Es ist Mitte Juli und gut einen Monat vor dem Beginn der neuen Saison steht man als geneigter Borusse ziemlich ratlos vor dem, wofür der Verein in diesem Sommer eigentlich steht und was er in den kommenden Monaten vorhat - außer bei einer zweitägigen Jubiläumsfeier Anfang August in der glorreichen und halb glorreichen Vergangenheit zu schwelgen.
Die Transfertätigkeiten liegen auf Eis, weil es für zu viele, von denen man sich zum wiederholten Mal vorstellen könnte, sie zu einem anderen Club zu verabschieden, offensichtlich keinen Markt gibt. Oder zumindest keinen, auf dem es mögliche Abnehmer besonders eilig hätten.
Ohne zu dramatisieren, kann man also festhalten: Borussia Mönchengladbach sitzt da in einer blöden Falle.
Der vielzitierte Dominostein, der alles andere auf dem Transfermarkt ins Rollen bringen könnte, er wird auch diesmal nicht von der Gladbacher Seite angestoßen. Das ist jedem längst deutlich geworden, auch ohne dass die sportliche Führung das immer wieder mantraartig hätte betonen müssen.
Ob das eine kluge Verhandlungstaktik ist, ein folgenschwerer Fehler oder ob man sich das Leben damit zumindest nur schwerer macht, kann sich jeder selbst überlegen. Wir werden es erst später endgültig bewerten können.
Der daraus folgende Stillstand im Kader ist allerdings beunruhigend. Denn auch wenn Roland Virkus sehr früh die Vorgriffs-Transfers von Kevin Diks und Jens Castrop verkünden konnte: Ohne Bewegung bei Gladbacher Ab- und Zugängen können sie - trotz ihrer zweifellos vorhandenen Klasse - wichtige Probleme auch nicht lösen.
Denn: Für beide gäbe es Stand jetzt keinen Platz in der Startelf oder sie verdrängen dort Stammspieler mit gut dotierten Verträgen, die damit auch nicht an (Verkaufs-)Wert gewinnen würden.
Denn sowohl auf den zentralen Positionen im Mittelfeld, die der aus Nürnberg gekommene Castrop beackert, als auch in der Abwehr, in der Diks heimisch ist, gibt es einen krassen Überhang an (Noch-)Konkurrenten.
Das Dumme: Castrop ist ebenso wie Weigl, Reitz, Sander, Stöger, Fraulo und Neuhaus kein klassischer Sechser. Sander kommt dem bisher noch am nächsten, und vielleicht entwickelt sich ja der Neuzugang dahin - man möchte sich aber nicht darauf verlassen.
Weigl scheint unverkäuflich (und ein Transfer wird offenbar auch von Vereinsseite nicht für notwendig erachtet) und wirkt zugleich als einer der größten Problemfälle, was die Balance in der Mannschaft angeht.
Der Vizekapitän spielte in den letzten Jahren fast immer, doch es kam jeweils sehr stark auf seinen Nebenmann an, wie gut oder schlecht Borussia das zentrale Mittelfeld defensiv dicht bekam und ob es offensiv Durchschlagskraft entwickeln konnte.
Ob und wie Borussia diese Baustelle - die Unwucht zwischen Anspruch und Wirklichkeit bei einem der nominellen Führungsspieler - angeht, ist mir völlig unklar.
Kevin Diks konkurriert rechts zwar nur mit Joe Scally, doch in der Innenverteidigung, wo er vermutlich dringender gebraucht würde, steht er sich derzeit noch mit Itakura, Elvedi, Chiarodia und Friedrich auf den Füßen.
Auf der einen Seite steht Scally, mit einem gewissen Marktwert ausgestattet, genauso im Borussia-Schaufenster wie die Innenverteidiger Itakura (bringt notwendiges und zum Teil bereits ausgegebenes Geld) und Elvedi (müsste bei zu erwartender eher geringer Einnahme erst gleichwertig ersetzt werden).
Andererseits hat Borussia weder beim Japaner noch beim - nicht vergessen: äußerst verdienten und treuen - Schweizer Borussen ein Druckmittel im Poker um die Ablösesumme. Im Gegenteil: Wenn beide bleiben, könnten sie sich im kommenden Jahr bzw. im Fall Elvedi dann 2027 in die Reihe der unglückseligen ablösefreien Abgänge von Thuram bis Bensebaini einreihen.
Etwas, was Virkus und Stegemann zwar unbedingt vemeiden wollen und müssen, aber kaum können, wenn die Spieler nicht mitspielen. Ähnlich schlecht sind Borussias Karten bei einem Wechsel von Marvin Friedrich.
Gehandelt werden muss nun aber mal. Überall.
Im Tor, wo Jonas Omlin nach seiner voraussichtlich dauerhaften Einordnung als Nummer zwei hinter Moritz Nicolas eigentlich dem eigenen Anspruch nach das Weite suchen müsste, es für ihn angesichts der Verletzungshistorie aber möglicherweise gar keine passenden Interessenten gibt.
Im Sturm, weil Tim Kleindienst bis mindestens November das Toreschießen in der Liga nicht wieder wird aufnehmen können.
