Sanmstagmittag geht es los... In ein Wechselbad der Gefühle. Zu einem unbefriedigenden Ende. An einem dennoch vergleichsweise guten Tag der Gladbacher Diva. Aber was hilft es? Am Ende steht dieser eine Punkt, der wichtig sein kann - oder auch zu wenig. Das wiederum wissen wir erst in einigen Wochen. Und deshalb will ich mich heute nicht zu sehr mit dem Lamentieren aufhalten, ob das nun verlorene Punkte waren oder nicht.
Es gibt ja ohnehin wichtigere Themen als Fußball im Moment. Das hat uns das doppelte Gedenken aus schlimmen Anlässen heute im Stadion einmal mehr plastisch vor Augen geführt - einerseits das Innehalten wegen des Krieges in der Ukraine, andererseits durch die bewegende Schweigeminute für den tödlich verunglückten Borussen Jordi Bongard, bei der dessen langjähriger Teamkollege Conor Noß Jordis Trikot in der Hand hielt und verständlicherweise seine Tränen nicht ganz zurückhalten konnte (ich auch nicht, um ehrlich zu sein). Mein und unser aller Gedanken und guten Wünsche sind bei Jordis Familie und seinen Freunden.
Was war das nun für ein Spiel. Ein aufregendes auf jeden Fall, eins, was zumindest in der zweiten Halbzeit das Band zwischen Fans und Mannschaft wieder fester geknüpft haben dürfte. Und eins, das viel Raum für Emotionen und Diskussionen ließ. Und für das, was man daraus mitnehmen könnte. Ich versuche heute, mich dem mal über ein paar Thesen zu nähern.
These 1: Das war heute ein Wendepunkt in der Saison und das Fundament für den möglichst schnellen Klassenerhalt. Ich kann nächste Woche schon wieder Lügen gestraft werden, wenn die Mannschaft in alte Muster zurückfällt. Doch heute hat sie spielerisch, kämpferisch und von der Entschlossenheit her Funken sprühen lassen, die ein kleines Hoffnungsfeuer entfacht haben. Es war genug Energie auf dem Platz, um das Team fester zusammenzuschweißen und durch die kommenden Aufgaben zu tragen - aber das muss nicht zwingend so sein. Denn auf der anderen Seite ist all das, was heute gut war, auch nach wie vor äußerst fragil.
These 2: Ohne den Wolfsburger Platzverweis hätten wir heute einen weiteren schlimmen Nachmittag erlebt. Denn, und das ist die schlechte Nachricht - auch heute war die Gladbacher Defensive erschreckend schwach. Nicht nur, aber speziell bei den billigen Gegentoren, blamierten sich zuvorderst Elvedi, Ginter und Beyer schon fast in der Naivität ihrer Abwehrversuche. Über den Führungstreffer muss man schon gar nichts mehr sagen, das war abgrundtief schlecht in Abstimmung und Stellungsspiel.
Genauso schlimm fand ich allerdings den zweiten Treffer. Nachdem unmittelbar hintereinander die dritte genau gleich geschlagene Ecke dicht vor das Tor geflogen kam und die Borussen trotzdem kollektiv nichts aus den ersten beiden Versuchen der Wolfsburger gelernt hatten. Hätte Bornauw den Ball nicht reingeköpft, hätte man ihm fast zum Trost noch einen Elfmeter geben müssen, so klammeraffenartig hing Ginter mit beiden Armen an ihm dran.
Was hat das alles mit dem Platzverweis gegen Lacroix zu tun? Er beraubte Wolfsburg komplett des eigenen Offensivspiels, denn in Unterzahl kamen die Gäste nicht mehr nennenswert nach vorne. Unmittelbar vor der Roten Karte hatten sie noch einige Angriffe gehabt, bei denen es durchaus ein weiteres Mal hätte klingeln können - auch in der Szene, in der Kruse gern einen Elfmeter gehabt hätte (dazu später noch mehr). Vor der Halbzeit (vor allem durch Philipps Field Goal allein vor Sommer) sowieso. Hätte das VW-Team länger zu elft gespielt, wäre es wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit gewesen, bis ein Konter sein Ziel gegen aufgerückte Borussen gefunden und das Spiel entschieden hätte.
These 3: Der VAR macht das Spiel nur anders doof. Damit sind wir beim Dauerthema Schiri und seine Helfer. Hätten wir heute keinen VAR gehabt, glaube ich an folgendes: Es hätte keinen Platzverweis gegeben, keinen Elfmeter für Kruse und kein annulliertes 3:2.
