2019-10-31

Die Angst ist weg

Es ist paradox: Ich feiere meine Mannschaft extrem für einen wahnsinnig starken Auftritt in Dortmund. Zugleich bin ich leer und bin es so leid, dass der VfL in solchen engen K.o.-Spielen am Ende immer bedröppelt und mit leeren Händen dasteht. 
Es ist nicht fair, dass dieses Spiel verloren gegangen ist. Aber natürlich muss man anerkennen, dass die Dortmunder ihre Chancen am Ende besser genutzt haben als die wahre Borussia. 

Auf der einen Seite hatte ich den Pokal im Geiste ja schon abgehakt, als das undankbare Los für die zweite Runde gezogen worden war. Schließlich hat der BVB inklusive der beiden Partien aus den vergangenen Wochen die letzten zehn Spiele gegen Gladbach gewonnen. 
Und angesichts der dünnen Personaldecke war ich auch kurz vor dem Spiel noch fest darauf eingestellt, dass heute nichts zu holen sein würde. Umso enttäuschender ist es, jetzt wirklich raus zu sein, obwohl man allen Zweifeln zum Trotz doch den Gegner über 80 Minuten dermaßen dominiert und an seinem Spiel gehindert hat. 
Ich weiß nicht, ob die Gastgeber im eigenen Stadion schon einmal so brutal über den Platz gejagt wurden wie heute. Mir hat es jedenfalls enorm imponiert, wie Stefan Lainer und seine Kollegen von Anfang an das schnelle Kombinationsspiel der Favre-Elf bis auf einzelne Konter im Keim erstickten, Ballverluste provozierten und die Schwächen des Gegners immer wieder mit viel Aufwand offenlegten. 

Allerdings blieb dafür das Spiel nach vorne nach Ballgewinnen fehlpassanfällig, sodass nur wenige richtig gute Torchancen auf Gladbacher Seite zu notieren waren. Die waren allerdings dann umso dicker (Thuram und Neuhaus). Dortmund hingegen hatte in der ersten Hälfte außer dem Lattenknaller von Hazard kaum Erstklassiges anzubieten. Das wurde später in der zweiten Halbzeit etwas anders, da robbte der BVB sich gegen müder werdende Gladbacher näher an Yann Sommers Tor heran und der VfL hatte das eine oder andere Mal auch das nötige Glück, nicht in Rückstand zu geraten.

Es war von Beginn an zu fürchten, dass das extrem laufintensive Spiel nicht über die gesamte Zeit durchzuhalten sein würde, da in Stindl und Hofmann zwei gerade wiedergenesene Spieler in der Startelf standen, die eigentlich noch nicht bereit sind für 90 oder 120 Minuten. Dazu kam das erneute Pech, schon nach einer halben Stunde den nächsten Verletzten, Ramy Bensebaini, austauschen zu müssen. 
Oscar Wendt fügte sich zwar nahtlos in die bärenstarke Rose-Truppe ein und gab später die Vorlage zu Thurams Führungstreffer. Besser wäre es natürlich aber gewesen, die Wechseloption noch länger offenhalten zu können. Aber auch auf der Bank saß nicht mehr viel, mit dem man Dortmund in Angst versetzen konnte. Die direkt aus einer Verletzung kommenden Ginter, Traoré und Strobl konnten kaum mehr als Bankwärmer sein, dazu kamen die beiden Jungen Noß und Makridis sowie Wendt und Herrmann als einzige echte Alternativen für so ein Spiel auf Messers Schneide - vor 80000 Zuschauern.

Aber die Elf, die auf dem Platz stand, zeigte einen unglaublichen Willen, Moral und Durchhaltevermögen. Sie ließ sich ihre Ausfälle einfach nicht anmerken. Als hervorragender Schachzug erwies sich der taktische Kniff, Denis Zakaria als mittleren Teil der Dreierkette naben Elvedi und Jordan Beyer zu stellen. Letzterer zeigte erfreulicherweise ein fast fehlerloses Spiel, Zakaria und Elvedi räumten gemeinsam mit den Außen Lainer (was für ein Lauf- und Sprintpensum!!!) und Wendt gekonnt ab. 
Einziger Nachteil: Zakaria wäre auf der Sechserposition mindestens genauso wertvoll gewesen, weil er aus dieser Position heraus in dieser Saison schon sehr viele vielversprechende Angriffe einleitet hat. Ohne diesen Nebenmann (und den ebenfalls fehlenden Kramer) hatten Benes, Hofmann und Neuhaus es oft etwas schwerer, im Mittelfeld in die gefährlichen Räume zu kommen. Trotz einiger unpräziser Zuspiele machten alle drei es unauffällig, aber gut. Thuram war sehr präsent und gewohnt zweikampfstark, doch ihm fehlte neben Stindl eigentlich noch ein dritter Angreifer zur Entlastung und natürlich die Schnelligkeit und Wucht eines Breel Embolo. Das fiel umso mehr auf, als Kapitän Stindl in der zweiten Halbzeit langsam müde wurde.

Dennoch erzwang der VfL den Führungstreffer, und danach hatte ich eigentlich ein gutes Gefühl, auch wenn Dortmund stärker wurde. Denn es bestätigte sich das, was ich schon in den ersten Minuten gedacht hatte und was sich in den vergangenen Wochen nach und nach als Eindruck verfestigt hat: Die Angst ist weg aus dieser Mannschaft!  
Wir wissen alle, wie oft der VfL in entscheidenden Spielen immer wieder verkrampft hat, nicht das auf den Platz brachte, was er sich vorgenommen hatte und die Enttäuschung danach für Fans wie Spieler noch größer war, als wenn man mit wehenden Fahnen untergeht. Das war so beispielsweise im Euro-League-Spiel bei Lazio Rom, beim Ausscheiden gegen Schalke, bei Pokal-Pleiten gegen Leverkusen oder Düsseldorf. Immer war die Mannschaft mehr an sich selbst gescheitert als am Gegner. 

