2020-02-24

Nachlässigkeit trifft Dummheit

Es war fast klar, dass dieser Tag bald kommen würde. Der Tag, an dem Borussia Mönchengladbach die erste Meisterschaft seit 43 Jahren verspielt. Nein, ich bin nicht verrückt geworden. Ich habe, wie wir alle, doch so ein ganz kleines bisschen an den "running gag" geglaubt, der sich seit der ersten Tabellenführung im Herbst durch die Saison gezogen hat: dass Gladbach tatsächlich im Jahr 2020 eine Titelchance haben könnte. 
Nachholspiel gegen Köln hin oder her: Seit Samstag ist eigentlich endgültig klar: Es wird nicht reichen. Bayern, Leipzig, Dortmund - die sind im Moment zu konstant, als dass der VfL seine kleine Außenseiterchance nutzen könnte. Das hat natürlich nicht nur mit dem 1:1 vom Samstag zu tun. Es fehlen einfach am Ende ein oder mehrere Stücke Glück. Das ist schade wegen der vielleicht einmaligen Gelegenheit - aber doch nicht wirklich schlimm. Denn es lässt das Ziel wieder komplett in den Vordergrund rücken, um das es realistischerweise bei Borussia nur gehen kann und sollte: die Teilnahme an den europäischen Wettbewerben. Und da ist die Konstellation nach wie vor brillant für Stindl und Co.


Ja, dieser Punktverlust in letzter Minute in einem merkwürdigen Spiel, der ist ärgerlich. Und weil über die 102 Minuten soviel los war, wird dies leider ein sehr langer Text. Entschuldigung schon mal vorab.

Sicher, ein Champion hätte sich die Gelegenheit zum neunten Heimsieg in Folge nicht entgehen lassen - so wie die Bayern am Freitag trotz unübersehbarer Schwierigkeiten gegen Paderborn am Ende doch die drei Punkte eingefahren haben. Diese Kaltschnäuzigkeit hat Gladbach in dieser Saison auch schon öfter ausgezeichnet, aber diesmal eben nicht. Auch das gehört zum Wachsen dieser Mannschaft, genauso wie die Einsicht, dass nicht jedes Spiel automatisch an Borussia geht, nur weil es im heimischen Park gespielt wird. 

Die Mannschaft um Yann Sommer agierte dafür an diesem Tag in den entscheidenden Aktionen einfach oft zu schlampig. Dabei verstand sie es dennoch immer wieder, gegen die geschickt verschiebenden Hoffenheimer Abwehrreihen hervorragende und sehenswerte spielerische Lösungen in der Offensive zu finden. Dass die am Ende nur zu einem Tor im Anschluss an eine Ecke führten, lag daran, dass am und im Strafraum irgendwie nicht konsequent genug auf den Abschluss hingearbeitet wurde. Es schien, als sollte der Ball zu sehr ins Tor getragen werden.

Bis zur Unterbrechung um die 50. Minute hatte ich aber dennoch nie das Gefühl, dass Gladbach hier Punkte abgeben würde, auch wenn die Gäste ab und an ihrerseits gut nach vorne kamen. Das änderte sich erst nach der minutenlangen Unterbrechung durch die dämlichen Nordkurven-Plakate.
In dieser Phase, mit dem Unmut im Publikum und am Spielfeldrand, ahnte ich schon Schlimmes, weil zu befürchten war, dass diese Pause, der Ärger und der danach teilweise eingestellte Support eben doch eher dem Auswärtsteam in die Karten spielen würde.

Man merkte den Spielern an, dass sie nicht mehr so fokussiert waren, sicher auch durch die vielen folgenden Unterbrechungen des Spiels. Dennoch hatten Thuram, Plea und Co. über die gesamte Spielzeit ausreichend Gelegenheiten, den Sack zuzumachen. Dass das nicht immer klappt, muss man akzeptieren, die Rose-Elf war nun wirklich oft genug nah genug dran. Sie scheiterte dann an sich selbst oder spätestens an Pfosten oder TSG-Torwart Baumann. Das passiert. Auch wenn es nervt.

Geärgert habe ich mich unter dem Strich auch weniger über den späten Gegentreffer und den damit verbundenen Punktverlust an sich, sondern über verzichtbare Begleitumstände.

