Gerade war ich dabei, mich wieder ein kleines bisschen auf die neue Saison zu freuen. Gerade war ich drauf und dran, die anfangs vor allem in der Kommunikation sehr holprige Arbeit von Roland Virkus und dem Vorstandsteam von Borussia Mönchengladbach als zurückhaltend, aber sachorientiert zu empfinden und dementsprechend meinen ersten Eindruck zu korrigieren.
Es wurde intern hart gearbeitet und nach außen nur zurückhaltend gesprochen - so stellte ich es mir in den vergangenen Wochen vor, so wirkte es. Und vielleicht ist es ja auch genau so. Zumindest die Vorstellungen, die vor allem von Roland Virkus über die Spielphilosophie und die Vereinsphilosophie zuletzt in Interviews geäußert wurden, wiesen in die richtige Richtung, und zeigten, dass die Aufarbeitung der vergangenen Spielzeiten offenbar beherzt und mit klarem Blick angegangen wird.
Zuerst gelang das mit der sehr anständigen und geräuschlosen Trennung von Trainer Adi Hütter, dann - so setze ich es voraus - in den Gesprächen mit möglichen Neuzugängen und natürlich einem neuen Trainer.
Gesucht wird ein Übungsleiter, der vielleicht nicht unbedingt sofort Erfolg verspricht, aber doch eine stringente Vorstellung davon hat, wie er Borussia wieder dahin führen kann, wo sie sich über zehn Jahre hingearbeitet hatte - und auch, wie er das reparieren möchte, was in den vergangenen drei Jahren im Verein innerlich kaputtgegangen ist.
Über Wochen wurde Lucien Favre in verschiedenen Medien, die dann - wie so oft - nur noch voneinander abschrieben, als neuer Trainer gehandelt. Eine Personalie, die elektrisierte, schließlich ist "Lulu" vor wenig mehr als zehn Jahren quasi der Erwecker der "Grauen-Maus-Borussia" gewesen. Und die Fantasie jedes Borussen reicht aus, ihm dies ein zweites Mal zuzutrauen.
Vom Verein gab es dazu keine offizielle Auskunft, bis heute. Das ist völlig ok. Komisch war, dass nicht irgendwann Vollzug gemeldet wurde, als sich die Medienberichte verdichteten und auch die eher seriösen Vertreter der Zunft einstimmten. Aber gut, Details sind bei Favre immer wichtig, und so konnte es ja auch diesmal gewesen sein.
Dass der neue Trainer ausgerechnet als "Überraschung" bei der Mitgliederversammlung präsentiert werden würde oder dass man mit der Verkündung gar so lange warten würde, war für mich dagegen undenkbar. Das passte nicht zu Borussia, es wäre unprofessionell und zudem eine vertane Chance gewesen, wenn man doch bei einer Pressekonferenz den Trainer ausführlich hätte vorstellen können und sich bei der Versammlung dann den freundlichen, aber nicht mehr überraschten Applaus abgeholt hätte.
Egal, so weit war ja noch alles im grünen Bereich.
Doch wie Virkus und Co. mit dem Trainerthema auf der Mitgliederversammlung umgingen, ließ mein langsam aufgebautes Vertrauen jäh wieder einstürzen. Es geht mir nicht so sehr um die Personalie Favre. Ich weiß nicht mal, ob ich selbst wirklich überzeugt bin, dass er es ein zweites Mal bei der wahren Borussia packen könnte. Andererseits hat er bei keiner Station "versagt" und allein die Aussicht auf einen so akribischen Trainer lässt mein Herz höher schlagen.
Ja, dass er ein Zauderer sein kann, haben wir schon einmal bitter erfahren - aber hier war ich zuversichtlich, dass sowohl er als auch der Verein sich über die Jahre weiterentwickelt hatten und dies auch untereinander offen angesprochen hatten.
Dann kam die heutige Mitgliederversammlung.
Dass man sich als Verein die ganze Zeit nicht zur Trainerfrage konkret geäußert hat, ist völlig ok. Dass Roland Virkus in seinem Bericht die Favre-Spekulationen umschifft - auch ok. Aber dann, nur auf die konkrete Nachfrage eines Fans, folgte - nicht zum ersten Mal - ein ungeschickter Umgang in der Kommunikation dieser Personalie. Denn Virkus' Aussage, dass man sich jetzt zwei Wochen intensiv um Favre bemüht habe und nach dessen Absage mit weiteren Trainern in Gesprächen sei, macht jeden anderen Kandidaten zu einer B-, C- oder D-Lösung. Das ist ein verheerender Eindruck, den man aus der Kommunikation Borussias in der Eberl-Zeit einfach nicht kannte.
Doch schon vor der Ernennung von Roland Virkus machte die Borussen-Führung den gleichen Fehler: erst davon zu reden, dass man den Nachfolger von Sportdirektor Max Eberl außerhalb des Vereins suche, um dann (offensichtlich) nach einigen Absagen Virkus wiederum als interne "Ideallösung" verkaufen zu wollen - obwohl jeder nun wusste, dass er keinesfalls Plan A gewesen sein konnte.
Dass der Eberl-Nachfolger an genau diesem gemessen würde und Virkus selbst seit seinem Amtsantritt auch in der Souveränität gegenüber manchem Journalisten noch viel Luft nach oben ließ und lässt - geschenkt.
Ich bin viel zu weit weg, um beurteilen zu können, ob und wie weit man mit Favre war, wer nun wem abgesagt oder wen hingehalten haben könnte. Ich weiß auch nicht, wer sonst in der Verlosung wäre.
Für seltsam halte ich aber in puncto Favre die von Roland Virkus angeführte Begründung für die Absage. Favre habe Borussia im Herzen, wolle aber nicht mehr in Deutschland arbeiten, berichtete der Gladbacher Sportdirektor heute. Und wirft damit mehr neue Fragen auf, als er beantwortet. Denn sollte dies so gewesen sein, hätten die Gespräche ja nicht allzulange dauern dürfen. Denn Mönchengladbach liegt nun mal in Deutschland, was alle Beteiligten wissen. Entweder liegt hier also eine schönfärberische bis irreführende Aussage von Gladbacher Seite vor oder Monsieur Favre brauchte einen späten Ausweg aus der Vertragsgesprächen. Beides möchte ich nicht glauben. Und was stimmt, weiß ich schon gar nicht.
Ich wollte und will stattdessen einfach glauben, dass intern inzwischen anders, besser gearbeitet würde als man nach außen derzeit oft kommuniziert. Und dass Gladbach seinen Ruf und seine Lockwirkung für neue Spieler und den neuen Trainer noch nicht völlig verloren hat. Ob es so ist? Ich weiß es nicht.
Fakt ist: Der VfL steht vier Wochen vor dem Trainingsauftakt ziemlich nackt da. Es gibt noch immer keine Neuverpflichtung, keine Vertragsverlängerung eines Schlüsselspielers, auch keinen (lukrativen) Abgang. Und dies wird sich auch nicht ändern, solange Spieler nicht wissen, wer sie gegebenenfalls trainieren wird.
Ich war bisher nicht sonderlich beunruhigt, und ich sah mich in meiner Gelassenheit auch nicht auf dem Holzweg. Aber das heute hat mich verstört.
Ich fürchte, es ist Zeit, nervös zu werden.