Ja, auch heute stehen wir mit leeren Händen da. Aber das Bild, was die Mannschaft vermittelt hat, war ein ganz anderes und viel Positiveres. Es war ein "Ihr-kriegt-uns-nicht-klein"-Auftritt, der nicht nur innerhalb des Stadions Eindruck hinterlassen hat, sondern wahrscheinlich in ganz Deutschland, auch bei vielen Gegnern in der Liga. 
Das ist gut, und es ist ähnlich wie bei Eintracht Frankfurt in den vergangenen Jahren. Jeder wusste, da kommt eine unverwüstliche Büffelherde auf dich zugerast, und wenn man diesem Stress auf dem Feld ausgesetzt war, hinterlässt das Spuren. Schon vorher im Kopf.
Diese Botschaft hat auch die wahre Borussia heute ganz Fußball-Deutschland gesendet. Sie lautet: "Wir sind gut. Wir sind stark. Wir wissen, was wir können und lassen uns nicht einschüchtern. Wir kämpfen bis zum Umfallen. Wir sind Borussia." 
Unterschätzen wird Roses Schützlinge ab heute keiner mehr. Ein wenig fürchten vielleicht schon. Und darauf können wir schon ein bisschen stolz sein. zumal auch die Fans im Stadion heute ihren Teil dazu beitrugen, ein "rundes Bild" abzugeben. Toller Support, sich in einem solchen Stadion zeitweise deutlich die Oberhand zu ersingen. Top!

Ein paar Worte noch zu Schiedsrichter Cortus: Geschenkt, dass dem 1:1 wohl eine knappe Abseitssituation voraus ging, die Gegentore waren eher dem zu laschen Verteidigen in diesen Situationen zuzuschreiben. Aber zwei Dinge ärgern mich doch. Einerseits nicht gegebene Verwarnungen für taktische Fouls, was auf Gladbacher Seite  bei Zakaria zurecht geahndet wurde. Nico Schulz, der kurz darauf noch einmal heftig zulangte und dann dafür Gelb bekam, hätte im Normalfall gleich duschen gehen müssen. Dass das 20 Minuten vor Schluss erheblichen Einfluss auf dieses kräfteraubende Spiel gehabt hätte, ist offensichtlich.

Noch ärgerlicher aber empfand ich das Verhalten des Schiris in der Nachspielzeit. Erst fällte er eine eklatante Fehlentscheidung, indem er eine Ecke für den BVB gibt, nachdem Brandt den Ball für jeden deutlich sichtbar selbst über die Linie geköpft hatte. Und dann zeigte dem darüber und über ein paar andere strittige Szenen verständlicherweise erbosten Marco Rose die Rote Karte. Ich weiß nicht, was Rose gesagt hat, aber die Reaktion scheint mir in dieser Szene ohne vorherige Ermahnung nicht angemessen. Zumal sich der Unparteiische für diese Aktion dann auch noch entsprechend viel Zeit ließ, die er - man ahnt es - nicht angemessen nachspielte. Das sind Dinge, die einfach nicht sein müssen. 

Ärgern können wir uns dann nächste Saison wieder darüber, wenn der Coach in der ersten Runde nicht dabei sein darf. Bis dahin können wir diesen Wettbewerb getrost vergessen. Aber die Leistung der Mannschaft heute, die können wir uns merken. Und auf die können das Team und wir stolz sein.
 
DFB-Pokal, 2. Runde: Borussia Dortmund - Borussia Mönchengladbach 2:1 (Tor für Borussia: 0:1 Thuram)

2019-10-27

Im Gewinnermodus

Gladbach und die Tabellenführung - das passt. Im Moment jedenfalls. Und das hat mit einigen bemerkenswerten Entwicklungen in der Mannschaft zu tun, für die wahrscheinlich zu einem großen Teil der Trainer mit seiner Persönlichkeit und seiner Art, mit Menschen umzugehen, verantwortlich ist. Dass Marco Rose ein "Menschenfänger" ist, merkt man in jedem Statement, und wenn man es nicht hört, sieht man es an seinem Umgang mit Spielern, Mitarbeitern und den Fans.

Doch was hat sich verändert, seit Dieter Hecking das Amt abgegeben hat und der Salzburg-Trainer am Borussia Park das Zepter übernahm?

Zuerst natürlich das Gesicht: Die Neuzugänge Embolo, Thuram und Lainer haben viel zum Aufschwung beigetragen, auch weil Stindl, Hofmann, Raffael und Traoré lange nicht zur Verfügung standen. Doch die Neuen sind nicht nur gute Fußballer, die die Qualität in der Mannschaft heben.

Sie sind Mentalitätsspieler und Mannschaftssportler, die wichtig für die Gruppe sind - weil sie Leistung vorleben, aber sich zugleich nicht für etwas Besseres halten. Es ist auffallend. Seit dem Abgang des Spielers mit den offenen Schuhen ist diese Mannschaft eine noch verschworenere Gemeinschaft, in der sich jeder für jeden freut, jeder für den anderen kämpft und alle zusammen feiern, wenn ein Tor fällt. Das, was in diesem Momenten an überbordender Freude und Teamgeist aus der Spielertraube sprüht, das ist etwas, was den Unterschied machen kann, wenn es Spitz' auf Knopf steht.  

Überhaupt die mentale wie physische Stärke: Die Mannschaft kämpft, in jeder Minute, unermüdlich bis zum Schluss, auch gegen Widerstände, auch wenn es mal nicht läuft. Und weil sie sich damit immer wieder auch belohnt - wie kurz vor Schluss in Istanbul und Rom, wie nach Rückstand in Mainz oder gegen Düsseldorf -, zieht sie daraus neue Motivation und Selbstvertrauen. Das ist die Erfolgsformel, die alle "Champions" auszeichnet. Womit ich nicht sage, dass der VfL schon dazu gehört. Doch wer nicht felsenfest von seinen Fähigkeiten überzeugt ist und nicht daran glaubt, jede Herausforderung bestehen zu können, wird im Mannschaftssport Fußball keinen Titel gewinnen.

Das zeigt sich bisher zum Beispiel daran, dass die Mannschaft zwar immer wieder Phasen im Spiel hat, wo sie unter Druck und ins Schwimmen gerät, so wie heute nach dem Frankfurter Anschlusstor zum 1:2. Doch im Gegensatz zu den Vorjahren ist sie gefestigt und abgeklärt genug, in diesen Situationen kühlen Kopf zu bewahren. Wir wissen alle, wie oft Borussia in der Vergangenheit nach gutem Beginn durch einen Gegentreffer angeknockt wurde und schnell einen zweiten schluckte oder das Spiel ganz aus der Hand gab.
Das hätte auch heute passieren können, denn Frankfurt kam nach dem Tor mit einfachsten Mitteln und langen Bällen zu einigen guten Gelegenheiten. Der VfL wankte auch heute für ein paar Minuten merklich, aber er fiel nicht. 

