2020-05-03

So lieber nicht!

Was sehne ich mich nach frischem Fußball! Was freue ich mich auf neue Erfolge (und fürchte Misserfolge) meines Teams! Es ist immer noch unwirklich und schwer erträglich, in der wohl spannendsten Phase einer Meisterschaft so jäh ausgebremst zu werden. Ohne eine Aussicht darauf, wie es weitergeht.

Wobei: Der Tag, an dem die Bundesliga wieder anstößt, scheint ja jetzt wirklich näher zu kommen. Die Vorzeichen vedichten sich, dass ab Mitte Mai in leeren Stadien wieder der Ball rollen wird.

Gut, ich werde dann auf jeden Fall als Pappkamerad im Borussia Park mit dabei sein. Und ich werde die Spiele des VfL natürlich auch im Fernsehen verfolgen. Aber doch anders als sonst - nach meiner derzeitigen Gemütsverfassung mit größerer Distanz denn je. 
Denn so fanatisch ich während Spielen meiner Borussia werden kann, so verbunden ich meiner Mannschaft bin - es fühlt sich falsch an. Und die Gefahr ist sehr hoch, dass am Ende überhaupt keiner glücklich wird mit einer unter diesen Umständen fortgesetzten Saison. 

Dabei finde ich, dass die DFL und die Vereine ein sehr gutes Konzept vorgelegt haben, unter welchen Bedingungen man tatsächlich weiterspielen könnte. Es ist durchdacht, es ist gegenüber den wirklichen Notwendigkeiten in unserer Gesllschaft demütig genug, weil es keine leeren Worte sind; weil der Aufwand für die Bundesliga nachvollziehbar nicht auf Kosten etwa der Testkapazitäten anderer ginge, für die es um Gesundheit, Arbeitskraft, Leben und Tod geht. 
Es wäre aus meiner Sicht auch sonst - theoretisch - vernünftig abzuwickeln, weil zum Beispiel anders als im März heute nicht damit zu rechnen wäre, dass sich viele Fans vor Stadien oder in anderen Ansammlungen zusammenfinden würden und somit die Ansteckungsgefahr außerhalb der Stadien auch nicht über das Maß hinaus erhöht würde, was die ersten Lockerungen in Geschäften und im öffentlichen Leben schon jetzt mit sich bringen.
 
Das Konzept der Bundesliga ist ein Kompromiss und der ernstzunehmende Versuch, den Bestand möglichst aller Vereine und ihrer Arbeitsplätze zu retten, den Fußballprofis die Ausübung ihres Berufes zu ermöglichen und auch zwingend notwendige sportliche und wirtschaftliche Entscheidungen in Hinblick auf den Neustart in der nächsten Saison zu ermöglichen, etwa, was europäische Startplätze, Ab- und Aufstieg, Verträge und Transfers betrifft.

Es wird und kann in der Krise allerdings keine völlige Neuorientierung und Abkehr des bisherigen Kommerzsystems sein, das viele - auch ich - aufgrund der Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre für notwendig halten. Dies wäre nur dann kurzfristig denkbar, wenn das System Bundesliga (und vor allem nicht nur der nationale Profifußball) vollends kollabiert. 
Das kann sich bei aller Kritik an denen, die über ihre Verhältnisse leben (gell, S04) eigentlich keiner wünschen. Weil es eben nicht dazu führen würde, dass die Ligen dann um die Mannschaften ärmer würden, die ohnehin in erster Linie einen von ihrer Performance unabhängigen steten Finanzzufluss von außen haben. Es würde vor allem die treffen, die sich alles selbst erarbeiten müssen, die aber als Unterbau der Eliteliga zugleich eine so wichtige wie fragile Rolle einnehmen: auf bescheidenem Niveau wirtschaftende Vereine aus erster, zweiter, dritter und den vierten Ligen. Die, die vielen auf hohem Niveau ausgebildeten Topnachwuchsspielern die Möglichkeit geben, auf hohem Niveau Spielpraxis zu bekommen, gerade wenn diese keine Überflieger sind, die es mit 17 auf Anhieb in einen Bundesligakader schaffen. Die auch all den vielen jungen Sportler eine Profilaufbahn und ein dem Aufwand angemessenes Leben ermöglichen, die den Schritt nach oben am Ende nicht schaffen, obwohl sie genauso wie die Superstars über viele Jugendjahre alles dafür gegeben haben.

