2017-11-05

Die Wahrheit liegt in der Mitte

Im Fußball gibt es immer mehrere Wahrheiten. Und je nach Fanlager sucht man sich seine liebste Wahrheit meist auch aus. 

- Gladbach kann heute von Glück reden, dass es am Ende einen Punkt im Borussia Park behalten konnte. 
- Der VfL war nach einer indiskutablen ersten Hälfte drauf und dran, die zweite Hälfte von Sinsheim zu wiederholen, der Sieg wäre aufgrund der Leistungssteigerung nach der Pause vollkommen verdient gewesen. 
- Das 1:1 ist das gerechte Ergebnis, weil es nach den gezeigten Leistungen keinem so richtig gerecht wird.

Drei Sätze und drei Interpretationen - jeder von ihnen könnte man heute guten Gewissens folgen.
Klar ist: Borussia hat in der ersten Hälfte einen schlimmen Eindruck hinterlassen, weil die Spieler des bisherigen Tabellenfünften - durch die Bank - mit unverständlichen individuellen Fehlern das Bild eines völlig verunsicherten Tabellenletzten vermittelten, der sich selbst durch Abspielfehler, schlechtes Stellungsspiel oder ungeschickte Zweikampfführung immer wieder selbst in die Bredouille bringt. 
Zugleich war aber der Plan, wie der VfL spielen wollte, sehr gut erkennbar, wurde in Ansätzen auch erfolgversprechend verfolgt. In der zweiten Hälfte, mit der Einwechslung von Kramer, der das Spiel etwas ordnete, entfaltete dieser Spielplan auch seine eigentliche Wirkung. Nur: Der Mainzer Matchplan ging insgesamt heute einfach besser auf.
Wo Gladbach den zirkulierenden Ballbesitzfußball mit den irgendwann einsetzenden überfallartigen Kombinationen in die Spitze einbringen wollte, setzte Mainz auf teils sehr unkonventionelles Pressing schon in der Hälfte der Hecking-Elf. Spieler wie Vestergaard, Jantschke, Zakaria und selbst Ginter ließen sich davon beeindrucken und folglich fanden sie nach vorne zu selten die Räume, die sich durch das aggressive Forechecking im Mainzer Mittelfeld eröffneten. Die Mannschaft bot Mainz ihrerseits jedoch in der Rückwärtsbewegung selbst genau die Räume an, die sie schon gegen Leverkusen, nicht aber gegen Hoffenheim, sträflich geöffnet hatte. Die Mainzer Taktik, so schien es, hatte Heckings Schützlinge auf dem falschen Fuß erwischt.

Zur Halbzeit stand deshalb auch trotz 15 besserer Minuten in der Mitte der ersten Halbzeit ein noch schmeichelhafter Rückstand zu Buche. Durch die Tatsache, dass es noch immer keine klare Linie beim Eingreifen von außen in Videobeweis-Situationen gibt, durfte Borussia auch zu elft weiterspielen, obwohl es nach Studium der Bilder logischerweise Rot gegen Stindl und Strafstoß hätte geben müssen. Gut, Mainz profitierte beim 0:1 auch straflos von Mutos geschickter Behinderung gegen Sommer. Doch dass das Tor voll auf eine amateurhafte Defensivleistung zurückging, mit dem Tiefpunkt in Sommers zögerlichem Eingreifen, wird auch niemand bezweifeln. Dass das 0:2 wegen vorangegangenen Foulspiels zurückgenommen wurde, war auch nicht selbstverständlich, wenngleich korrekt. Gladbach konnte sich vom (Nicht-)Einsatz der technischen Hilfsmittel also auch heute nicht benachteiligt fühlen, auch wenn man sicher über die Bewertung der hoch in die Luft gehaltene, vom Spieler selbst angeschossene Hand Diallos im Mainzer Strafraum noch länger diskutieren könnte. Da auch noch einen Elfmeter zu bekommen, wäre für den VfL heute aber auch ein bisschen zu viel des Guten gewesen.