Im Gegenteil: Borussia war sogar in der Lage, nach eher dünnen 15 Minuten nach der Pause mit einer Standardsituation zurück ins Spiel zu finden und der Eintracht einigen Wind aus den Segeln zu nehmen. Natürlich, das 2:3 fiel auch schnell danach. Allerdings merkte man da dann auch schon, dass die Gäste nicht noch mehr zuzusetzen hatten. Borussia schon.

Es gibt keinen Zweifel daran, dass Gladbach den Sieg heute gegen eine gewohnt unangenehme FRankfurter Mannschaft verdient hatte. Es war bis auf die Phase nach der Halbzeit eine recht souveräne Partie der Rose-Schützlinge. Allerdings wird es nicht immer gelingen, ein solches Spiel auch siegreich nach Hause zu schaukeln, wenn man vorher den entscheidenden Schlag verpasst wie in den ersten Minuten der zweiten Halbzeit, wo unbedingt das 3:0 hätte fallen müssen.
Und das darf deshalb auch trotz der jüngsten Erfolgsserie und der vierten Woche auf dem Platz an der Sonne nicht vergessen werden: Es braucht in einem solchen Spiel nicht viel und es läuft ganz anders. Borussia hat in manchem Spiel bisher schon auch mal das Glück zur richtigen Zeit auf der Seite gehabt. Das kann sich auch mal ändern. Das wird auch mal anders sein. Denn bei aller Mentalität und "Krieger"-Mentalität, wie es Marco Rose in der Pressekonferenz vor dem Frankfurt-Spiel bezeichnete, es lässt sich nicht alles damit erzwingen.

Und auch wenn wir bisher darauf bauen konnten, dass alle verletzungsbedingten Ausfälle gut kompensiert werden konnten - inzwischen sieht es in manchem Mannschaftsteil schon wieder äußerst knapp aus bzw. ist die Belastung bei einzelnen angeschlagenen Spielern doch ziemlich hoch.
Heute mussten Embolo und Jantschke raus - und beides war qualitativ im Spiel zu bemerken, auch wenn Lars Stindl und Jordan Beyer ihre Sache natürlich gut gemacht haben. Doch in der Spitze fehlte Embolos Wucht und Schnelligkeit, und hinten in mancher Szene die Kompromisslosigkeit des "Fußballgottes". 

Gemeinsam gelang es Elvedi und Co. zwar, den Gegner im Zaum zu halten. Doch langsam gehen die Atempausen aus, die die hoch belasteten Spieler zunehmend brauchen. Am Mittwoch wartet der Pokalbrocken in Dortmund, dann die Highspeedtruppe aus Leverkusen, dann wieder Rom. Da kann man kein einziges Prozent zurückfahren.
Das ist im Moment aber meine einzige Sorge. Und ich hoffe, dass sie mir genommen wird, wenn nach und nach personelle Alternativen wie Strobl, Traoré, Raffael Ginter und natürlich Plea wieder zur Verfügung stehen. Und hoffentlich weiter an der tollen Geschichte der neuen Borussia schreiben.
        
Bundesliga 2019/20, 9. Spieltag: Borussia  Mönchengladbach - Eintracht Frankfurt 4:2 (Tore für Borussia: 1:0 Thuram, 2:0 Wendt, 3:1 Elvedi, 4:2 Zakaria)

2019-10-24

Nichts gestohlen

Wow. Das mus man erstmal sacken lassen!
Den AS Rom im eigenen Stadion 25 Minuten an die Wand gespielt, wie üblich dann ein zu einfaches Gegentor bekommen und im Anschluss über eine Stunde unermüdlich, aber nicht immer besonders effektiv angerannt - gegen einen Gegner, dem man seine Erfahrung und Cleverness deutlich angemerkt hat. 
Trotzdem ist der VfL bis zum Schluss im Spiel geblieben, dank etwas Glück und einer tapferen Leistung, nicht zuletzt von Fußballgott Tony Jantschke (der Dzeko heute super Paroli bot), Nico Elvedi und "Krake" Zakaria, der den Römer Florenzi auch auf dem Weg zum sicheren 2:0 noch in der letzten Sekunde entscheidend irritierte. 
Und dann dieser Elfmeter, den der lange zurückerwartete Kapitän in der Nachspielzeit so eiskalt verwandelt. Das war ein denkwürdiger Europapokalabend, über den man sehr viel schreiben könnte.

Doch zunächst gebietet es die Fairness, zwei Dinge voranzustellen. Ich glaube, dass das 1:1 ein sehr verdientes Ergebnis für beide Seiten ist. Aber ich kann natürlich die Wut und Enttäuschung der Italiener verstehen, die sich durch einen unberechtigten Elfmeter um ein besseres Resultat gebracht sehen. Umgekehrt wäre ich auch ausgeflippt, wenn einem Schiedsrichter in allerletzter Sekunde so eine Fehlentscheidung gegen mein Team unterliefe. 

Zweitens: Mir tut vor allem der Unparteiische leid. Er ist jetzt das ärmste Schwein. Ich war in der Echtzeitbetrachtung genauso sicher wie William Collum, dass in der Szene ein Handspiel vorliegt. Am Ende der Nachspielzeit überhaupt einen Elfmeter gegen das Heimteam zu pfeifen, ist an sich schon nichts Selbstverständliches. Nun war das Handspiel aber keins und ausgerechnet dann gibt es in diesem Millionen-Wettbewerb keinen VAR und kein anderes Hilfsmittel, das den Referee vor einem solchen Alptraum bewahren kann. Das ist in erster Linie nicht Collums Fehler, sondern der der Uefa. 

Deshalb tut mir der Schiedsrichter leid, der vielleicht schon anhand der wütenden Proteste ahnen konnte, dass er einen Fehler gemacht hat. Aber zurücknehmen konnte er die Entscheidung dann auch nicht mehr. 
Wir diskutieren so viel über den VAR und schimpfen auch oft. Aber das hier war eben eine dieser Schwarz-Weiß-Entscheidungen, die ganz einfach zu korrigieren wären und deshalb auch zwingend korrigiert gehören. Wäre der Ball dagegen vom Gladbacher Kopf tatsächlich aus kürzester Entfernung an Smallings Hand geflogen, wäre es schon wieder eine Ermessensentscheidung, ob strafbar oder nicht - mit der Konsequenz, dass jede Entscheidung irgendwie zu rechtfertigen gewesen wäre. 