Ärgernis 1: Die Egotrips des Alassane Plea

Dass der Franzose nach seiner unfreiwillig langen Zwangspause möglichst viel zeigen wollte, ist verständlich und lobenswert. Aber nur, solange es nicht wegen übertriebenen Ehrgeizes der Mannschaft schadet. Das war heute leider in einigen Szenen der Fall. Sicher, der Elfmeter war nicht schlecht geschossen. Aber warum Plea überhaupt antrat, wenn ihm vorher kaum etwas gelungen war und der vom Elfmeterpunkt sichere Kapitän Stindl auf dem Platz stand, ist zu hinterfragen. 

Am meisten ärgert mich allerdings eine Szene in der ersten Hälfte, als sich beim Konter eine 3-gegen-1-Situation bot und Plea viel zu eigensinnig mit dem Ball in den Gegner rannte und scheiterte, statt frühzeitig mit einem Pass auf die mitgelaufenen Kollegen die Überzahl auszuspielen. Das muss auf diesem Niveau einfach ein Tor werden, wenn man vorne dran bleiben will, da gibt es keine Diskussion.
So ging es mit dem knappen Vorsprung in die Pause, und danach nahm das Spiel eben seine seltsame Wende.Ärgernis 2: Die Fantasien mancher "Fans"
Wenn die eigenen Fans im Heimspiel für eine Spielunterbrechung sorgen, ist das selten gut. Die Nummer mit dem Hopp hat sogar - neben der unmittelbaren Wirkung auf das Spiel - das Zeug für einen großen Flurschaden in der Borussia-Familie. Denn es spaltet die Borussen. Für die wahrscheinlich überwältigende Mehrheit der Fans im Stadion und an den Fernsehgeräten war der Protest mit dem Fadenkreuz eine Riesendummheit. Man braucht nicht besonders viel Feingefühl, um zu wissen, dass es ein absolutes Tabu ist, Menschen "ins Visier" zu nehmen, ganz besonders natürlich, wenn dies im echten Leben in Hanau gerade blutige Wirklichkeit geworden ist.

Dabei verstehe ich durchaus die Intention dahinter. Der Frust über die in die Liga eingekauften Retortenclubs teile ich, man kann auch Dietmar Hopp dafür kritisieren, und da ist es mir völlig schnuppe, ob er mit seinen überzähligen Millionen "schon so viel Gutes getan hat", wie immer wieder ins Feld geführt wird. Hoffenheim ist aber inzwischen nicht mehr von Geldspritzen des SAP-Gründers abhängig, der Verein erwirtschaftet sein Geld selbst, das normalisiert die TSG, im Gegensatz etwas zum Brause-Projekt, wo man über die Anschubfinanzierung schon lange hinaus ist. Gerade diese Normalisierung will nicht jeder hinnehmen. Auch mir gefällt das nicht.
Das rechtfertigt aber keine derartigen Verunglimpfungen und Bedrohungen (und so kann und muss man dieses Plakat verstehen). Nochmal: Wir sollten durch die zunehmende Eskalation der Worte in unserer gespaltenen Gesellschaft wirklich langsam gelernt haben, wie schnell Worte zu Taten werden können.
Ich denke, dass die, die diese Aktion geplant haben, es clever fanden, die berechtigte Kritik an Kollektivstrafen über diese Kombination mit den gelben (BVB), blauen (TSG) und grünen (DFB) "Hurensöhnen" zu transportieren. Es ist aber weder witzig noch clever; und die "Zielscheibe Hopp" ist weit über allem, was man einer mit vielen Freiheiten ausgestatteten Fanszene zubilligen darf. Wenn die Urheber der Aktion nach der ersten Rechtfertigung nochmal darüber nachdenken, werden sie das sicher auch nachvollziehen. Es wäre gut und eine Frage der inneren Hygiene im Stadion, wenn sie dies dann auch entsprechend äußerten.

Was in der Kurve geht und nicht geht, wer dafür verantwortlich ist und wer Einfluss nehmen kann - all das entzieht sich weitgehend meiner Kenntnis, dafür bin ich zu weit weg. Aber dieser Eklat zeigt, dass hier Klärungsbedarf im Verein und unter den Stadionbesuchern besteht. Da hilft es nicht, die gesamte Ultraszene abzuwatschen und zu verwünschen. Es hilft auch nicht, dieses Fehlverhalten zu relativieren und kleinzureden. Aber sich und andere in die Verantwortung nehmen, für das was auf den Rängen vor, neben oder hinter ihnen passiert, und auch auszudiskutieren, was geht und was nicht: Das muss möglich sein. Denn sonst kostet das den Zusammenhalt auf den Rängen und damit die Mannschaft einen wichtigen Faktor für den Erfolg.Ärgernis 3: Die Unberechenbarkeit des VAR
"VARum?" - auch das könnte man sich bei dieser Partie fragen.
In zwei entscheidenden Situationen griff am Samstag Videoassistent Bastian Dankert ein. Und bei beiden frage ich mich, ob das wirklich sein musste. Ich gebe zu, ich verstehe es nicht mehr, wann der VAR eingreifen muss, wann er kann und darf und wann er sich raushalten soll. Ich blicke da nicht mehr durch.
Wenn es nur darum geht, klare Fehlentscheidungen zu korrigieren - warum schaltete sich Köln dann in der Handelfmeterszene überhaupt ein? Das Handspiel von Hoffenheim hatte kein Gladbacher moniert, vielleicht hat es in Echtzeit nicht einmal jemand registriert. Gladbach blieb zudem in Ballbesitz und kam zu einer guten Torchance. 

