2020-05-31

Ein nahezu perfekter Tag

Wohin führt der Weg von Borussia in dieser Saison? Das fragte ich mich nach dem 0:0 am Dienstagabend in Bremen, das viele Fragen offen ließ. Heute scheint es wieder eine klare Tendenz zu geben - und die heißt auf jeden Fall sichere europäische Auftritte in der kommenden Saison. 
14 Punkte auf Platz 6 und 7 bei insgesamt noch 15 zu vergebenden Punkten in den letzten fünf Spielen: Diesen Vorsprung auf einen Nicht-Europa-Platz kann selbst Borussia nicht mehr verspielen, da lege ich mich fest. Ein einziger weiterer Sieg reicht, um auch rechnerisch Klarheit für die Euro League zu schaffen, darüber hinaus wird die Spannung hochgehalten durch die nach diesem Wochenende wieder verbesserten Chancen auf die Königsklasse.

Die 90 Minuten heute im imposant gefüllten Borussia Park ließen wenig Wünsche offen. Nur zu Beginn beider Halbzeiten schlug das Spiel nicht so deutlich zugunsten des VfL aus, da schien jeweils der klare Sieg in Gefahr. Ansonsten hatte die Mannschaft von Marco Rose das Spielgeschehen fest im Griff und siegte auch in der Höhe verdient. 
Zu bekritteln gibt es ein paar Schwierigkeiten in der Defensive bei Berliner Standards in der zweiten Hälfte, woraus auch das unnötige Anschlusstor resultierte. 
Doch ansonsten stimmte es, kämpferisch wie spielerisch. Nun kann man spekulieren, ob das effektive Vertikalspiel immer wieder direkt in die Spitze in der ersten Halbzeit den Gästen schon ein bisschen den Stecker zog. Oder ob sie - trotz einiger rustikaler Einlagen - einfach auch nicht mehr ganz die brachiale Kampfkraft auf den Rasen bringen wie in der Hinrunde. Verwunderlich wäre das für einen Aufsteiger nicht.
Fest steht: Das Trainerteam hatte Thuram und seinen sehr offensiv aufgestellten Kollegen gute Lösungen mit auf den Weg gegeben. Mehrfach gingen die klugen Angriffe durch die Union-Abwehr wie das Messer durch weiche Butter. Das führte unter anderem dazu, dass Union mehrfach umstellen musste und den überforderten Routinier Subotic in der Halbzeit in der Kabine ließ. 
Das Gladbacher Erfolgsrezept: Schnelle, präzise Pässe, gut eingesetztes Pressing, nach Balleroberung möglichst sofort vorne spielen und nicht nach hinten (was zuletzt ein wenig das Manko war). Und von natürlich: profitieren von durchsetzungsstarken Spielern. 
Es wäre unfair, heute Spieler herauszuheben. Neben dem gewohnt unerschütterlichen Marcus Thuram, dem überall auftauchenden Alassane Plea, der wieder einmal hervorragendes Auge für den tödlichen Pass offenbarte und dem wie aufgedreht dirigierenden Flo Neuhaus (toll, wie zäh er sich beim 1:0 durchbiss) fiel heute niemand ab - im Gegenteil. 
Kapitän Lars Stindl machte in diesem Jahr sein wohl bestes Spiel als giftiger Forechecker und Ballweiterleiter, gleiches gilt für den unermüdlichen Jonas Hofmann und auch für Patrick Herrmann, dem man ein Erfolgserlebnis mal wieder gönnen würde. Die Abwehr inklusive Yann Sommer blieb fast ohne Wackler, erstickte Unions Angriffsbemühungen meist schon früh und schob immer wieder gut nach vorne an.

Ein hochverdienter Sieg also, der durch einige emotionale Momente versüßt wurde, die einmal mehr zeigten, dass Borussia Mönchengladbach kein Club wie jeder andere ist. Einmal der stille Gruß nach Amerika, den Marcus Thuram nach seinem ersten Tor mit dem Niederknien symbolisierte. Zum Gedenken an den von Polizisten in Minneapolis getöteten Schwarzen George Floyd. Würdevoll, nicht provokativ - ein bewegender Moment nicht nur für Marcus Thuram.