Doch zurück zum Bundesliga-Corona-Plan: Ich kann all das nachvollziehen und als machbar und unter diesen Umständen als halbwegs vernünftig akzeptieren. Weil alles, was dort geplant ist, so geplant ist, um allen Interessen gerecht zu werden. Ich sehe auch, dass die meisten Vereine dringend die Fortsetzung der Saison brauchen, um die letzte Rate der Fernsehgelder zu sichern, die nunmal viel mehr Cash einbringt als unsere Stadion-Eintrittsgelder und das, was die sonstigen Sponsoren zahlen.

Allerdings haben all diese Pläne einen mächtigen und vor allem unberechenbaren Gegner, den man in den Planungen nicht ausschalten kann: das Coronavirus selbst. Covid19 lässt sich auch in den durchdachtesten Bundesligaplan nicht einhegen. Das Risiko, dass einzelne Spiele deswegen ausfallen müssen, lässt sich vielleicht minimieren, mit Tests, Vorsichtsmaßnahmen, Quarantäne und viel Hygiene. Doch die Gefahr von sogenannten "Kollateralschäden" - dass am Ende Menschen, die diesen schwierigen Spagat meistern und an den noch ausstehenden Bundesligapartien teilnehmen - persönlichen gesundheitlichen Schaden davontragen, ist sehr groß. Zu groß.

Denn jeder Spieler, jeder im Trainerstab, jeder aus dem beteiligten Staff der Vereine, von den übertragenden Sendern und wer sonst noch im Umfeld der Stadien im Einsatz sein wird - sie alle haben in ihrem Umfeld Risikopersonen. Das können Familienangehörige mit Vorerkrankungen sein, kleine Kinder - oder sie selbst. Es sollte sich keiner zu sicher sein, dass Profisportler nicht zur Risikogruppe bei diesem Virus zählen würden.

Wer über die Jahre beobachtet hat, wie viele Topsportler unnatürlich früh gestorben sind und wie wenig wir immer noch darüber wissen, welche Auswirkungen Verletzungen aus Kontaktsportarten haben, welche Folgen das Fitspritzen oder Behandeln mit leistungssteigernden Mitteln - der kann sich ausmalen, dass auch das Immunsystem eines Profifußballers nicht in jedem Fall spielend mit dem neuartige Coronavirus fertigwerden muss und wird.

Ich bin kein Fachmann, der das wirkliche Risiko für Profifußballer beurteilen kann. Vielleicht ist die Sorge unbegründet und der Rest der Saison geht rum, ohne dass es zu ernstzunehmenden Erkrankungen käme. Aber wer garantiert das?
Vor allem aber: Wer verantwortet es, wenn jemand tatsächlich zu Schaden käme - nach Komplikationen seinen Beruf nicht mehr ausüben kann, einen Familienangehörigen verliert oder gar selbst stirbt?
Wir wissen, dass der Profisport noch immer sehr leicht darüber hinweg geht, welche Spätfolgen unvermeidbare Zusammenstöße etwa im American Football für viele Spieler hatten und haben. Wir alle schauen wohl mit Grauen auf die Knock-out-Historie von Christoph Kramer und hoffen, dass er auch nach seiner aktiven Laufbahn gesund bleibt. Garantiert ist das nicht. 
Geändert hat sich auch trotz der gehäuften Gehirnerschütterungen nach den bekannten zweikampfbedingten Zusammenstößen in der Bundesliga bisher nicht viel. Von der Fürsorgepflicht der Vereine gegenüber den Spielern ist - für mich öffentlich wahrnehmbar - noch immer wenig zu sehen, zumindest, was über die unmittelbare "Spielfähigmachung" hinaus geht.

Wäre das jetzt unter dem enormen wirtschaftlichen Druck anders zu erwarten? Ich glaube nicht. Und als hätte es noch eines Beweises bedurft, zeigt der Streit um die Interview-Aussagen des Belgiers Birger Verstraete vom 1. FC Köln an diesem Wochenende, dass es am Ende nur um Schadensbegrenzung für den Verein geht, nicht um die Sicherheit der Spieler. 