Nun gut, Dankert sagt also trotzdem Brych Bescheid und es dauert eine ganze Weile, bis der sich das an dem Minibildschirm im Stadion anschaut und dann auf Elfmeter entscheidet. Auf den Fernsehbildern kann man ahnen, dass das Handspiel mit großer Wahrscheinlichkeit auf der Strafraumlinie oder leicht im Strafraum passiert. Wissen kann man es nicht. Insofern finde ich es mutig, dass Brych auf dieser Basis seine Entscheidung trifft.
Im Nachhinein heißt es dann aber plötzlich, in Köln habe man das "Lot" angelegt, also das Hilfmittel von der Abseitslinie. Aber wenn dem so wäre: Warum hat sich Brych die Situation dann noch selbst angeschaut? Das passt irgendwie nicht zusammen, und weil es keine klare Aufklärung im Stadion und am TV gibt, bringt es unnötige Spekulationen mit sich. Ich jedenfalls finde den Elfmeterpfiff in dieser Situation schwierig. Vielleicht enttäuscht es mich auch deshalb nicht ganz so, dass Plea das Geschenk nicht annahm. 

Situation 2 ist natürlich das aberkannte 2:0. Was für mich, anders als für viele andere Fans, unstrittig ist, ist die Bewertung von Wendts Aktion als unmittelbar für den Torerfolg. Natürlich lag viel Zeit und Raum zwischen der Balleroberung und dem Torabschluss. Aber ohne Wendts Einsatz hätte der über drei Stationen abeschlossene Konter nicht stattfinden können. Für mich also durchaus logisch, dass auch diese Szene überprüft wurde.
Was ich nicht verstehen kann, ist die Schlussfolgerung und Brychs Entscheidung, seine erste Entscheidung "Weiterspielen" zu revidieren. Unstrittig ist, dass Oscar den Ball mehrfach an die Hand bekommt. Das erste Handspiel ist keinesfalls strafbar, weil er sich da mit dem Arm am Rasen abstützt. Klare Sache. 
Beim zweiten Handspiel kann man auf strafbares Handspiel entscheiden, sofern man den Grund dafür völlig außer acht lässt. Der hatte nämlich ein blaues Trikot an und stand über dem am Boden liegenden Schweden, stocherte mit einem Fuß noch vergeblich nach dem neben/unter Wendt liegenden Ball. Was aber entscheidender ist: Er klemmte Wendt am Boden fest und drückte ihn dabei noch leicht nach unten, sodass dieser keine Chance hatte, seine Arme aus der "Gefahrenzone" zu bekommen und sich wegzubewegen oder aufzustehen. 
Jeder, der mal Fußball gespielt hat, kann das nachvollziehen. Der Schiedsrichter ignorierte diesen äußeren Einfluss jedoch und pfiff Hand, wo Vorteil nach Stürmerfoul die richtige Entscheidung gewesen wäre. Die neue Stürmer-Handregel griff im übrigen hier gar nicht, weil diese Handberührung nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Torerzielung stand. 
Es war also unter dem Strich einmal mehr eine Entscheidung, die im Zweifel gegen Borussia ausfiel. Das ist, darauf lege ich wert, keine Schuldzuweisung an Brych oder Dankert oder das Suchen nach Entschuldigungen für den Punktverlust - denn den hätten die Spieler auch anders abwenden können.

Nein, das Schirigespann war nicht spielentscheidend, auch wenn ich wie gesagt langsam aufgebe, noch eine Linie im VAR-Einsatz erkennen zu wollen. Aber gerade weil bei Borussia-Fans der Stachel des an uns zuletzt geübten Stieler-Exempels so tief sitzt, muss ich die Ungleichbehandlung auch heute nochmal kurz zur Sprache bringen. Felix Brych kam mit seiner großzügigen (von mir oft verwünschten) Linie heute im Prinzip gut zurecht - vor allem natürlich, weil beide Teams es grundsätzlich auf den Ball abgesehen hatten und nicht auf die Beine des anderen, wie bei manch anderem Gegner. Allerdings spricht die Kartenstatistik eine deutliche Sprache. Acht gelbe Karten, alle für Foulspiel - alle konnte man geben, nicht jede musste man geben. 

