, die letzten großen Erfolge habe ich eher am Rande mitbekommen. Dann folgten unter Heynckes und Krauss in den 80er Jahren wechselvollere Jahre, mit kleineren, aber für mich sehr wertvollen Höhen und den dazugehörigen fußballerischen Helden meiner Jugend.

Dann zwei Jahrzehnte, die mehr Schatten als Licht zu bieten hatten, die an vielem zweifeln ließen, die ich aber nie missen wollen würde - denn wir wissen zum Glück immer noch, wo wir herkommen. Zwei Abstiege, folgende Aufstiege, mehr schlimmer als guter Fußball, Kaufhaus-Des-Westens-Allüren gepaart mit vielen Enttäuschungen und sehr oft der leere Blick nach verlorenen Spielen, bange Blicke in die Zukunft, wie um Gottes Willen dieser Verein in irgendeiner Weise noch mal sein Graue-Maus-Image ablegen können soll.

Und dann - wie aus dem Nichts -  schon fast abgestiegen, im Jahr 2011 die märchenhafte Wende mit Lucien Favre. Wie Phönix aus der Asche: ein atemberaubender Aufstieg, kontinuierlich udn mit den dazugehörigen kleinen Rückschlägen, zu den Spitzenteams der Liga.
Nicht mit fremdem Geld erkauft, sondern mit einem durchdachten Plan und solidem Wirtschaften hart erarbeitet.
Eine Entwicklung, angesichts derer man sich immer noch ab und zu die Augen reiben muss und sich fragt: Was ist hier eigentlich passiert in den letzten 10 bis 12 Jahren und was passiert hier gerade noch?

Borussia, das ist seit mehr als 40 Jahren für mich fester Teil des Wochenendes (seit einigen Jahren erfreulicherweise auch noch oft Teil der Woche). Gewinnt Gladbach, wirkt sich das genauso auf meine Laune aus wie wenn die Mannschaft verliert. Daran hat sich seit meiner Kindheit nicht viel verändert, auch wenn ich heute damit naturgemäß besser umgehen kann.
Anders als den Spielern, die nach dem Schlusspfiff schnell mit allem abschließen müssen, um sich unbefangen und effektiv auf die nächste Partie vorbereiten zu können, hängt mir manche Niederlage noch tage- wochenlang, ja manchmal jahrelang nach. Das gilt natürlich zuerst für all die über die Jahre tragisch verlorenen Spiele, bei denen man sich vor allem um die Chance betrogen sah, dann doch vielleicht mal mehr erreichen zu können als in den Jahren zuvor. 

Doch ich litt jahrzehntelang nicht nur mit und an Borussia, sondern auch am begrenzten Zugang. Ich kannte das, was meine Helden taten, bis vor ein paar Jahren ja nur vom Hörensagen. Ins Stadion gehen, war in meiner Jugend nur sehr vereinzelt drin, viel zu weit weg lag der Bökelberg für mich.
Wie oft habe ich samstags vor dem Radio gehockt, mit dem Ohr dicht am Lautsprecher, oft um andere familiäre Nebengeräusche ausblenden zu können, die keine Rücksicht auf meine Fußballbedürfnisse nehmen wollten. Ich habe am Radio gejubelt, mitgefiebert, mich geärgert, mich aufgeregt, geweint.

Wie oft habe ich mich geärgert, dass bei meinem Heimsender, dem einzigen, bei dem man halbwegs störungsfreien Empfang hatte, zwar ständig Einblendungen der Spiele von Eintracht Frankfurt kamen, aber natürlich viel zu selten nach Gladbach oder zu den Spielen des VfL geschaltet wurde.

Wie lange musste ich abends auf die Bilder der Sportschau warten und auf die Zusammenfassung der Spiele - von denen ich erst, seit man selber komplette Spiele gucken kann, weiß, wie wenig sie oft das reale Spielgeschehen über die 90 Minuten widergeben - vor allem aus der Sicht des Fans.

