Ich weiß, eigentlich gehört es sich nicht, denn der Freude über unserem ersten Sieg gegen das Marketingprojekt aus Leipzsch gebührt normalerweise die uneingeschränkte Aufmerksamkeit in meinem heutigen Text.
Aber da ich mich während des Spiels und noch eine ganze Stunde nach Abpfiff über die wirklich grenzwertige Leistung von Schiedsrichter Siebert in der zweiten Halbzeit aufgeregt habe, muss ich das auch zuerst loswerden. Wer darauf verzichten kann, scrollt bitte einfach schon mal weiter nach unten bis zum Trennstrich - dort wird es gemütlicher, versprochen!
Dabei hatte Daniel Siebert doch in der ersten Halbzeit für mich eine sehr vernünftige Leistung gezeigt. Er ließ sehr viel laufen - auf beiden Seiten -, was in einem Spiel zweier technisch guter Mannschaften völlig okay ist, zumal auch die Zweikämpfe nicht überhart geführt wurden. Zum Ende der ersten Halbzeit hätte er aus meiner Sicht dann aber schon für zwei rustikalere Fouls Gelb gegen Sabitzer und Kampl zeigen müssen.
In Hälfte zwei verlor Siebert von Beginn an diese Linie und ließ den Karton weiterhin stecken, etwa wenn ein Leipziger gegen Breel Embolo wieder zu spät kam und ihn von hinten fällte. Während die Gäste also ohne Karte blieben, kassierte als erstes Wendt bei einer ungeschickten Abwehraktion mit zu hohem Bein eine (korrekte) Verwarnung und dann Florian Neuhaus eine weitere, die nach dem Regelbuch prinzipiell auch in Ordnung wäre. Er stellte sich schließlich bei einem Freistoß des Gegners vor den Ball, um die schnelle Ausführung zu verhindern, wurde aus einem halben Meter angeschossen und daraufhin verwarnt. Alles ok, wenn, ja wenn Siebert nicht im ganzen Spiel vorher bei jedem Gladbacher Freistoß eine schnelle Ausführung selbst verhindert hätte, indem er erst den Ball freigeben wollte - das hätte er also bei diesem Leipziger Freistoß auch machen sollen. Das aktive Verhindern von schnell ausgeführten Freistößen durch den Schiri aber ist etwas, was sich durch inzwischen schon einige Spiele des VfL zieht - dass Kramer und Co mit der schnellen Ausführung von Freistößen im Mittelfeld in der Vergangenheit schon so manches Tor eingeleitet haben, ist ja inzwischen bekannt, genauso wie manche Diskussion darüber, ob der Ball auch wirklich geruht hat, bevor er weitergespielt wurde. Diese Diskussion erspart man sich natürlich als Schiri, wenn man diese Szenen von vornherein unterbindet. Regeltechnisch vorgesehen ist das allerdings nirgends.
Natürlich wird das Ausführen von Freistößen auch oft durch gegnerische Spieler verhindert, die sich vor den Ball stellen. Einmal hat Jonas Hofmann daraufhin auch einen Gegenspieler mal aus kurzer Entfernung angeschossen. Gelb gab es für den damals nicht. Für Neuhaus heute schon. So weit, so ärgerlich.
Nach diesen beiden Karten für Gladbacher waren dann auch bei Siebert mal die Gäste dran. Hochverdient holte sich Kampl für ein rüdes Foul Gelb ab - er wäre damit normalerweise gleich duschen gegangen. Da er aber in der ersten Hälfte verschont worden war, konnte er stattdessen kurz darauf unbeschadet ausgewechselt werden.
Zum Vergleich: Der vergleichsweise milde Verstoß von Florian Neuhaus führte zur dritten Gelben Karte, die erste Sperre ist also nicht mehr allzuweit weg. Ach ja, Sabitzer bekam später auch Gelb - aber nicht für seine zwei gelbwürdigen Fouls, sondern für Meckern. Ab der 70. Minute hätte RB damit im Normalfall zu neunt weitergespielt.
Stattdessen kassierte Trainer Rose einen Rüffel (wohl doch keine Gelbe Karte, wie es erst aussah), als er sich lautstark und völlig zurecht darüber beklagte, das vorne im Angriff Hannes Wolf von Upamecano gefoult wurde und das Spiel weiterlief, um wenige Sekunden später wegen einer sehr vergleichbaren Aktion zugunsten von Leipzig unterbrochen zu werden - als sich Gladbach gerade durch die Balleroberung auf den Weg zu einem verheißungsvollen Konter machen wollte. Spätestens da merkte man - dem Schiri ist die Linie abhanden gekommen.
Höhepunkt dieser rapide verschlechterten Leistung in der zweiten Halbzeit war eine Szene in der Nachspielzeit. Wieder war es Sabitzer, der Chris Kramer an der Mittellinie lange und heftig am Trikot zog, sodass der den Konter nicht ungehindert einleiten konnte. Der Schiedsrichter erkannte auf Vorteil, der sich im Anschluss aber als Nachteil herausstellte. Denn Gladbach blieb zwar in Ballbesitz, der direkte Pass in dies Spitze gelang jedoch nicht und als der Angriff schließlich kurz darauf mit einem erneut rüden Einsteigen von Nkunku gestoppt wurde, gab es statt der erwarteten zwei Karten für Sabitzer und Nkunku nur eine (korrekte) für letzteren.