Keinen Platzverweis, weil beim Laufduell zweier klammernder Spieler kein klare(re)s Foul an (und auch nicht von) Thuram zu sehen war, was dies gerechtfertigt hätte. Im Zweifel wäre aus der Echtzeitwahrnehmung wahrscheinlich noch eher gegen den Stürmer gepfiffen worden. Das Handspiel selbst war für Schiedsrichter Tobias Reichel schlecht zu sehen, also war es gut, dass es dafür heute einen VAR gab und die notwendige Konsequenz für ein letztlich dämliches Handspiel erfolgte.
Da Max Kruse im Gladbacher Strafraum nicht gleich bei Kontakt zu Boden fiel, hätte es ohne VAR sicher keinen Elfmeter gegeben, denn die Wahrnehmung des Schiris war klar und richtig, dass Kruse noch drei Schritte voll auf den Rasen aufsetzen konnte, bis der Ball weg war und er sich fallen ließ.
Aus meiner Sicht war die VAR-Entscheidung, hier den Schiri nicht auf den leichten Treffer von Koné aufmerksam zu machen, ebenfalls völlig richtig. Denn anders als im Fernsehen ständig behauptet, war dieser Treffer nur ein ganz leichter, der Kruse nicht wirklich beeinträchtigte - zumindest, so lange er noch die Chance auf einen Torabschluss sah.
Manu Koné streifte mit den oberen Stollen zwar leicht den Knöchel des Gegners, der Fuß des Franzosen klappte danach aber sofort zur Seite, sodass er den Schuh von Kruse schon nur noch - wenn überhaupt - mikroskopisch leicht ankratzte. Ich kann den Ärger von Kruse trotzdem verstehen, denn wäre er schneller gefallen oder hätte der VAR den gleichen Übereifer wie bei der letztlich entscheidenden Szene auf der anderen Seite an den Tag angelegt, dann bin ich mir auch zu 70 Prozent sicher, dass der Schiri im Nachhinein doch noch auf den Punkt gezeigt hätte. Denn der Treffer am Fuß war in Zeitlupe nunmal gut erkennbar, egal wie relevant er für Kruses Standfestigkeit am Ende war.
Das ist leider das Problem, was wir hier und anderswo Woche für Woche immer wieder aufs Neue diskutieren. Und was als wahrgenommene Willkür mal den, mal den frustriert - und natürlich uns am meisten, weil wir uns davon besonders oft benachteiligt fühlen.
Das lässt sich auch am finalen Aufreger gut illustrieren. Ich bin ehrlich: Ich habe schon in Echtzeit bei Herrmanns Einsatz im Mittelfeld geahnt, dass diese Szene uns im Fall eines Torerfolgs noch Probleme machen würde. Denn für mich sah dies in Echtzeit wie ein Foul aus, weil Herrmann seinen technischen Fehler (eines zu weit wegspringenden Balls) mit einem langen Bein wieder gutmachen wollte und dabei Roussillon zu Fall kam. Es sah für mich also nach Foul aus. Für den gut postierten Schiedsrichter aber nicht. Er war näher dran und signalisierte Weiterspielen. Das bedeutet, er hat den Zweikampf selbst durchaus bewertet, er ist ihm nicht verborgen geblieben.
Dass nach einem Torerfolg grundsätzlich auf mögliche zuvor passierte Regelverstöße überprüft wird, ist völlig ok. Diskussionswürdig ist aber schon, wie weit in die Vergangenheit dies reichen soll und muss. Auch hier gehe ich für heute noch mit, denn dieser Zweikampf lässt sich für mich auch in einen unmittelbaren Zusammenhang zum erfolgreichen Torabschluss stellen - nicht wie bei Oscar Wendts berühmtem (durch Gegnerfoul erzwungenes, unabsichtliches) Handspiel am eigenen Strafraum, ihr erinnert euch sicher noch sehr lebendig dran.
Doch der Knackpunkt und ewiger Quell der Freude und Willkür ist die Frage: Lag hier eine klare Fehlentscheidung oder fehlende Wahrnehmung des Schiedsrichters vor? Und diese Frage muss ich - natürlich mit im Zweifel vorgeworfener Vereinsbrille - klar mit Nein beantworten. Warum? Es ist unstrittig, dass Herrmann den Ball nicht spielt und seinen Gegner am Fuß trifft, bevor der den Ball mit dem anderen Fuß, aber eher unkontrolliert oder unabsichtlich spielt.
Aber: Der Wolfsburger hat an diesem Fußtreffer entscheidenden Anteil, weil er seinen anderen Fuß aktiv seitlich in Herrmanns Bahn gestellt hat. Das macht er natürlich, um Herrmann zu blocken und ihn daran zu hindern, den Ball zu spielen. Man kann in dieser Szene also Foul pfeifen, man kann mit genausoguten Argumenten aber auch einen knackigen Zweikampf sehen, bei dem beide Spieler in den Ball rutschen, keiner ihn richtig spielt und der demzufolge einfach weiterlaufen kann. So hatte es Tobias Reichel in Realgeschwindigkeit gesehen, bevor er zum Monitor am Rande des Spielfelds zitiert wurde.
