Gut gemacht, Borussia!
Die in der letzten Zeit ja nicht immer zu Unrecht kritisierte Vereinsführung hat zügig nach dem Ende der sehr vorzeitig abgebrochenen Ära Daniel Farke einen renommierten neuen Trainer präsentiert und stellt sich dazu auch im Management nachvollziehbar neu, gut und breiter auf als bisher.
In Dr. Philipp Schützendorf und Nils Schmadtke rücken im Scouting und Talententwicklungsbereich zwei Fachleute mit ins Manangement, die sowohl für gute Arbeit bekannt sind als auch den Verein sehr gut kennen. Steffen Korrell kann dadurch weiterhin - wie von ihm selbst offenbar präferiert - im Hintergrund arbeiten. Dass Roland Virkus damit bei manchen Aufgaben entlastet wird, ist ebenfalls gut und wichtig. Wie die Arbeitsteilung genau aussehen wird, muss sich allerdings noch zeigen, zumal es ja auch im Teammanagement einen Abgang gibt.
Dass die Zeit des treuen Spielers und Teammanagers Christopher Heimeroth bei Borussia endet, finde ich schade. Aber ein Urteil darüber kann ich mir nicht erlauben. Ist er ein notwendiges Bauernopfer, wenn Strukturen aufgebrochen und neu aufgebaut werden müssen? Kann man ihm etwas vorwerfen? Ich weiß es nicht. Heimeroth steht für mich für Borussias Weg. Seit 2006 im Verein, ein wichtiger Teil der Mannschaft, egal ob er im Tor stand oder Ersatzmann war, einer, der nicht im Mittelpunkt stehen musste, ein stiller Teamworker - und ein Sympathieträger. Es kann gut sein, dass inzwischen an dieser Stelle andere Qualitäten mehr gefordert sind. Insofern sage ich aus tiefstem Herzen Danke und wünsche "Heimi" alles, alles Gute auf seinem weiteren Weg - ohne die Entscheidung des Vereins zu bewerten.
Doch zurück zum wohl wichtigsten Zugang. Der neue Trainer Gerardo Seoane hat bewiesen, dass er Mannschaften erfolgreich machen kann, und auch sein vorzeitiges Aus in Leverkusen war wohl nicht allein an seinen Fehlern festzumachen. Seoane war auch früher schon einmal mit Borussia in Verbindung gebracht worden, man hat sich also schon länger mit diesem Trainer beschäftigt. Dieser hat vor seiner Zeit als Cheftrainer auch in der Jugendarbeit bewiesen, dass er Spieler entwickeln kann. Das ist ihm im Seniorenbereich dann auch bei Luzern und den Young Boys Bern gelungen, die er dreimal zum Meistertitel in der Schweiz coachte.
Er ist also durchaus ein Trainer, der zu Borussia passen könnte und sollte - noch mehr jetzt, wo die Rückkehr zum "Borussia-Weg" in keiner Wortmeldung von Roland Virkus mehr fehlt. Darunter ist die verstärkte Förderung der Durchlässigkeit in den Erstliga-Kader für Talente aus der eigenen Jugend zu verstehen, aber auch die Entwicklung von externen Transfers junger Spielern wie Ullrich von Hertha oder Ranos vom FC Bayern II. Nicht zu vergessen, dass da auch noch Rohdiamanten wie Luca Netz und Joe Scally weiter zu schleifen wären.
Die Trennung von Daniel Farke deutet darauf hin, dass man speziell diese Aufgabe diesem Trainer nach den Erfahrungen der abgelaufenen Saison nicht mehr zugetraut hat und sich daher in der Einschätzung, dass man mit Farke über mehrere Transferperioden etwas tragfähig Neues aufbauen könne, korrigiert hat.
Das wäre nachvollziehbar, denn die über Corona und die nicht so erfolgreichen letzten drei Jahre erheblich abeschmolzenene finanzielle Fettschicht erfordert auch einfach günstigere Lösungswege, um den Kader zu erneuern.
Borussia steckt seit vielen Jahren viel Geld in den Nachwuchs und bringt auch immer wieder vielversprechende Talente hervor. Gerade jetzt scheint es in den U17 bis U23-Jahrgängen eine Reihe von Spielern zu geben, die das Zeug für die Bundesliga haben. Genau daran haperte es in den vergangenen Jahren aber zu oft.
