2022-06-16

Zäh ist es, doch es fügt sich

Noch 50 Tage bis zum ersten Spieltag, 10 bis um Trainingsauftakt. Der Start in die Pokal-Saison gegen den unterklassigen Gegner aus Oberachern ist bereits fest terminiert. Morgen kommt der Spielplan für die neue Saison heraus. Und wo steht Borussia Mönchengladbach? Man weiß es nicht so recht. Die Entwicklung ist zäh, Neuzugänge und Abgänge weiterhin unklar, demnach auch bislang kein Spielraum für Spielerverpflichtungen "erwirtschaftet".

Ach ja, doch, da war ja etwas. Der neue Trainer ist da. Und das ist eine gute Nachricht. Es wurde nicht Lucien Favre, wie es beinahe alle gut Informierten schon als perfekt gemeldet hatten oder melden wollten. Es wurde dann auch nicht Vincent Kompany, der ebenfalls zu den engeren Kandidaten gezählt haben dürfte.

Es wurde Daniel Farke. Ein schon erfolgreicher Trainer, der vielen Fans bis dato aber noch nicht viel sagte, weil seine Erfolge nicht in Deutschland gefeiert hat, sondern bei einem Underdog, der in England zwischen erster und zweiter Liga einzustufen ist.
Ich selbst hatte das eine oder andere über ihn schon gehört, hatte seine Erfolge mit Norwich zur Kenntnis genommen, ohne mich aber tiefer damit beschäftigt zu haben. Ich hätte aber dennoch nicht einschätzen können, was für ein Typ der frühere Dortmunder U23-Trainer ist und ob er zur neu zu erfindenden Borussia 2022 passen wird.

Inzwischen sind seriöse und weniger seriöse Medien und die durchweg hochwertigen Gladbacher Fan-Blogs dieser Frage bereits ausführlich nachgegangen. Durch die Bank wird Farkes Verpflichtung da begrüßt und teilweise schon sehr große Erwartungen in ihn gesetzt - sicherlich völlig zu Recht. Ich habe nichts dagegen vorzubringen, was über diese Einschätzungen hinaus geht. Deshalb halte ich mich auch jetzt zurück, statt nur Dinge zu wiederholen, die schon mehrfach gesagt wurden.

Ich freue mich tatsächlich ebenso wie wohl alle anderen Fans auf einen jungen ehrgeizigen Trainer, der bei seiner Vorstellungspressekonferenz einen aufgeräumten, zielstrebigen und fachlich überzeugenden Eindruck hinterließ. Der auch wusste, welche emotionalen Knöpfe er nach den Erfahrungen der Borussia-Familie mit seinen Vorgängern Marco Rose und Adi Hütter drücken musste, um die enttäuschte Fanseele zu streicheln und auf seine Seite zu ziehen.
Ich bin überzeugt, dass Daniel Farke das auch genau so vorleben will. Eins will ich dennoch einwenden, auch wenn ich es sicher nicht als Schwarzmalerei verstanden haben möchte. Ich erinnere mich nämlich noch gut an meine Zeilen von etwas mehr als einem Jahr. Damals schrieb ich: 

"Dennoch werde ich mich zunächst ein wenig zurücklehnen und will mich erstmal neu überzeugen lassen. Natürlich: Adi Hütter hat bei seinem ersten Auftritt auf der Pressekonferenz heute einen guten Eindruck hinterlassen.
Sein Pech: Das hatte Marco Rose seinerzeit - sehr überzeugend - auch getan. Das Vertrauen, das dem Ex-Trainer geschenkt wurde und richtiggehend zuflog, muss sich der Neue durch die Vorkommnisse des letzten halben Jahres erst neu verdienen.
Dass er das drauf hat, glaube ich. Aber ich will erst etwas davon sehen, bevor ich mich wieder mit voller Fanseele hergebe." 

Dem habe ich heute - auch mit anderen Protagonisten - nichts hinzuzufügen. Wie gesagt: Daniel Farke hat auch mich mit seinem ersten Auftritt überzeugt. Aber das war noch seine leichteste Aufgabe hier, davon muss man ausgehen. Alles Weitere zeigt sich bald - aber ich habe bisher ein gutes Gefühl dabei.

