2022-02-20

Im Selbstzerstörungsmodus

Das Gute an dem heutigen Spieltag ist: Es hat sich ja  nichts verändert an der Lage. Wir wissen immer noch (oder auch wieder), wo wir in der Tabelle hinschauen müssen und wohin nicht. Wir wissen immer noch, gegen wen Borussia in der restlichen Saison seine Punkte einfahren muss und gegen wen nicht unbedingt. Dringend sind Siege etwa gegen die Gegner der kommenden beiden Spieltage, Wolfsburg und Stuttgart. Und dann gegen unmittelbare Konkurrenten wie Fürth und Hertha. Gelingt das, könnte es schon reichen für einen rettenden Platz am Saisonende. Denn wir wissen ja auch längst, dass es in dieser Saison ausschließlich ums nackte Überleben in dieser Liga gehen wird.

Das andere Gute dieser Partie hat die Mannschaft leider in den letzten 20 Minuten der Partie komplett ausradiert. Vier Gegentore, von denen eins naiver als das andere "verteidigt" wurde, machten aus einer Partie auf Augenhöhe und einem insgesamt eher unverdienten 0:2-Rückstand eine erneute Vollkatastrophe. Man könnte fast meinen, dass sich alle paar Spiele der Selbstzerstörungsmodus aktiviert. Und jedes Mal sehen wir ohnmächtig zu, ob jemand im Anschluss noch rechtzeitig den Not-Aus-Knopf findet.

Am Ende war es heute so wie manchmal im Tennis, wenn ein Spieler einen Satz mit einem indiskutablen 0:6 quasi ohne Gegenwehr herschenkt, obwohl er vorher doch schon gerade zwei Sätze hart erkämpft für sich entscheiden konnte und nur noch einen Satz zum Sieg braucht.

In diesem Moment kommt es allein auf den Charakter des Tennisspielers (oder der Gladbacher Elf) an, wie erfolgreich oder -los es in diesem Match dann weitergeht. Wieder ist die Mannschaft von Adi Hütter heute nach einem Rückstand am Ende förmlich auseinandergefallen, hat sich zum Schluss einfach bis auf die Knochen blamiert.
Dennoch war der Spielverlauf heute ein völlig anderer als beim 0:6 gegen Freiburg. Man war eben nicht - wie damals - von der ersten Minute an chancenlos. Dortmund war bis zur 70. Minute nicht besser als Gladbach, und unsere Borussia hatte bis dahin genug Chancen, das Ergebnis ausgeglichen zu gestalten.
Was also passiert da?

Ich kann es nicht erklären, und im Verein hat offenbar auch keiner eine zündende Idee. Denn wenn man ehrlich ist, war trotz der Gleichwertigkeit beider Teams auch bis zum 0:3 schon vieles nicht gut genug. Die ersten 20 Minuten agierte Gladbach wieder zu vorsichtig und passiv, spielte ohne Tempo quer und zurück, agierte viel mit langen, einfallslosen Bällen von Sommer auf Embolo, die sofort verloren wurden, traute sich offenbar nicht den gleichen mutigen Vorwärtsgang zu wie noch gegen Augsburg. Dabei weiß man - und hat es auch heute gesehen - wie dünn die Dortmunder Abwehr wirklich ist, wenn man sie schnell und direkt bespielt.

In der Defensive war der VfL einmal mehr für jeden sichtbar anfällig, das war auch in den Spielen vorher schon so - und eigentlich zieht es sich durch die gesamte Saison. Die Glieder der Dreierkette hängen in den Seilen, Ginter und Elvedi machen einen unsicheren, schwachen Eindruck - im Vergleich dazu, was sie nachweislich zu leisten imstande wären. Sie betteln förmlich um eine schöpferische Pause, die ihnen Hütter aber nicht gibt. Wie Ginter vor dem 0:3 den Ball ohne Not von außen per Kopf genau zentral an die Strafraumgrenze in Reus' Füße köpft und wie er beim fünften Gegentor weder den Pass von Hummels vorhersieht noch den Gegner abseits stellt, das ist bezeichnend für die gesamte Leistung heute.

Einzig Marvin Friedrich machte für mich ein passables Spiel, obwohl auch er ständig in Eins-gegen-Eins-Situationen gezwungen wurde, da das Gladbacher Mittelfeld immer wieder zu leicht überspielt wurde. Warum ausgerechnet er zur Halbzeit für Thuram weichen musste und Elvedi und Ginter fortan - und auch nicht sicherer - in der Viererkette standen - ich weiß es nicht.

