2017-07-23

Viel Luft nach oben

Aus Spielen in der Vorbereitung auf die neue Saison sollte und darf man nur eingeschränkt Schlüsse auf das wahre Leistungsvermögen der Mannschaft ziehen. Da treffen unterschiedlich trainingsbelastete Teams aufeinander, es geht noch nicht um die Wurst, Verletzungen will jeder auch nach Möglichkeit vermeiden. Es ist eben ein Testspiel und nicht der Ernstfall. Doch dass bei Borussia drei Wochen vor dem Pokalspiel gegen Rot-Weiß Essen noch viel Luft nach oben ist, ist unbestreitbar - und das macht zum jetzigen Zeitpunkt ja auch noch nichts.

Nun gut, dank der bescheidenen Übertragungsqualität von Fohlen TV in den Spielen gegen Wuppertal und Eupen und einer urlaubsbedingten "Fohlenpause" meinerseits im Anschluss kann ich vor allem das 1:2 im Testspiel in Nürnberg zum Abschluss des Trainingslagers bewerten. Denn angesichts dessen, was ich sonst über die Tests gegen Nizza und Leeds sowie über den Telekom-Cup gelesen und gesehen habe, habe ich es mir gespart, diese Spiele noch mal im Ganzen "nachzuarbeiten". Auffällig war auch da aber schon, dass Borussias (wenigen) Tore ausschließlich Standards oder Einzelaktionen entsprangen und die spielerische Bilanz bei herausgespielten Chancen eher bescheiden ausfiel.
Eine Beobachtung, die das Spiel gegen Nürnberg bestätigt hat. Die erste Halbzeit war nach dem frühen Tor durch Zakaria (nach Hazard-Freistoß) im Gegenteil ein Beispiel dafür, wie man dem VfL ziemlich effektiv begegnen kann.
Nürnberg gelang es immer wieder, durch aggressives Anlaufen der Ballverteiler im Mittelfeld den Gladbacher Spielfluss effektiv zu unterbinden und den Ball zurück zum Abwehrspieler oder Torwart zu provozieren. Die Startelf, die ja durchaus schon Stammelf-Qualität hatte, fand keine spielerischen Lösungen dagegen: kein schnelles Kombinationspiel, keine erfolgreichen Flankenläufe, kein direktes Spiel durch die Mitte, keine langen Bälle hinter die Abwehr. Offensiv fand der VfL gegen einen kurz vor dem Saisonstart stehenden Gegner nicht statt. Angriffsbemühungen wurden in der Regel früh abgebrochen und durch den kapitulierenden Pass zurück das gesamte Spiel entschärft.
Der Club hingegen zeigte nach vorn sehr deutlich, wie man es machen muss. Schnelle, kompromisslose Pässe in die Spitze, gute Konter - es war allein dem gut aufgelegten Yann Sommer und der Schludrigkeit der Nürnberger Stürmer zu verdanken, dass die Niederlage nicht höher ausfiel.

Nach der Pause schien sich das Spiel des VfL mit der Einwechslung der jungen Wilden Cuisance und Benes etwas zwingender zu gestalten, auch Grifo und Herrmann brachten mehr Belebung ins Spiel als es zuvor Hofmann und Traoré gelungen war. Doch das hielt auch nur eine Viertelstunde an.
Gerade bei den jungen Spielern (auch bei Zakaria und in der ersten Hälfte bei Reece Oxford) schlichen sich viele Fehler ein, die darauf zurückzuführen waren, dass sich die Spieler zu sehr auf ihre Fähigkeiten verließen und teilweise zu optimistisch in Zweikämpfe mit gestandenen Zweitligaspielern gingen, die bereits bei fast 100 Prozent in der Saisonvorbereitung stehen. Diese Ballverluste zeigten, dass es bei einigen Akteuren bei aller vorhandenen Klasse noch ein Stück ist bis zur Stammelf für den Ernstfall. Die zweite Halbzeit bot zwar einige Torabschlüsse des VfL, aber insgesamt zu wenig zwingendes; und das, obwohl Dieter Hecking schnell auf Dreierkette (Elvedi, Strobl, Jantschke) umstellte und Fabian Johnson, der nach der Pause auf der Wendt-Position begann, als zusätzliche Kraft ins Mittelfeld schob.
Natürlich merkte man allen Spielern an, dass sie im Gegensatz zu den Gastgebern ein forderndes Trainingslager in den Knochen hatten. Doch auch einige Routiniers blieben darüber blasser als erwartet - etwa Raffael, Johnson, Traoré und Hofmann. Insgesamt bot das Spiel also viele Ansatzpunkte für das, was in den kommenden Wochen noch verbessert werden muss. Denn so viele Chancen wie die Nürnberger an diesem Tag werden andere Teams in der Saison nicht auslassen.