Der Verein und speziell Roland Virkus und das Team drumherum haben damit die ersten großen Aufgaben gut gemeistert. Das sage ich gern, und es ist auch kein Widerspruch zu meinen Aussagen in früheren Texten. Denn ich habe da vorwiegend die Außendarstellung des neuen Managers, sein Auftreten und seinen Umgang mit Medienvertretern kritisch beäugt.
Was er fachlich in seiner neuen Rolle drauf hat und wie er sich und den Verein bei den anstehenden Personalentscheidungen vertritt, kann ich von außen nicht bewerten. Dazu braucht es mehr Zeit - um dann zu erkennen, ob die Verpflichtungen oder Abgänge mit dem skizzierten und eingeschlagenen Weg zusammenpassen.
Auch welchen Einfluss oder Anteil Virkus oder eben das eingespielte Team drumherum, im Vorstand und auf den weiteren Managementpositionen (Schippers, Korell etc.) auf oder an Einzelentscheidungen haben, kann ich nicht bewerten. Sofern der Weg erfolgreich ist, ist das letztlich ja auch egal. 

Festzuhalten ist: Sowohl die Trennung von Adi Hütter als auch die Verpflichtung von Farke (inklusive des Favre-Rückholversuchs) waren eine saubere und nachvollziehbare Sache, die Roland Virkus zu Recht Kredit im und um den Verein herum eingebracht haben. Die (fehlende klare) Kommunikation rund um die Favre-Hype und die Mitgliederversammlung war dagegen nicht gut. Aber das ist mit der schnellen Trainerentscheidung danach auch schnell wieder vergessen. Unabhängig davon muss Virkus aus meiner Sicht sicher wieter an seiner Rhetorik und seiner Resilienz gegenüber kritischen oder nervigen Fragen arbeiten, in aller Interesse. 

Die weiteren Personalentscheidungen im Bereich der U23 klingen von meiner Warte aus gesehen ebenfalls richtig - eine Reihe neuer vielversprechender Spieler wurde bereits verpflichtet, ein ebenso vielversprechender Trainer aus den eigenen Reihen (Eugen Polanski) steht bereit und er steht für einen vielleicht auch deutlich ehrgeizigeren Ansatz bei Gladbachs "zweitem Anzug". Und zuletzt wurde in Sebastian König auch ein neuer U19-Coach von außen geholt, der ebenfalls schon einige Erfolge vorweisen kann und nun mit einigen der talentiertesten Nachwuchsspielern des Vereins an der besseren Durchlässigkeit der Talente nach oben arbeiten kann. Das ist ja eins der Ziele, das mit den Erfolgen Borussias in den vergangenen zehn Jahren immer weniger umgesetzt wurde, und nun wieder verstärkt angegangen werden soll. Schwer genug bleibt es dennoch.

Was jetzt noch fehlt für einen zuversichtlicheren Ausblick auf die neue Saison, ist die Gewissheit, auf welche Mannschaft der VfL setzen kann. Und da haben sich die vergangenen Wochen sehr, sehr zäh angelassen.

Die Vertragssituation der Spieler ist klar. Und ich persönlich könnte auch damit leben, wenn der Kader so bleibt, wie er heute dasteht. Denn es erscheint mir so, als ob Daniel Farke mit diesen Spielern vielleicht etwas flexibler umgehen wird, als es Adi Hütter gelungen war.
Dennoch steht das Problem der möglicherweise ablösefreien Wechsel einiger Hochkaräter im kommenden Jahr im Raum, verbunden mit der klaren Aussage des Vereins, dies unbedingt vermeiden zu wollen. Auch, aber nicht ausschließlich deswegen, weil in Matthias Ginter und Denis Zakaria in diesem Jahr schon zwei Spieler weit unter Marktwert abgegeben werden mussten. Über die Gründe dafür muss nicht wieder aufs Neue debattiert werden, die Spieler sind weg und die möglichen Erlöse, die man sich im Verein für sie erhofft hatte, fehlen in der Kasse. Umso wichtiger und nachvollziehbarer ist, dass dies nicht noch einmal passiert.

