2017-11-26

Das Glück findet die Tüchtigen

Bravo Jungs! DAS IST BORUSSIA, so wollen wir euch sehen!

Wenn jemand die Bayern schlägt, ist immer Feiertag. Und ja: Der VfL hat dem Dauermeister in den vergangenen sechs Jahren zwar so viele Niederlagen zugefügt wie wohl wenige andere Mannschaften. Aber das heute war eine ganz besondere Erfahrung. Weil es den Aufwärtstrend der Mannschaft dokumentierte und mit drei eher unerwarteten Punkten belohnte. 
Weil es bewies, dass Borussia auch gegen einen spielstarken Gegner, der einen mit seinem dominanten Auftreten einschüchtern und einschnüren kann, zumindest weitgehend die Schotten dicht machen kann und nicht wieder phasenweise völlig den Überblick verliert. Weil leidenschaftliche Abwehrschlachten eben auch manchmal gutgehen. Weil manchmal doch drei Chancen in einem Spiel für zwei Tore reichen können. Und sogar für einen Sieg, obwohl das Heimteam die Spielhälfte des Gegners in Halbzeit zwei so gut wie nicht mehr mit seiner Anwesenheit belästigte. Nein, im Ernst: Das war ein überaus hart erkämpfter und aus diesem Grund auch verdienter Sieg der Hecking-Elf. Glücklich war er natürlich auch.

Meine Meinung ist ja nicht erheblich, aber ich würde heute gleich mehrere Spieler des VfL mit dem Prädikat Weltklasse auszeichnen. Nicht, weil sie so spektakulär gespielt hätten, sondern weil sie ihre Aufgabe so brillant unauffällig erfüllt haben. Es war heute nicht die Zeit für spielerische Feuerwerke und berauschende Pass-Stafetten. Es galt, den Ball zu erobern und zu behaupten, damit man nicht wieder streckenweise hilflos hinter einer spielerisch leistungsfähigeren Mannschaft hinterherhecheln muss und dabei ins Verderben läuft wie in den Partien gegen Leverkusen und Dortmund.
Die zentralen Spieler, damit das heute gelingen konnte, waren trotz der zeitweiligen Dauerbelagerung des Gladbacher Strafraums gar nicht mal die aus dem Abwehrquartett. Es waren die davor, die das Spiel in die richtigen Bahnen lenkten.  Und die sich die Lunge aus dem Leib rannten.
Da war Thorgan Hazard mit einem erneut schier unglaublichen Lauf- und Kampfpensum (laut Kicker 12,87 Kilometer). Er hätte von mir auch ohne den herausgeholten Elfer und den erfolgreichen Abschluss aus elf Metern heute das Siegel Weltklasse bekommen - den Kämpfer-Oscar. 
Das gilt für Lars Stindl ebenso. Der Kapitän, heute Spitzenreiter der Läuferliste mit sagenhaften 13,19 Kilometern) begeisterte mich einmal mehr damit, wie effektiv er Räume zulaufen kann, potenziell gefährliche Situationen blockt und auf dem Weg nach vorne Bälle behauptet und auf engstem Raum zum Mitspieler bekommt. Er ist in Galaform, auch ohne Torerfolg.
Seine herausragenden Qualitäten bekommt auch Nebenmann Raffael immer besser auf den Rasen. Trotz zwei erneut kläglich verissenen Schussversuchen war er heute einer der Schlüsselspieler, weil er sich auch gegen drei Spieler geschmeidig behaupten und so Räume für Mitspieler öffnen konnte. Sensationell seine Ballbehauptung vor dem 2:0 fast an der Eckfahne, noch wichtiger aber die emsige Arbeit nach hinten mit dem Willen, auch in schmerzhafte Zweikämpfe und Grätschen zu gehen, um Bälle zu erobern. Es kommt auch nicht oft vor, dass er in 90 Minuten 11,34 Kilometer abspult.