Mein vorläufiger Eindruck der Neuen (und Nachrückenden) bezieht sich auf die bisherigen Testspieleindrücke, sollte also auch entsprechend vorsichtig gewichtet werden:

Vincenzo Grifo: Stammelfkandidat, aufgrund seiner Standards und der guten Einbindung ins Spiel nach vorn hat er aus meiner Sicht derzeit die Nase vorn, vor den bislang noch steigerungsfähigen Hofmann und Johnson.

Denis Zakaria: Drückt dem Spiel schon seinen Stempel auf, verlässt aber gerade mit dem Rücken zum angreifenden Gegner sehr stark auf seinen Körper, das kann gefährliche Ballverluste zur Folge haben. Nach vorne mit guten Ballschleppereigenschaften, die Pässe in die Spitze zeigen Übersicht, sind aber oft unsauber gespielt. In manchem ungeschickten Zweikampf (Foul) drohte ihm gegen Nürnberg (bei einem Pflichtspiel) eine Gelbe Karte. Er muss sich steigern, sonst könnte ihm ein risikobewussterer Spieler wie Strobl vorgezogen werden.

Laszlo Benes: Hat aus der vergangenen Saison einen Bonus, er könnte auch Zakaria auf der Sechserposition verdrängen. Dazu muss er aber cleverer spielen als in Nürnberg, wo er oft zu viel zeigen wollte, anstatt die einfache Lösung zu suchen.

Reece Oxford: Spielt mit viel Selbstbewusstsein, den Nachweis der zugehörigen Klasse bleibt er in manchen Situationen aber noch schuldig. Gegen Nürnberg verlor er bisweilen den Gegenspieler aus den Augen und spielte den einen oder anderen schwachen Pass im Aufbauspiel. Insgesamt aber ein ordentliches Auftreten, im direkten Zweikampf gute Lösungen. Dennoch: Oxford wird es schwer haben, an einem Matthias Ginter vorbeizukommen, wenn er nicht insgesamt fokussierte wird.  

Mickael Cuisance: Traut sich viel zu, hat eine hervorragende Ballbehandlung und schon einen guten Körpereinsatz. Allerdings geht auch vieles noch daneben - Dribblings werden gestoppt, Pässe gehen ins Leere. Derzeit für mich noch kein Kandidat für die Startelf, lernt aber offenbar sehr schnell dazu.

Kwame Yeboah: Alternative aus der U23. Hat wohl eine gute Vorbereitung gespielt, Hecking hat ihm bisher viel Spielzeit gegeben. Gute Bewegungen im Angriff, aber Torgefahr bzw Knipsermentalität konnte er nicht nachweisen.

Julio Villalba: Bisher mit wenig Spielzeit, kaum seriös zu bewerten. Da ihm bei den Einwechslungen Yeboah vorgezogen wurde, braucht er offenbar noch ein bisschen Anlaufzeit.

Und sonst? Matthias Ginter und Mamadou Doucouré haben noch nicht ins Spielgeschehen eingegriffen, Ba-Muaka Simakala spielt derzeit keine Rolle im Kader, er blieb auch in Nürnberg ohne Einsatz.

Das bedeutet, dass meine momentane Startelf für den Saisonauftakt derzeit noch stark der der vergangenen Saison ähnelt:

Sommer - Wendt, Vestergaard, Ginter, Elvedi (Jantschke) - Grifo, Zakaria, (Strobl, Benes), Kramer, Hazard (Herrmann, Traoré) - Stindl, Raffael.