Das heißt aber nicht, dass ich die glückliche Fügung nicht gern annehme. Borussia ist schon so oft krass benachteiligt worden. An eine Bevorzugung dieses Kalibers kann ich mich in meinen ganzen Jahren als VfL-Fan dagegen nicht erinnern - und das sind mittlerweile über 40. 
Es spielt also auch eine gehörige Portion Genugtuung mit, wenn ich mich über dieses 1:1 gegen die teils überhart agierenden und am Ende penetrant auf Zeit spielenden Römer freue. Dazu kommt, dass die Mannschaft sich diesen Lucky Punch wirklich erarbeitet und verdient hat. Der Punkt ist nicht gestohlen. Sicher haben Zakaria und Co. nach dem Rückstand lange nicht mehr das auf den Platz gebracht, was die Römer ja bis zum 0:1 vor echte Probleme gestellt hatte. Aber auf dem immer tiefer werdenden Boden gegen eine geschickt verschiebende gegnerische Defensive immer wieder anrennen und auf der anderen Seite die gefährlichen Konter unterbinden zu müssen, das muss man erstmal so hinbekommen.

Insofern bin ich - angesichts der angespannten personellen Situation und der harten Gangart der Italiener - auch mit der Gesamtleistung einverstanden. Gladbach hat sich zu keiner Zeit aufgegeben, ist in keiner Phase eingebrochen, auch nicht nach dem Rückstand, als das ganze für ein paar Minuten etwas wacklig zu werden drohte. Sicher war auch viel Streuung in den Angriffsversuchen, gab es eine Reihe schwacher Pässe und Missverständnisse.

Auf der anderen Seite habe ich viele hervorragende Pressingmomente und Balleroberungen gesehen. Klasse Spielzüge, starke Defensivzweikämpfe, gute Torchancen (und eher schwache Abschlüsse). Aber was das Wichtigste ist. Der VfL ist bis zum Schluss immer in der Lage, zu reagieren und Tore zu schießen - auch gegen sehr gut besetzte Mannschaften. Das hat man gegen Dortmund gesehen, und das hat man auch heute gesehen.

Was bringt uns das jetzt in der Euro League? Schon vor dem Spiel habe ich von Fans gelesen, die die Gruppe schon abschenken wollten. Zwar stehen wir mit zwei Punkten auch nach dem dritten Spieltag noch am Ende der Tabelle. Doch das heißt nicht viel. Diese beiden Punkte in Istanbul und Rom waren enorm wichtig, weil sie alle Chancen auf ein Weiterkommen erhalten. Denn es sind nicht so sehr die zwei Zähler auf der Habenseite, sondern, dass Basaksehir und der Roma durch uns jeweils zwei fehlen. Denn so ist der Abstand zu den ersten beiden Plätzen weiterhin nur bei drei bzw. zwei Punkten.
Dass alle drei Gegner schlagbar sind, haben die Spiele gezeigt. Also liegt es allein an der Mannschaft, das Ticket für die nächste Runde noch zu buchen. Positiv stimmt mich, dass dass auch in der jüngeren Vergangenheit schon einmal gelungen ist. 
Und: Dass man sieht, dass auch die Rose-Elf gereift ist und sich seit dem Wolfsberg-Ausrutscher in Liga und Europapokal merklich effektiver und cleverer angestellt hat. 



Was außerdem wichtig ist: Erfahrungen wie die heute schweißen zusammen - Mannschaft und Trainer, aber auch Fans und Team. Das war heute wieder zu merken, am tollen Support der Fans vor Ort, bei dem die Heimfans nur vereinzelt mithalten konnten. Und genauso an der gegenseitigen Würdigung nach dem Spiel in der Kurve, was uns daheimgebliebenen Fans von DAZN vorbildlich und ausführlich ins Wohnzimmer gebracht wurde. Dass Marco Rose dann allein noch mal in die Kurve kommt und später auch Max Eberl, das zeigt die Wertschätzung und Vertrauen auf beiden Seiten. Das braucht es in den kommenden Monaten, und wenn beide Seiten weiter so mitspielen, dann muss uns vor keiner Herausforderung bange sein.


Europa League 2019/20, Gruppenphase, 3. Spieltag: AS Rom - Borussia Mönchengladbach 1:1 (Tor für Borussia: 1:1 Stindl, Handelfmeter)

2019-10-20

Starker Verlierer

Es ist schön, wenn man nach einem Spiel gegen den BVB sagen kann, dass das Spiel genausogut mit einem Sieg des VfL hätte enden können - und niemand dagegen etwas hätte sagen können. Denn die Partien gegen die angebliche Borussia waren in den vergangenen Jahren eher selten ausgeglichene Spiele. Das Ärgerliche daran ist: Es bleibt eine Niederlage - wie in den meisten Spielen der vergangenen Jahre auch.

Dennoch kann die Mannschaft erhobenen Hauptes in die wichtige englische Woche gehen, wo mit Rom und Frankfurt zwei weitere harte Nüsse warten. Denn der Auftritt in Dortmund war über 60 Minuten der einer Spitzenmannschaft und die restlichen Minuten war es immerhin nah dran. Es gab nur die Phasen jeweils 15 Minuten vor und nach der Pause, wo die Rose-Elf dem BVB zu viele Räume ließ, wo sie sich etwas aus dem Konzept bringen ließ und sich kleine Schludrigkeiten einschlichen.

Jedes Mal wurde das dann auch bestraft, zunächst mit dem vermeintlichen 1:0 durch Hazard, das letztlich aus einem Freistoß von Yann Sommer heraus fiel, den Delaney unbedrängt in die Gladbacher Hälfte zurückköpfen konnte. Dass Hazard dann ziemlich frei stand, war der zweite Fehler.
Und dieser Fehler in der defensiven Ordnung passierte dann noch einmal - vor dem regulären Führungstreffer durch Reus, den der sträflich freie andere Ex-Gladbacher Hazard gekonnt einleitete. 

Der zweite aberkannte Treffer war einerseits dem höheren Risiko geschuldet, das Marco Rose mit der Umstellung auf Dreierkette ging. Andererseits blieben auch da drei Mann gegen Reus' Dribbling zu passiv, der Ball kam dann - mal wieder durch einen Gladbacher abgefälscht - etwas unglücklich zu Hakimi. Dass Brandts Tor keine Anerkennung fand, weil Reus Yann Sommers Blickfeld verdeckte, war korrekt und zugleich auch etwas glücklich für den VfL. Denn der Keeper hätte auch dann keine Abwehrchance gehabt, wenn er den platzierten Schuss vorher gesehen hätte.