Aber zurück in die erste Hälfte. Just in dem Moment, als die Hütter-Elf mehr Zugriff bekam und die eigenen Wege nach vorne besser fand und es so aussah, als würde sie das Spiel dominanter gestalten, gab es die kalte Dusche. Das 0:1 war sicher besser zu verteidigen, das 0:2 war ein Konter der Marke Eigentor, weil man Hummels einfach mal im Mittelfeld ohne Druck machen ließ und am Ende Bensebaini das Abseits aufhob, damit Malen allein auf Torwart Sommer zulaufen konnte.

Und trotzdem waren von Neuhaus und Co. dem BVB insgesamt bis zu jenem vorentscheidenden 0:3 ebenbürtig. Der einzige Unterschied zweier insgesamt nicht sehr gefestigter Teams schien bis dahin darin zu bestehen, dass bei Dortmund gegnerische Torleute und Querlatte angeschossen wurden und der Ball von da seinen Weg ins Tor fand und bei Gladbach in ebensovielen Fällen genau das nicht passierte.
Aber: Auch das ist am Ende ein Qualitätsunterschied, egal wie viele Zentimeter Zufall da jeweils dabei gewesen sein mögen.

Umso ernüchternder dann der letzte Akt in diesem Spiel. War die Umstellung zur Halbzeit ein Fehler? Wer weiß? Mehr Sicherheit gab es der Mannschaft jedenfalls nicht. Die Hereinnahme von Marcus Thuram erwies sich - leider - einmal mehr als Schwächung. Auch heute gab es vom Franzosen keine gewonnenen Zweikämpfe, keine Torschüsse, keinen Mehrwert. Es ist tragisch, weil absolut nicht abzusehen ist, ob beim sympathischen Stürmer in dieser Saison noch ein Knoten platzen kann oder nicht.
Auch die anderen beiden Wechsel kamen zu einem Zeitpunkt, wo ich sie nicht mehr verstanden habe. Scally kam kurz vor dem Knockout zum 0:3 ins Spiel und hatte sich noch gar nicht richtig eingefunden, als das Spiel schon erledigt war.
Und warum Kramers erhoffte ordnende Hand erst nach dem 0:4 gefragt war, als die Schadensbegrenzung schon längst fehlgeschlagen war - ich weiß es nicht. Es war doch schon nach einer Stunde sichtbar, dass die Lücken im zentralen Mittelfeld von Minute zu Minute größer wurden, auch weil Koné und Neuhaus untentwegt neue Angriffe anschieben wollten und mussten und dabei die Balance zwischen Angriff, Pressung und Rückwärtsbewegung nicht mehr akkurat genug hinbekamen. 

Bleibt noch einmal ein Thema, das ich auch schon angesprochen habe und das im Abstiegskampf noch überlebenswichtig werden könnte: die jämmerliche Bilanz bei Standards. Es kann ja passieren, dass aus dem Spiel heraus die Bälle wie heute nicht ins Tor wollen. Aber dann muss es manchmal dann einfach ein ruhender Ball sein, der den Bann bricht. Das weiß jeder. 

Aber was soll ich sagen? Auch heute boten sich bei fünf Ecken und einem knappen Dutzend Freistößen in der Dortmunder Hälfte eine Reihe von Gelegenheiten, relativ "einfach" zu Torabschlüssen vor dem Tor zu kommen. Gefährlich wurde: keiner.
Ich glaube, dass hier auch in der Trainingswoche die Möglichkeit besteht, gezielt zu arbeiten. Der Trick mit Stevie Lainer am kurzen Pfosten klappt halt wohl nur alle 20 Spiele mal. Aber es gibt durchaus Mittel und Wege, die grottige Standardbilanz bis zum Mai noch ein ganzes Stück freundlicher zu gestalten. Und das wäre eminent wichtig. Im Moment ist es so, dass ich bei Freistößen und Ecken schon "abschalte" - weil es nichts zu erwarten gibt. 

Lasst mich zum Schluss auch noch wie üblich über den Schiri weinen, auch wenn das mit dem Ergebnis nullkommanull zu tun hat. Marco Fritz war eigentlich wie immer. Ganz passable 40 Minuten, danach nur noch Unsinn - darauf kann man sich immerhin verlassen. Auf beiden Seiten hatte er reihenweise haarsträubende Fehleinschätzungen in der Zweikampfbewertung, die Mats Hummels nicht nur vor einem verdienten Platzverweis, sondern sogar vor der wneigstens zwingend zu verhängenden Gelben Karte bewahrte (Tritt auf Embolos Knöchel am eigenen Strafraum - kein Foul erkannt von Fritz).