Für mich hat der Feldschiri in dieser Szene nichts falsch gemacht. Er hat eine nachvollziehbare Entscheidung getroffen, weiterspielen zu lassen. Nachdem er vom VAR Günter Perl aber - aus welchen Gründen auch immer - an den Monitor geschickt wurde, kann ich aber auch nachvollziehen, dass er seine Entscheidung nun anders traf. Denn analog zur Kruse-Szene ist in der Zeitlupe hier ein Fußtreffer von Herrmann an Roussillon zu sehen, den man pfeifen kann - aber auch nicht zwingend müsste.
Ich habe schon öfter auf das Problem der Wahrnehmung in Echtzeit und in (die Intensität verfälschender) Zeitlupe hingewiesen. Es ergibt sich aus meiner Sicht dort oft ein erhebliches Problem beim Bewerten, wenn ein schneller Kontaktsport in Sekundenbruchteile zerlegt und so seziert wird. Es kommt aber speziell in dieser Szene noch ein weiteres hinzu - der psychologische Druck. Reichel hatte in zwei wichtigen Situationen zuvor für Wolfsburg negative Entscheidungen getroffen, über die diese sich diese, zurecht oder nicht, erheblich aufgeregt hatten: den Platzverweis und die Kruse-Szene. Ich kann mir schon vorstellen, dass der Schiri da in der 90. Minute in einem Abstiegsduell auch unterbewusst unter Druck gerät, möglichst nichts so "falsch" zu machen, dass man es ihm im Nachgang ankreiden könnte. Das Tor von Ginter im Zweifel dann nicht zu geben, ist für ihn ganz klar der sicherere (Aus-)Weg. Und so kam es dann auch.
Wir können uns darüber einmal mehr ärgern, fluchen und benachteiligt fühlen. Wir sind auch im Recht, wenn wir es tun. Aber: Wir sind da weniger Opfer des heutigen Unparteiischen als - wieder einmal - der (kaum ohne die Abschaffung des Videoassistenten lösbaren) Unzulänglichkeiten des Systems VAR. Das hilft uns nicht, das hilft Kruse nicht, es ist ein Quell steter "Freude" und wird es bleiben.
Ansonsten will ich über Tobias Reichel nichts Schlechtes sagen. Es war manches, was ich anderes gesehen hätte, aber insgesamt hatte er eine vernünftige Linie und keine groben Fehler in seinem Auftritt.
Bis auf eine Sache, die sich inzwischen aber wirklich zum Dauerärgernis ausweitet - der absolut lächerlichen Bemessung von Nachspielzeiten. In der ersten Halbzeit fielen drei Tore, es gab zwei lange Verletzungspausen, die auf dem Feld verbracht wurden und noch eine längere Diskussionsphase nach Bornauws unnötiger Provokation nach dem 0:2 und Sommers anschließender Reaktion plus Verwarnung, die von Sky wie üblich nicht mit Bildern erklärt und aufgelöst wurde. Klar war, dass beim Wolfsburger Verteidiger offenbar der Kölner durchbrach, als er vor den Gladbacher Fans seine "Show" abzog. Aber dafür schlug das Karma ja angemessen zurück, als er beim 2:2 von Embolo im Zweikampf ganz alt aussah.
Dennoch waren die drei Nachspielminuten in Halbzeit eins ein schlechter Witz, es hätten schon wenigstens fünf sein müssen. Noch alberner wurde es in der zweiten Hälfte. Als die vier Minuten Nachspielzeit angezeigt wurden, war die Partie - wegen des Tores zum vermeintlichen 3:2 - schon zwei Minuten über der Zeit. Diese vier Minuten waren allein angesichts des aufreizenden Zeitspiels von Wolfsburg-Keeper Casteels und weiterer Unterbrechungen schon zu wenig gewesen. Aber das der Schiri dann pünktlich nach 94 Minuten abpfiff, obwohl auch in der Nachspielzeit der Ball kaum im Spiel gewesen war, das war schon frech.
Und es offenbarte ein weiteres Problem, vor allem, wenn Schiedsrichter nicht konsequent bleiben. So gab Reichel Casteels für Zeitspiel zwar relativ früh die Gelbe Karte. Dass er ihm deswegen aber nicht Gelb-Rot geben würde, obwohl der an seiner Bummelei bei Abstößen nichts änderte, war eigentlich klar. Dann aber verlange ich vom Unparteiischen-Gespann, dass die vergeudete Spielzeit auch akribisch nachgespielt werden muss. Schiedsrichter tun sich selbst ja auch keinen Gefallen, wenn sie das immer zulassen.