Auffällig und gut war, dass die Abstimmung zwischen den Spielern deutlich verbessert wirkte. Es gab viel weniger Fehlpässe und Missverständnisse in der Offensive als in den ersten Spielen, damit dann auch weniger Leerlauf im Angriff. Dass dies nicht nur gegen Augsburg, sondern auch gegen den (mit Leipzig) bisher wohl stärksten Gegner in der Liga gelang, macht Mut. Genauso wie die Tatsache, dass sich der starke Tony Jantschke und seine Kollegen in keiner Phase minutenlang in der eigenen Hälfte einschnüren ließen - wie es gegen Dortmund zuletzt zur Gewohnheit geworden war.     

An so einem Tag macht es sich dann oft schmerzlich bemerkbar, wenn man seine eigenen Chancen nicht nutzt. Die klarsten waren - aus kürzester Entfernung - die von Lainer in der ersten Halbzeit und von Neuhaus kurz vor Schluss. Dazu die zwei Szenen zwischen Embolo und Bürki in der ersten Hälfte, wo der Dortmunder Torwart seinen Schweizer Landsmann jeweils heftig abräumte und auch vom Platz geflogen wäre - wenn, ja wenn er nicht auch noch Sekundenbruchteile zuvor den Ball gespielt hätte - jeweils eher glücklich als gezielt. Man kann sagen, da fehlte Gladbach einfach an diesem Abend ein kleines bisschen Fortune - oder ein paar Zentimeter. Man kann allerdings auch konstatieren, dass diese Kleinigkeiten am Ende nicht unverdient den Ausschlag zugunsten des Gegners gegeben haben.

Hätte der VfL seine Tore gemacht, wäre wahrscheinlich auch etwas milder über die Schiedsrichterleistung zu reden gewesen - oder sagen wir eher über die Leistung des Videoassistenten in Köln. 
Denn Sascha Stegemann machte keine wirklich spielentscheidenden Fehler. Er war mir in der Verteilung der Karten zu lasch, was den Gegner angeht. Nach zwei rücksichtslosen Luftduellen mit Kramer hätte Delaney kurz vor Schluss zwingend die zweite gelbe Karte sehen müssen, genauso wie Schulz und Hazard, die ihre Gegner in der ersten Hälfte von hinten rüde umsensten. So hatte Gladbach am Ende zwei Verwarnungen (wobei die gegen Jantschke hochgradig lächerlich war), Dortmund eine. Plus die kuriose Verwarnung für Marco Rose, während der in seiner Coaching Zone rumtanzende Lucien Favre seltsamerweise straffrei ausging.

Die sonstigen strittigen Szenen waren für den Schiedsrichter auf dem Feld schwer zu sehen. In allen drei Fällen war es Mats Hummels, der im Strafraum Gegner statt Ball spielte. Gleich zweimal in der zweiten Minute, als er erst Embolo traf, der ihm den Ball stibitzte und vielleicht drei Sekunden später Marcus Thuram, der mit einer Finte an ihm vorbei wollte. Natürlich kann man argumentieren, so etwas sei "zu wenig" für einen Elfmeter. Allerdings reicht so ein leichter Kontakt im umgekehrten Fall in 98 von 100 Fällen aus, um Stürmerfoul zu pfeifen. 
Gleich zwei solche Szenen innerhalb von Sekunden, da hatte dann auch der BVB ein bisschen Glück, dass der Videoassistent an diesem Abend nicht so auf der Höhe war. Wenn ich sarkastisch sein wollte, würde ich sagen, es war die erwartete Leistung des Keller-Mannes in Köln. Der hieß nämlich Harm Osmers und hatte mich vor kurzem erst als Schiedsrichter im Hoffenheim-Spiel viele Nerven gekostet.  

Selbst wenn man ihm in der Anfangsphase noch zugute halten konnte, dass er vielleicht keine klare Fehlentscheidung von Stegemann sehen wollte, der ungerührt weiterspielen ließ. Beim Aufreger in der zweiten Halbzeit gibt es jedoch einfach keine Entschuldigung mehr. Das Foul von Hummels am einschussbereiten Patrick Herrmann ist für den Videoassistenten so unübersehbar, dass er eingreifen musste. Punkt. Da gibt es keine zweite Meinung. Dass das für den Schiedsrichter auf dem Platz in Echtzeit viel schwieriger zu erkennen war, auch weil sich Herrmann überhaupt nicht beschwerte, sehe ich ein. Das muss aber auch Osmers wissen und ihm entsprechend helfen, damit Stegemann sich das gegebenenfalls selbst noch einmal anschaut. Es darf aber ein Pfiff, auch nachträglich, nie davon abhängen, ob sich eine Mannschaft beschwert oder Elfmeter fordert. Das wäre ja völlig gaga. Im Umkehrschluss hätte es dann ja auch kein Eingreifen bei der anderen strittigen Entscheidung gebraucht - dem aberkannten Hazard-Treffer. 

Marco Rose hat nach dem Spiel eigentlich genau das Richtige gesagt, als er meinte, dass wir den VAR für solche Szenen nicht brauchen, wenn ein Foul wie im Fall Herrmann nicht geahndet wird und wir den VAR dann auf Abseitsentscheidungen beschränken könnten. Allerdings bewies Osmers, dass der VAR auch da nicht immer eine wirkliche Hilfe sein muss. Denn auch wenn es zum Nutzen meines Teams war - die Annullierung des Hazard-Treffers führt den Sinn der Abseitsregel ad absurdum. 
Ich habe mir die Szene oft angeschaut. Aber selbst wenn man da, mit technischen Mitteln, den Fuß von Reus ein paar Zentimeter im Abseits misst und bewertet, dann wird es lächerlich. Sinn der Regel ist eigentlich, dass bestraft wird, wenn der Stürmer sich mit der Abseitssituation einen Vorteil verschafft.
Wenn er sich aus dem Abseits herausbewegt, dabei der Fuß fahrlässigerweise noch in der Bewegung einen Tick weiter nach hinten ragt als der des Verteidigers, ist das keine bewusste Aktion, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Es ist Zufall. 
Und wenn dann auf seinen entscheidenden Ballkontakt noch vier weitere folgen, ehe der Torabschluss kommt, ist die Rücknahme eines Tores aus meiner Sicht nicht mehr im Sinne des Spiels. Und es ist schade, weil es die Akzeptanz des an sich guten Instruments des Videobeweises untergräbt.

