Es hatte sich angedeutet. Nachdem Borussia am vergangenen Samstag in der Abwehrschlacht beim FC Bayern so viel Fortune in die Waagschale geworfen und die Niederlage abgewendet hatte, war es heute gegen den sogenannten Underdog so weit. Seit heute wissen wir. Daniel Farke kann mit Borussia auch Spiele verlieren.
Das heute wäre allerdings wirklich nicht nötig gewesen. Tolle Stimmung, schöne Choreo vor dem Spiel volles Stadion, gutes Wetter. Da fehlten nur die nächsten drei Punkte. Dass es nicht dazu kam, lag an vielen Kleinigkeiten.
Es waren heute auf jeden Fall immer wieder ein paar Zentimeter, auf die es ankam. Mal zu viele, mal zu wenige. Beim einen oder anderen Mal, als der Ball aufs Mainzer Tor flog oder noch abgelenkt wurde, bevor er dieses erreichen konnte. Bei der Frage, wer den Ball zuletzt berührt hatte, bevor Ko Itakura zum Haltegriff gegen den durchgebrochenen Karim Onisiwo ansetzte. Wäre es nicht der Rücken von Marvin Friedrich gewesen, wäre es Abseits und somit auch keine Rote Karte gewesen. Und auf der anderen Seite waren es eben die paar Zentimeter zu viel, die Lars Stindls schön herausgespieltes Tor zum irregulären Torschussversuch machten.
Es wäre dennoch nicht passend, an diesen Szenen allein die Niederlage festzumachen. Denn Mainz tat genau das, was man von den Gästen erwarten konnte, und was sie seit dem Amtsantritt von Bo Svensson als FSV-Trainer immer machen. Sie sind ein ekliger Gegner, der auf die Knochen geht, aggeressiv und gekonnt anläuft und gestern auch nicht als erster Kontrahent den Plan von Borussia-Trainer Daniel Farke durchkreuzte. Der will bekanntlich gern viel gepflegten Ballbesitz und mit ballbetonter Dominanz auch zum Erfolg kommen.
In der ersten Hälfte der ersten Hälfte litt Borussia darunter, dass man auf das Mainzer Spiel offenbar nicht gut genug eingestellt war. Warum eigentlich?
Und deshalb konnte man nach 20 Minuten von Glück sagen, dass noch ein 0:0 auf der Anzeigetafel stand. Denn immerhin war Yann Sommer auch diesmal auf dem Posten und packte gleich mehrfach geistesgegenwärtig zu, einmal rettete Bensebaini in höchster Not für ihn. Gegen den späteren Treffer des Tages war aber auch der Schweizer machtlos.
Und das waren auch die schicksalheften Minuten, die das Spiel letztlich prägten. Denn nach dem schwachen Start setzten sich Kramer und Co. anschließend bis zur Pause immer besser nach vorne in Bewegung, wehrten sich besser, fanden Lösungen und kamen zu erstklassigen Chancen, die allesamt aber Marcus Thuram herschenkte. Einmal ein Lattentreffer nach einem hübschen Solo - und dann der zu gut gemeinte Querpass auf Neuhaus, als er allein auf den Torwart zulief. Das waren die besten Gelegenheiten, selbst in Führung zu gehen und das Spiel in die richtige Richtung zu lenken. Doch es war nicht der Tag des Mittelstürmers.
Und nach dem Pausentee zeigte sich, dass auch seine Kollegen in der Defensive erst wieder ihre Griffigkeit finden mussten. Das wurde bitter bestraft. Ein schlecht verteidigter Angriff, ein unfreiwilliges Weiterleiten des Balles durch den eingewechselten Marvin Friedrich, der den verletzten Nico Elvedi zur Halbzeit ersetzt hatte. Und schon wäre Onisiwo allein durchgewesen. Itakura griff leicht zu, der Stürmer fiel dankbar, und da es keine Abseitsstellung war, spielte der VfL fortan in Unterzahl.