Und dann waren da die anderen, die alle mindestens eine Qualitätsstufe höher ablieferten als in den bisherigen Spielen der Saison. Yann Sommer als zupackender Rückhalt, der im richtigen Moment die nötige Prise Glück hatte und mit den Torpfosten im Bunde war. Beim Gegentor sah er zwar etwas unglücklich aus. Eine Mitschuld will ich ihm aber nicht geben, denn der Ball war spät zu sehen und Lewandowski irritierte den Schweizer im letzten Moment wohl entscheidend durch seine Bewegung Richtung Ball. 
Jannik Vestergaard glänzte nicht, aber er schuftete schwer, als Turm in der Abwehrschlacht. Genau wie Denis Zakaria, der dem Spiel heute nicht seinen Stempel aufdrücken konnte, zugleich aber sehr effektiv im Austreten der kleinen Feuerchen war, die die Bayern-Offensive in der Gladbacher Hälfte zu entzünden versuchte.
Dann gab es die Lebenszeichen zweier alter Helden, deren Ruhm zuletzt etwas angestaubt war. Patrick Herrmann setzte gute Akzente im Spiel nach vorn, zeigte keine leichten Fehler wie in den Spielen zuvor. Vor allem ackerte er aber auf seiner Seite toll nach hinten mit, wenn es sein musste, auch mit dem einen oder anderen Foul. Da er in seiner Karriere nur selten die volle Spielzeit erhielt, fallen Kilometervergleiche bei ihm etwas schwerer. Heute lag er nur leicht hinter Stindl zurück: 12,95 km.
Und dann stand heute ein Oscar Wendt auf dem Platz, der in keiner Minute an den fahrigen, fehleranfälligen und überforderten Spieler erinnerte, der in seinem Namen die ganzen Wochen zuvor mehr schlecht als recht auf der Linksverteidigerposition vor sich hin gewurschtelt hatte. Der Oscar von heute war insgesamt 90 plus 9 Minuten auf seine Aufgabe fokussiert, nahm mit Hazards Unterstützung und cleverem Zweikampfverhalten dem Münchner Shootingstar Joshua Kimmich viel von seiner Wirkung. Als Gladbach noch nach vorne spielte, also in der ersten Halbzeit, war er an vielen Angriffen beteiligt. Er sorgte dabei nicht nur auf der Außenbahn für Bewegung, sondern auch, indem er öfter mal in die Mitte zog und damit Wege für Mitspieler auf außen öffnete. Kurz und gut: Das heute war der Oscar Wendt, der zurecht einen Stammplatz in dieser Mannschaft beansprucht.

Besondere Hochachtung verdient der "flexible Block", der sich durch die unvorhersehbaren Schmerzereignisse heute bildete und der seine wechselnden Aufgaben insgesamt hervorragend löste. Mit dem frühen Knockout von Chris Kramer und der Einwechslung von Tony Jantschke übernahm Innenverteidiger Matthias Ginter Kramers Sechserposition und erwies sich da als nicht fehlerfreier, aber äußerst bissiger und unbequemer Zerstörer des Bayernspiels. Dass er beim 2:0 zudem einmal mehr den richtigen Riecher für den richtigen Pltz zur richtigen Zeit bewies, krönte seine Leistung.
Nico Elvedi wiederum rückte von rechts in die Innenverteidigung und zeigte auf beiden Positionen eine kompromisslose und nahezu fehlerfreie Leistung. Tony Jantschke war nicht lang genug auf dem Feld, um heute Heldenstatus zu beanspruchen, doch er half auf seine typische Art mit, den Bayern das Leben schwer zu machen. Fabian Johnson wiederum, der zur Halbzeit für Jantschke kam, zeigte auf der inzwischen für ihn ungewohnten rechten Abwehrseite sein wohl bestes Spiel in dieser Saison.
Wohl dem, der solche verletzungsbedingten Verwerfungen wie heute so reibungslos und so schnell kompensieren kann. Da schimmerte dann Favres Erbe mal wieder durch - seine Wertschätzung für "polyvalente Spieler". Und das war vielleicht auch der kleine Baustein, der schließlich zum ersehnten Erfolgserlebnis gegen den Rekordmeister führte.