Nun gut. Wenn ein Spiel so verläuft, muss man als Fan auch mal mit einem solchen Ergebnis zufrieden sein können, finde ich. Und das auch, wenn die Erwartungen vor dem Spiel höher waren - und das ja auch nicht zu Unrecht. Wenn man erkennen kann, dass die Mannschaft zwar will, sich dabei aber selbst immer wieder ein Bein stellt, dann leidet man natürlich als Fan mit, ärgert sich und schimpft. Befremdlich finde ich dennoch, dass ein Teil der Besucher im Stadion die Mannschaft nach dem Schlusspfiff mit Pfiffen verabschiedete.

Ja klar, das Auf und Ab in dieser Saison kostet auch uns Fans viele Nerven. Aber man muss auch die Kirche im Dorf lassen. Wenn ein Gegner sich geschickt verkauft und dabei noch nicht einmal mit Mann und Maus im Strafraum verbarrikadiert, dann sollte man das bei der Bewertung der Leistungen beider Mannschaften auch berücksichtigen. Aufseiten Borussias war heute zwar vieles schlecht. 
Aber es war auch einiges gut. So nervös einzelne Spieler sich durch individuelle Fehler präsentierten - die Mannschaft spielte auch nach dem Rückstand stoisch und geduldig ihr Spiel weiter. Der Lerneffekt vom Tag der offenen Tür gegen Leverkusen ist da, das Team weiß, dass immer noch Zeit genug bleibt, um ein Spiel zu drehen. Und genau dann, wenn sich der VfL dessen bewusst ist, zeigt er auch den besten Fußball. Das war gegen Hoppelheim so. Und auch heute fehlte in der zweiten Halbzeit nicht viel, und Gladbach hätte das Spiel komplett gedreht. 
Raffaels rätselhafte Abschlussschwäche, mancher Haken zuviel bei Hazard, Grifo oder Cuisance, der versemmelte tödliche Pass in den freien Raum - das alles verhinderte heute, dass unter dem Strich mehr stand. Pfiffe gegen das eigenen Team rechtfertigt es meiner Meinung nach nicht.

Man muss gleichwohl kritisieren dürfen, dass die erkannten Schwachstellen im Team derzeit nicht so richtig abzustellen sind. Die linke Abwehrseite ist die Problemzone Nummer 1, fast jeder gefährliche Angriff der Mainzer führte auch heute wieder über Wendts Seite. Das liegt natürlich auch an dem Schweden, der im Moment offenbar im Eins-gegen-Eins nahezu keinen Pass und keine Flanke unterbinden kann. Es liegt aber nicht nur an Oscar. Denn wenn vor oder neben ihm weitere Spieler ihre Form suchen, ist der Vize-Kapitän oft nur das vorletzte Glied in der Fehlerkette. Dennoch ist es offensichtlich, dass auf der Position derzeit eine Alternative für den sympathischen Linksverteidiger fehlt. Das Problem scheint, dass sich dafür weder Johnson noch sonst irgendjemand derzeit empfiehlt. 
Zakaria hat - wie heute - noch erwartbare Schwankungen in seinen Leistungen, auch Ginter konnte nicht vollends überzeugen. Jantschke hat noch Probleme, den Rhythmus zu finden, genauso der heute wieder eingewechselte Herrmann. Cuisance ist noch zu unstet in seinen Aktionen. Grifo ist defensiv noch kein Johnson und auch beim Kapitän ist nicht alles Gold, was glänzt - was man unter anderem an der heiklen Strafraumszene heute und den gelben Karten sieht, die Lars Stindl sich einfängt. Patzt im Gladbacher Verbund einer, bringt er andere oft mit in Schwierigkeiten. Und das bringt das Team mitunter aus dem Tritt.

Das alles macht aus Borussia im November 2017 genau dieses zerbrechliche Ensemble, das furios aufspielen kann, sich aber genauso grandios selbst um den Lohn der Arbeit bringt. Heute war es irgendetwas in der Mitte. Und für den Moment kann ich damit leben. Denn ein Sieg heute hätte uns auf einen Platz katapultiert, der den gezeigten wechselhaften Leistungen in dieser Saison einfach nicht entspricht. Das könnte uns Fans natürlich egal sein. Aber ob es der Entwicklung der Mannschaft wirklich förderlich wäre, steht auf einem anderen Blatt Papier. 




