Heißa, das hat Spaß gemacht! Hochverdient schießt Borussia den neuen Arbeitgeber des Vorvortrainers aus dem Borussia Park und zeigt dabei eine der reifsten Leistungen der jüngsten Vergangenheit.
Während Marco Rose bekannte Marco-Rose-Dinge machte, ersann das Trainerteam um Daniel Farke einen cleveren Weg, wie man dem Gegner trotz des noch immer ersatzgeschwächten Kaders doch das eigene Spiel aufzwingen könnte.
Ganz ehrlich: Die Lösung war pfiffig, unerwartet und genau nach meinem Geschmack. Da Nico Elvedi wieder fit war, musste Chris Kramer diesmal nicht mehr den Aushilfsinnenverteidiger geben. Dass Farke ihn aber von dort gleich als eine Art Zehner mit vielen Freiheiten neu einteilte, hätte sicher auch niemand von uns erwartet. In der defensiven Struktur hatte das vor allem den Vorteil, einen richtigen guten ersten Anläufer gegen die Leipziger Abwehr zu haben, der Marcus Thuram von dieser Aufgabe entlastete.
Dass Kramer, der diese Position ähnlich zuletzt wohl im WM-Finale 2014 kurzzeitig spielen durfte, trotz zweier Hofmann-Tore und einer Galavorstellung von Tikus wohl unangefochten Spieler des Spiels wurde, lag aber daran, wie gut er diese ungewohnte Rolle über 90 Minuten ausfüllte. 12,7 Laufkilometer zeigen an, dass er wie gewohnt überall auf dem Platz auftauchte, Lücken stopfte, aber auch aus einer höheren Position als sonst Angriffe mit inszenierte und sogar selbst gefährlich im Strafraum auftauchte - eine Rarität in den vergangenen Jahren.
Er war der heimliche Spielmacher und Taktgeber, und das, obwohl Borussia mit Julian Weigl und Manu Koné heute eigentlich schon zwei weitere Spielmacher auf dem Platz hatte. Mit dieser Flexibilität auf dem Platz kamen die Gäste zu keiner Zeit zurecht. Und vielleicht hatten sich sich auch davon blenden lassen, dass Borussia bisher zu den gemächlichsten Teams im Spielaufbau gehört hatte. Heute war das anders, da war viel Zug und Geschwindigkeit in Bällen und Läufen. Auch mehr Präzision in den Pässen. Und das macht dann auch den Unterschied bei dem, was am Ende auf der Anzeigetafel steht.
Man merkt von Spiel zu Spiel, dass diese Mannschaft zusammenwächst und verinnerlicht, für welchen Fußball sie stehen will, und diesen tragen die Spieler auch immer selbstbewusster ins Spiel - obwohl dank der Verletzungen fast jede Woche improvisiert werden musste. Bislang hatte das immer nur phasenweise geklappt, und Borussia verlor zeitweise auch etwas die Kontrolle über das Spiel. Heute nicht.
Und wenn ein Plan funktioniert, dann merkt man das auch Spielern an, die ab und an unwirsch und lustlos wirken, wenn es nicht so läuft. Marcus Thuram brennt wieder, er rennt und lacht und ist kaum zu stoppen. Aber auch Ramy Bensebaini hat seinen Spaß am Spiel zurück, wie er heute mit tollen Läufen und nicht zuletzt seinem technisch fein vollendeten 3:0 zeigte. Der Algerier ist einer der technisch besten Fußballer in diesem Kader. Und wird nicht ohne Grund immer wieder mit einem Wechsel in Verbindung gebracht. Doch in der Form dieser Tage wäre es ein Coup, wenn man auch ihn am Ende weiter in Gladbach halten könnte. Auch wenn das aktuell für Luca Netz keine gute Nachricht wäre.
Das ist aber Zukunftsmusik. Das Spiel heute war in jedem Fall eine Meisterleistung von A bis Z: von den Akteuren, taktisch und in der praktischen Umsetzung. Es gab kaum individuelle Fehler, die Mannschaft verteidigte klar und sicher und half und pushte sich in jeder Situation. Und sie spielte ihre Möglichkeiten nach vorne hervorragend aus. Der einzige Kritikpunkt ist, dass nicht noch zwei, drei Tore mehr auf die Anzeigetafel kamen. Und doch bleibt es ein Spiel, das zu diesem Saisonzeitpunkt und zu diesem noch immer frühen Stand nach der Verpflichtung eines neuen Trainers, eigentlich kaum perfekter hätte gespielt werden können.