Und so nahm ein Spiel, das mit einem Schock begann, dann doch noch eine durchweg erfolgreiche und ermutigende Wende. Als ich die Bilder vom Horrorcrash Vestergaard gegen Kramer sah, war das Spiel für mich eigentlich schon gelaufen. Den gebeutelten Knockout-Spezialisten wieder am Boden zu sehen, zeitweise in der stabilden Seitenlage - da war das Spiel für mich nur noch Nebensache. Schön, ihn dann zum Spielende wieder mit klarem Blick auf der Ersatzbank sitzen zu sehen. Ein toller Typ, den nichts umwerfen kann. Gut, dass wir ihn haben. 
Das bittere Aus von "Fußballgott" Tony Jantschke zur Halbzeit kostet den VfL zwar vorerst erneut eine personelle Option. Doch die tadellose Reaktion der Mannschaft auf diese Widrigkeiten - und die der endlich wieder mal top aufgelegten Fans - macht Mut für die nächsten Spiele. Diese Mannschaft wirft so schnell nichts um. Und das kann in dieser Saison ein unschätzbarer Vorteil sein. Denn die Konkurrenz ist (mit Ausnahme der Bayern, die sich gefangen haben) auch nicht viel stabiler als es die Borussen bislang waren.

Ach ja: Natürlich waren die Bayern ersatzgeschwächt und mussten im Spiel ebenfalls angeschlagene Spieler (James, Bernat) ersetzen. Aber ganz ehrlich: Das ist mir egal, denn auch die Mannschaft, die heute gegen unsere Borussia auflief, war qualitativ und vom Marktwert der des VfL immer noch überlegen. Und in Schiedsrichter Manuel Gräfe hatten sie auch einen kleinen Helfer, der das gefühlte Bundesliga-Gesetz "Im Zweifel für die Bayern" - sicher unbewusst - immer mal wieder bestätigte. Mal beim Dauer-Schubser Vidal, dann bei vielen nicht geahndeten kleinen Fouls vor allem in der zweiten Halbzeit, die Gladbach jeweils ein bisschen Entlastung vom Dauerdruck hätten bringen können. Zum Glück war nichts dabei, das das Spiel nachhaltig beeinflusst hätte.
Es wäre aber auch interessant zu sehen, ob die Szene, in der Hummels den durchgebrochenen Raffael mit einer ganz leichten, aber effektiven Berührung entscheidend aus dem Tritt brachte, bei einer Mannschaft im Tabellenkeller vom Schiedsrichter auch so nonchalant ignoriert worden wäre wie beim Bayern-Nationalspieler. Der Ehrliche ist dann eben doch oft der Dumme - also hier Raffael, der sich nicht gleich mit einem Schmerzensschrei auf den Rasen warf, sondern strauchelnd versuchte, weiterzulaufen. Das hat bei Sky auch Lothar Matthäus, dem ich sonst nicht so oft zustimme, gut erkannt und Raffael zurecht für seine Einstellung gelobt.
  
Aber nachkarten müssen wir heute nicht. Die drei Punkte sind im Sack, die Leistungskurve der Mannschaft zeigt nach oben und das einzige Problem von solchen Favoritenstürzen ist, dass darauf oft auf dem Fuß die Pleite gegen einen vermeintlich kleineren folgt. In dieser Hinsicht können wir aber der nächsten Woche entspannt entgegen sehen. In Wolfsburg war für Gladbach ohnehin noch nie etwas zu holen - egal in welcher Tabellenkonstallation. Wenn sich das ändern sollte, wäre Borussia gleichwohl endgültig unter den Aspiranten für die europäischen Qualiplätze angekommen. Das wäre doch auch was.