Auch wenn Verstraete im Kader der Kölner derzeit keine Rolle spielt, gibt es keinen ersichtlichen Grund, warum er über die Covid-positiven Fälle und die offensichtlich anschließend zu lasche Umgangsweise mit den Quarantänemaßnahmen Unsinn erzählen sollte. 
Dass der Verein ihn im Anschluss zu einem wenig überzeugenden Dementi nötigte, zeigt, dass wir uns nicht sicher sein können, ob die von der Liga vorgestellten Sicherheitsauflagen im Umgang mit dem Virus intern auch so umgesetzt und kommuniziert werden (können). Da bringe ich im übrigen Gladbach genausoviel oder wenig Vertrauen entgegen wie den Verantwortlichen aus der Derbyverliererstadt - einfach weil es im Moment einer Spieltagsfortsetzung für alle wieder um zu viel geht, als dass man sich durch die tagelange Schachmatt-Setzung des halben Teams selbst schwächen wollte oder könnte.

Also: Bei aller durchdachter Planung schwebt über einer Fortsetzung der Saison ein unkalkulierbares Risiko für alle. Die Bemühungen der Bundesliga wirken sinnvoll abgewogen und wirtschaftlich bitter nötig, aber letztlich auch dadurch nicht ehrlich. Denn natürlich ist jedem bewusst, dass ein Covid19-Vorfall, der eine ganze Mannschaft zeitweise aus dem eng gestrickten Terminplan nähme, das endgültige Aus für die Saison bedeuten würde. Mit dem Unterschied, dass dann das Fernsehgeld wohl fließen würde. 
Dieses Verhalten wirkt so wie das eines Open-Air-Konzertanbieters, der weiß und sieht, dass jeden Moment ein schweres Gewitter beginnt, die Vorstellung aber dennoch beginnen lässt, weil er ab einer bestimmten Minute des Abbruchs das Eintrittsgeld nicht mehr zurückzahlen muss. Ob seine Gäste trocken oder gesund nach Hause kommen, ist ihm in diesem Moment vielleicht egal, weil er auf seine Kosten kommen will und muss.

Wir werden sehen, wie es weitergeht. Wir haben auch wenig Einfluss darauf. Ich hoffe, ich konnte euch mit diesem doch wieder sehr langen Text erklären, warum ich einerseits die Fortsetzung der Saison herbeisehne und dies zugleich nicht genießen könnte wie sonst. Und das ganz unabhängig davon, dass ich als Gerechtigkeitsfanatiker mit Sicherheit mit dem Ausgang einer Saison (wie auch immer er aussähe) meine Probleme hätte, weil aufgrund der aktuellen Gegebenheiten wohl nicht alle Teams gleiche Chancen haben dürften - sollten zum Beispiel wichtige Spieler in Quarantäne gehen oder Spiele verlegt werden müssen.

Schweren Herzens sage ich deshalb - so lieber nicht! Bin gespannt, wie ihr das seht. Schreibt es gern in die Kommentarspalte. Und ja - ich sehne mich trotz allem danach, endlich wieder über echten Fußball unserer Borussia schreiben zu können.

2 Kommentare:

  1. Der Preis ist zu hoch. Die Gefahr der Ausbreitung durch Kneipensessions etc, sind zu hoch. Und solche Spiele, die Kreisligaatmosphäre haben, sind auch leistungshemmend

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  2. Schöner Text, in dem ich mich mit meiner eigenen Zerrissenheit nach mehr "Normalität" und "rollendem Ball" wiederfinde. Allerdings hat das Kalou-Video gezeigt, dass nicht nur ein einzelner Spieler, sondern eine ganze Vereinsstruktur keine "Abstandsregeln" einhalten konnten - und das wir nicht nur in Berlin ein Thema sein... Schweren Herzens bin ich nach wie vor für Saisonabbruch, gegen Geisterspiel und gegen diese Art von sudden death, den es geben würde, wenn Spieler oder ganze Manschaften in Quarantät gehen müssten ... Wenn Brot und Spiele, dann erst nach 14 Tagen Mindestisolation und dann "Trainingslager" bis zum Schluss.... Egal wie es kommt, auch wir sind dann als Pappkammeraden dabei und werden ein digitales Bier auf Sieg oder Niederlage nippen. Die eigene Zerissenheit lässt grüßen. Mit GSW Grüßen Addi

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