Und dann der Höhepunkt zum Schluss des Spieles. Fast vier Jahre ist er im Verein, als eins der größten Abwehrtalente aus Paris nach Gladbach geholt. Fast vier Jahre hat es gedauert, bis Mamadou Doucouré heute zum ersten Mal in einem Pflichtspiel zum Einsatz kam. Ich verneige mich vor einem jungen Mann, der vier Jahre für diesen Moment kämpfen musste und gekämpft hat, der vier Jahre lang immer wieder der Verzweiflung nahe gewesen sein muss, nach jeder schweren Verletzung, und der doch nicht aufgegeben hat. Und: Wen man aus der Mannschaft oder dem Verein auch über "Mams" sprechen hört, alle mögen ihn. Er muss also auch ein sehr angenehmer Zeitgenosse sein. 

Ich jedenfalls hatte Tränen in den Augen und Gänsehaut, als er heute endlich, endlich den Rasen betreten durfte. Und das hält sich auch jetzt noch ein bisschen, wenn ich daran denke, wie dieser emotionale Moment zustande kam. Es war die 90. Spielminute, das Spiel war durch und Doucouré stand wechselbereit am Spielfeldrand. Gladbach hatte den Sieg im Sack, war in Ballbesitz und Union machte es den Borussen nicht mehr schwer, auch in Ballbesitz zu bleiben. Doch dann kamen Zurufe, wahrscheinlich von außen, zunächst noch zaghaft, schließlich deutlich hörbar, sodass der ebenfalls eingewechselte Ibo Traoré auf der anderen Seite des Spielfelds sich plötzlich um die eigene Achse drehte und den Ball unbedrängt einfach ins Aus schlug. Nur damit der Wechsel noch vor dem Schlusspfiff über die Bühne gehen konnte. Das ist im Profigeschäft alles andere als selbstverständlich - und die Art, wie der junge Franzose dann auf dem Spielfeld von seinen Kollegen geherzt und begrüßt wurde, sprach einmal mehr für den Zusammenhalt in dieser Mannschaft.

Dass Tikus nach dem Abpfiff sich dann auch Doucourés Trikot für den obligatorischen Eckfahnenjubel geben ließ und nicht das von Machwinnern wie Plea oder Neuhaus, machte diesen Pfingstsonntag wirklich nahezu perfekt. Und das gilt es zu genießen, so lange es geht. Denn wenn Plea und Thuram so weiterspielen, wird es schnell schwer werden, die Begehrlichkeiten anderer Vereine auf Dauer abzuwehren. In den vergangenen Spiele war es zum Beispiel auf Twitter schon gut zu bemerken, welche Aufmerksamkeit die Bundesliga im Ausland derzeit bekommt, weil die anderen großen Ligen ja noch pausieren. 

Als ein norwegischer ManU-Fan heute twitterte: "Plea and Thuram are ballers. Should both play for bigger teams", musste ich dann doch mal eine Sache klar stellen: "There is no bigger team!". Und mit meiner völlig ernstgemeinten Antwort lasse ich euch und mich eine weitere Woche das Hochgefühl und die Hoffnung mitnehmen, dass Borussia die schon jetzt punktbeste Saison seit 36 Jahren auch am Ende mit einem Champions-League-Platz krönt - dem Maximum, was derzeit wohl für uns in der Bundesliga (mit oder ohne Zuschauer) möglich ist. 

Ich jedenfalls kann es nicht anders sagen als so: Ich bin - wieder einmal - so unglaublich stolz auf mein Team!
  

Bundesliga 2019/20, 29. Spieltag: Borussia Mönchengladbach - FC Union Berlin 4:1 (Tore für Borussia: 1:0 Neuhaus, 2:0 Thuram, 3:1 Thuram, 4:1 Plea)

1 Kommentar:

  1. Ich hatte auch Tränen in den Augen bei der Einwechslung von Mamadou Doucouré und dachte nach dem Schlusspfiff, dass SEIN Trikot heute die Eckfahne zieren sollte und schwupps, hat Tikus dies auch so gemacht…
    „Hut ab“ vor dieser tollen Mannschaft!!!

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