Die Trainerentscheidung verändert möglicherweise allerdings auch die eigene Verhandlungsposition wieder. In Farke hat man einen Trainer geholt, der die Spieler in seinem System für Gladbach durchaus bei ihren Stärken abholen könnte. Das könnte einen Jonas Hofmann zum Bleiben verleiten, verbunden mit einer Vertragsverlängerung und entsprechend tragender Rolle im Team. Dass er ein unverzichtbarer Führungsspieler für Borussia ist, zeigt er seit Jahren. Und dass Roland Virkus für ihn einen gleichwertigen Ersatz aus dem Hut zaubern könnte, scheint angesichts der finanziellen Möglichkeiten fast ausgeschlossen.

Ich weiß nicht, ob und wieviele der auf dem Markt gefragten Spieler tatsächlich in Farke eine bessere Perspektive zu einem Vereinswechsel sehen. Aber ich hoffe natürlich darauf.
Wahrscheinlicher aber wird sein, dass Bensebaini, Plea, Embolo oder Thuram, vielleicht Hofmann oder Neuhaus noch bis zuletzt Wechselkandidaten sein werden. Dass einer der jungen Hoffnungsträger (Scally, Netz oder Koné) geht, denke ich dagegen nicht. Auch Yann Sommer werden wir weiter im Gladbacher Trikot sehen, daran glaube ich fest. Aber man weiß nie. Wie schnell es gehen könnte, hat ja der Fast-Wechsel von Tobi Sippel zu seiner "Jugendliebe" aus Kaiserslautern gezeigt.

Das Problem: Je länger es dauert, desto schwieriger wird es auch werden, einen gleichwertigen Ersatz zu finden - oder einen, der dies mittelfristig verspricht zu sein. Schon jetzt haben einige (jüngere) entwicklungsfähige Spieler, mit denen Borussia schon in Verbindung gebracht wurde, bei anderen Vereinen unterschrieben. Ob die Gerüchte gestimmt haben, weiß man ohnehin nicht. Ich werde hier auch noch keine Namen diskutieren.

Allerdings habe ich für mich beschlossen, die im Text vor ein paar Wochen genannte Nervosität abzulegen und nicht täglich auf mögliche Zugänge und Abgänge zu stieren, sondern entspannt abzuwarten. Borussia wird auch diesmal am ersten Spieltag einen schlagkräftigen Kader haben. Und nach den bisherigen Entscheidungen, die in Virkus' Zuständigkeit fallen, gehe ich davon aus, dass auch hier der Boden für schnelle und gute Entscheidungen bereitet ist, falls ein Spieler gehen will und wird. 

Das Scouting war ja auch unter Max Eberl nie nur Chefsache, die Abteilung ist über Jahre eingespielt, bereitet sich viel und früh vor und wird sich so auch weiter auf gute Expertise verlassen können. Damit sollte auch der Markt entsprechend passend für die eigenen Bedürfnisse sondiert worden sein.
Und da der Verein in dem neuen Trainer eine gerade für junge Spieler durchaus attraktive Personalie anzubieten hat, steht der VfL hier wohl nicht so mit dem Rücken an der Wand, wie man es in den quälenden letzten Wochen der zurückliegenden Saison mit einer möglichen Fortsetzung der Ära Hütter noch insgeheim befürchten musste.

Also, jetzt gilt es. Die nächsten Tage werden möglicherweise ersten Aufschluss darüber geben, wie sich der neue Kader aufstellt. Dass sich eigentlich alle auch schon wieder darauf freuen, dass der Ball bald wieder rollt, mit frischem Wind durch einen neuen Übungsleiter, das lässt hoffen, dass wir uns in der Saison 2022/23 auch auf eine authentische Mannschaft freuen können, die manches abschütteln wird, was in den vergangenen zwei Jahren nicht gut gelaufen ist. Wohin der Weg führt, werden wir sehen. Ich bin jedenfalls sehr gespannt - und positiv gestimmt.