Doch nach einer kurzen Schock zeigten die Mannen von Farke Willen und Widerstandsfähigkeit. Sie erkämpften sich auch zu zehnt ein spielerisches Übergewicht, Mainz zog sich zurück und vergammelte weitgehend ungestraft jede Menge Zeit, um den Sieg nach Hause zu schaukeln. Das ist nichts anderes, als es der VfL in der vergangenen Wochen in München praktiziert hat, insofern muss man das eben auch schlucken.
Die Art und Weise, wie die Mannschaft aber jetzt kämpfte, war genau das, was den Fans im Stadion und mir am Bildschirm ausnehmend gut gefiel. Ein Team zu sehen, das sich nicht in sein Schicksal ergibt, das keinen Ball verloren gibt, sich gegenseitig pusht und gegen das Schicksal ankämpft. Das nicht einem einmal gefassten Plan stoisch hinterherläuft und die Achseln zuckt, wenn er nicht funktioniert.
Es wurde gefightet, mit Emotionen, mit Fehlern - aber auch mit spielerischem Mut und Können.
Ramy Bensebaini übernahm viele Rollen, Chris Kramer war Innenverteidiger und zugleich auch sonst überall zuz finden. Stindl, Hofmann und Neuhaus steigerten sich ebenfalls. Nur der unglückliche Marcus Thuram tauchte mehr oder weniger ab. Aber shit happens. Es geht weiter. Am Ende war jedenfalls eine sehr anständige Partie der Borussen, der nur das ersehnte Erfolgserlebnis verwehrt blieb. Für den Tag muss man damit leben. Und vielleicht ist es auch gut, dass dieser Dämpfer jetzt kommt, nachdem sich im einen oder anderen Spiel das Spielglück leicht auf Seiten von Borussia gelehnt hatte.
Allerdings ist auch deutlich geworden, dass die Mannschaft nicht so weit ist, wie sie angesichts der fast euphorischen Stimmung dieser Woche mit den beiden hochkarätigen Last-Minute-Neuzugängen wirken mochte. Borussia steht nach fünf Spielen auf Platz neun, das ist nicht so weit weg von der Wahrheit wie der zwischenzeitliche Platz eins vor dem Bayern-Spiel. Es hätte ergebnistechnisch schlimmer, aber auch besser laufen können. Was bedeutet, dass bisher jedes Spiel eins auf des Messers Schneide gewesen ist, und keins souverän über 90 Minuten absolviert werden konnte. Das ist nicht schlimm, weil ein neuer Trainer und sein Team Zeit braucht.
Es kann angesichts des Programms mit Freiburg, Leipzig, Bremen und Köln allerdings sein, dass die Mannschaft mehr unter Druck gerät, als es aus den ersten Bundesligawochen zu hoffen und vielleicht auch herzuleiten war. Das Fehlen von Itakura und vielleicht auch von Plea und Elvedi am nächsten Wochenende in Freiburg ist da natürlich überhaupt nicht hilfreich. Allerdings haben Nathan Ngoumou und Julian Weigl bei ihren Debüts für Gladbach schon angedeutet, dass sie schnell eine Verstärkung sein können oder werden.
Um es klar zu sagen: Ich kann mit der Art von Deniz Aytekin, Spiele zu leiten, gut leben. Auch heute waren in den Szenen, die strittig sein konnten, alles nachvollziehbar gelöst. Gut, den Schlag von Widmer gegen Bensebaini hat er nicht gesehen und auch der VAR Storks fand ihn nicht rotwürdig. Das kann ich nachvollziehen, weil sich beide vorher schon beharkt haben und das keine klare Tätlichkeit war. Gelb war es allerdings schon, dafür ist wiederum der VAR nicht zuständig. So weit, so lala.