Bundesliga, Saison 2017/18, 13. Spieltag: Borussia Mönchengladbach - Bayern München 2:1 (Tore für Borussia: 1:0 Hazard HEM, 2:0 Ginter)

2017-11-18

Licht mit viel Schatten


Wie soll man aus dieser Mannschaft schlau werden? Ich freue mich über drei weitere verdiente Auswärtspunkte. Ich bin begeistert über die raffinierten Spielzüge und die Tore, die Raffael und Co. heute auf den Berliner Rasen gezaubert haben.
Zugleich bin ich ratlos, wo man dieses Team leistungsmäßig einordnen muss, wenn es defensiv doch jederzeit Gefahr läuft, sich ohne Not und trotz Führung in seine Einzelteile zerlegen zu lassen und sich alles zu versauen, was es sich vorher erarbeitet hat.

Dass am Ende die Punkte nach Mönchengladbach gehen, ist - trotz eines unter dem Strich starken Auswärtsauftritts - vor allem der Hertha zu verdanken. Denn die halfen nicht nur bei den ersten drei Toren ordentlich mit. Sie verpassten es auch nach den ersten 20 Berliner Horrorminuten, das Spiel schon zur Halbzeit wieder ausgeglichen zu gestalten. Borussia war in der zweiten Hälfte der ersten Halbzeit bei Standardsituationen in der Abwehr richtiggehend kopflos und auch mit einer 3:0-Führung im Rücken keineswegs mit breiter Brust unterwegs. Kapitän Stindl und seine Mannen bekamen ab da kein kontrolliertes Spiel nach vorne mehr geregelt. Der VfL ließ sich einmal mehr fast bereitwillig tief in die eigene Hälfte schieben, lief zunehmend hinterher und spielte minutenlang völlig planlos aus der eigenen Abwehr heraus, sodass sich das Spiel schließlich fast ausschließlich in der Gäste-Hälfte abspielte.
Das war zu wenig für die eigenen Ambitionen. Und es war vor allem dem aufmerksamen Yann Sommer, dem Pfosten und dem Berliner Schusspech zuzurechnen, dass es in dieser Phase nur einmal im Gladbacher Tor einschlug. Erst nach der 40. Minute befreite sich die Hecking-Elf wieder mit zwei ansehnlichen Kontern, doch mit dem Halbzeitstand war die Mannschaft äußerst gut bedient.

In der zweiten Halbzeit sah das zum Glück wieder stabiler aus, wenngleich auch da die alten Schwächen in der Rückwärtsbewegung und in der Verteidigung immer wieder aufblitzten. Das Anschlusstor fiel allerdings in einer Phase, wo der VfL das Spiel besser im Griff hatte und über eine der zahlreichen Kontersituationen längst hätte entschieden haben müssen. Aber: Trotz des 2:3 wackelte das Team weit weniger als in Halbzeit eins. Und das muss eben auch gesagt werden. Es gibt Fortschritte in der Reifung der Mannschaft. Aber sie kostet Nerven. Vor allem, wenn man stets damit rechnen muss, dass aus einem Ballbesitz, etwa einem Einwurf oder Freistoß in der gegnerischen Hälfte, ein verplemperter Ball und gefährliche Gegenangriffe werden.

Aber genug davon. Es gibt an diesem Spiel ja auch viel zu loben. Was Hazard, Stindl, Zakaria und heute auch wieder Raffael und mit Abstrichen Johnson nach vorne kreieren, genügt höchsten Ansprüchen in der Liga - gemessen erstmal nur an den Spielzügen, nicht an den erzielten Toren. Thorgan Hazard ist schon seit Wochen in einer fantastischen Form, er schießt Tore (wenn auch zu wenige aus dem Spiel heraus), er bereitet viele vor - und inszeniert noch mehr Top-Gelegenheiten, die nicht zu Toren genutzt werden. Der Belgier ist im 1-gegen-1 unheimlich stark geworden, viel zielstrebiger und er setzt andere genauso hervorragend ein, wie er mit ihnen harmoniert. 
Lars Stindl wiederum ist der König des engen Raumes, befreit sich und seine Mitspieler immer wieder ganz exzellent aus Drucksituationen und macht so Türen in der gegnerischen Abwehr auf, die diese selbst noch nicht kannte. Dass Raffael das alles auch kann, wissen wir alle. Heute hat er es auch endlich wieder mehr als ein paar Minuten lang gezeigt. Klassischer "Türöffner" war natürlich der Knaller zum 3:0, mit dem er hoffentlich seinen Frust der vergangenen Wochen mit ins Berliner Tor gefeuert hat.  

