"Is this the real life?
Is this just Fantasy?"
Das Zitat von Queens "Bohemian Rhapsody" drückt für mich heute ganz gut aus, was ich gesehen habe.
Borussia kann tatsächlich noch gewinnen. Nach neun Spielen ohne Sieg und sieben Niederlagen hintereinander gelang der Rose-Elf heute ein sicherer und klarer 3:0-Sieg, der mehr als überfällig war. Den nimmt die Mannschaft jetzt mit in die Länderspielpause, wo sie noch einmal gezielt an Schwächen arbeiten und am Zusammenhalt schrauben kann, um dann in die letzten acht Spiele zu gehen, in denen tatsächlich auch immer noch ein europäischer Startplatz erreichbar scheint.
Das klingt doch gut, oder?
Leider ist es höchstens die halbe Wahrheit. Denn auch wenn das Ergebnis deutlich und am Ende aufgrund der vielen sehr klaren Torchancen fast noch zu niedrig ausfällt: Es brauchte die freundliche Mithilfe des Gegners, damit überhaupt diese drei Tore fallen konnten.
Beim 1:0 ließ sich William von Marcus Thuram viel zu leicht überlaufen. Der (mit viel Glück nicht Aus gegebene) und von der Grundlinie zurückgelegte Ball flipperte durch den Strafraum, wo kein Schalker klären konnte, sodass Lars Stindl den dritten Versuch in die Maschen versenkte.
Beim zweiten Tor ließ man Stefan Lainer sträflich frei zur kurzen Ecke laufen und einköpfen - gefühlt die erste erfolgreiche Standardsituation seit Monaten.
Und das dritte Tor schoss Schalke dann gleich selbst. Sicher, Elvedis Kopfball war platziert und gut. Aber Torwart Rönnow hatte den Ball im Hechtsprung routiniert pariert und musste ihn beim Aufkommen auf den Boden "nur noch" festhalten. Etwas, was er im Schlaf beherrscht. Doch heute gelang es ihm, den Ball noch ganz merkwürdig zwischen Arm und Kopf durchflutschen zu lassen. Ein absolutes Slapstick-Tor, nach dem man schon Mitleid mit dem Schalker Trümmerhaufen bekommen konnte.
Vor allem, wenn man Gladbacher ist und sich noch gut an die Szene vor nahezu genau 10 Jahren erinnern kann, als VfL-Schlussmann Logan Bailly sich gegen Kaiserslautern den Ball nach einer Ecke unbedrängt zum 0:1-Endstand ins eigene Tor faustete.
Immerhin hatte Borussia damals am 27. Spieltag schon 23 Punkte (und nicht 10 wie Schalke jetzt), und wir wissen alle, wie glücklich die Saison endete. Aber heute fühlte sich der Abend für die Fans von Blau-Weiß sicher ganz ähnlich grausam an wie das Spiel für uns damals.
Gut, dass sich Sommer und Co. heute an den Knappen schadlos halten konnten, das macht für die den Bock nun wirklich nicht mehr fett. Aber ob der VfL mit diesem Sieg zugleich denselben umgestoßen hat, daran gibt es trotz der spürbaren Erleichterung Zweifel.
Denn auch wenn die heutige Leistung für Schalke gereicht hat - ich weiß nicht, wieviele andere Mannschaften in der Bundesliga damit in Verlegenheit zu bringen gewesen wären. Mir fällt ehrlich gesagt keine andere ein.
Natürlich sprechen die Statistiken eine deutlich Sprache: 3:0 Tore, 21:4 Torschüsse, 120 zu 118,7 Kilometer Laufleistung, 70 Prozent Ballbesitz, Passquote von 90 Prozent und 731 zu 301 gespielte Pässe. So sieht Überlegenheit in nahezu allen Belangen aus. Aber wie wenig das wert sein kann, hat den Borussen gerade vergangene Woche der FC Augsburg bewiesen.
Und auch heute wäre das mühsam erarbeitete 1:0 zur Pause schon wieder weg gewesen, wenn die Schalker sich nicht in den letzten 5 Minuten vor dem Pausenpfiff vor dem Tor von Yann Sommer so harmlos angestellt hätten, wie sie es wohl Woche für Woche tun. Selbst haarsträubendste Fehlpässe in der eigenen Hälfte von Bensebaini, Kramer und Ginter hatten so zum Glück keine Konsequenzen. Sie sprachen aber zugleich Bände über das Nervenkostüm beider Mannschaften bei diesem Verlierergipfel.
Statt dem 3:0, das nach den Chancen zur Halbzeit hätte stehen sollen, hätte es also im schlechtesten Fall auch ein 1:1 oder gar ein 1:2 sein können. Diese Gefahr bestand in der zweiten Halbzeit dann allerdings nicht mehr wirklich, weil die Gastgeber sich spätestens mit dem zweiten Tor nach gut einer Stunde mit der erneuten Niederlage abgefunden haben schienen.
Ginter und Co. konnten sich ab da den Gegner mehr oder weniger zurechtlegen. Und mit etwas mehr Mut und schnelleren und klareren Aktionen nach vorne hätte das ein richtiger Kantersieg-Befreiungsschlag werden können. Dass die Gladbacher Spieler sich stattdessen weiter erstmal auf ihren sicheren Ballbesitz mit vielen Quer- und Rückpässen verlegten und nur vereinzelt und dann meist mit guten Bewegungen von Neuhaus, Thuram oder Plea nach vorne stießen, lässt tief blicken.