Ja, irgendwann reichten mir die Schnipsel der Spiele nicht mehr und ich bin auf die Suche nach kompletten Übertragungen gegangen - erst im Internet bei ruckelnden Livestreams mit fremdsprachigen Kommentatoren, die ständig abbrachen oder einfach verschwanden. Irgendwann bin ich dann doch beim überteuerten Pay-TV-Anbieter gelandet, dem man monatlich viel Geld überweist und sich trotzdem oft genug ärgert. Inzwischen sind notgedrungen weitere dazugekommen, weil ich natürlich dann auch wenigstens jedes Spiel sehen können will.

Allerdings habe ich seitdem eben die Möglichkeit, mir ein eigenes Bild von der Leistung meiner Mannschaft zu bilden, auch wenn man nicht jede Woche ins Stadion gehen kann so wie ich.

Und letzten Endes ist dieser Schritt, den ich da gemacht habe, auch der Anfang und die Grundlage dieses Blogs, den ich seit gut fünfeinhalb Jahren regelmäßig und ernsthaft betreibe. Dieser Eintrag ist der 329. Artikel in Sachen Borussia. Etwa genausoviele Kommentare wurden unter den Texten abgegeben (332), davon einige natürlich auch von mir selbst. Insgesamt 206802 Aufrufe verzeichnet die Statistik seither, und die Tatsache, dass ich eine treue und freundliche Stammleserschaft habe, freut mich ungemein und spornt immer wieder an. Denn sonst hätte ich sicher schon mit diesem Blog aufgehört. Doch das war ja gar nicht das Thema.

120 Jahre. Eine Ewigkeit. Grund, stolz zu sein. Aber auch Mahnung, immer hellwach zu bleiben. Denn Tradition allein schützt niemanden vor dem Abstieg oder der Bedeutungslosigkeit. Davon können so viele renommierte Vereine ein Lied singen, die ich in meiner Jugend noch Woche für Woche in der Kicker-Stecktabelle umsortieren musste.

Sie sind (mehrfach) pleite gegangen, in der Versenkung verschwunden oder krebsen in der Zone zwischen bezahltem Profi- und (bezahltem) Amateurfußball herum, ohne je wieder die Aussicht zu haben, nochmal zu den 36 Mannschaften der ersten beiden Ligen gehören zu können.

Nein, der VfL Borussia 1900 ist nicht nur Traditionsverein (und dazu einer der ältesten erfolgreichen in Deutschland). Unsere Borussia hat auch erfolgreich den Sprung in die Moderne des Fußballs geschafft, in das Megazeitalter eines Milliardengeschäfts rund um das "runde Leder", das schon lange nicht mehr aus Leder, sondern aus Hightech und Kunststoffen besteht.

Unser Verein aus der oft belächelten Provinz spielt trotz erheblich schlechterer Ausgangschancen immer wieder im Konzert der ganz Großen mit, macht dabei seit fast zehn Jahren eine wirklich gute Figur - auch wenn die Aussicht auf einen wirklich großen Erfolg marginal ist und bleibt.
Und dabei versuchen alle, die für Borussia arbeiten, alle, die den VfL unterstützen - also alle, die die Raute im Herzen tragen - in diesem knallharten Geschäft auch noch den Anstand und die Menschlichkeit zu wahren.
Und das gelingt - mit diesem Präsidium, dieser Geschäftsführung, dem ganzen sportlichen Staff und allen sonstigen Mitarbeitern vom Spieler über die Fanshopmitarbeiter bis zum Ordner - immer wieder ziemlich eindrucksvoll.

Und das alles, muss ich sagen, ist mir viel mehr wert als eine Rekord-Jahreszahl, ein tolles Jubiläum, selbst mehr als ein sportlicher Titel. Und genau das feiere ich heute - aber nicht nur heute.

Deshalb: Alles Gute, Du alte, immer junge, moderne Borussia! Bleib', wie du bist! Mich wirst du eh nicht mehr los.

Stolzer Blick zurück,
volle Kraft nach vorn
Für den Namen,
den die Welt so glorreich kennt
Die Seele brennt!