Ich bin gespannt, wie sich der Kampf um die Positionen bis zum 11. August in Essen weiterentwickelt. Luft nach oben haben schließlich alle.

2017-07-12

Kommen und Gehen

Es tut sich doch noch einiges in Borussias Kader. Mit dem doch etwas überraschenden Abgang von Nico Schulz nach Hoffenheim wird allerdings nicht nur wie angekündigt der Kader noch etwas verschlankt. Auf der Kippe steht nun immer deutlicher auch der Verbleib von Timothee Kolodziejczak. 
So oder so wäre der VfL damit auf der linken Abwehrseite zu dünn besetzt. Also wäre dort auch wieder ein Zugang vonnöten sein, auch wenn Trainer Hecking auf Fabian Johnsons Vielseitigkeit verweist und darauf, dass auch er als Linksverteidiger auflaufen könnte. Sich darauf zu verlassen, wäre angesichts der vergangenen Verletzungssaison allerdings fahrlässig. 
Sollte Allrounder Johnson ausfallen, fällt er nämlich gleich als Alternative für mehrere Positionen aus: Rechts- und Linksverteidiger, linkes oder rechtes Mittelfeld bzw Flügelstürmer; denkbar ist er auch noch als eine von zwei Spitzen. Die besten Spiele zeigte der US-Amerikaner bei Borussia allerdings links offensiv. Allein deshalb ist es fraglich, ob Borussia wirklich mit Johnson als einzigem Wendt-Backup in die Saison gehen würde. 
Da man über die Leistungsstärke von Kolo derzeit nur spekulieren kann und diverse Aussagen für einen Wechsel sprechen, sehe ich in diesem Fall auf jeden Fall Handlungsbedarf auf der Wendt-Position. 

Ob der Liverpool-Reservist Alberto Moreno eine ernsthafte Alternative sein könnte, ist schwer zu sagen. Grundsätzlich ist er teuer, im Gehalt wie in der Ablösesumme, sodass eine Leihe am ehesten realistische wäre. Positionstechnisch deckt er genau das Spektrum von Nico Schulz ab, wäre also in dieser Hinsicht ein 1:1-Ersatz, der sich sicher nicht hinter Wendt anstellen möchte, der beim Trainerteam bislang unangefochten Nummer 1 auf der Position zu sein scheint - trotz der guten Leistungen von Nico Schulz, der zum Saisonende deutlich mehr Druck und Geschwindigkeit auf die Seite gebracht hatte. Aus diesem Grund nehme ich den Wechsel von Nico Schulz auch als Verlust wahr.

Der zahlenmäßigen Verkleinerung der Mannschaft fällt nach Korb, Hahn, Nico Schulz und Sow nun auch noch Marvin Schulz zum Opfer. Ob sein Wechsel in die Schweiz für Borussia ein Verlust ist, lässt sich kaum sagen, da der junge Verteidiger durch Verletzungen mehr als ein Jahr weg vom Fenster war.
Schade ist aber, dass Borussia ausländischen Talenten wie Doucouré oder Reece Oxford mehr zutraut als langjährig in Mönchengladbach ausgebildeten Eigengewächsen wie dem in der ersten Liga ebenso erfahrenen Marvin Schulz. Schade, dass diese Spieler dann auch nicht mehr verliehen werden können, sondern gleich ganz wechseln. Bitter ist das für den VfL in einem Fall wie Amin Younes, wenn der Spieler den Durchbruch woanders schafft. Dennoch drücke ich den Abgängen natürlich die Daumen, dass sich der Wechsel für sie lohnt. Denn bisher haben sie auch alles für unseren Verein gegeben. 
Und immerhin: Im Gegensatz zu früher werden die Spieler zu vernünftigen Preisen abgegeben. Ich kann mich noch gut an Zeiten erinnern, wo Borussia Schwierigkeiten hatte, für ausrangierte Spieler einen zahlenden Kunden zu finden und sogar Verträge teuer auflösen musste, um Spieler vom Kaliber Wesley Sonck und Bernd Thijs wieder loszuwerden. 
Heute sieht das etwas anders aus. Für die Spieler, die bis jetzt gegangen sind, kassiert Gladbach zumindest nicht weniger, als man ausgegeben hat - auch wenn man sich von dem einen oder anderen mehr erwartet hatte. Auch wenn Kolo noch geht, wird sich der mögliche Verlust in Grenzen halten. Ein großes Missverständnis wäre es dennoch gewesen. Auch ich hatte mir von dem Franzosen deutlich mehr erwartet, als er bisher zeigen konnte.