Borussia bildete gut aus, ein paar schafften es auch in den Kader oder feierten gar ihr Bundesliga-Debüt. Doch außer dem jetzt in England beheimateten Jordan Beyer ist in den vergangenen fünf Jahren keiner aus dem Fohlenstall wirklich nah an den Status Stammspieler herangekommen. Die meisten Internatsabsolventen landen letztlich in den Ligen drei und vier, vielleicht auch mal in der 2. Bundesliga oder einer der schwächeren ausländischen Ligen - was im übrigen absolut nicht abwertend gemeint ist. Auch das ist eine Riesenleistung von Spielern und Trainern. Und man darf auch nicht vergessen, dass der Weg in einen Euro-League-Kader nochmal erheblich schwieriger ist als in einen Kader, der in der Bundesliga gegen den Abstieg spielt, so wie es bei Tony Jantschke und Patrick Herrmann damals war.
Vor allem für Jan Olschowsky, Yvandro Borges Sanchez und Rocco Reitz wird es in den kommenen zwei Jahren aber darum gehen, den Sprung in Borussias Erstliga-Stammkader zu schaffen, und möglicherweise kommt da der eine oder andere hoffnungsvolle Spieler aus den jüngen Jahrgängen dazu. Gerardo Seoane und auch Roland Virkus werden sich daran messen lassen müssen, wie erfolgreich es Ihnen gelingt, diesen Part des Borussia-Weges zu gestalten. Bis man auf diese Spieler für die erste Mannschaft bauen kann, wird es aber vermutlich noch ein, zwei, drei Jahre dauern. Das bedeutet, es muss zuvor auch eine personelle Veränderung gemanagt werden, die nicht zu unterschätzen ist.
Dass Daniel Farke in der vergangenen Saison zu wenige dieser jungen Spieler ins Spiel brachte, hatte durchaus Gründe. Einerseits die Frage, ob die Qualität über längere Saisonphasen ausgereicht hätte, um das Ziel nicht zu gefährden, möglichst lange im einstelligen Tabellenbereich die Tuchfühlung zu einem der europäischen Wettbewerbe zu halten. Denn auch wenn die Ziele am Ende der Saison immer bescheidener geplant dargestellt wurden, war genau das die Zielsetzung für die genannte Tabellenspanne 7 bis 12. Dass Farke in der nicht immer komfortablen Situation auch darauf achtete, dass er erstmal für seine eigenen Arbeit buchstäblich Pluspunkte sammeln konnte und deshalb mehr auf die auf dem Papier stärkste Formation setzen würde statt auf die Abteilung "Jugend forscht", ist nichts wirklich Überraschendes.
In dieses Dilemma könnte im Prinzip auch Gerardo Seoane je nach Saisonverlauf geraten. Ihm kommt immerhin jetzt der hoffentliche Lernprozess von Roland Virkus zugute. Und die Tatsache, dass der Umbruch im Kader so erheblich sein wird, dass die Qualität von Thuram, Bensebaini und Co. qualitativ voraussichtlich nicht sofort 1-zu-1 zu ersetzen sein wird.
Auch wenn wir noch nicht wissen, welche Neuzugänge noch kommen werden: Niemand, der die vergangenen Jahre realistisch und aufmerksam verfolgt hat, kann von der Borussia 23/24 vor diesem Hintergrund sofort eine Euro-Qualifikation erwarten.
Wenn alles gut läuft, ist das sicher nicht ausgeschlossen. Es ist aber sehr viel wahrscheinlicher, dass es nicht so sein wird. Es ist sogar gut denkbar, dass die Seoane-Elf auch mal in Kontakt mit den hinteren Plätzen kommt und sich da wieder rauskämpfen muss.
Dafür ist auch Geduld von uns Fans (aber auch im Management) gefordert. Die Erfahrung des Trainers lässt mich hoffen, dass eine solche Phase für ihn zu handeln ist. Und vom Verein erwarte ich, dass er dem Trainer diesmal die notwendige Zeit dafür einräumt.