Aber das waren noch nicht alle, die ich heute loben will. Denis Zakaria tauchte zwar nach der Pause kurzzeitig etwas unter, doch das, was er bis dahin und danach sowohl als offensiver Taktgeber als auch in der defensiven Balleroberung leistete, war klasse. Besonders toll natürlich, wie er das 1:0 vorbereitete. Doch in dieser Szene meldete sich auch ein anderer zurück, der zwischen solch auffälligen Teamkollegen leicht übersehen werden kann. Fabian Johnson war der hervorragende Doppelpass-Partner, der mit einem perfekt getimten Ball Zakarias Lauf in die Tiefe erst möglich machte. Zudem unterstützte er nach Kräften Oscar Wendt auf der linken Abwehrseite, was angesichts dessen anhaltender Formkrise viel Einsatz erfordert. Zwar zeigte sich der Schwede bissig und er blockte auch ein paar Bälle mehr als zuletzt. Aber das reicht noch nicht. Beim ersten Gegentor wurde er wieder überlaufen, und vieles andere blieb Stückwerk, ebenso übrigens wie bei seinen Verteidiger-Kollegen Vestergaard und Ginter, die heute nicht immer auf der Höhe waren. Warum Oscar heute nun auch noch dazu eingeteilt war, (schlechte) Freistöße zu schießen, hat sich mir auch nicht erschlossen.
Bleiben zwei weitere, die erwähnt gehören. Nico Elvedi durfte mal wieder auf rechts ran. Dabei zeigte er bisweilen zwar Probleme, seine Seite defensiv dicht zu bekommen. Plattenhardt kam gleich mehrfach zu gefährlichen Hereingaben. Doch wie Elvedi offensiv auftrat, war beeindruckend. Er ist auch unter Druck und auf engem Raum ein guter und gesuchter Kurzpass-Partner geworden. Zudem kann er auch mal vehement über seine Seite vorpreschen. Das spricht für ihn und in diesem Fall gegen Tony Jantschke, der diese Qualität bei seinen Einsätzen zu selten gezeigt hat.

Bleibt noch Patrick Herrmann, dem einfach die Spielminuten fehlen, um richtig in den Rhythmus zu finden. Darauf weist der nervöse Beginn mit zwei Fehlpässen hin. Beim 4:2 allerdings zeigte er einmal mehr seine Klasse, leitete den Angriff selbst ein, nahm den abtropfenden Ball von Stindl hervorragend mit und spielte Raffael blendend frei. Ein tolles Tor, auch wenn es Flaco sicher noch mehr Auftrieb gäbe, wenn er mal wieder ein eigenes feiern könnte. Zum Genießen waren die fünf Minuten, mit denen die Comeback-Fähigkeiten von Josip Drmic heute belohnt wurden. Dass er da gleich noch eine unberechtigte Gelbe Karte kassierte, kann das nicht trüben. Ich freue mich für den Jungen, und ich bin froh, dass er wieder auf dem Platz steht. Von sogenannten Borussia-Fans habe ich da leider in der Länderspielpause auch andere Aussagen gelesen.

Jetzt habe ich schon viel geschrieben, aber etwas muss ich doch noch ansprechen. Zum einen das unrühmliche Verhalten einiger Herthaner zum Ende des Spiels. Dass Ibisevic und Kalou alle Register ziehen, um Fouls und Karten für den Gegner zu ziehen, ist ja bekannt. Aber im Frust-Gefühl der nahenden Niederlage mit dem ganzen Körper in Elvedi reinzuspringen und kurz darauf Kramer übel in die Beine zu fahren wie es sich Ibisevic kurz vor Schluss erlaubte, das ist ein schlechter Stil, den der Spieler nicht nötig hat und der auch nicht zum stets sportlich fairen Auftreten seines Trainers passt. So weit, so schlecht. Dem setzte Davie Selke noch einen drauf, in dem er nach dem genannten Foul an Kramer und dem vermeintlichen Foul von Drmic mit Rempeleien und Rumgemotze offensichtlich eine Reaktion und Strafen gegen die Gladbacher Spieler provozieren wollte. Im Gegensatz zu Ibisevic, der wenigstens eine gute Partie gezeigt hatte, war das inszenierte Gerangel das einzige, mit dem dessen junger Sturmpartner an diesem Abend auffallen konnte.