Mit den Abgangs-Nachrichten aus dieser Woche kommt der VfL der Soll-Größe des neuen Kaders auf jeden Fall schon recht nahe. Offen ist noch der Status von Ba-Muaka Simakala, dem in der Vorbereitung bisher andere U23-Spieler wie Kwame Yeboah vorgezogen werden. Tsy-William Ndenge soll verliehen werden, aber bislang ist noch kein Vollzug gemeldet worden.

Und dann ist da noch die ewige Stürmerfrage. Der vielgeforderte "Knipser" ist ein Phantom, das kontinuierlich und unausrottbar durch sämtliche Gladbach-Foren geistert. Mag sein, dass noch jemand verpflichtet wird - aber sicher keiner, der eine Torgarantie mitbringt. Die sind derzeit nicht zu bezahlen. Und wer weiß, vielleicht spielt sich ja einer aus den eigenen Reihen noch in den Vordergrund. Wenn nicht, ist Borussia offensiv trotzdem gut genug ausgerüstet, um gegnerische Abwehrreihen das Fürchten zu lehren. Aber noch ist das letzte Wort da ja nicht gesprochen. Und das hält die Spannung bis zum Saisonauftakt auch immer schön hoch.
 
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Der derzeitige Profikader:
Tor: Yann Sommer, Tobias Sippel, Moritz Nicolas, Christofer Heimeroth.
Abwehr: Mamadou Doucouré, Nico Elvedi, Tony Jantschke, Jannik Vestergaard, Oscar Wendt, Timothee Kolodziejczak, Reece Oxford, Matthias Ginter.
Mittelfeld: Lazlo Benes, Patrick Herrmann, Jonas Hofmann, Fabian Johnson, Christoph Kramer, Tobias Strobl, Ibrahima Traore, Denis Zakaria, Vincenzo Grifo.
Angriff: Josip Drmic, Thorgan Hazard, Raffael, Lars Stindl, Julio Villalba.


2017-07-04

Der Wert des Rekordzugangs

Da ist er nun, der neue Rekordtransfer von Borussia Mönchengladbach: Matthias Ginter wechselt, so heißt es, für 17 Millionen Euro von Dortmund zur wahren Borussia, Bonuszahlungen könnten den Betrag demnach auf insgesamt 20 Millionen Euro steigen lassen.
Natürlich wird heiß diskutiert, ob das nun ein gutes Geschäft ist oder unser Max nun den Verstand verloren hat, so viel Geld für einen Spieler auszugeben, der auch beim BVB nicht unumstritten war.
Ja, 17 Millionen Euro sind viel Geld. Und Ginter ist auch mir in der vergangenen Saison  nicht als so herausragend in Erinnerung, dass ich ihn für die neue Saison unbedingt auf dem Zettel hätte haben müssen.

Was können wir also erwarten? Eine einfache Antwort darauf gibt es nicht. Ich bin mir noch nicht sicher, ob Matthias Ginter die hohen Erwartungen erfüllen kann, die mit dem Etikett Rekordtransfer verbunden sein werden. Ich traue es ihm aber zu. Und dafür gibt es eine Reihe von Gründen.

Fest steht, dass der VfL an kaum einem Spieler so oft dran war wie an dem vielseitigen Defensivakteur. Bei dessen Wechsel von Freiburg zog Gladbach schon einmal den kürzeren, seither gab es mindestens zwei vergebliche Versuche, ihn der Namenscousine abzukaufen oder ihn zumindest zu leihen. Wenn man der Scoutingabteilung und Max Eberl vertraut, spricht das für Ginters Entwicklungsfähigkeit.