Ach ja, apropos Thorgan Hazard. Ich kann die (zu erwartende) Wut vieler Gladbachfans über seinen Auftritt gestern nicht ganz teilen. Ich fand seinen Torjubel nicht übermäßig provokativ - jedenfalls im Vergleich zu dem, was er sich geleistet hat, als er noch Angestellter der wahren Borussia war. Dass er noch eine Rechnung mit denen offen hatte, die ihn am Schluss im Gladbach-Trikot ausgepfiffen haben, kann ich nachvollziehen. Ob es schlau ist, sich so zu präsentieren, steht auf einem anderen Blatt Papier.

Verteidigen will ich ihn damit gleichwohl nicht. Er ist mir egal, ich will an ihn keine Emotionen mehr verschwenden. Ich habe Thorgan Hazard als Spieler gemocht, habe zu ihn gehalten, als er uns mit seiner schlampigen Ineffektivität auf die Probe gestellt hat und ich habe mich gefreut, als er uns mit seinen Toren und guten Aktionen sehr geholfen hat. 

Ich habe ihn abgehakt, als er sich gegen den VfL gestellt hat. Er bedeutet mir nichts mehr, genauso wie ich mit geringem Interesse verfolge, welchen Karriereweg die Herren Dahoud und Cuisance nehmen. Ich halte alle drei für sehr gute Fußballer, die ihren Weg gehen werden. Und ich erkenne an, dass Thorgan gestern ein sehr gutes Spiel gemacht und zu unserer Niederlage beigetragen hat, so wie immer und immer wieder Marco Reus. Allerdings verhält der sich in direkten Duellen stets sehr anständig (abgesehen vom ständigen Toreschießen) - weil er weiß, wo er herkommt (sic!) und wem er seinen Vertrag in Dortmund auch zu verdanken hat - einem Verein, der an ihn geglaubt und sehr gefördert hat. Aber vielleicht kann Herr Hazard sich auch in dieser Beziehung noch etwas abschauen von seinem heutigen Kapitän. Wenn nicht - auch egal.   
  
Bundesliga 2019/20, 8. Spieltag: Borussia Dortmund - Borussia Mönchengladbach 1:0

2019-10-06

Plötzlich Tabellenführer

Spitzenreiter, Spitzenreiter - hey, hey!!

Wenn man so selten in die Verlegenheit kommt, diesen Ruf durchs Stadion schallen lassen zu können, dann muss man die Gunst der Stunde nutzen. Wir stehen an der Spitze der Liga, ja, schon auch, weil die anderen nicht wollten. Das kann und sollte uns aber völlig egal sein. Denn es ist auch deshalb so, weil die Mannschaft nicht - wie schon öfter zuvor - angesichts einer drohenden Tabellenführung vor Angst erstarrte. Nein, dieses 5:1 war bärenstark, auch wenn der schwache Gegner ganz recht kam. Es ist etwas deutlich anders geworden als in den Jahren zuvor. Und das macht ein gutes Gefühl.

Jetzt können wir fast zwei Wochen lang ein ganz breites Grinsen im Gesicht haben und jedem an Fußball halbwegs interessierten Zeitgenossen den fordernden Blick "Frag' mich doch mal, wo Gladbach gerade steht" zuwerfen. Das tut gut, nicht zuletzt auch wegen der beiden bitteren Auftritte, die die herbeigesehnte Europapokal-Euphorie schon merklich abgekühlt hatten.

Aaaber bei aller Freude dürfen wir nicht vergessen, wo wir herkommen... Nein, nur Spaß!

Doch es steht uns tatsächlich gut an, nicht gleich durchzudrehen. Denn es gibt einiges, was man an der Entwicklung der noch jungen Saison berücksichtigen muss, wenn man einen ehrlichen Blick auf den Leistungsstand der Mannschaft und auf die Begleitumstände in der Liga werfen will. Damit meine ich nicht, dass es nur den schwächelnden Topklubs zu verdanken ist, dass wir jetzt mal ganz oben schnuppern dürfen. Das ist im Fußball manchmal so und wenn man etwas erreichen will, sollte man zu solchen sich bietenden Gelegenheiten eben auch nicht Nein sagen. 
Zum Glück habe ich den Eindruck, dass innerhalb der Borussia-Familie im Moment ein ganz gesunder Blick auf die Leistung der Mannschaft geworfen wird - im Negativen wie im Positiven. Klar gibt es die, die Marco Rose und seine Spieler in der einen Woche in den Himmel heben und kurz darauf für unfähig erklären wollen. Aber die meisten Fans wissen, wie sie mit dem Zwischenstand umgehen müssen: mit einer gewissen Gelassenheit.

Mein Blick geht daher natürlich auf die richtig guten Spielzüge, auf das gelungene Pressing und die schön herausgespielten Tore. Er geht auf das bis auf einzelne Szenen sehr gute Stellungsspiel in der Defensive und auf die mannschaftsdienliche Spielweise, um den besser postierten Nebenmann einzusetzen oder dem Mitspieler zu Hilfe zu eilen, wenn es eng wird. Wie innig die Spieler auch nach den Toren miteinander umgehen, zeigt, dass hier eine richtige Einheit gewachsen ist. Und das ist weit mehr wert als eine (vorübergehende) Tabellenführung. Und es sollte auch zu erwartende Rückschläge überdauern, denn noch immer ist Roses Borussia lange nicht "fertig".

So waren auch heute viele kleine Fehler zu beobachten, die gegen einen stärkeren Gegner hätten teuer werden können. Deshalb geht mein Blick auch (milder als sonst) auf die Schwächen im Spiel, etwa im Ausspielen der Kontersituationen. 
Er geht zweitens auf die personelle Situation, die sich heute nochmals verschärft hat. 
Und drittens darf man nicht außer Acht lassen, dass nach der Länderspielpause auf engem Raum die bislang mutmaßlich größten Herausforderungen in dieser Saison warten: zweimal Dortmund, zweimal AS Rom sowie Frankfurt, Leverkusen und Bremen - insgesamt sieben Spiele in 22 Tagen. Da kann es dann auch schnell wieder vorbei sein mit der Herrlichkeit.
Denn eins darf man heute bei aller Freude nicht vergessen: Augsburg war in der ersten Halbzeit nicht bundesligareif. Die Abwehr in der ersten halben Stunde völlig überfordert, der Torwart sicher nicht von der Qualität, den eine Mannschaft im Abstiegskampf benötigt. Dennoch hatten die Gäste am Ende genausoviele Torschüsse wie Borussia, und in einer etwas glücklicheren Phase hätten aus den besten Chancen auch drei oder vier Augsburger Tore werden können.