Dass man in der schwierigen Phase, in der sich die Mannschaft befindet, nicht jeden Risikoball spielt, ist nachvollziehbar. Aber dass man, selbst wenn man tief in die gegnerische Hälfte vorstößt, mit den nächsten beiden Pässen zurück jeden Vorteil gegen eine aufgerückte Abwehr verschenkt und den Gegner wieder in sein Grundordnung lässt, ist oft nicht zu verstehen. Immer wieder müssen angriffe abgebrochen werden, weil nach vorne keine Anspielpartner da sind. Und selbst in Strafraumnähe sind Hereingaben oft sichere Beute der gegnerischen Abwehr, weil die Strafraumbesetzung unterirdisch ist.
Immerhin: Heute wirkte die Mannschaft als ganzes nicht mehr ganz so passiv, bewegte sich zumindest phasenweise mehr in den Räumen, und kam durch gute Finten und Richtungswechsel etwas durch Neuhaus immer wieder in gute Angriffssituationen. Aber konsequent den Weg nach vorne zu suchen, wie dies in der vergangenen Saison und in der Hinrunde oft so eindrucksvoll gelang, das gelingt nur noch selten. Genausowenig wie das geordnete harte Pressing tief in der gegnerischen Hälfte, mit dem man ("einst", muss man ja fast schon sagen) selbst Real Madrid und Inter Mailand beeindrucken konnte.
Derzeit ist die Mannschaft sich selbst gegen einen solch schwachen Gegner nicht sicher, ob sie bei Ballverlusten und Gegenangriffen stabil genug bleibt und wählt bei Ballbesitz lieber einmal mehr den sicheren Weg über Innenverteidiger oder Torwart, bevor man ein Risiko eingeht.
Heute waren Elvedi und Ginter allerdings zu jeder Zeit Herr der Lage, Yann Sommer war zur Stelle, wo er gebraucht wurde, Lainer musste sich in der Defensive kaum vor Probleme stellen lassen. Und auch für Ramy Bensebaini hatte eine ungewohnt fahrige und fehlerhafte Leistung keine negative Konsequenzen - außer der, dass er sich die (in dieser Szene wohl notwendige) fünfte Gelbe Karte einhandelte und beim nächsten Spiel gegen Freiburg fehlen wird.
Ansonsten war bei den Spielern deutlich Aufwärtstrends zu erkennen. Flo Neuhaus und Jonas Hofmann ließen ab und zu wieder mal gewohnten Spielwitz und auch Freude am Spiel nach vorne aufblitzen. Marcus Thuram beschäftigte die Gelsenkirchener Abwehr mit guten Läufen in Hälfte eins fast alleine. Alassane Plea war nicht nur fleißig wie in den Wochen vorher, sondern kam auch mal wieder in gute Abschlusssituationen. Was beiden fehlt, ist ein Tor, das ihnen weiter Auftrieb gibt.
Das erzielte Kapitän Stindl, der ausgerechnet heute ziemlich selten mal gut im Spiel war. Aber das zählt morgen nicht mehr, genausowenig wie das Licht und der Schatten, die sich bei Chris Kramers Aktionen heute abwechselten.
Was also ist dieses Spiel - dieser Sieg - am Ende wert? Neben den drei Punkten und der Tatsache, dass die Euro League zumindest nicht mehr unerreichbar scheint und auf der anderen Seite der Klassenerhalt gesichert sein durfte? Schwer zu sagen, denn wie gesagt: Diese anständige, aber auch fehlerbehaftete Leistung hat heute gegen Schalke locker gereicht. Aber ich sehe keine andere Mannschaft, die sich die Einladungen, die Borussia heute immer wieder - unbedrängt - durch Fehlpässe im Spielaufbau ausgesprochen hat, hätte entgehen lassen.
Es war insofern mit Blick auf die kommenden Aufgaben ein Muster fast ohne Wert. Es war aber auch ein Erfolg, auf dem sich aufbauen lässt. Und deshalb will ich den Sieg auch nicht geringschätzen, zumal in der aufgeheizten Stimmungslage in Gladbach. Ein sieg ist ein Sieg ist ein Sieg. Wir haben lange darauf warten müssen und die Mannschaft hat ihn sich - trotz der angesprochenen Versäumnisse und der Hilfe durch den Gegner - auch hart erarbeitet. Also nehmen wir ihn auch positiv an.
Viel Stärke daraus zu ziehen, das ist die Aufgabe aller Beteiligten am Borussia Park in den kommenden 13 Tagen, bis zum Anpfiff gegen die Freiburger. Das ist wichtig, denn die Breisgauer kommen selten so zahnlos daher wie es das demoralisierte Team von S04 heute tat.
Ach ja: Sportsfreund Tobias Stieler war, allen Unkenrufen zum Trotz - heute ein guter, großzügiger und unaufgeregter Leiter eines in den Zweikämpfen hart, aber fair geführten Spiels. Es ist gut für ihn und für uns, dass der viel gescholtene Unparteiische heute auch mal den unmittelbaren Beweis antreten konnte, dass es ihm auch mal gelingen kann, nicht (un)freiwillig zum Mittelpunkt des von ihm geleiteten Spiels werden zu müssen.
Bundesliga, 26. Spieltag: FC Schalke 04 - Borussia Mönchengladbach 0:3. Tore für Borussia: 0:1 Stindl, 0:2 Lainer, 0:3 Elvedi (oder Eigentor Rönnow).
Saisonspende: Wahnsinn - es hat lange gedauert, doch jetzt sind endlich die 100 Euro geknackt. 1,50 Euro für drei Tore, dazu ein Zu-Null-Spiel von Yann Sommer, das macht 2,50 Euro und damit einen Gesamtstand von 101,50 Euro. Geht doch!