Bundesliga, Saison 2017/18, 11. Spieltag: Borussia Mönchengladbach - FSV Mainz 05 1:1 (Tor für Borussia: 1:1 Vestergaard)

3 Kommentare:

  1. Lass mich dir zu deiner sachlich-fundierten Spielanalyse gratulieren, Herr IndenWinkel. Und das meine ich jetzt ganz ohne Ironie. Du hast mir (mal wieder) aus der Seele geschrieben.

    Eins vorweg: Ich habe das gestrige Bundesligaspiel "meiner Fohlenelf" gegen Mainz nicht live verfolgt. Im Nachhinein war das vermutlich auch gut so. Ich bin einfach zu emotional für solche Spiele und sterbe dabei tausend Tode ... In der TV-Spielzusammenfassung sah ich dann später leider ideenlose Gladbacher ohne Ballsicherheit. Der letzte Pass kam allzu häufig nicht an.

    Was mir insbesondere Sorgen macht, ist die fehlende Konstanz der Borussia. Starken Auftritten wie zuletzt beim Auswärtssieg in Hoffenheim folgen immer wieder unerklärliche Rückschläge. Durch das Unentschieden gegen die seit Februar auswärts sieglosen Mainzer (!) verpasste Gladbach im Borussia-Park vor den eigenen Fans den Sprung auf einen Europacupplatz. Und Trainer Dieter Hecking sprach hinterher von "Entwicklungsphasen" im Team. Wie bitte?!

    Aber wie du schon ganz richtig geschrieben hast, dieser Europacup-Tabellenplatz wäre angesichts der bisherigen Leistungen der Fohlenelf nicht verdient gewesen. Wie brachte es der Kapitän Lars Stindl so gut auf den Punkt: „Um einen ganz großen Schritt zu machen, hätten wir gewinnen müssen. Einen Sieg hätten wir aber nicht verdient gehabt.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