Hier rebelliert das Gerechtigkeitsempfinden wohl jedes Fußballfreundes. Doch dem Schiedsrichter kommt dabei sogar das neueste Regelwerk zu Hilfe, worauf die Schiri-Expertenseite "Collinas Erben" nach dem Spiel in mancher Twitterdiskussion (auch mit mir) hinwies. Demnach entfällt die Verwarnung, wenn auf Vorteil entschieden wird und mit dem Foul nur ein "aussichtsreicher Angriff" und keine "offensichtliche Torchance" verhindert werden sollte.
Das bedeutet, dass Sabitzer mit Gelb-Rot vom Platz gegangen wäre, wenn sich Kramer fallenlassen hätte. Dadurch, dass der Gladbacher das Spiel versuchte fortzusetzen, rettete er den Übeltäter paradoxerweise vor dem Platzverweis. Spielleitungstechnisch also zunächst alles im Lot für Herrn Siebert. Aber was diese irrsinnige Regelauslegung für den Fußball bedeutet, kann sich jeder selbst ausmalen. Das taktische Foul wird gestärkt. Der Spieler, der sich beim "taktischen Körperkontakt" sofort fallenlässt, wird dafür belohnt. Der Angreifer, der versucht weiterzulaufen, wird bestraft, wenn aus dem Angriff nicht gerade ein Tor resultiert (dann wäre ich auch einverstanden, dass die Verwanrung steckenbleibt). Aber ganz ehrlich: Wer sich so etwas ausdenkt, der hat den Fußball nie geliebt.
Am Ende lag Siebert dessen ungeachtet aus meiner Sicht aber dennoch mit seiner Entscheidung daneben, Sabitzer zu verschonen. Denn bei dessen Halten am Trikot handelte es sich eben nicht nur um ein kurzes "Hand-auf-die-Schulter-legen", für das jemand wie Patrick Herrmann traditionell seine Verwarnungen kassiert, sondern um ein erhebliches und über mehrere Meter fortgesetztes Trikotziehen, das man offiziell (laut Collinas Erben) als "respektlos" bezeichnet und das auch in dieser Situation dann eben doch mit Gelb bestraft würde. Aber ihr ahnt es. Auch diese Regel lässt dem Schiedsrichter einen großen Ermessensspielraum. Egal wie er also heute entschieden hat - er kann sich immer darauf zurückziehen, dass er den Regeln recht getan hat. Das hat allerdings nicht damit zu tun, ob er dem Gedanken der Fairness, des Fußballs und der unparteiischen Spielleitung einen Dienst erwiesen hat.
Soweit dazu. Und ich bin ehrlich. Wahrscheinlich hätte ich mich darüber auch nicht so fürchterlich erregt, wenn es nicht ausgerechnet dieser Gegner gewesen wäre und die Erinnerung an das berühmte Tobias-Stieler-Gedächtnisspiel in Leipzig noch so frisch wäre, als dieser Schiedsrichter - ebenfalls nach einer vernünftigen ersten Hälfte - mit dem Wiederanpfiff unter anderem mit der lächerlichsten Gelb-Rot-Entscheidung dieses Jahrhunderts (gegen Plea) massiv zugunsten des Gegners ins Spiel eingegriffen hatte.
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So, Schwamm drüber! Und damit jetzt endlich zum wirklich Erfreulichen! Denn am Ende des Samstagabendspiels stand trotz aller Widrigkeiten ja keine erneute Enttäuschung, sondern die Genugtuung über den ersten Bundesliga-Sieg gegen die Red-Bull-Firmenmannschaft und: über das erste Zu-Null in der Liga in dieser Saison. Das kostet mich beides ordentlich Geld (siehe unten), aber das ist es natürlich auch wert.
Denn am Ende steht da auf der Anzeigetafel im leeren Borussia Park ein verdienter Sieg in einem Spiel zweier gleichwertiger Mannschaften. Der Unterschied war heute vielleicht genau diese eine Szene, die - man darf die abgedroschenste Phrase aller Sportreporter an dieser Stelle nicht auslassen - AUSGERECHNET Hannes Wolf zum Tor des Tages nutzte. Denn Wolf ist ja bisher nur von Leipzig ausgeliehen (und zudem bisher auch noch nicht so zur Geltung gekommen, wie man sich das vielleicht von ihm erhofft hatte).
Das Außergewöhnliche daran: Dass ehemalige Spieler gegen den alten Verein treffen, kennen wir als Gladbachfans eigentlich nur umgekehrt - nämlich, wenn es gegen uns geht.