Zum Glück für Gladbach blieb er aber in der Schlussminute auch beim völlig unsinnigen Frustfoul von Bensebaini im Strafraum genauso inkonsequent. Denn der hätte genauso zwingend dafür seine zweite Verwarnung in diesem Spiel sehen müssen. Keine Ahnung, ob Fritz da plötzlich einen Anfall von Mitleid hatte? Es hätte sich jedenfalls niemand beschweren können, wenn der Algerier im nächsten Spiel gesperrt gewesen wäre. Das hätte dem ganzen Trauerspiel in der Schlussphase ja noch das passende Krönchen aufgesetzt. Immerhin: Weil er in der ersten Halbzeit die vierte Gelbe Karte sah, droht Bensebaini diese Zwangspause dann erst ab der nächsten Partie.

So: Es wird ein hartes Brot, das wir bis zum Saisonende zu beißen haben werden. Ich kann nur hoffen, dass diese Woche reicht, um den erneuten Nackenschlag zu verkraften und vielleicht sogar in neue Energie umzuwandeln. Sicher, dass das gelingt, bin ich mir nicht. Die Psychospielchen, mit denen man sich mannschaftsintern immer wieder sammeln und eine Einheit beschwören könnte, kann man ja auch nicht beliebig wiederholen.
Und dass im nächsten Spiel wieder die eigenen Fans den Ton angeben, darauf würde ich auch nicht allzuviel Hoffnung setzen. Am Publikum in Dortmund hat es heute sicher nicht gelegen, dass die wahre Borussia am Ende zu Staub zerfallen ist. Das hat sie schon ganz allein hingekriegt.   

Bundesliga, 23. Spieltag: Ballspielverein Dortmund - Borussia Mönchengladbach 6:0.

Saisonspende: Heute nix, eigentlich weniger als das. Spendenstand also weiter 100 Euro.

Folgendes gilt für die Saison 2021/22: Ich spende am Ende der Saison einen Betrag X für einen (oder mehrere) gute(n) Zweck(e), auf den/die ich mich später festlege. Die Spendensumme setzt sich wie folgt zusammen: Jedes erzielte Tor von Borussia in Bundesliga oder DFB-Pokal: 1 Euro. Jedes Tor von Tony Jantschke: 10 Euro. Platzverweis von Max Eberl: 2,50 Euro. Gehaltener Elfmeter von Yann Sommer (oder einem Ersatzmann): 2,50 Euro; Zu-Null-Spiel: 1 Euro. Derbysieg gegen K***: 5 Euro. Siege gegen Bayern, Dortmund oder Leipzig: 10 Euro. Ein Sieg in Freiburg oder Wolfsburg: 10 Euro. Internationaler Startplatz am Saisonende: 20 Euro. Deutsche Meisterschaft: 121 Euro. DFB-Pokalsieg: 50 Euro. Gladbacher Torschützenkönig: 30 Euro.

5 Kommentare:

  1. Hallo Borussenfans, es war einfach nur erschreckend und hat mich sofort an Freiburg erinnert... schade das eine Mannschaft sich dem Schicksal ergibt... und trotzdem muss man sagen es fehlt uns seit Jahren an einem Knipser(Stürmer). Es werden oder wurden immer nur Verteidiger oder Mittelfeldspieler gekauft und soetwas funktioniert nicht. Schaut auf die Tabelle, alle die oben stehen haben vernünftige Stürmer... Es ist einfach nur traurig und völlig unverständlich, besonders für uns als Fans die schon über 50 Jahre für diesen Verein schwärmen. Aber die Führung ist unserer Meinung auch viel zu hausbacken und zu alt um noch etwas zu ändern und daran wird auch Herr Virkus nichts ändern.. sie sind alle zu eingefahren und teilweise zu borniert (Königs)meiner Meinung nach...

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    1. Sorry.. hatte ganz vergessen meinen Fanclub anzugeben: Borussenpower Gran Canaria
      Übrigens ist obiger Artikel einfach klasse.. es trifft genau den Punkt!!!

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    2. Ja, es gibt viel zu tun und einiges aufzuarbeiten im Verein, und nicnt nur in der Mannschaft. Danke für das Kompliment!

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  2. Zitat: Im Moment ist es so, dass ich bei Freistößen und Ecken schon "abschalte" - weil es nichts zu erwarten gibt.

    Dies sehe ich völlig anders, bei mir erhöht sich umgehend der Puls. Selbst bei eigenem Einwurf am gegnerischen Sechzehner, ist permanent ein Gegentor zu befürchten. Unsere Mannschaft/Abwehr ist dabei mit einem simplen langen Ball überspielbar und unmittelbar vor Yann Sommer, da unsere Abwehr den schnellen Stürmern nicht gewachsen ist.
    Sofern dies aber durch die Mannschaft selbst nicht erkennbar ist, sollte dies jedoch zumindest das Trainerteam sehen und Maßnahmen ergreifen bzw. abstellen.

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    1. So kann man es natürlich auch sehen, da hast du recht. Aber so meinte ich es nicht, mir ging es nur um die offensive (fehlende) Durchschlagskraft.

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