Das soll keineswegs die Gladbacher Leistung schmälern. Denn der forsche Auftritt von Beginn an war es, der den Gegner durcheinanderbrachte und folgerichtig auch die schön herausgespielten Tore ermöglichte. Danach spielten Benes (das war sein bisher vielleicht bestes Spiel für den VfL), der überragende Patrick Herrmann und ihre Kollegen die Partie routiniert nach Hause, wobei das zwischenzeitliche 1:4 nicht mehr als ein ärgerlicher Schönheitsfehler war. Augsburg war heute schlicht chancenlos, weil Gladbach sie gleich überrumpeln konnte. Ob das ohne den frühen Vorsprung genauso leicht gewesen wäre, glaube ich allerdings nicht.

An so einem Tag soll man sich eigentlich nicht an der Schiri-Leistung stoßen. Das will ich trotz einiger grober Fehler auch weitgehend lassen. Doch weil diese sehr mäßige Leistung auch Einfluss auf das Verletzungsgeschehen hatte, muss es einfach gesagt werden. Knackpunkt war das Frustfoul von Khedira, der Patrick Herrmann im Mittelfeld im vollen Lauf und in einer lange nicht gesehenen Unsportlichkeit umgetreten hatte. "Gelbeinhalb" reicht aus meiner Sicht für so eine Aktion einfach nicht aus. Da muss dann auch einfach mal zum Schutz aller Spieler durchgegriffen werden.
Da Schiedsrichter Schröder auch sonst zu lange auf die gelbe Karte für Gästeakteure verzichtete, wo sie angebracht gewesen wäre (zumal im Vergleich zu der, die Herrmann sah), gab er den Gästen einen Freibrief dafür, im Laufe des Spiels immer mutiger mit offener Sohle in die Zweikämpfe zu gehen. Alassane Plea war wieder einmal der Haupt-Leidtragende, aber auch Thuram, Benes oder Herrmann mussten einiges einstecken.
So bleibt in dieser Kategorie einzig die Tatsache positiv zu vermerken, dass Denis Zakaria die drohende fünfte Gelbe Karte vermeiden konnte. Allerdings bot er heute auch wirklich überhaupt keine Angriffsfläche für eine Verwarnung.

Zum Glück ist nun ein wenig Zeit zum Verschnaufen und kürzertreten. Denn die Personalsituation ist mittlerweile alarmierend. Plea spielte zwar heute lange so, dass man ihm die Verletzung aus Istanbul nicht anmerkte. Doch irgendwann ging es sichtlich nicht mehr. Die Verletzungen von Stevie Lainer und Matze Ginter (hier keine Vorwürfe an die Augsburger Gegenspieler) sahen allerdings schon schlimmer aus. Beide sind - vor allem in ihrer heutigen Form - nicht so einfach zu ersetzen wie die bisher schon ausfallenden Offensivkräfte. Aber ich fürchte, dass eine ausgekugelte Schulter und eine Außenbandverletzung nach einer längeren Spielpause verlangen, als sie durch die Länderspielwoche zur Verfügung steht. Das ist natürlich ein bitterer Nachgeschmack zu dem süßen Sieg von heute.

Wie eng es trotz sehr polyvalentem Kader inzwischen ist, zeigte die Bankbesetzung heute und auch der verletzungsbedingt notwendig gewordene Ringtausch in der zweiten Halbzeit. Lainer und Ginter raus, Beyer nicht im Kader, Strobl und Johnson verletzt, da wird es für rechts hinten und für die Innenverteidigerposition schon ziemlich eng. Auch wenn es schade war, dass Mamadou Doucouré heute nicht sein verdientes Debüt feiern konnte, es war schon in Ordnung, zum Ende hin Jantschke rechts, Wendt links und Elvedi und Bensebaini in der Mitte zu Ende spielen zu lassen.

Ich hoffe, dass die Pause hilft, dass zum nächsten Spiel in Dortmund die Alternativen wieder andere sind. Denn auch wenn die Ausfälle kurzfristig ganz gut kompensiert werden konnten. Irgendwann geht es an die Substanz der Spieler, die immer ranmüssen. Und das gefährdet den Erfolg, den sich die Mannschaft bis hierhin so hart erarbeitet hat - mit Mut, Fleiß, Kampf, spielerischem Können und der richtigen Reaktion auf Fehler und Rückschläge. Und das ist das, was wirklich zählt. Nicht der Tabellenstand nach dem 7. Spieltag. 

  
Bundesliga 2019/20, 7. Spieltag: Borussia Mönchengladbach - FC Augsburg 5:1 (Tore für Borussia: 1:0 Zakaria, 2:0 Herrmann, 3:0 Herrmann, 4:0 Plea, 5:1 Embolo)

2019-10-03

Keine Reise wert

Wie wird einem der letzte Spaß an den europäischen Wettbewerben der Uefa genommen? Durch Spiele wie das von Borussia in Istanbul. 
Ein blutleerer Auftritt der eigenen Mannschaft, ein der Leistungsklasse unangemessen schlechter Schiedsrichter (dazu noch ohne das theoretische Korrektiv eines VAR), ein Gegner-Verein, den kein Mensch in Europa braucht, eine traurige Stadion-"Atmosphäre" und unwürdige Umstände für die Gästefans vor, während und vielleicht auch noch nach dem Spiel. Darüber wird sich der Verein sicher bei der Uefa beschweren, doch mein Vertrauen in diese Organisation ist genauso gering wie in den türkischen Rechtsstaat.

Da bleibt dann wirklich nur der glückliche Ausgleich durch Patrick Herrmann in der Nachspielzeit, der sich positiv von diesem Abend in Erinnerung behalten lässt. Und die Hoffnung, dass dieser erneute Rückschritt schon am Sonntag durch eine Topleistung wieder vergessen gemacht werden kann.