In der ersten Halbzeit sah es allerdings noch nicht danach aus, als würde - ausgerechnet - der junge Österreicher heute zum Matchwinner werden. Für die ganze Mannschaft galt da, dass sie nach vorne oft ganz gute Ideen entwickelte, aber die fehlende Präzision bei den Zuspielen große Chancen verhinderte. Auf der anderen Seite spielte und verschob das Team äußerst gefällig, doch hie und da erlaubten kleine Fehler und Unkonzentriertheiten den Leipzigern Überzahlangriffe, die nur unter großem Einsatz wieder entschärft werden konnten. Und wenn doch mal ein Abschluss gelang, war Yann Sommer heute wieder in all seiner Souveränität zur Stelle.
Der in die Startelf rotierte Hannes Wolf war zwar sehr bemüht, kam in den ersten 45 Minuten aber selten in eine Position, wo er seine Stärken hätte ausnutzen können. Es kam ihm aber zugute, dass beide Teams - nach der taktisch geprägten ersten Halbzeit - mit dem Wiederanpfiff deutlich mehr Zug in Richtung gegnerisches Tor zeigten und damit signalisierten, dass beide auf Sieg gehen wollten. Es war vielleicht nicht absolut zwingend, dass gerade Borussia nach einer Stunde in Führung ging, aber unverdient war es auch nicht. Denn mit zunehmender Spielzeit gelang es Hofmann, Neuhaus und ihren Teamkollegen immer besser, durch das Leipziger Mittelfeld zu kommen. Und wie erwähnt mussten die Leipziger häufig zu Fouls greifen, um Borussias Angriffe zu stoppen.
Diese Stoßrichtung änderte sich naturgemäß nach dem 1:0 wieder etwas, denn Nagelsmann brachte mit Forsberg, Hwang und Haidara, später noch mit Nkunku, weitere hochkarätige frische Leute von der Bank. Gladbach ließ sich zunehmend zurückdrängen, bekam aber in der Defensive immer noch guten Zugriff und klärte die meisten Bälle relativ sicher.
Dennoch blieb es angesichts der knappen Führung bis zum Schluss ein Zitterspiel. Auch weil bei Pleas Schuss nach Lainer-Flanke und einem bildhübschen Spielzug, der mit einem weiten Schlag von Yann Sommer begann, dem 2:0 mal wieder die Latte im Weg stand. Und natürlich, weil die Rose-Elf auch diesmal nicht in der Lage schien, in dieser letzten halben Stunde auch nur einen einzigen klitzekleinen Angriff mal eiskalt zu Ende zu fahren und mit einem zweiten Tor den Deckel auf dieses Spiel drauf zu machen.
Ein kleiner Makel, den alle Beteiligten aber mit aufopferungsvollem Einsatz in der Defensive wettmachten. Ob es der emsig wühlende "Flaco" Herrmann war, der wie aufgezogen wirkende Stefan Lainer oder das Bollwerk in der Innenverteidigung, in der nach Elvedis Ausscheiden zur Halbzeit Ramy Bensebaini über sich hinaus wuchs. Krönung seiner Leistung war sicher die Einleitung des Siegtores, als er beherzt aus der Abwehr nach vorne stieß und mit einem Klasse-Pass Alassane Plea einsetzte. Das war wirklich sehenswert.
Aber auch dieses Spiel hat, trotz leichter Rotation, viel Kraft gekostet. Umso besser, dass am Ende das Erfolgserlebnis und das Ende des Brause-Fluchs stand. Ich bin jedenfalls sehr angetan von der Entwicklung und der Widerstandsfähigkeit der Mannschaft in den vergangenen zwei Wochen.
So langsam läuft der Motor warm und die Zahnrädchen greifen immer besser ineinander. Das zeigte sich heute nicht nur an Hannes Wolf, sondern auch daran, dass Oscar Wendt nach seiner Einwechslung auf der linken Seite gut zurechtkam. Und der Saison-Debütant Valentino Lazaro führte sich ebenfalls in den ihm verbleibenden knapp 15 Minuten gut in das Mannschaftsgefüge ein.
Es bleiben also heute kaum Wünsche offen. Drei "Bigpoints", der Prestigesieg über das RB-Konstrukt, eine weitere bestandene Nagel(smann)-Probe, aufsteigende Form bei allen Beteiligten. Und ein Tabellenplatz, wie er uns gefällt. Es ist nach stotterigem Saisonstart ein deutliches Signal an die Konkurrenz - "Seht her: Der VfL ist wieder da!" (und er kann eine Führung sogar auch mal wieder ins Ziel retten).
Bundesliga 2020/21, 6. Spieltag: Borussia Mönchengladbach - Brauseprodukt Leipzig 1:0. Tor für Borussia: 1:0 Hannes Wolf.
Saisonspende: Ein Tor, das erste "Zu-Null" in der Liga und der erste Sieg in der Historie der glorreichen Borussia gegen die Traditionslosen aus Leipzig, da kommen gleich 11,50 Euro in den Topf. Damit klettert der Spendenbetrag von 17 auf 28,50 Euro. Weiter so, Jungs!