"Niemals geht man so ganz
Irgendwas von dir bleibt hier."
(frei nach Trude Herr)
Man soll gehen, wenn es am schönsten ist. Jeder kennt den Spruch, jeder nimmt es sich vor, danach zu handeln. Aber am Ende kommt es ganz oft dann doch anders. Und das lastet dann oft bleischwer auf der Situation und verstellt den Blick auf das Geleistete, auf das gemeinsame Gute.
Das gilt auch für die Nachricht, die gestern sicher allen, die ein Herz für Borussia haben, tief ins Mark traf. Max Eberl will gehen - nein, er muss gehen, sofort, seiner eigenen Gesundheit zuliebe -, nach 23 Jahren in Gladbach und vor allem nach 13 sehr erfolgreichen Jahren als Manager des Vereins, den er aus trüben Gewässern der Liga wieder dauerhaft ins Licht der ersten Tabellenhälfte geführt hat.
Natürlich hat er das nicht alleine geschafft, aber doch federführend, intern als starker Mann und nach außen als das Gesicht des Vereins. Ein Ehrenmann, dem man vertrauen und auf den man sich verlassen kann. Ganz besonders galt und gilt das, wenn man sich als Trainer oder Spieler dem Verein anschließen wollte oder von ihm umworben wurde.
Max Eberl steht wie kein anderer für den richtigen Riecher, für den Aufstieg des Vereins zu einem der großen Clubs der Bundesliga - einer, der für die Erfolge über den früheren Dauerrivalen FC Bayern steht, für tolle Euro-League- und Champions-League-Abende, für tolle Auswärtsfahrten, an deren Ende man nicht mehr immer fatalistisch singen musste: "Wir fahren weit, wir fahren viel - und wir verlieren jedes Spiel". Dass Borussia sich im Konzert der Großen, mit denen man auf Dauer nicht mithalten kann, immer wieder einen guten Platz ergattern konnte - ohne Max Eberl wäre dies mit ganz großer Wahrscheinlichkeit nicht passiert.
Allein aus diesem Grund ist es Zeit, traurig zu sein, und ja, auch Befürchtungen zu haben. Unsicher zu sein, wie es jetzt weiter geht. Ob zur prekären sportlichen Situation inklusive vieler personeller (Transfer-)Hängepartien jetzt auch noch eine Führungskrise dazukommt? Eine möglicherweise längere Findungsphase, bis jemand das Ruder übernimmt, der in Max' Fußstapfen passt?
Intern könnte es da durchaus Kandidaten geben - ob dies auch eine kurzfristig sinnvolle Lösung wäre, muss sich zeigen. Genausogut kann es gut sein, neuen Schwung und Input von außen zu bekommen. Doch das - und die Frage, ob das alles von jetzt auf gleich funktionieren kann - ist im Moment pure Spekulation.
Was Fakt ist: Es endet jetzt eine Ära, die noch nicht auf ihr Ende vorbereitet war. Es ist eine sehr unglückliche Situation, die zu Max Eberls Rücktritt in dieser schwierigen sportlichen und finanziellen Situation geführt hat. Es hat eine Zeit der Ungewissheit begonnen, und heute vermag niemand zu sagen, wie und wann sie endet.
Anders als Lucien Favres Flucht aus Gladbach hat mich die gestrige Nachricht emotional nicht ganz so heftig umgeworfen. Damals, nach den zarten Erfolgen, der tollen Entwicklung der Mannschaft, brach mit Favres Verlust zunächst für mich eine Welt zusammen. Doch die Jahre danach zeigten das, was auch Max immer wieder betont hat. Niemand steht über dem Verein. Jeder ist zu ersetzen, und das sogar gut. Das gilt natürlich auch für ihn selbst, und das hat er sicher dabei stets mitgedacht.
Die Aussagen auf der Pressekonferenz haben nun verdeutlicht, was der tiefere Grund war und wie dringend Max die Reißlinie ziehen musste, und dass er - gar nicht seine Art - keine Rücksicht mehr darauf nehmen konnte, wie das den Verein trifft, der offenbar manche Zeichen selbst nicht erkannt hat oder, wie es Eberl ausdrückte, auch nicht sehen konnte, weil er im Job nach wie vor funktioniert hat wie bisher.