Geärgert habe ich mich heute - mal wieder - über etwas anderes. Ich bin langsam müde, mich immer zu wiederholen. Aber es ist keine hohe Kunst des Schiedsrichterns, um jeden Preis in Spielen möglichst viel laufenzulassen. Vor allem, wenn es um Spiele geht, wo vor allem eine Mannschaft eine sehr kernige bis rücksichtslose Zweikampfhaltung an den Tag legt, wie sie die Mainzer unter Bo Svensson unseren Spielern bereits einige schmerzhafte Male gezeigt haben.
Gerade in der Anfangsphase gabe es dreimal gelbwürdig auf Gladbacher Socken, doch Deniz Aytekin signalisierte mit seiner Milde: "Jungs, ruhig weiter so." Das ist einfach Mist, weil es sich dann durchs ganze Spiel zieht und unnötige Diskussionen provoziert.
Ich bin (inzwischen) ein großer Freund von Aytekins Spielleitung, doch gerade in den letzten Spielen, die er Gladbach gepfiffen hat, ging sein Laissez-faire-Ansatz jeweils zu Ungunsten von Borussia in die Hose. Erinnert sei nur an die Treterei von Leverkusen, die unter anderem mit Lainers Knöchelbruch endete. Auch diesmal musste Gladbach wieder vorzeitig verletzungsbedingt tauschen. Nico Elvedi hatte wieder einmal Onisiwos Übermotivation zu spüren bekommen, auch die Verletzung von Plea war flankiert von einigen vorherigen Angriffen auf seine Gesundheit.
Ein Witz ist das gegen die "unbändige Brutalität", die Ko Itakura anwenden musste, um den Mainzer Stürmer zu Boden zu bringen. Natürlich ist die Rote Karte in der Spielsituation einwandfrei, aber das Verhältnis zwischen einer zärtlichen Umarmung und diesen eingesprungenen Todesgrätschen von der Marke Dominik Kohr stimmt einfach nicht. So vom Standpunkt des Fußballs her.
Das schadet dem Spiel und es schadet der Entwicklung des Fußballs. Am Ende stand es nach Fouls 15:8 für Mainz, auch die Verwarnungsstatistik ging an die Rheinhessen (4:1). Doch von den vier Karten wurden eine wegen Zeitspiels gegen den Torwart und eine wegen Blockierens eines Freistoßes gezückt. Das passt einfach nicht.
Aber egal. Was Daniel Farke mit seinem Team machen muss, hat nichts mit dem Verhalten der Schiedsrichter zu tun, sondern damit, wie man von der erstgen Minute an in sein Spiel findet. Wie gesagt, dass Mainz so hoch anläuft, war keine Überraschung. Dass Borussia so lange kein Rezept dagegen fand, war nicht zum erstne Mal zu beobachten. Aber das sollte Trainingswoche für Trainingswoche besser in Fleisch und Blut übergehen. Mal sehen, ob das schon am kommenden Sonntag reicht, um den nächsten Tabellenführer herauszufordern.
Saison 2022/23, Bundesliga, 5. Spieltag: Borussia Mönchengladbach - FSV Mainz 05 0:1.
Erste Niederlage, kein erzieltes Tor: Damit bleibt es bei 27 Euro, wie in der Vorwoche.
Das gilt in der Saison 22/23: Für jedes erzielte Tor von Borussia in Bundesliga oder DFB-Pokal zahle ich 1 Euro. Für jedes Tor von Tony Jantschke oder Christoph Kramer: 10 Euro. Gehaltener Elfmeter von Yann Sommer (oder einem Ersatzmann): 2,50 Euro; Zu-Null-Spiel: 1 Euro. Derbysieg gegen K***: 10 Euro. Siege gegen Bayern, Dortmund oder Leipzig: 10 Euro. Ein Sieg in Freiburg: 10 Euro. Einstelliger Tabellenplatz am Saisonende: 10 Euro. Internationaler Startplatz am Saisonende: 20 Euro. Deutsche Meisterschaft: 122 Euro. DFB-Pokalsieg: 50 Euro. Gladbacher Torschützenkönig: 30 Euro.
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