Auch die nackten Zahlen sprechen für ihn. Mit 23 Jahren hat Ginter schon sechs Bundesligasaisons mit 137 Spielen hinter sich und dazu knapp 30 europäische Einsätze in CL und Euro League. Die meisten dieser Spiele hat er auch über die komplette Distanz bestritten, er ist kein Minutensammler von der Auswechselbank.
Die Liste seiner Erfolge klingt noch besser. Er ist Mitglied des Weltmeisterkaders von 2014 (wenn auch ohne Einsatz), als Stammspieler aber Confedcup-Sieger 2017, Olympiazweiter 2016 und Teilnehmer an einer (nicht so erfolgreichen) U21-EM 2013. Er ist aktueller DFB-Pokalsieger und stand mit Dortmund noch zwei weitere Male im Finale in Berlin.

Ein unschätzbarer Vorteil (auch im Vergleich mit Christensen) ist gerade in diesem Jahr (ohne EL-Teilnahme), dass der Neuzugang gleich drei Positionen auf gehobenem Bundesliganiveau beherrscht: Neben der Innenverteidigung ist das die Rechtsverteidigerposition (in der Hinserie 2015 gelangen ihm dort in 12 Spielen 2 Tore und 7 Assists) und das defensive Mittelfeld. Es wird - gerade nach der Verletzungsmisere in der vergangenen Saison - sicher eine Rolle gespielt haben, dass auch der Abwehrmann X genau dieses Profil des "polyvalenten Spielers" erfüllt.

Und der Preis? Normal für irre Zeiten.
Zum Vergleich: Für den weitaus unerfahreneren Andreas Christensen wären auf jeden Fall mehr als 20 Millionen Euro fällig geworden, für Janik Vestergaard, der in der Bundesligaerfahrung eine etwa gleichwertige Bilanz hat, aber weniger internationale Meriten sammeln konnte, überwies Borussia im vergangenen Jahr wohl 12,5 Millionen Euro. Dazwischen sortiert sich Ginters Transfersumme eigentlich ganz vernünftig ein, wie ich finde.
Denn man darf die allgemeine Entwicklung der Transfersummen auch nicht außer Acht lassen. So wie Ginter beim Wechsel von Freiburg nach Dortmund aufgrund des Interesses mehrerer Vereine mit 12 Millionen Euro schon recht teuer war, muss man für einen jungen, noch entwicklungsfähigen Spieler mit seinem Standing heute bereits die 20-Millionen-Grenze in Kauf nehmen.
Zumindest, sofern es keine Ausstiegsklausel zu nutzen gibt. Die gab es in diesem Fall wohl nicht, sodass Dortmund auch keine Not hatte, ihn verkaufen zu müssen. Dazu hatten offenbar auch englische Clubs ihr Interesse hinterlegt, was einen Spieler noch nie billiger gemacht hat.

Bei einem 23-Jährigen ist das Risiko auch in dieser Preisklasse noch überschaubar, wie ich finde. Entwickelt er sich wie erwartet, steigert er als Nationalspieler seinen Marktwert möglicherweise weiter und verhilft Borussia möglicherweise mit zu zusätzlichen Einnahmen in EL oder CL. Und in drei Jahren (ein Jahr vor Vertragsende) müsste im Fall einer guten Bilanz des Spielers ein marktgerechter Preis mit mindestens kleiner Steigerung auch noch realistisch sein.

Dass Ginters Stern bei Borussia verglühen könnte, ist jedenfalls nicht zu erwarten. Das Vertrauen in ihn ist seit Jahren sichtlich da, bei allen Trainern von Tuchel bis zu den diversen DFB-Auswahlen. Er scheint von der Art gut in die Mannschaft zu passen und sollte sich demnach auch so wohl fühlen, dass er bei uns gute Leistungen abrufen kann. Ich hoffe natürlich, dass ihm dies gleich gelingt. Und: Dass ihm auch von den Fans die nötige Zeit gegeben und Geduld geübt wird, falls am Anfang noch nicht alles glatt läuft. Auch Janik Vestergaard hat schließlich ein bisschen gebraucht, um im Gladbacher Spiel richtig anzukommen.

2017-07-02

Fast komplett - wer wird das neue Mentalitätsmonster?