In der Abwehr, weil durch Lainers Weggang bei einer Verletzung von Scally oder Diks die Seite nicht mehr doppelt besetzt wäre. Und, weil die Abwehr insgesamt eine Auffrischung oder Neuausrichtung dringend nötig hätte.
Im Mittelfeld schließlich, weil zu viele Spieler um die spielgestaltenden Positionen rangeln und zu wenige um die Türsteherjobs vor der letzten Verteidigungslinie.
Als wäre es noch nicht kompliziert genug, diese Aufgaben bei gesperrtem Festgeldkonto einigermaßen unter einen Hut zu bekommen, bleibt auch noch die Ungewissheit bei einer Handvoll weiterer Spieler.
- Gehen Luca Netz oder Lukas Ullrich und was hieße das für die defensive Stabiliät hinten links, wenn man weiß, dass beide in der kompromisslosen Verteidigung nach hinten keine Monster sind?
- Macht Lasso Plea nochmal was Neues und hinterlässt uns ein kleines Ablösesümmchen, für das man aber keinen gleichwertigen Ersatz mit diesem Profil und Spielintelligenz bekommt? Kann Stöger dann in diese Rolle schlüpfen?
- Was sind die besten Entscheidungen für Fraulo, Ranos, Fukuda, Tiago Perreira?
- Bekommt man den in Ungnade gefallenen Florian Neuhaus in ein 1,2,3,4 Wochen koste es, was es wolle, noch vom Hof oder sitzt auch er seinen Vertrag aus?
- Oder muss man am Ende einen Honorat ziehen lassen, um auf dem Transfermarkt überhaupt handlungsfähig zu werden?
- Und werden wir am Ende wirklich darauf vertrauen müssen, dass Tomas Cvancara gegen jede Wette unverhofft durchstartet und sich als Kleindienst-Vertreter bewährt? Oder Ngoumou daran anknüpft, wo ihn die schwere Verletzung ausgebremst hat?
- Hofft der Verein ernsthaft, dass in dieser Situation ein Nachwuchsspieler den "Borussia-Weg" geht und zum Hoffnungsträger mutiert?
Was sich bis zum Ende der Transferperiode tut und ob Borussia da gut, zerrupft oder katastrophal heraus kommt, ist bis heute kaum vorherzusagen.
Fakt ist, dass einige der hoffnungsvollen Spieler, die mit Borussia in Verbindung gebracht wurden, aufgrund der selbst auferlegten Handlungsunfähigkeit längst vom Markt sind. Das klingt nach verpassten Chancen, muss aber kein Nachteil sein.
Immerhin: Dass ein (Wunsch-)Spieler wie Kiels Machino noch nicht woanders unterschrieben hat, macht etwas Mut. Aber auch diese Entscheidung ist sicher keine Frage von mehreren Wochen mehr.
Alles unklar also an der Spielerfront. Und da haben wir noch nicht über den Trainer gesprochen, der mit gellenden Pfiffen in die Sommerpause verabschiedet wurde (was ich in keiner Weise billige).
Die Zweifel daran, dass er in der Lage ist, die Mannschaft neu auszurichten, sich den gegebenen Möglichkeiten anzupassen und junge Spieler mutig und nicht nur in Notsituationen zu integrieren oder Spieler einfach besser zu machen, konnte er auch in der vergangenen Saison nicht zerstreuen.
Dass der Verein in Ermangelung anderer guter Nachrichten zuletzt medial in den Vordergrund stellte, dass man in den kommenden Jahren stärker auf die Durchlässigkeit aus der Jugend in die Profimannschaft achten will, ehrt ihn. Doch bis die Talente aus der bisherigen U17 und U19 zu konkurrenzfähigen Bundesligaspielern für Borussia entwickelt werden können, werden noch einige Jahre vergehen.
Und ob gefragte U17-Topspieler wie Moya und Güner auch nach ihrer Volljährigkeit ihre Zukunft noch in Gladbach sehen, hängt erheblich davon ab, wie Borussia dann da steht und welche Perspektiven man ihnen bieten kann.
Entkommt Borussia bis dahin der Weiterentwicklungsfalle, in der sie gerade sitzt, könnte das ein Wendepunkt zum Positiven sein. Wenn nicht, drohen auch die großen Anstrengungen des Vereins in seiner Jugendarbeit zu verpuffen. Was es nicht leichter machen würde, in einem immer enger werdenden Wettbewerb und bei steigender Zahl an finanzkräftigeren Konkurrenten, dauerhaft zu bestehen.
Das heißt: Man kann wegen der Bedeutung der diesjährigen Entscheidungen für die nächsten Jahre nur hoffen, dass die Weichen in diesem Sommer noch richtig gestellt werden können.
Ich würde allerdings im Moment darauf nicht wetten. Und das hat nichts mit überhöhten Ansprüchen oder Erwartungen eines Fans zu tun. Es ist die Befürchtung, dass man sich entgegen der berühmten Aussage des Sportchefs eben doch Sorgen um Borussia Mönchengladbach machen muss.