Das wiederum hat mich ziemlich mitgenommen. Es ist erschreckend, aber auch so wichtig, dass er das "ich kann nicht mehr mehr, mir fehlt die Kraft" so offen angesprochen hat - als Erklärung für sein Handeln, aber mehr noch für viele andere, die ganz ähnlich leiden und für die sich nicht so viele Menschen interessieren wie für den Manager von Borussia Mönchengladbach.
Ja, es war greifbar, dass seit einiger Zeit etwas schief lief am Borussia Park, nicht nur auf dem Fußballplatz. Auch für Beobachter von weit außen - wie ich einer bin, war das zu spüren, wenn auch nicht genau einzuordnen.
Da waren die Entscheidungen, die nicht wie erhofft griffen, seien es die Trainerpersonalien oder die Weiterentwicklung der Jugendabteilung zu einem Fohlenstall, der eigene Toptalente entwickelt und wie erhofft verstärkt in die erste Mannschaft bringt.
Hier scheiterte Borussia in gewissem Maß auch am eigenen Erfolg - die Durchlässigkeit aus der Jugend in ein Team der Spitzengruppe der Liga ist zum Beispiel komplizierter als in einem Team der unteren Tabellenhälfte, die Erwartungshaltung allerorten steigt und damit der Druck. Die Konkurrenz nimmt einen anders wahr und damit ernster, und echte Verstärkungen für einen starken Kader erfordern mehr Geld und/oder mehr Geschick - und oft auch mehr Risiko.
Da war Corona und die daraus folgenden zwei Jahre im permanenten Ausnahmezustand. Da waren einige sichtbare und dann auch die nicht erwartbaren Entwicklungen, die - in Kombination - die Mannschaft aktuell in Abstiegsgefahr gebracht und den Verein um einen Teil der zuvor erarbeiteten Aufbau- und Entwicklungszeit zurückgeworfen haben.
Dass das so ist, daran hat natürlich Max Eberl als Verantwortlicher für den sportlichen Bereich seinen Anteil. So, wie man ihn kennt, würde er dies auch nie zurückweisen. Doch er hat auch zurecht darauf hingewiesen, dass jede Entscheidung, die getroffen wurde - die guten wie die nicht so guten - bitte im Licht der Zeit beurteilt werden müssen, in der sie getroffen wurden. Besserwissen kann man es nachher immer.
Und ohne in Details gehen zu müssen: Jeder der Entscheidungen - für Rose, für Hütter, für oder gegen Transfers, waren für sich gesehen nachvollziehbar und im besten Wissen getroffen - ich würde auch sagen, das gilt selbst im Rückblick, auch wenn es legitim ist, die Entwicklung danach kritisch und die Bilanz zum heutigen Tag ernüchternder zu ziehen.
Gladbach war an einem Punkt, an dem man den Schritt von der Überraschung, vom gut aufgestellten Underdog zum dauerhaften Spitzenclub der Liga schaffen wollte - und auch musste, um Anschluss zu halten. Das ist vorerst nicht gelungen.
Daran haben sich auch schon viele andere Vereine verhoben. Borussia ging aus guten Gründen daher auch nicht ganz in die Vollen, sondern ins gebremste Risiko, zeigte mit der Verpflichtung der damals heißesten Traineraktie aus Salzburg an, dass man es ernst meinte.
Der Rest ist Geschichte, und sicherlich war dies auch der Ausgangspunkt für die Trennung - selbst wenn es sehr viele, teilweise kaum beeinflussbare Faktoren gab und gibt, die dazu geführt haben, dass der Sportdirektor einräumt, dass er im Moment einfach nicht mehr kann. Max Eberl nimmt sich aus gutem Grund nun selbst aus dem Spiel - das ist ihm nicht leicht gefallen, das war auch heute offensichtlich. Aber er nimmt damit zugleich im Idealfall kurzfristig auch Dampf aus dem Kessel, damit bei Borussia wieder ruhiger gearbeitet werden kann. Das das gelingt, ist aber nicht sicher.
Für mich spielt es keine Rolle, wie es im einzelnen zu dieser Entscheidung gekommen ist. Dafür habe ich zu viel Respekt und Sympathie vor der Person Max Eberl und vor den anderen verantwortlich handelnden Personen im Verein. Die Einzelheiten, was war und was schief lief und warum, sind für mich nebensächlich. Die Entscheidung ist gefallen, und sie ist, wie sich gezeigt hat, unabhängig von allen sportlichen Widrigkeiten vor allem für die Person Max Eberl unaufschiebbar gewesen. Die Lehren müssen gleichwohl intern - ehrlich - gezogen werden. Mein Vertrauen ist groß genug, dass der Verein das im Sportlichen schnell und gut hinbekommt.