Es geht wieder los. Zum Trainingsauftakt sind bei Borussia wieder die meisten Personalien geklärt und es lohnt sich, mal einen genaueren Blick auf den neuen Kader zu werfen. 
Der sollte verkleinert werden, Top-Talente aus Europa nach und nach in den Kader eingebaut und weiterentwickelt werden. Bislang ist zumindest die Sollzahl von 24 Spielern noch nicht erreicht. Nach meiner Zählung steht der VfL bei 27, wenn man den avisierten erfahrenen Abwehrmann dazuzählt (und Heimeroth nicht mitzählt). Und je nach Gelegenheit könnte ja auch im Angriff später noch einer dazukommen, wie Max Eberl im Interview mit der Rheinischen Post andeutete. Hier sind also noch nicht alle Fragen beantwortet.

Wie sieht Borussia 2017/18 im Moment aus?
 
Tor: Yann Sommer, Tobias Sippel, Moritz Nicolas, Christofer Heimeroth.

Die Rangfolge bei den vier Goalies ist klar. Heimis Karriere klingt aus, er wird den jungen Nicolas noch anleiten können. Sommer ist klare Nummer 1, Sippel überzeugte stets bei seinen (wenigen) Einsätzen. Hier ist der VfL zukunftssicher und gut aufgestellt. 




Abwehr: Mamadou Doucouré, Nico Elvedi, Tony Jantschke, Nico Schulz, Jannik Vestergaard, Oscar Wendt, Thimothee Kolodziejczak, Reece Oxford und der bundesligaerfahrene "Mister X" (alias Matthias Ginter?).



Hier verliert Borussia die Qualität von Andreas Christensen und auch die von Julian Korb, der sich gleichwohl unter Hecking nie in die Nähe der Stammelf spielen konnte. Ich wünsche ihm, dass er sich in Hannover besser ins Szene setzen kann, ich mochte ihn als kombinationsstarken Verteidiger. Kolo war schon im Winter als positionsgetreuer Ersatz von Alvaro Dominguez geholt worden, er muss nun zeigen, dass er in Gladbach eine Rolle spielen kann. Vestergaard ist gesetzt, und wenn die Spekulationen um Ginter stimmen, wäre das eine solide Basis, zumal auch Strobl für die Innenverteidigerposition in Frage kommt. Für die Linksverteidigerposition gibt es drei Alternativen (Wendt, Nico Schulz, Kolo), genauso für rechts (Elvedi, Jantschke, Fabian Johnson), um die beiden Plätze innen konkurrieren (links) Vestergaard, Kolo, und Doucouré und (rechts) Jantschke, Strobl, Oxford sowie gegebenenfalls Elvedi, Strobl und im Fall des Falles Ginter, der auch als (Ersatz-)Rechtsverteidiger in Frage käme.
 





Mittelfeld: Lazlo Benes, Patrick Herrmann, Jonas Hofmann, Fabian Johnson, Christoph Kramer, Tobias Strobl, Ibrahima Traore, Denis Zakaria, Vincenzo Grifo.





Tsiy-William Ndenge und Marvin Schulz sollen noch verliehen werden, den Verkauf von Djibril Sow bedauere ich schon etwas, aber auch er hatte wenig Chancen, sich beweisen zu können. Ob das in dieser Saison besser geworden wäre, ist schwer zu sagen, aber vielleicht gibt es ja eine Rückkaufoption für den Fall der Fälle. 
Der Abgang von Mo Dahoud ist am Ende vielleicht sogar leichter zu verkraften als zunächst gedacht. Er hat keine überragende Saison gespielt und braucht wohl noch etwas, um den nächsten Schritt zu machen, denn auch bei der U21-EM hat mich Mo nicht vollends überzeugt. Er hat nicht ohne Grund am Ende nicht mehr gespielt. Also haken wir das schnell ab und schauen, wer ihn ersetzen kann. 
Für die Sechserposition neben Chris Kramer stehen in Denis Zakaria und Laszlo Benes zwei sehr talentierte Spieler bereit, die in ihrer Spielweise aber unterschiedlich sind. Benes ist eher der feine Fußballer, Zakaria der Balleroberer und -schlepper, der Dynamik ins Mittelfeld bringt. Dazu kommt der solide Tobias Strobl und eine Handvoll anderer, die wohl aber nur im (Verletzungs-)Notfall auf die Position des defensiven Mittelfeldspielers rücken werden: Jantschke, Elvedi, Oxford, Jonas Hofmann. Auch ein Ginter könnte dort eine Alternative sein. 