Es ist, wie es ist: Marco Rose wurde mit seiner Mannschaft im Borussia Park so gut bespielt, dass auch personelle Wechsel nichts an der Dominanz auf der einen und der Chancenlosigkeit der Leipziger auf der anderen Seite ändern konnten. Ketzerisch könnte man sagen, dass das ehemalige Trainerteam bis heute im Spiel keinen Plan B aufrufen kann, denn auch nach der Pause war außer fünf Minuten Strohfeuer mit einer guten Kopfballchance und ein paar Distanzschüssen nichts von RB zu sehen, was dieses Spiel noch in eine andere Richtung hätte kippen lassen können.
Man kann natürlich auch einfach sagen, dass Borussias Spielplan nichts anderes zugelassen hat. Das klingt und gefällt mir jedenfalls viel besser. Und angesichts dessen lässt sich genüsslich festhalten: Marco Rose wurde heute ganz fein ausgecoacht, abgekocht und zerkramert.
Bleibt noch der Blick auf die Nebengeräusche. Nein, ich bezeichne niemanden als Hurensohn, das ist nicht mein Stil und deshalb stehe ich auch nicht hinter beleidigenden Plakaten, wie sie angesichts der Rose/Eberl/RedBull-Problematik heute in der Nordkurve auftauchten. Ich teile auch nicht den Brief des Fanprojekts, dem sich Sottocultura inhaltlich ja angeschlossen hatte.
Ich habe zum Thema Eberl vor einiger Zeit schon etwas geschrieben. Dabei bleibt es auch. Es ist bitter, ihn dort bald in Funktion zu sehen, zu Marco Rose ist mein Verhältnis dagegen längst nicht so emotional, und RB bleibt für viele Dinge ohnehin verachtenswert. Es ist aber immer eine Frage des Niveaus, auf das ich mich mit der Kritik selbst begeben will.
Protest ist gut, intelligenter Protest umso mehr. Der Protest gegen das Brausekonstrukt in Gladbach ist seit Jahren ausrechenbar, nervig und so hilf- wie wirkungslos. Niemand schlägt sich auf die Seite von Traditionsclubs oder stimmt in die Kritik gegen die RB-Maschinerie ein, wenn man ihm 19 Minuten lang die Ohren volltrillert oder auch mal ganz schweigt. Ich weiß nicht, wie es besser geht. Ich weiß aber auch: Provokation allein nutzt sich ab, und Provokation um der Provokation willen führt aufs falsche Gleis. Und es wird dich nie jemand dafür feiern, im Gegenteil.
Denn so wenig ich für das Hurensohn-Plakat übrig habe, es dient ja vor allem einem Zweck: die zu triggern, die sich davon angesprochen fühlen wollen. Nicht nur in der Fankurve werden Begriffe wie dieser inflationär gebraucht, und dies hat nur noch wenig mit der wörtlichen Bedeutung zu tun. Gerade der hier so hochgehängte Begriff, der in allen Stadien auf Timo Werner, Dietmar Hopp oder auch den jeweiligen Gegneranhang gemünzt durch Stadion gebrüllt wird, ist ein Klassiker für diese fortgesetzte Provokation.
Es ist ein seit Jahren fortgesetzter Kleinkrieg, den man führt, weil man sich in Fankurven wiederum vom inkonsequenten Verhalten von DFB/DFL gegängelt und getriggert fühlt, der zwar schnell zu handeln bereit ist, wenn ein Dietmar Hopp beleidigt wird, aber bei anderen (auch gravierenderen) Gelegenheiten nicht so genau hinschaut. Mit Prostituierten und ihrem Nachwuchs im eigentlichen Sinn hat das sehr wenig zu tun.
