2020-08-07

Saisonvorbereitung II: Qualitäten gehen, Qualitäten kommen

Bevor ich anfange, die Stärken von Borussias Neuzugängen mit denen der Abgänge zu vergleichen, ist es erstmal Zeit, zu danken. Ich weiß, damit komme ich reichlich spät. Aber es gehört für mich noch dazu.

Danken muss man den drei Spielern, denen Borussia im letzten Saisonspiel gegen Hertha nur einen sehr unzureichenden Abschied schenken konnte - immerhin noch den sportlich bestmöglichen.

Da ist Tobias Strobl, der Turm in so mancher Schlacht. Egal ob als Innenverteidiger, als Rechtsverteidigeraushilfe oder als Abräumer auf der Sechs. Strobl gehört zu den auch in den Reihen der eigenen Fans unterschätztesten Fußballern in der  Bundesliga. Als Abräumer, als (langer) präziser Passgeber, als ordnende Hand im Mittelfeld hat er es meist verstanden, sein Team gut aussehen zu lassen, ohne dass er selbst besonders auffiel.

Na klar, es gab auch Spiele, in denen er überfordert war. Aber auch da lag es nicht allein an ihm, sondern an den Räumen, die die ganze Mannschaft dem Gegner anbot. Strobl wird bei seinem neuen Club in Augsburg einen Stammplatz haben, sofern er verletzungsfrei bleibt, da bin ich mir sicher. Und doch ist es konsequent, wenn auf seiner Position bei Gladbach jetzt ein anderer (schnellerer und wendigerer) Spielertyp verpflichtet würde - sofern auch dieser so vielseitig einsetzbar ist. Oder dies dann vom Kader insgesamt aufgefangen werden kann.

 

Fabian Johnson: Leider waren Verletzungen immer wieder treue Begleiter in seiner Zeit bei Borussia. Vielleicht wäre das Bedauern über das Auslaufen seines Vertrages sonst deutlich größer gewesen. Was er kann, hat er immer wieder gezeigt, vor allem, nachdem ihn Lucien Favre vom Rechtsverteidiger zu einem der besten Linksaußen der Liga umgeschult hatte. Auch als er von manchem schon abgeschrieben war, kämpfte er sich wieder zurück. Seine beste Zeit liegt aber dennoch schon eine Weile zurück. Es war die Zeit, als der VfL noch nicht die dominante Ballbesitzmannschaft war, die sie heute ist, sondern aus einer massiven Defensive heraus, aus der Tiefe der eigenen Hälfte überfallartige Konter setzte, die flinke Stürmer wie er veredeln konnten.

Wäre die Verletzungsanfälligkeit nicht gewesen, dann wäre auch ein neuer Vertrag nach meiner Einschätzung drin gewesen. So behalten wir ihn als sehr feinen Spieler und Menschen in unseren Herzen - als einen Baustein der Mannschaft, die Borussia wieder zu dem gemacht hat, was es heute ist.

 

Und dann natürlich Raffael. In seiner Zeit bei Borussia eigentlich immer DER Hoffnungsträger - das geniale Etwas, was Borussia 10, 15 Jahre zuvor immer gesucht und doch nie gefunden hatte. Als Raffael endlich dem Werben von seinem Entdecker Favre und Max Eberl nachgab, begann eine beidseitige Liebe, der auch die etwas unangemessen leise Trennung nicht anhaben können wird.

Der trickreiche Spielgestalter, der kaltschnäuzige Torschütze, der stille Vulkan, der dann und wann völlig überraschend vor der Nordkurve (für seine Verhältnisse spektakulär) ausbrechen konnte - er wird uns fehlen. Nicht mehr so sehr als Spieler denn als Mensch und Galionsfigur des Gladbacher Weges. Und wenn man sieht, das Borussia heute auf einen wie ihn verzichten kann (die vergangene Saison mit nur wenigen Spielminuten hat das ja bewiesen), dann ist das für die entwicklung des Vereins und der Mannschaft eine Aussage mit Ausrufezeichen - eine, die vor ein paar Jahren noch unvorstellbar gewesen wäre. Der VfL ist, was die Einschätzung einer Verstärkung des Kaders angeht, seit Raffaels Verpflichtung unübersehbar um einige Stufen emporgeklettert.



Diese drei verdienten Borussen sind also ab September nicht mehr mit der Raute auf der Brust unterwegs - doch in meinem Borussenherzen haben sie stets einen Platz.


Zurück von ihren Leihen kommen Michael Lang, Julio Villalba, Andreas Poulsen und Jordan Beyer. Nur letzterer wird in der kommenden Saison bei Borussia eine Rolle spielen können.

Um den Schweizer Lang tut es mir leid, weil er unter anderen Vorzeichen hier angeheuert hatte und nun keinen Platz mehr finden wird - ohne, dass er selbst viel falsch gemacht hat.