Und: natürlich der Videobeweis. Ich trage mich schon länger mit dem Gedanken, dazu allgemein etwas zu schreiben. Bisher habe ich noch nicht die Zeit dafür gefunden. Heute jedenfalls gab es neuen Stoff dafür. Ich weiß nicht, ob Schiedsrichter Dankert das Handspiel von Rekik gesehen hat und sich nur in Köln rückversichert hat oder ob das Signal aus Köln kam. Es war wieder eine unglückliche Situation. Denn natürlich kann man das Handspiel pfeifen. Aber wenn nicht mal Stindl, dessen Schuss geblockt wurde, Handspiel reklamiert, kann man sich schon fragen, ob man da pfeifen muss. Wäre es so, dass der Videoschiedsrichter Dankert aufmerksam gemacht hätte, wäre es noch schlimmer. Denn dann wäre klar, dass nicht der Schiri auf dem Platz die Entscheidung trifft, denn Dankert sah sich die Szene selbst ja nicht nochmal an.
Genausoi unglücklich fand ich die Szene vor dem 2:3, wo Kalou mit der absichtlich herausgestellten Schulter den Ball mit dem Oberarm weiterleitet. Von der Bewegung her für mich ein Handspiel, auch in der Wiederholung hat sich da für mich kein anderes Bild ergeben. Alle Spieler drumrum reklamieren sofort und heftig, aber der Schiedsrichter schaut auch da nicht selbst auf den Bildschirm, sondern verlässt sich allein auf den Videoschiedsrichter. Selbst gesehen haben kann er diese Szene kaum, möglicherweise konnte der Assistent hier noch einen Eindruck liefern. Aber egal wie man die Szenen selbst bewerten will - die Art und Weise, wie die technischen Hilfsmittel vom Schiri vor Ort wahrgenommen oder nicht genutzt werden, ist schon abenteuerlich. So werden die Diskussionen um die Eingriffe von außen in das Spiel jedenfalls nicht weniger werden.

Aber zurück zu Borussia, die mit diesem Sieg erstmals wieder auf einem der Plätze rangiert, die wir uns auch für den Abpfiff am 34. Spieltag erträumen. Wie passend, dass man das Spiel gegen die Bayern nächste Woche dann medial wieder zum Spitzenspiel hochjazzen kann. Doch wir wissen es besser. Der VfL im Jahr 2017 ist nur unter ganz speziellen Voraussetzungen in der Lage, dem Rekordmeister Paroli bieten zu können. Alles, was keine klare Niederlage ist, wäre daher schon ein Erfolg. Zumindest, wenn man die Borussen-Defensive realistisch einschätzt und sich nicht von der Offensiv-Power blenden lässt, die die Hecking-Elf entfachen kann, wenn man sie lässt. Das immerhin könnte passieren. Denn wenn der FC Bayern Schwächen hat, dann hinten.

Bundesliga, Saison 2017/18, 12. Spieltag: Hertha BSC - Borussia Mönchengladbach 2:4 (Tore für Borussia: 0:1 Stindl, 0:2 Hazard HEM, 0:3 Raffael, 2:4 Raffael)

2017-11-05

Die Wahrheit liegt in der Mitte

Im Fußball gibt es immer mehrere Wahrheiten. Und je nach Fanlager sucht man sich seine liebste Wahrheit meist auch aus. 