Nochmal: Ich heiße die Plakate von heute nicht gut, ich stehe inhaltlich nicht dahinter. Ich will sie nicht sehen. Sie sind aus meiner Sicht aber auch nicht so gravierend, dass ein Schiedsrichter theatralisch mit der Unterbrechung oder dem Abbruch des Spiels drohen muss. Vor wenigen Wochen waren in Rostock zum Beispiel erheblich diskriminierendere Banner unbeanstandet geblieben. Der DFB ermittelte erst im Nachhinein und nicht durch den Schiri auf dem Feld. Wie es ausgeht, ist noch offen. Und wir alle kennen aus verschiedenen Stadien auch Banner und teilweise Choreos mit "Tod den...".
Schiedsrichter Patrick Ittrich stellte sich heute hin und sagte, dass die Initiative zum Entfernen des Hurensohn-Plakats nur von ihm selbst gekommen sei. Ich will das nicht in Zweifel ziehen. Aber man dürfte sich gleichwohl bei DFB, DFL und den Schiedsrichtern schon die ganze Woche auf so ein Szenario vorbereitet haben - um auf inakzeptable Spruchbänder reagieren zu können, vielleicht aber auch mal wieder grundsätzlich ein Zeichen zu setzen. Sicher wäre gerade in Erwartung von Spruchbändern zu dieser Thematik andere geräuschlosere Wege ohne den großen Schiri-Auftritt möglich gewesen, um derartige Plakate zu verhindern oder schnell wieder zu entfernen. Am Ende ist der ganze Vorgang ärgerlich, weil der Kratzer am Image des ganzen Vereins hängenbleibt, aber der geht nunmal in erster Linie auf das Konto der Banner-Zeiger.
Vollkommen absurd wird es aber, wenn Sky diese Sache dann während und nach dem Spiel noch zusätzlich zu skandalisieren versucht, obwohl man zugleich zuvor peinlichst genau darauf geachtet hat, diese Plakate dem Zuschauer komplett vorzuenthalten. Nach dem Spiel werden dann diese Spruchbänder plötzlich zitiert, es wird sich darüber empört und jeder Gladbacher Aktive vor dem Mikrofon zu einer Stellungnahme genötigt. Das macht aus einem Plakat, das im Normalfall im Stadion für ein paar Minuten und im übertragenden TV überhaupt nicht zu sehen ist, eine kleine Staatsaffäre. Es zeigt aber auch wieder einmal, dass die übertragenden Sender keinen unabhängigen Journalismus bieten, sondern ein Unterhaltungsangebot von Gnaden der Bundesliga-Macher.
Mal sehen, ob das Thema noch weitere Kreise ziehen wird. Ich hoffe nur, dass trotz der Länderspielpause dann doch das im Vordergrund bleibt, was die Mannschaft heute geleistet hat. Darauf aufbauen lässt sich jedenfalls ganz prima.
Saison
2022/23, Bundesliga, 7. Spieltag: Borussia Mönchengladbach - RB Dosenpfand 3:0. Tore für Borussia: 1:0 Hofmann, 2:0 Hofmann, 3:0 Bensebaini.
Das dritte Zu-Null der Saison wurde auf eindrucksvolle Weise herausgespielt. Und da es gegen das Konstrukt aus der dunklen Brausewelt gelang, kommen zu den vier spielbezogenen Euro noch zehn Extra-Taler dazu. 14 Euro steigern die Zwischensumme auf einen Schlag um 50 Prozent auf jetzt 42 Euro. Und wir wollen nicht damit anfangen, was gewesen wäre, wenn mancher Mitspieler heute den Chris Kramer vor dem Tor besser eingesetzt hätte...
Das gilt in der Saison 22/23: Für jedes erzielte Tor von Borussia in Bundesliga oder DFB-Pokal zahle ich 1 Euro. Für jedes Tor von Tony Jantschke oder Christoph Kramer: 10 Euro. Gehaltener Elfmeter von Yann Sommer (oder einem Ersatzmann): 2,50 Euro; Zu-Null-Spiel: 1 Euro. Derbysieg gegen K***: 10 Euro. Siege gegen Bayern, Dortmund oder Leipzig: 10 Euro. Ein Sieg in Freiburg: 10 Euro. Einstelliger Tabellenplatz am Saisonende: 10 Euro. Internationaler Startplatz am Saisonende: 20 Euro. Deutsche Meisterschaft: 122 Euro. DFB-Pokalsieg: 50 Euro. Gladbacher Torschützenkönig: 30 Euro.