Auf den Flügelpositionen gibt es trotz des Abgangs von André Hahn weiterhin große Auswahl: Fast alle können beidseitig eingesetzt werden, doch können Herrmann, Traoré und Hazard ihre Stärken deutlich besser auf rechts einsetzen. In der vergangenen Saison wurde das ein wenig zum Problem, als der linke Flügelmann Johnson ausfiel und dieser Flügel mitunter etwas lahmte. In Neuzugang Grifo steht nun wieder ein zweiter Linksaußen zur Verfügung, denkbar wäre auch eine offensivere Rolle für Nico Schulz. Dazu kommen für beide Positionen auch noch Hofmann, der wie Hazard, Benes und Grifo auch zentral auf der Acht oder der Zehn spielen könnte, wenn taktisch so aufgestellt wird.
 

Angriff: Josip Drmic, Thorgan Hazard, Raffael, Ba-Muaka Simakala, Lars Stindl, Julio Villalba.

Auf den Angriffspositionen könnten natürlich nicht nur die hier aufgeführten Spieler um einen Platz konkurrieren, sondern auch zum Beispiel Herrmann oder Grifo. An Raffael und Kapitän Stindl führt da normalerweise noch kein Weg vorbei. Simakala hat im Jahr 2017 erstmal den Kontakt zur ersten Mannschaft verloren, wie es aussah. Die Unbekannten sind Josip Drmic, dessen Einsatzfähigkeit im Moment von außen kaum seriös beurteilt werden kann und Julio Villalba, von dem man sich erst jetzt nach und nach einen Eindruck verschaffen kann. Was man an Videos bislang im Internet sehen kann, zeigt einen wendigen Spieler mit guten Bewegungen und präzisem Abschluss, trotz der geringen Größe auch per Kopf. Die Art, wie er zum Ball geht und den Abschluss sucht, weist auch auf gehörigen Torriecher hin, doch ob das alles auch in der Bundesliga zum Tragen kommt, muss sich erst noch zeigen. Ob er regelmäßig Spielzeit bei den Profis bekommt, ist heute aus meiner Sicht noch nicht abzusehen.

Was zählt noch? Die Mentalitätsfrage: Die neue Borussia ist sehr jung. Sie hat in André Hahn einen Spieler abgegeben, der wie kaum ein anderer für unbändige Kampfkraft und "Mentalität" steht und der einigen Spielen damit fast allein seinen Stempel aufgedrückt hat. Sein Abgang ist verständlich, er wiegt aber umso schwerer, da schon in der vergangenen Saison das Fehlen von "Schweinhund" und "Einpeitscher" auf dem Feld erkannt wurde. 
Wer füllt die Anführer-Rolle aus, die Xhaka oder Stranzl früher innehatten? Das ist eine der interessantesten Fragen. Ich finde, dass Max Eberl auch diesmal hervorragende Neuzugänge an Land gezogen hat. Doch das neue mitreißende "Mentalitätsmonster" muss sich im Kader erst noch herauskristallisieren. 

Borussia 2018 ist im Werden, aber noch schwer einzuordnen, zumal ja auch viele andere Teams im großen Stil einkaufen. 
Offen ist auch, wo Dieter Hecking die Zukunft mancher vielseitigerer Spieler sieht, zum Beispiel Elvedi und Jantschke (rechts oder innen) oder Johnson (links außen oder hinten rechts). 
Welche Systeme werden künftig gespielt: 4-4-2 bzw. 4-3-2-1 oder auch mal ein klassisches 4-3-3 mit Flügelstürmern und zentralem Stoßstürmer? Wie flexibel wird die Mannschaft auf Spielsituationen und Gegner reagieren können?
Da warten noch einige Fragezeichen auf eine gute Auflösung. Ich bin gespannt und werde langsam ungeduldig, wie sich unsere Jungs in der neuen Saison verkaufen. Gut, dass es wieder losgeht.