Natürlich hätte es für einen glasklaren Rückpass zum Torwart Baumann drei Meter vor dem Tor auch noch einen indirekten Freistoß für Gladbach geben müssen. 
Aber sei es drum, alles gut soweit. Wäre da nicht wieder die ungleiche Wahrnehmungsschwelle auf der Unsportlichkeitsskala gewesen. Nach Stieler-Plea-Maßgabe hätten diverse Hoffenheimer für Reklamieren verwarnt werden müssen, zwingend aber der eine, der nach einem Foulpfiff den Ball durchs ganze Stadion drosch. Wir erinnern uns an die gelbe Karte vor einer Woche gegen Stindl, als er den Ball sachte drei Meter weit nach hinten spielte.


Dabei bin ich voll bei Brych, eben nicht jedes Lamentieren zu bestrafen, gerade auch bei der Handelfmeterentscheidung, die diskutabel war. Nur: Solange sich jeder Schiri seine Linie selbst festlegt, ist es bei übergreifenden Strafen - wie es Gelbsperren nun mal sind - einfach nur wettbewerbsverzerrend. 
    
Bundesliga 2019/20, 23. Spieltag: Borussia  Mönchengladbach - TSG Hoffenheim 1:1 (Tor für Borussia: 1:0 Ginter)

2020-02-16

Aus den Klammergriffen befreit

Herrlich! Nach der ätzenden Spielpause durch das vom Sturm abgeblasene Derby hat der VfL heute in Düsseldorf gezeigt, dass er dadurch jedenfalls nicht an Griffigkeit verloren hat. Am Ende hat sich die Mannschaft gekonnt aus den fortgesetzten Klammergriffen des Gegners befreit. Aber dazu später mehr.

Sicher, die erste Hälfte war verhalten, mit einigen grandiosen Ausreißern in der Offensive wie beim Führungstreffer und dem wegen Abseits nicht anerkannten Treffer von Hofmann. Schon da waren einige tolle Angriffe dabei, die stets über den blendend aufgelegten Marcus Thuram eingefädelt wurden. Allerdings gab es auch einige Unsicherheiten und ein paar ärgerliche Aussetzer in der Verteidigung zu beobachten, von denen eine dann auch zum unnötigen, aber zwischenzeitlich nicht unverdienten Ausgleich führten.

Dass es in der zweiten Hälfte deutlich besser lief, lag an einer folgerichtigen taktischen Umstellung, die das Trainerteam von Anfang an als Option einbezogen hatte. Das war an der Personalie Strobl erkennbar, der ja sowohl in der Innenverteidigung als auch im zentralen Mittelfeld einsetzbar, also auch innerhalb des Spiel "verschiebbar" ist. 
Strobl startete als Mittelmann einer Dreierkette mit Ginter und Elvedi, doch dieses Trio wurde von Fortuna zu oft in Eins-gegen-Eins-Situationen gezwungen, weil die sehr hoch postierten Außenspieler Lainer und Wendt so schnell zu überspielen waren und Düsseldorf aus diesem Halbfeld heraus immer wieder mit Flanken gefährliche Strafraum-Zweikämpfe herausforderte, bei denen Borussias Defensive nicht immer sattelfest wirkte. 
Ob das auf Dauer gutgegangen wäre, war fraglich, zumal die zentralen Mittelfeldstrategen des Gegners - Berisha und Stöger - bis dahin sehr geschickt agierten.
Verständlich war, dass Rose nicht wieder - wie gegen Leipzig - den deutlich schnelleren Denis Zakaria in der Abwehr binden wollte. Strobl hatte allerdings sichtlich Mühe, das Tempo in Sprints gegen schnelle Stürmer wie Ampomah zu halten.
Also war es ein logischer Schritt, zur Pause auf Viererkette und eine Doppelsechs mit Strobl und Zakaria umzustellen. Das ergab im Mittelfeld ein Übergewicht und mehr Freiraum für Flo Neuhaus und Jonas Hofmann. Außerdem konnte Stindl weiter vorne auch den tapferen Alleinunterhalter Thuram etwas entlasten.