Ich denke - nach den ersten Eindrücken bei der Pressekonferenz -, dass der neue Trainer qualitativ und von der Erfahrung her alles mitbringt, worauf es für die "neue Borussia" in den nächsten zwei, drei Jahren ankommen wird. So wie im übrigen die vorhergehenden Trainer unter anderen Rahmenbedingungen wahrscheinlich auch.
Doch Gerry Seoane allein kann auch nicht zaubern. Ein Trainer allein ist kein Grund zum Jubilieren oder gar vor Begeisterung ausflippen. Denn die größte Baustelle ist die Mannschaft, von der wir noch nicht ansatzweise wissen, wie sie ab 18. August in die neue Saison startet.
Auch wenn einige der Abgänge zuletzt durchaus manch berechtigte Kritik abbekamen: Mit Thuram, Bensebaini und Lars Stindl gehen drei Spieler, die allein die Hälfte der Tore der vergangenen Saison erzielt haben (27 Tore/14 Assists). In der Saison zuvor waren diese drei zusammen mit Embolo und Zakaria für 20 Tore und 12 Assists zuständig, wobei Zak nur eine halbe Saison für Borussia spielte und die anderen durch diverse Verletzungen häufiger außen vor waren.
Die einzigen Spieler, die unter Hütter und Farke deutlich zweistellig scoren konnten, waren Jonas Hofmann in beiden Saisons und Lasso Plea (unter Hütter). Um Plea ranken sich ebenfalls derzeit Wechselgerüchte, Jonas Hofmann scheint den Weg weiter in Gladbach mitgehen zu wollen. Doch auch er wird seit der letzten Vertragsverlängerung eine Ausstiegsklausel im Vertrag verankert haben, sodass Borussia ähnlich wie bei Jordan Beyer im Ernstfall keine Verhandlungsposition hätte.
Er gilt für das Team Virkus also nun, diese Tore, Vorlagen (und vorletzten Pässe) aus dem eigenen Kader (etwa durch einen wieder aufblühenden Flo Neuhaus) oder von außen gleichwertig zu ersetzen - bei überschaubarem finanziellen Spielraum. Das ist möglich, aber wenn es auf Kosten weiterer Transfers (Koné, Elvedi, Plea) gehen würde, müssten eben auch dort tragfähige Lösungen gefunden werden. Ob das mit einem oder mehreren der vielen Namen, die im Moment als mögliche Neuzugänge gehandelt werden, möglich wäre, vermag ich nicht zu sagen.
Das Vertrauen in Gladbachs Scoutingabteilung ist weiterhin groß genug, um da entspannt zu sein. Aber das Entscheidende ist und bleibt im Transfergeschäft das Geld. Damit muss auch Borussia immer wieder klarkommen.
Wer sich das alles also nüchtern anschaut, erkennt leicht, warum es derzeit bei Borussia bei allem Vertrauen in handelnde Personen keinen Grund für überzogene Erwartungen oder begeisterte Aufbruchsstimmung geben kann. Hoffnung ja. Gewissheit oder einen Hype um die neue Borussia - Stand heute - sicher nicht.
Denn einerseits haben die Entwicklungen unter den letzten drei Trainern ihre Spuren in der Fanseele hinterlassen und ein gesundes Misstrauen ist aufgrund dessen gerechtfertigt.
Andererseits ist in diesem Sommer ja auch nicht nur eine Mannschaft wieder auf die normale Kaderstärke zu "ergänzen", sondern komplett in ihrer Gruppenhierarchie neu zu sortieren und vor allem, wieder zu einer charakterlich belastbaren Einheit zu formen, die die eine oder andere vorhandene Schwäche dann gemeinsam auch wieder auszubügeln versteht - und natürlich bereit ist, dafür ein paar "Extrameilen" zu gehen.
Das braucht vermutlich Zeit und Geduld, es wird Rückschläge und Enttäuschungen beinhalten. Und es ist spätestens in diesem Jahr ein unumgänglicher Weg. Daher benötigt es umso mehr auch die Resilienz und starke Nerven von uns Fans - und vielleicht nicht so viele Extremausschläge auf der Beurteilungsskala unseres Teams wie zuletzt.