Zum Spiel ist wenig zu sagen - aber es bleibt viel aufzuarbeiten. 25 Minuten lief der Ball ganz vernünftig in den Reihen der Gladbacher, dann riss der Faden völlig. Schon in der ersten Halbzeit verzeichneten die Gastgeber die besseren Chancen, Yann Sommer hielt seine Vordermänner mit guten Paraden im Spiel. Doch das 0:0 zur Pause ging in Ordnung, weil die Rose-Elf die deutlich reifere Spielanlage und die gefälligeren Angriffsversuche hatte, wenngleich die meist eher kläglich versandeten.

Die zweite Halbzeit aber gehörte zu den schlechtesten, die der VfL in den vergangenen Jahren abgeliefert hat: Mutlos, ohne Geschwindigkeit und letzte Laufbereitschaft, ohne Feuer, ohne Überzeugung und auch ohne erkennbaren Willen, hier mit Macht den blöden Rückstand (durch einen vermeidbaren Konter) noch umbiegen zu wollen. 
Das war einfach zu wenig. Selbst als in der Schlussphase plötzlich auch mal der Ball in aussichtsreicher Position zu den Gästen sprang, wurde der schnell wieder vertändelt. 
Und so war der eher zufällige Ausgleich zwar sehenswert - durch Bensebainis schnelle und gekonnte Reaktion und Herrmanns Abstauber. Verdient war er aber über die gesamten 94 Minuten gesehen nicht wirklich.

Ich bin allerdings fern davon, dass mir das heute irgendetwas ausmacht. Denn egal wie - der Punkt zählt. Und gerade dieser eine Zähler kann am Ende wichtig werden und über Weiterkommen und Ausscheiden entscheiden. Wie er zustande kam, interessiert dann niemanden mehr. Und Marco Rose wird wissen, wie er diese Leistung zu bewerten und zu verbessern hat.

Und ehrlich gesagt muss sich nach diesem Spiel auch kein Gladbacher für irgendetwas entschuldigen. Denn Borussia hatte nicht nur elf Akteure von Basaksehir gegen sich, sondern zu einem guten Teil auch den Schiedsrichter. Wer sich vor der Partie gewundert  hatte, warum Stuart Attwell trotz zehn Jahren Premier-League-Erfahrung erst sein drittes Euro-League-Spiel pfiff (das letzte war in der Saison 2012/13), wusste nach dem Spiel, warum. 
Das zweifelhafte Prädikat Heimschiedsrichter trifft es ganz gut. 
Die Foulbewertung war recht willkürlich, die Verteilung der Gelben Karten teilweise lächerlich. Während bei Borussia gefühlt nahezu jeder Körpereinsatz abgepfiffen wurde, durften die Gastgeber nach Lust und Laune von hinten in die Beine treten. Das rüde Foul des Stürmers Crivelli, das den Arbeitstag von Alassane Plea frühzeitig beendete, wurde nicht einmal mit Gelb geahndet. Jener Crivelli übrigens, der schon in der ersten Minute Elvedi mit einem Ellbogenschlag unsanft auf den Rasen geschickt hatte. Embolo, Elvedi und Herrmann sahen dagegen auf Gladbacher Seite schon nach dem ersten, harmlosen Foul den gelben Karton. Dass da schon ein Missverhältnis bestand, war offensichtlich.

Besonders ärgerlich allerdings waren zwei für den Spielverlauf mitentscheidende Szenen, in denen der Schiri grob falsch lag. Das reklamierte Handspiel im Istanbuler Strafraum rechne ich nicht dazu, weil dort der Ball vom Fuß des Abwehrspielers an den Arm sprang. Die Regel ist hier eindeutig, sodass der unnatürlich abgestreckte Arm nicht mehr entscheidend war. 
Warum Attwell allerdings kurze Zeit später nicht auf Foulelfmeter erkannte, als Thuram zu Fall gebracht wurde, ist unverständlich. Thuram legte den Ball vorbei, sein Gegner Skrtel ging in dieser Szene nur in den Mann. Da der Tscheche zuvor schon Gelb gesehen hatte, wäre hier für ihn vielleicht zusätzlich auch noch früh Abpfiff gewesen. 

Die zweite Szene war ebenso klar. Dem Führungstreffer ging ein glasklares Foul an Wendt voraus. Sein Gegenspieler rempelte den Schweden um, ohne auch nur ansatzweise den Ball zu spielen. Den berührte er erst, als er Wendt aus dem Weg geräumt hatte. Welche Linie Attwell auch immer verfolgt haben mag: Er wurde keiner gerecht. 

Das alles lässt sich dank des späten Ausgleichs - aber auch angesichts der schwachen Gladbacher Leistung - noch halbwegs ertragen. Allerdings macht es, gerade auch vor dem Hintergrund der teilweise abenteuerlichen Erfahrungen mit den Schiris der vergangenen Europapokal-Jahre, echt keinen Spaß mehr, sich ständig der Willkür solcher Entscheidungen ausgesetzt zu sehen.

Für mich ist das Spiel heute schnell abgehakt. Es war schließlich auch zum schnellen Vergessen. Sehr bitter wird es allerdings den vielen treuen Rautenfans in Erinnerung bleiben, die den Trip nach Istanbul auf sich genommen haben. Das Geld und den ganzen Aufwand für so eine Leistung, das ist ja schon schlimm genug. 
Aber dass man die friedlichen Fans offenbar auch noch behandelt und drangsaliert wie Schwerverbrecher, ist einfach unerträglich. Angesichts der Entwicklung in der Erdogan-Türkei verwundert es nicht. Das schreit nach Konsequenzen. Es wäre schön, wenn die Verantwortlichen bei Borussia sich da endlich mal richtig auf die Hinterbeine stellen und Krawall schlagen. Es ist ja nicht das erste Mal, dass VfL-Fans im Ausland übel behandelt werden. Aber dass Fahnen beschlagnahmt worden sein sollen, weil sie harmlose christliche Symbole enthielten, ist bisher beispiellos. 

Doch so schnell die Uefa mit Strafen ist, wenn sie selbst kritisiert wird, so lasch ist sie im Umgang mit Clubs und den Behörden in Ländern, die Fairness und Sportsgeist mit Füßen treten. Dass das skandalöse Drumherum dieses Spiels für Basaksehir Konsequenzen hat, erwarte ich daher ehrlich gesagt nicht. Und das ist das, was mich heute am wütendsten macht.


Europa League 2019/20, Gruppenphase, 2. Spieltag: Basaksehir Istanbul - Borussia Mönchengladbach 1:1 (Tor für Borussia: 1:1 Herrmann)