Ich werde deshalb auch nicht bewerten, was nun und in den kommenden Tagen und Wochen womöglich noch an Gründen und vermeintlichen Interna in Gerüchte-Medien, Fanforen und manchen Blogs ausgebreitet werden wird. Was stimmt und was nicht, was relevant ist, was nicht - dazu fehlt mir fehlt der Einblick in die Details und in die Abläufe im Verein. Also halte ich mich zurück. Es wäre schön, wenn dies auch die scheinheiligen Zeitungen mit den großen Buchstaben ähnlich halten würden. Setzen würde ich nicht darauf.
Nun ist es, wie es ist. Und egal, wie die weiteren Lebens- und Karriereplanungen von Max aussehen: Sie sind zu respektieren, und es ist erst recht selbstverständlich, dies angesichts der offenen und ehrlichen Worte in der Pressekonferenz zu tun. Auch ohne diese Informationen hätte aber niemand das Recht gehabt,
Max Eberls Rücktrittsentscheidung in Frage zu stellen - und außer den üblichen
Social-Media-Krakeelern wird das auch niemand ernsthaft tun.
Ich hoffe, dass Max nun seine Auszeit nutzen kann und wieder lebensfroh mit vollen Akkus zurückkehrt. Ich werde natürlich weinen, wenn ich ihn irgendwann einen anderen, am Ende auch sicher unsympathischen Konkurrenten managen sehen muss. Aber wenn es so weit ist, wünsche ich ihm dafür dennoch Erfolg. Er hat es sich verdient, auch selbst den nächsten Schritt machen zu können. Er hat schließlich bis jetzt vor allem vielen anderen "nächste Schritte" ermöglicht, die nebenbei auch Borussia zu dem Verein gemacht haben, der er heute ist. Das gilt es zu sichern, und das ist ganz sicher auch das, was in Max' Interesse ist.
Ich bin jetzt einfach dankbar. Dankbar, dass er den Mut hatte, die Reißleine zu ziehen, bevor Schlimmeres passiert. Dankbar, dass wir die vergangenen 10 märchenhaften Jahre mit ihm hatten. Dass uns vor allem durch Max Eberl sportliche Sternstunden geboten wurden, dass wir kurzzeitig immer mal wieder an das Fußballmärchen glauben durften. Daran, dass ein kleiner "gallischer" Verein mit ehrlicher und aufrichtiger Arbeit es am langen Ende doch noch schaffen kann, sich dauerhaft unter den ganzen Großkopferten mit ihren Gelddruckmaschinen zu etablieren.
Ihnen vielleicht wirklich mal wieder Paroli bieten zu können, gar einen Titel zu gewinnen. Dies alles - und die Vorstellung davon - hat uns über die Jahre elektrisiert - zumindest ging mir das immer so, trotz der ganzen verabscheuenswürdigen Entwicklungen im Business Profifußball, die mich seit langem beschäftigen und abstoßen.
Mit dem, was Max Eberl auch sonst an menschlichen Werten in diesem Geschäft repräsentiert hat, wie er sich in gesellschaftspolitischen Fragen klar positioniert hat, mit seiner Art, mit Menschen umzugehen, hat er mich noch ein bisschen stolzer gemacht, dass ich als Kind ausgerechnet Fan dieses Vereins geworden bin und ihm auch in den finsteren Zeiten immer treu geblieben bin. Auch die Art, wie er heute aufgetreten ist, hat mich in dieser Meinung nochmals bestärkt.
Ich hoffe, dass auch diese Werte und diese Außenwirkung bei Borussia erhalten bleiben. Unabhängig davon ist es aber auch das, was mir immer meine Hochachtung und meinen Respekt ihm gegenüber erhalten wird.
Alles Gute und danke für alles, Max! Danke! Danke! Und nochmal: Danke! Vor allem aber: Werde schnell wieder gesund und fit, erhol dich von den letzten Monaten, von den letzten Jahren. Mach was Gutes draus und lass die letzten Monate bloß nie die guten Zeiten bei Borussia überdecken. Du bist Borusse, du bleibst Borusse. Es war mir eine Ehre, es war uns eine Ehre!
Und noch was: Obwohl ich dich bisher nie persönlich getroffen habe: Du hast immer einen Platz in meinem Herzen und einen Stein bei mir im Brett! Lott jonn!