- Gladbach kann heute von Glück reden, dass es am Ende einen Punkt im Borussia Park behalten konnte. 
- Der VfL war nach einer indiskutablen ersten Hälfte drauf und dran, die zweite Hälfte von Sinsheim zu wiederholen, der Sieg wäre aufgrund der Leistungssteigerung nach der Pause vollkommen verdient gewesen. 
- Das 1:1 ist das gerechte Ergebnis, weil es nach den gezeigten Leistungen keinem so richtig gerecht wird.

Drei Sätze und drei Interpretationen - jeder von ihnen könnte man heute guten Gewissens folgen.
Klar ist: Borussia hat in der ersten Hälfte einen schlimmen Eindruck hinterlassen, weil die Spieler des bisherigen Tabellenfünften - durch die Bank - mit unverständlichen individuellen Fehlern das Bild eines völlig verunsicherten Tabellenletzten vermittelten, der sich selbst durch Abspielfehler, schlechtes Stellungsspiel oder ungeschickte Zweikampfführung immer wieder selbst in die Bredouille bringt. 
Zugleich war aber der Plan, wie der VfL spielen wollte, sehr gut erkennbar, wurde in Ansätzen auch erfolgversprechend verfolgt. In der zweiten Hälfte, mit der Einwechslung von Kramer, der das Spiel etwas ordnete, entfaltete dieser Spielplan auch seine eigentliche Wirkung. Nur: Der Mainzer Matchplan ging insgesamt heute einfach besser auf.
Wo Gladbach den zirkulierenden Ballbesitzfußball mit den irgendwann einsetzenden überfallartigen Kombinationen in die Spitze einbringen wollte, setzte Mainz auf teils sehr unkonventionelles Pressing schon in der Hälfte der Hecking-Elf. Spieler wie Vestergaard, Jantschke, Zakaria und selbst Ginter ließen sich davon beeindrucken und folglich fanden sie nach vorne zu selten die Räume, die sich durch das aggressive Forechecking im Mainzer Mittelfeld eröffneten. Die Mannschaft bot Mainz ihrerseits jedoch in der Rückwärtsbewegung selbst genau die Räume an, die sie schon gegen Leverkusen, nicht aber gegen Hoffenheim, sträflich geöffnet hatte. Die Mainzer Taktik, so schien es, hatte Heckings Schützlinge auf dem falschen Fuß erwischt.

Zur Halbzeit stand deshalb auch trotz 15 besserer Minuten in der Mitte der ersten Halbzeit ein noch schmeichelhafter Rückstand zu Buche. Durch die Tatsache, dass es noch immer keine klare Linie beim Eingreifen von außen in Videobeweis-Situationen gibt, durfte Borussia auch zu elft weiterspielen, obwohl es nach Studium der Bilder logischerweise Rot gegen Stindl und Strafstoß hätte geben müssen. Gut, Mainz profitierte beim 0:1 auch straflos von Mutos geschickter Behinderung gegen Sommer. Doch dass das Tor voll auf eine amateurhafte Defensivleistung zurückging, mit dem Tiefpunkt in Sommers zögerlichem Eingreifen, wird auch niemand bezweifeln. Dass das 0:2 wegen vorangegangenen Foulspiels zurückgenommen wurde, war auch nicht selbstverständlich, wenngleich korrekt. Gladbach konnte sich vom (Nicht-)Einsatz der technischen Hilfsmittel also auch heute nicht benachteiligt fühlen, auch wenn man sicher über die Bewertung der hoch in die Luft gehaltene, vom Spieler selbst angeschossene Hand Diallos im Mainzer Strafraum noch länger diskutieren könnte. Da auch noch einen Elfmeter zu bekommen, wäre für den VfL heute aber auch ein bisschen zu viel des Guten gewesen.

Nun gut. Wenn ein Spiel so verläuft, muss man als Fan auch mal mit einem solchen Ergebnis zufrieden sein können, finde ich. Und das auch, wenn die Erwartungen vor dem Spiel höher waren - und das ja auch nicht zu Unrecht. Wenn man erkennen kann, dass die Mannschaft zwar will, sich dabei aber selbst immer wieder ein Bein stellt, dann leidet man natürlich als Fan mit, ärgert sich und schimpft. Befremdlich finde ich dennoch, dass ein Teil der Besucher im Stadion die Mannschaft nach dem Schlusspfiff mit Pfiffen verabschiedete.