Das taktische Manöver zahlte sich schnell aus, mit dem feinen 2:1, das Thuram in der 51. Spielminute seinem Kapitän auf dem Silbertablett servierte. Der Franzose und Neuhaus hätten dann früh den Deckel drauf machen können, doch bis zum erlösenden 3:1 dauerte es noch etwas länger. Düsseldorf stabilisierte sich etwas, dem VfL fehlte wiederum der letzte Biss, um den durchaus anfälligen Defensivverbund früher entscheidend auseinanderzunehmen. Das gelang später besser, als dann endlich das dritte Tor gefallen war. Und das führte letztlich zu dem hochverdienten Sieg, dessen Höhe mit 4:1 auch in Ordnung war.

Alles in Ordnung also, wenn man das Sportliche betrachtet. Mit einem Spiel im Rückstand liegt Gladbach in Reichweite der Tabellenspitze, und heute bewies die Rose-Elf einmal mehr, dass sie auch mit dem Favoritendruck im Spiel gut umgehen kann. Dass sie taktisch flexibel ist, das wussten wir auch schon, aber wie souverän sie letztlich den Sieg eingespielt hat, war sehenswert - vor allem nach einer ersten Halbzeit, bei der noch nicht alles rund lief. Das gibt ein gutes Gefühl für das letzte Saisondrittel, das bald anbricht.

Damit wäre ich beim wöchentlich grüßenden Murmeltier angekommen, das selbstverständlich mit Respekt zu behandeln ist, und das seit Jahresbeginn bekanntlich noch ein bisschen mehr. Ich kann das heute angesichts des Endergebnisses etwas gelassener sehen als noch vor zwei Wochen.
Allerdings fällt es mir zunehmend schwer, die neue "Linie" der Schiedsrichter ernstzunehmen. Was in Leipzig geschehen ist, weiß mittlerweile jeder. Und ich würde meinen Mund halten, wenn die Erziehungsbemühungen der Bundesligaschiedsrichter seitdem auch nur ansatzweise ähnlich ausgefallen wären. 
Aber nichts da, es wird offensichtlichst mit verschiedenem Maß gemessen. Pech, dass ausgerechnet an Plea ein Exempel statuiert wurde. Gut, auch das muss ich hinnehmen.
Aber dass der heutige Schiedsrichter seine eigene schwache Leistung in einem relativ unproblematischen Spiel auch wieder mit einer albernen Verwarnung gegen einen Gladbacher Stürmer zu kaschieren versucht, ist schwer zu verdauen.

Daniel Siebert hatte das ganze Spiel über immer die Augen zu, wenn sich Düsseldorfer Spieler an Thurams Trikot hängten, klammerten, ihn festhielten oder umrissen. Es war vor allem in der ersten Hälfte ein unsägliches Geklammere und Trikotgezerre von Düsseldorfer Seite. Siebert lag mehrfach krass falsch bei seinen Foulbewertungen - so auch in der Szene, als sich dann auch der besonnene Tikus mal etwas sichtbarer beschwerte, über ein gegen ihn gepfiffenes (Nicht-)Foul - und das zu Recht. Und dafür kassierte er (wie Plea) die Gelbe Karte, nachdem ihm Siebert 1,2,3,4mal - ja was eigentlich? seine Vergehen vorgezählt hatte. Egal ob nun wegen Reklamierens oder wegen angeblicher Fouls - beides wäre unangemessen gewesen.

Richtig ärgerlich wird so eine Karte dann, wenn man sie mit dem vergleicht, was auf der anderen Seite wegen Foulspiel gegeben wird. Beispiel Kaan Ayhan. Der riss Thuram bei einem Gladbacher Konter in der 67. Minute tief in der Hälfte der Borussia um, Siebert ließ Vorteil laufen, verwarnte den Spieler im Anschluss aber nicht. Keine zwei Minuten später trat Ayhan in der eigenen Hälfte den enteilenden Thuram humorlos um, ohne dass er den Ball hätte spielen können. 
Da kam selbst der Referee, der bis dahin sichtlich versucht hatte, Verwarnungen mit allen Mitteln zu vermeiden, nicht mehr um die Gelbe Karte herum. Aus meiner Sicht war diese Aktion schon dunkelgelb eingefärbt, weil der Düsseldorfer keinerlei Chance auf den Ball hatte und Thuram weit außen, aber allein auf das Tor zugelaufen wäre. In jedem Fall hätte Ayhan da aber mit Gelb-Rot vom Platz gemusst. Zumal er schon in der 48. Minute im Stile eines Footballers mit beiden Armen hinter Thuram hergesprungen war, um ihn zu Fall zu bringen, allerdings vergeblich. 