Genug dazu, nochmal zurück zum Ausgangspunkt. Esteht also ein 2:2 am Ende, dessen Wert wir jetzt noch nicht richtig abschätzen können. Zu wenig, weil die Gladbacher Leistung heute deutlich (bis auf die Chancenverwertung beim Schussverhältnis 26:6 in allen Belangen) besser war als die des nominell mindestens so gut besetzten Gegners.
Anders draufgeschaut war es aber auch mehr, als vielleicht zur Halbzeit noch zu hoffen gewesen war - weil sich bis dahin einmal mehr die Unzulänglichkeiten des Gladbacher Spiels 2021/22 in den Vordergrund geschoben und den passablen Eindruck im Spiel nach vorne getrübt hatten. Aber, die Mentalität und die Fähigkeit, sich nach dem 0:2 zurückzukämpfen, auch das war heute etwas, was zählt und Mut macht.
Vorausgesetzt, die Hütter-Elf fällt im nächsten Spiel nicht wieder in den Dortmund-Modus zurück, können wir also einmal mehr leicht positiv nach vorne schauen. Die Mannschaft spielt wieder zusammen, sie findet sich auch immer besser im Zusammenspiel - fast so wie bei gekappten Nervenenden, die nach einer Verletzung langsam wieder zusammenwachsen.
Und auch wenn man in der Abwehr weiter bei jedem gegnerischen Angriff Schlimmstes befürchten muss, macht doch die individuelle Form-Gesundung einiger Akteure Mut. Plea wird immer besser, Neuhaus findet sich in seiner Rolle besser zurecht. Christoph Kramer machte seine Sache nach langer Pause auch gut.
Tikus war heute zum ersten Mal in der Saison ein Faktor, vielleicht ist das Tor, was ihm heute mit etwas Anlaufschwierigkeiten gelang, ja auch der so lang ersehnte Knotenlöser für ihn. Im Anschluss wirkte er auf mich jedenfalls erheblich leichtfüßiger und gefährlicher, einfach ein wenig befreit von großem Druck. In jedem Fall ist Marcus Thuram endlich wieder eine zusätzliche Facette und Option im Gladbacher Spiel. Eigentlich absurd, so einen Satz über einen so talentierten Spieler schreiben zu müssen.
Gleiches gilt für Breel Embolo, der in diesem Jahr gefühlt noch nicht einmal aufs Tor geschossen hatte, obwohl er stets in der Startelf stand. Diesmal kam er von der Bank und nutzte seine Chance, mit dem schönen Kopfball zum 2:2. Ich freue mich für beide gerade deshalb ganz besonders.
Es gibt also Grund zur Hoffnung. Aber die Erfahrung lehrt, noch nicht zu optimistisch zu werden. Denn die Mannschaft von Adi Hütter ist eben auch jederzeit für Enttäuschungen gut. Und das kann jede aufkommende Euphorie wieder ausbremsen. Aber ich lasse mich sehr gern eines Besseren belehren. Hoffentlich schon nächste Woche. Ein Sieg in Stuttgart, das wäre ein echter Befreiungsschlag - zumindest mal, was die direkten Abstiegsplätze angeht. Hoffen wir, dass es Neuhaus und Co gelingt, nahtlos beim Positiven aus dem heutigen Spiel anzuknüpfen.
Bundesliga, 24. Spieltag: Borussia Mönchengladbach - VfL Wolfsburg 2:2. Tore für Borussia: 1:2 Thuram, 2:2 Embolo.
Saisonspende:
Zwei Tore steigern den Spendenstand auf 102
Euro.
Folgendes gilt für die Saison 2021/22: Ich spende am Ende der Saison einen Betrag X für einen (oder mehrere) gute(n) Zweck(e), auf den/die ich mich später festlege. Die Spendensumme setzt sich wie folgt zusammen: Jedes erzielte Tor von Borussia in Bundesliga oder DFB-Pokal: 1 Euro. Jedes Tor von Tony Jantschke: 10 Euro. Platzverweis von Max Eberl: 2,50 Euro. Gehaltener Elfmeter von Yann Sommer (oder einem Ersatzmann): 2,50 Euro; Zu-Null-Spiel: 1 Euro. Derbysieg gegen K***: 5 Euro. Siege gegen Bayern, Dortmund oder Leipzig: 10 Euro. Ein Sieg in Freiburg oder Wolfsburg: 10 Euro. Internationaler Startplatz am Saisonende: 20 Euro. Deutsche Meisterschaft: 121 Euro. DFB-Pokalsieg: 50 Euro. Gladbacher Torschützenkönig: 30 Euro.