Auch von Villalba verabschiede ich mich mit einem weinenden Auge. Er kam als große Versprechung aus Südamerika, und spielte doch nie eine Rolle - ständig verletzt, in der U23 nicht spielberechtigt; auch die Leihe nach Österreich brachte ihn nicht weiter. Sein Beispiel zeigt, wie wenig man auch bei den talentiertesten 17- oder 18-Jährigen vorhersehen kann, ob und wann sie bereit sind für den Profifußball in einer oberen Liga.

Andreas Poulsen bleibt uns erhalten, doch die Fortsetzung der Leihe nach Österreich fiel zunächst seiner Schulterverletzung zum Opfer. Schade für ihn, denn er scheint noch nicht so weit, dass er Bensebaini oder Wendt als Konkurrent gefährlich werden könnte. Wenn es geht, wird er sicher dann nochmals verliehen. Doch das dauert wohl noch ein paar Monate.


Was bedeutet das? Dem Neuzugang Hannes Wolf und dem zweiten geplanten Neuzugang stehen aus dem Vorjahreskader derzeit drei sichere (Raffael, Strobl, Johnson) und drei wahrscheinliche weitere Abgänge (Lang, Villalba, Leihe Poulsen) gegenüber. Auch für Torben Müsel und Keanan Bennetts ist dieses Jahr ein entscheidendes. Wenn sie keinen Leistungssprung machen und zur echten Alternative werden, wird es ganz schwer.


Daraus folgt - wenn man weitere Zgänge ausschließt -, dass dann aus der Jugend aufgefüllt werden muss, um die Kaderstärke zu halten. Dort gibt es unter anderem in dem vom VfB Stuttgart gekommenen Per Lockl, mit Famana Quizera (Portugal), Jacob Italiano und Christian Theoharous (beide Australien), Conor Noß (Deutschland/Irland), Kaan Kurt (Deutschland/Türkei) oder dem Österreicher Noah Oke Eyawo eine Reihe von Talenten, die in ihren Verbänden U-Nationalspieler sind. In der Saisonvorbereitung bei den Profis dabei ist auch noch Mittelfeldspieler Rocco Reitz, der mir im Gegensatz zu den anderen allerdings ehrlicherweise noch nicht viel sagt.

Im Januar kommt dann noch der dann 18-Jährige US-Boy Joseph Scally. Doch ob sich einer aus dieser Reihe im Laufe der Saison schon zur echten Alternative zu den Stammkräften des VfL entwickeln kann, lässt sich von außen kaum vorhersagen.

Warnende Beispiele gibt es genug - gerade hat Borussia ja den einen oder anderen früher hoch gehandelten Hoffnungsträger verabschiedet: etwa Aaron Herzog, Mika Hanraths oder Justin Hoffmanns, die für kurze Zeit immerhin mal dem Profikader ganz nah waren.

Die Weichenstellungen in der Jugend und in der U23 mit dem neuen Trainer Heiko Vogel deuten darauf hin, dass Borussia es unbedingt schaffen will, wieder mehr Nachwuchs bis in die erste Mannschaft durchzubringen. Doch Wunder kann man auch hier nicht über Nacht erwarten. Schließlich ist der Unterbau in dieser Saison auch noch in der Youth League gefordert.

Die Frage bleibt also: Ist der Kader 20/21 für die höheren Aufgaben ausreichend ausgestattet, oder zwingt Corona zu einem personellen Va-Banque-Spiel?

Was die Offensive angeht - sicher nicht.

Kramer, Zakaria, Wolf, Stindl, Benes, Hofmann, Neuhaus, Herrmann, Traoré, Plea, Embolo, Thuram plus Mister X, dazu Quizera, Noß, Bennetts, Müsel. Damit sollten auch mögliche Ausfälle gut kompensierbar sein.

In der Defensive fängt Beyer die durch Johnson und Strobl wegfallenden Varianten rechts und in der Innenverteidigung auf. Dazu kommt Doucouré erstmals als vollwertige Alternative, gleichwohl mit der gebotenen Vorsicht.

Daneben steht in Wendt, Bensebaini, Jantschke, Elvedi, Ginter, Lainer ausreichend Erfahrung zur Verfügung. Doch insgesamt wäre mir mit einem polyvalenten Defensivallrounder wie Strobl noch etwas wohler. Denn von den Sechsern ließe sich nun nur noch Denis Zakaria bei Bedarf in die Abwehr zurückziehen. Doch das hat seine Tücken, wie wir schon gesehen haben, weil er einige seiner Stärken im Mittelfeld einfach effektiver ausspielen kann und natürlich kein gelernter Verteidiger ist.

Also: im Normalfall ist Borussia gerüstet. Doch als Fan rechnet man ja immer auch ein bisschen mit dem Schlimmsten. An Zeiten, in denen Gladbach die Innenverteidiger ausgingen, kann ich mich gut erinnern. Das war keine spaßige Zeit. Aber seitdem hatten wir auch genügend Gelegenheit, uns davon zui überzeugen, dass in Gladbach ausgewogene und für nahezu alle Eventualitäten gerüstete Spielerkader zusammengestellt werden. Das werde ich als Außenstehender daher auch jetzt nicht in Frage stellen.

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