Zweites Beispiel: Jörgensen (Zanka). Der hätte natürlich auch schon viel früher Gelb sehen können, nein müssen. Vielleicht wäre es nicht uninteressant, wenn sich das Sportgericht auch nochmal die Szene in der 32. Minute anschauen würde, wo Thuram erst über mehrere Sekunden festgehalten wird und dann an der Torauslinie zu Boden geht, was den Sportskameraden der Düsseldorfer so erzürnt, dass er sich zum am Boden liegenden Gladbacher wendet und, so sieht es zumindest aus, in seine Richtung spuckt. 
Immerhin, in der 90. Minute war es dann aber endlich so weit. "Zanka" hielt Embolo am Strafraum fest, was Siebert auch ahndete. Statt Gelb wäre hier allerdings Rot die bessere Entscheidung gewesen, weil Embolo allein vor dem Torwart gestanden hätte, den Ball zwar nicht unter Kontrolle hatte, aber doch in klarer Schussweite.
So endete das Spiel nach Gelben Karten unentschieden, was einigermaßen lächerlich ist. Wobei Gladbachs zweite Karte gegen Stindl ebenfalls der verschärften Schiri-Linie folgte, aber für Ballwegschlagen in Ordnung ging.

Was folgt daraus? Keiner weiß es. Nachdem ich mir in Sachen Plea über Tage auch in diversen sozialen Medien den Kopf heißgeredet hatte, wollte ich eigentlich wieder zum Kern des Spiels zurückkehren. Wie ihr seht, gelingt es mir nur mäßig, weil ich diese Ungleichbehandlung nicht akzeptieren kann. Ändern kann ich es aber auch nicht. Also hilft nur, sich noch mehr auf die Leistung von Borussia zu fokussieren und zu hoffen, dass der nächste Schiri besser hinschaut und sich nicht wieder auf überflüssige Erziehungs-Spielchen einlässt wie die Herren Stieler und Siebert. Immerhin: Die Mannschaft hat sich dadurch weder in Leipzig noch in Düsseldorf aus dem Konzept bringen lassen. Und das zeigt auch die Reife und die Klasse des Teams um Yann Sommer. Das lässt hoffen. 
    
Bundesliga 2019/20, 22. Spieltag: Fortuna Düsseldorf - Borussia  Mönchengladbach 1:4 (Tore für Borussia: 0:1 Hofmann, 1:2 Stindl, 1:3 Stindl, 1:4 Neuhaus)

2020-02-01

Um den Sieg gebracht

Wieder kein Sieg gegen Leipzig. Slapstick-Gegentor. 2:0-Vorsprung nicht über die Zeit gebracht. Den Sack nicht frühzeitig zugemacht. Dämlicher Platzverweis. So könnte man über das Spiel heute urteilen - wenn man es nicht gesehen hätte. 

In Wirklichkeit gab es eine erste Halbzeit zu sehen, die man in dieser Brillanz von Borussia Mönchengladbach nicht alle Tage geboten bekommt. Fußballerisch hervorragend, kämpferisch überragend, dominant und taktisch glänzend umgesetzt. Der Gegner, angesichts seiner fußballerischen Klasse ein klarer Meisterschaftskandidat, fand im eigenen Stadion keinerlei Mittel, um furios aufspielende Fohlen auch nur ansatzweise zu stoppen. 

Mit Denis Zakaria wieder einmal als glänzenden Abfangjäger in der Dreierkette, in einem äußerst diszipliniert verteidigenden Kollektiv, hatte Borussia das Spiel von Beginn an fest im Griff und stellte im oft kritisierten Jonas Hofmann, der als erster Forechecker und tiefer Verteidiger über sich hinauswuchs, nach 45 Minuten auch den mutmaßlichen Spieler des Spiels. 
Zwei blitzsauber herausgespielte beziehungsweise erzwungene Tore sorgten für peinliche Stille bei den Heimfans und für Heimspielatmosphäre in der Brause-Arena. 
Den VfL-Anhang konnte der souveräne Auftritt in Halbzeit eins denn auch noch aus einem anderen Grund freuen. Egal wie man zum Pfeifprotest bei Leipzig-Ballbesitz in den ersten 19 Minuten steht: An diesem Spieltag mussten die Fans im Stadion gar nicht so oft und so lange ins Horn stoßen wie befürchtet. Denn die Ballbesitzphasen der Nagelsmann-Truppe waren stets von angenehm kurzer Dauer.
   