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  2. Werter Wortarbeiter (diese Alliteration musste mal sein) - definitiv ist dieser Blog mittlerweile für mich der beste unter den Blogs und ich warte nach jedem Spiel mit Spannung auf deine Beiträge (unter Borussen erlaube ich mir mal das "du"). Ich kann mit der Beurteilung weitestgehend einhergehen und im Gegensatz zu Vorkommentator Schnack habe ich das Spiel mal wieder im Stadion gesehen (ich kann - weil zu weit entfernt - pro Jahr ca. 7 - 8 Heimspiele im Stadion sehen). Auch auf der Tribüne war es nicht besser, eher schlimmer, als "nur" eine Zusammenfassung zu schauen. Nach der Leistung gegen Hoppelheim hatte ich mir ja insgeheim schon Hoffnungen auf einen Sieg gemacht (was meistens dumm ist, denn habe ich ein gutes Gefühl, dann geht es meist in die Hose).
    Diesen Satz hier 'Der VfL war nach einer indiskutablen ersten Hälfte drauf und dran, die zweite Hälfte von Sinsheim zu wiederholen, der Sieg wäre aufgrund der Leistungssteigerung nach der Pause vollkommen verdient gewesen.', der offenbar einem der drei Fanlager zugeschrieben sein soll, den kann ich allerdings nicht unterschreiben. Klar ist, dass es nach der Hereinnahme von Kramer besser und geordneter wurde, aber die zweite Hälfte von Sinsheim hat man garantiert nicht wiederholt.
    Richtig war aber leider, dass die linke Seite mit Wendt momentan leider sehr instabil ist. Meines Erachtens nach war es ein Fehler, mit Nico Schulz einen gelernten Linksverteidiger ziehen zu lassen und Wendt so gut wie konkurrenzlos auf dieser Position stehen zu haben. Es besteht keine Frage, Wendt ist ein allürenloser, sympathischer Profi, den ich sehr gern mag, aber momentan ist nicht unbedingt Verlass auf ihn (auch Jantschke läuft seiner Form hinterher, genauso wie Raffael. Der "Fußballgott" braucht wieder Spielpraxis und Raffael ist sich seiner Formschwäche offenbar bewusst und mir scheint es so, dass er mit aller Macht ein Tor schießen will und dabei sinnbildlich genau deswegen über seine eigenen Füße stolpert. So kommt es mir jedenfalls vor...) .
    Kehren wir zurück zum Spiel: Nach dieser (Nicht)-Leistung war der Punkt tatsächlich sehr glücklich und auch wenn am Ende beide Mannschaften noch den berühmten Lucky Punch hätten setzen können, eine Niederlage wäre durchaus drin und bis zu einem gewissen Grad auch verdient gewesen. Dieses Unentschieden ist unterm Strich aber meines Erachtens nach gerecht.
    Warum diese stetigen Schwankungen - selbst nach solchen Erfolgserlebnissen wie in Sinsheim - die wahre Borussia wie ein roter Faden durch die Saison begleiten... tja, keine Ahnung. Es ist schade, dass man sich auf diese Art und Weise immer wieder um die eigene Belohnung und natürlich auch Punkte bringt. Wobei anzumerken ist, dass Mainz eine ähnliche Taktik wie die Eintracht verfolgte und man sich von der robusten Vorgehensweise wieder einmal beeindrucken ließ - vielleicht am ehesten widergespiegelt durch Sommers zögerliches Herangehen im Strafraum beim 0:1. Das sollte einem erfahrenen Keeper so nicht passieren, denke ich.
    Dass junge Spieler wie z. B. Zakaria (obwohl er für sein Alter bisher ziemlich abgeklärt gespielt hat) oder auch Cuisance nach wie vor "Welpenschutz" genießen sollten, das steht außer Frage. Grifo war gegen Hoppelheim überragend, aber gegen Mainz spielte er - wenn ich mich da nicht irre - auf einer anderen Position und da kann eben nicht gleich alles klappen. Trotzdem hoffe ich, dass der Trainer nun seinen Wert erkannt hat und ihn regelmäßig spielen lässt (Freistöße!!!). Nicht, dass Vince dann auch ähnlich frustriert wie der oben erwähnte Schulz woanders hin geht...
    Es gibt jedenfalls viel zu sagen und auch einiges noch aufzuarbeiten, wenn man am Ende der Saison auf einem Europapokal-Platz stehen will. Der Kader gibt es her - die mentale Stärke (bisher) nicht. Man kann nur hoffen, dass das Trainerteam und die Mannschaft diese Hürde im Laufe der Saison dann endlich nehmen werden. Ich hoffe, ich habe nichts vergessen...
    Gruß, Fohlen

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  3. Vielen Dank für Eure netten Worte! Nüchtern zu analysieren, auch wenn ich während des Spiels genauso emotional reagiere wie jeder andere Fan, das ist das, was ich versuche. Denn mit vermeintlich einfachen Wahrheiten à la "fehlende Einstellung" tut man den Spielern ja doch meist unrecht. Und gerade in den sozialen Netzwerken liest man da ja viel dummes Zeug von "Fans".
    Ich kann mich Euren Aussagen auch voll anschließen, was zeigt, dass wir alle verzweifelt nach Erklärungen für dieses Auf und Ab in den Leistungen suchen.
    Liebes Fohlen, die von dir angezweifelte zweite These ist natürlich etwas weiter hergeholt als die anderen. Allerdings stehe ich auch da dahinter, denn nach dem nervösen Beginn der zweiten Halbzeit kam die Mannschaft zunehmend ins Rollen. So zwischen der 50. und 75. Minute lief der Ball deutlich besser und Mainz wurde ähnlich wie Hoffenheim fast unmerklich Stück für Stück mehr in die Defensive gedrängt. Danach aber kam bis zum Schlusspfiff nicht mehr viel und Mainz hatte danach sogar die wesentlich besseren Chancen. Hätte der VfL da das Tempo und die Dominanz hochhalten können, wäre das Spiel glaube ich zu unseren Gunsten gekippt (oder "Wäre, wäre, Fahrradkette", wie unser Loddar sagen würde).
    Aber insgesamt war das natürlich auch in Halbzeit zwei zu wenig (und nicht so gut wie in Sinsheim), insofern hast du recht mit den Zweifeln an der Aussage.
    Ach ja, und das Du ist natürlich unter uns Borussen völlig ok. Ich heiße übrigens Michael :-)

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