Ja klar, das Auf und Ab in dieser Saison kostet auch uns Fans viele Nerven. Aber man muss auch die Kirche im Dorf lassen. Wenn ein Gegner sich geschickt verkauft und dabei noch nicht einmal mit Mann und Maus im Strafraum verbarrikadiert, dann sollte man das bei der Bewertung der Leistungen beider Mannschaften auch berücksichtigen. Aufseiten Borussias war heute zwar vieles schlecht. 
Aber es war auch einiges gut. So nervös einzelne Spieler sich durch individuelle Fehler präsentierten - die Mannschaft spielte auch nach dem Rückstand stoisch und geduldig ihr Spiel weiter. Der Lerneffekt vom Tag der offenen Tür gegen Leverkusen ist da, das Team weiß, dass immer noch Zeit genug bleibt, um ein Spiel zu drehen. Und genau dann, wenn sich der VfL dessen bewusst ist, zeigt er auch den besten Fußball. Das war gegen Hoppelheim so. Und auch heute fehlte in der zweiten Halbzeit nicht viel, und Gladbach hätte das Spiel komplett gedreht. 
Raffaels rätselhafte Abschlussschwäche, mancher Haken zuviel bei Hazard, Grifo oder Cuisance, der versemmelte tödliche Pass in den freien Raum - das alles verhinderte heute, dass unter dem Strich mehr stand. Pfiffe gegen das eigenen Team rechtfertigt es meiner Meinung nach nicht.

Man muss gleichwohl kritisieren dürfen, dass die erkannten Schwachstellen im Team derzeit nicht so richtig abzustellen sind. Die linke Abwehrseite ist die Problemzone Nummer 1, fast jeder gefährliche Angriff der Mainzer führte auch heute wieder über Wendts Seite. Das liegt natürlich auch an dem Schweden, der im Moment offenbar im Eins-gegen-Eins nahezu keinen Pass und keine Flanke unterbinden kann. Es liegt aber nicht nur an Oscar. Denn wenn vor oder neben ihm weitere Spieler ihre Form suchen, ist der Vize-Kapitän oft nur das vorletzte Glied in der Fehlerkette. Dennoch ist es offensichtlich, dass auf der Position derzeit eine Alternative für den sympathischen Linksverteidiger fehlt. Das Problem scheint, dass sich dafür weder Johnson noch sonst irgendjemand derzeit empfiehlt. 
Zakaria hat - wie heute - noch erwartbare Schwankungen in seinen Leistungen, auch Ginter konnte nicht vollends überzeugen. Jantschke hat noch Probleme, den Rhythmus zu finden, genauso der heute wieder eingewechselte Herrmann. Cuisance ist noch zu unstet in seinen Aktionen. Grifo ist defensiv noch kein Johnson und auch beim Kapitän ist nicht alles Gold, was glänzt - was man unter anderem an der heiklen Strafraumszene heute und den gelben Karten sieht, die Lars Stindl sich einfängt. Patzt im Gladbacher Verbund einer, bringt er andere oft mit in Schwierigkeiten. Und das bringt das Team mitunter aus dem Tritt.

Das alles macht aus Borussia im November 2017 genau dieses zerbrechliche Ensemble, das furios aufspielen kann, sich aber genauso grandios selbst um den Lohn der Arbeit bringt. Heute war es irgendetwas in der Mitte. Und für den Moment kann ich damit leben. Denn ein Sieg heute hätte uns auf einen Platz katapultiert, der den gezeigten wechselhaften Leistungen in dieser Saison einfach nicht entspricht. Das könnte uns Fans natürlich egal sein. Aber ob es der Entwicklung der Mannschaft wirklich förderlich wäre, steht auf einem anderen Blatt Papier. 




Bundesliga, Saison 2017/18, 11. Spieltag: Borussia Mönchengladbach - FSV Mainz 05 1:1 (Tor für Borussia: 1:1 Vestergaard)