Es sah also nach einem großen Ausrufezeichen aus, das Gladbach an diesem Samstagabend gegenüber der Konkurrenz setzen konnte. Schon in Halbzeit eins waren Plea und Co. dem vermutlich vorentscheidenden dritten Tor einige Male sehr nahe gekommen. Und als Marco Roses Mannschaft nach dem Wiederanpfiff genauso konzentriert und hart am Gegner blieb und die beiden offensiven Wechsel der Gastgeber wegsteckte, ohne groß in die Bredouille zu kommen, schien alles auf einen Sieg im Spitzenspiel hinzudeuten. 
Klar, der frühe Anschlusstreffer war in seiner Entstehung blöd - ein typisches Borussia-Gegentor eben. Es war kein Fehler, es war eher ein unabwendbares Unglück. Auf jeden Fall nicht der Rede wert. 
Und es spiegelte auch dann noch nicht die Leistung des Gegners wider, der bis dahin keine nennenswerten Abschlüsse zu verzeichnen gehabt hatte. Der VfL hingegen zeigte sich von dem 1:2 genausowenig beeindruckt wie schon in der ersten Hälfte durch den erneuten frühen Knockout von Chris Kramer. Und Borussia versuchte in dieser Phase seinerseits unbeirrt, gegen offenere Leipziger über Konter zum vorentscheidenden Torerfolg zu kommen. 

Es hätte bei normalem Spielverlauf an diesem Abend nur einen Sieger geben dürfen. Und es wäre an diesem Abend auch nichts mehr angebrannt, wenn...

Hätte. Wäre. Wenn.

Diese Worte benutzt man, wenn es dann doch anders kam. Dafür gibt es meist Gründe, die in der eigenen Leistung zu suchen sind. Heute nicht. Heute ist der Rose-Elf nichts vorzuwerfen. Sie hat eine grandiose erste Halbzeit gespielt, sie wurde von äußeren Umständen mit einer neuen Situation konfrontiert. Sie nahm diese veränderten Vorzeichen mit großem Kampf und viel Geschick an. Sie ließ auch dann - gegen einen zahlenmäßig überlegenen Gegner - nur sehr wenig zu. Und sie wurde am Ende doch kurz vor Schluss um den verdienten Erfolg gebracht - oder betrogen -, je nachdem, wie man es sehen will.

Puh. Einmal tief durchatmen.


Hatte ich nicht gerade erst geschrieben, dass ich gern weniger über Schiedsrichterleistungen lamentieren würde und mich mehr auf das Sportliche auf dem Platz konzentrieren möchte? Es tut mir leid, auch heute wird es damit nichts. Aus Gründen.

Gesetzt den Fall, ein Schiedsrichter legte es wirklich darauf an, ein Spiel aktiv und willentlich zu beeinflussen und zu manipulieren, dann fände er in der heutigen Spielleitung eine Blaupause dafür, wie es geht. Damit sage ich ausdrücklich nicht, dass Tobias Stieler dies mit seinem Team heute getan hat oder tun wollte. Allerdings war die Leistung des Unparteiischen heute keine. Zumindest keine eines Bundesligaschiedsrichters. Sie war schon in der ersten Halbzeit an Einseitigkeit kaum zu überbieten, was nicht geahndete Fouls der in dieser Spielphase völlig überforderten Leipziger anging, die allein für die geahndeten taktischen Fouls in den ersten 45 Minuten drei Verwarnungen hätten kassieren müssen. In der zweiten Halbzeit wurde es dann aber endgültig zur Farce.

Der Tiefpunkt von Stielers Auftritt, der der Gladbacher Überlegenheit den Stecker zog, war natürlich der Platzverweis für Alassane Plea.
Die beiden Verwarnungen innerhalb weniger Sekunden sind natürlich regeltechnisch zulässig - aber sie waren völlig überzogen. Das machte auch Lothar Matthäus in seltener Deutlichkeit am Sky-Mikrofon klar - übrigens zum Unverständnis der ihm an die Seite gestellten RB-Fanboys beim Pay-TV-Sender.

Diese beiden innerhalb von Sekunden verhängten Gelben Karten nahmen in jedem Fall aber erheblichen Einfluss auf das Spiel, auf die bis dahin herrschenden Kräfteverhältnisse und auf die taktischen Möglichkeiten des ab da in Unterzahl agierenden VfL. 
Das kann und darf man einem Schiedsrichter nicht anlasten, aber natürlich ist ihm sehr bewusst, dass er mit einer solch folgenreichen Entscheidung erheblichen Einfluss auf den Spielverlauf nimmt. Also sollte er auch im eigenen Interesse abwägen, ob die aus seiner Sicht zu ahnenden Vergehen einem Platzverweis auch wirklich angemessen sind. Und: Ob er in der Lage ist, diese Entscheidung als Maßstab im Spiel auch durchzuhalten. Meine Antwort auf beides ist - natürlich - ein entschiedenes Nein.

Pleas Platzverweis (und auch die Gelbe Karte für Trainer Rose) ginge dann in Ordnung, wenn Stieler auf der anderen Seite genauso konsequent gehandelt hätte. Beispiele: Der (grundlos) ewig lamentierende Werner hätte dann schon in der ersten Halbzeit Feierabend gehabt. Und nicht nur Rose hätte Gelb gesehen, sondern auch sein tobender Kollege von der anderen Trainerbank, der sich überflüssigerweise nach dem Spiel dann noch als Plea-Versteher inszenierte, um im gleichen Atemzug zu rügen, dass Neuhaus nicht Gelb-Rot sah. 
Das Instrument, mit Verwarnungen mäßigend auf Meckerer und Unsportlichkeiten einzugreifen, ist vom Grundsatz her richtig gedacht. Ob es sinnvoll ist, eine derartige Verschärfung mitten in der Saison einzuführen, würde ich schon verneinen. Aber schlimer ist, dass es der willkürlichen Anwendung durch den Schiedsrichter Tür und Tor öffnet. Allein schon, weil mancher Schiri solche Situationen mit seiner deeskalierenden Art ohne Karten lösen kann und will - und andere eben nicht. 
Das sorgt schon bei den "Konsequenzen" - also Spielsperren, die aus mehreren Verwarnungen folgen - für eine eklatante Ungleichbehandlung. Heute allerdings wurde dies schon innerhalb eines Spiels auf die Spitze getrieben.

Auch wenn es von Plea nicht geschickt war, sich nach der Gelben Karte noch zu einer weiteren Geste hinreißen zu lassen: Ich kann ihn wegen seiner Reaktion auf das nicht gepfiffene Foul in keiner Weise verurteilen. Der Tritt des Leipzigers gegen Plea, dem der Platzverweis vorausging, war schon einer der übleren Sorte, denn er ging klar gegen das Knie. Und es war natürlich ein glasklares Foul, das Stieler da einfach ignorierte - eins, für das es hätte Gelb geben sollen, oder eher müssen. 

Es war heute auch nicht das einzige Foul, das gegen Plea nicht gepfiffen wurde. Und das hat ja durchaus Tradition. Ich bin mir sehr sicher, wenn sich jemand die Mühe machen würde, Pleas Spiele für Gladbach durchzugehen, würde sich herausstellen, dass er derjenige Spieler bei Gladbach und vielleicht sogar in der Liga ist, für den am seltensten klare Fouls (an ihm) gepfiffen wurden. 
Das zog sich auch durch das Spiel heute, in dem Stieler eine bemerkenswert einseitige Zweikampfbeurteilung an den Tag legte. Da blieb ein rotverdächtiger Bodycheck von Upamecano an Thuram völlig ungeahndet, ebenso wie mehrere Ellenbogen in Gladbacher Spielergesichtern oder ein Tritt mit gestecktem Fuß auf Kniehöhe gegen einen Gladbacher an der Seitenlinie. Und nicht zuletzt wurde Wendt vor dem Ausgleich bei seiner Kopfballabwehr von der Seite rüde abgeräumt. Das wäre auch etwas gewesen, was man im Mittelfeld ziemlich sicher abgepfiffen hätte.

Nun gut. Es ist, wie es ist. Und ein Punkt in Leipzig zählt eben auch in der Tabelle, egal wie frustriert und ohnmächtig man sich nach so einem Spielverlauf auch fühlt, zumal sich die Mannschaft heute nichts vorwerfen muss. Aber eins sollte man von dem ganzen Haufen Ärger nicht zuschütten lassen: Das war gegen eine Spitzenmannschaft der Liga heute eine absolute Spitzenleistung zu elft, und es war eine absolute Willensleistung zu zehnt. 
Und daraus sollten wir alle unseren Nektar saugen für die nächsten Aufgaben. Den VfL kriegt in diesem Jahr jedenfalls so schnell keiner klein. Auch nicht mit unlauteren Mitteln. Danke Jungs - für einen Auftritt, auf den man stolz sein kann!      

Bundesliga 2019/20, 20. Spieltag: RB Leipzig - Borussia  Mönchengladbach 2:2 (Tore für Borussia: 0:1 Plea, 0:2 Hofmann)