2018-09-16

Verstärkt, gereift, erfolgreich

Nach drei Spieltagen kann im Spiel einer Bundesligamannschaft noch nicht alles hundertprozentig glatt laufen. Das muss es aber auch nicht - solange die Punkteausbeute stimmt. Und deshalb lässt sich der Abend nach dem Topspiel gegen Schalke heute guten Gewissens genießen, selbst wenn es auch heute Phasen im Spiel gab, in denen der VfL nicht alles im Griff hatte im Borussia Park. Dennoch: Die Hecking-Elf ist auf einem guten Weg - und wird es bleiben, sofern man all das realisiert und akribisch angeht, was noch nicht so  geklappt hat in den ersten Spielen.

Unter dem Strich steht ein hervorragender Start in die Liga, zeitweise zauberhafter Fußball, eine laufstarke Spielanlage und eine überzeugende kämpferische Einstellung. Um das gegen unangenehme Gegner wie Leverkusen, Augsburg und Schalke auf den Rasen zu bringen, braucht es aber nicht nur individuelle Klasse und taktische Disziplin. Es braucht auch die richtige Einstellung untereinander und zueinander. Und die scheint da zu sein.

Bei Borussia steht nicht nur eine eingeschworene Elf auf dem Platz, sondern der gesamte Kader hält zusammen, jeder stellt sich in den Dienst des Teams. Das sieht man daran, wie man füreinander einsteht, wie man sich über gute Szenen und Erfolgserlebnisse des Kollegen freut, wie heute über das lang ersehnte Tor für Patrick Herrmann nach vielen Monaten schwerer Arbeit, die ihn zurück ins Team gebracht hat. Wer seinen Jubel gesehen hat, weiß, dass dieser Junge bei uns immer richtig war und immer richtig sein wird. Ich habe ihm das Tor so gegönnt heute.

Es ist viel spekuliert worden, wie die vergangene Saison verlaufen wäre, hätte das Verletzungspech nicht so ausdauernd zugeschlagen. Es ist müßig, darüber heute noch zu streiten. Doch wer die momentane personelle Situation anschaut und beobachtet, wie Dieter Hecking diese Möglichkeiten nutzt, sieht auch, dass es einen deutlichen qualitativen Unterschied zur Vorsaison gibt.

Ich hätte vor einem Jahr jedenfalls keine ruhige Woche vor dem Schalke-Spiel gehabt, wenn ich gewusst hätte, dass Stindl, Raffael und auch Drmic nicht zur Verfügung stehen würden. Diesmal war das für mich kein großes Problem, denn nahezu alle anderen offensiven Kräfte standen nicht nur bereit, alle sind auch in einer sehr guten Verfassung.

Heute konnten wir Kramer, Herrmann und Neuhaus von der Bank bringen, wie in Augsburg (Plea) knipste ein Joker (Herrmann), und ohne Einsatz blieben sogar noch Cuisance, Traoré und Beyer. Johnson ist fit wie lange nicht, Herrmann eine ebensogute Alternative und jemand wie Laci Benes hat es gegen Schalke nicht einmal in den 18er-Kader geschafft.

Das bietet nicht nur die Möglichkeit, jederzeit noch eine andere individuelle Qualität ins Spiel zu bringen, es eröffnet auch taktisch Optionen, um auf wechselnde Herausforderungen zu reagieren. Und Dieter Hecking macht in dieser Saison geschickt Gebrauch davon. Früher machte er ja öfter den Eindruck, dass er relativ wenig Einfluss von außen nehmen wollte oder konnte. Das hat sich geändert.

Und für jede schwierige Spielphase fand er bis jetzt eine angemessene Lösung. Heute etwa, indem er Christoph Kramer als zweiten Sechser statt des offensiveren Denis Zakaria aufstellte, rechtzeitig in der wichtigen Phase, wo Schalke mit geballter Offensivkraft von der Bank langsam im Mittelfeld die Oberhand zu gewinnen schien. Fortan musste sich Strobl den langen Bällen auf Embolo, di Santo und Uth nicht mehr allein entgegenwerfen, in der Folge gewann Borussia die Hoheit in der eigenen Hälfte wieder zurück und kam schließlich auch zum vorentscheidenden Treffer. Denn auch Jonas Hofmann bekam als alleiniger Achter von da an mehr Räume, die er bespielen konnte, und er wurde dadurch präsenter als vorher.

Viel war also wieder gut heute, aber längst nicht alles. Nach einer souveränen und spielfreudigen ersten halben Stunde verlor der VfL zusehends den Faden, zog sich nach dem ersten laufintensiven Pressing wieder etwas zu sehr zurück und machte den Gegner mit einigen blöden Ballverlusten (wie bei Jantschkes "Vorlage" für Uth) stärker als er war.

Auch zu Beginn der zweiten Halbzeit hatten sich Ginter und Co noch nicht richtig wieder in die Spur zurückgebracht, sodass das Spiel durchaus hätte kippen können, wenn Schalke den Ausgleich erzielt hätte.

Chancen dazu gab es, neben dem Abseitstor stand aber immer wieder ein Yann Sommer in Weltklasseform im Weg. Der war für mich heute der Spieler des Tages, auch wenn Ginter mit sehr robustem Verteidigen und dem schönen Tor sicher ein Konkurrent dafür war, sowie mit Abstrichen auch Hofmann, der vor allem einige gute Ecken und Freistöße zeigte - und erneut sein unnachahmliches Pfostenpech bemühte. Wäre ich Yann Sommer - oder Dieter Hecking - dann würde ich mich aber maßlos über das späte Gegentor ärgern, das nicht nur völlig unnötig durch nachlässiges Verteidigen entstand, sondern auch schon fast ein Affront gegenüber Sommer war, der es heute wirklich mehr als verdient gehabt hätte, ein weiteres zu-Null in sein Karrierebuch eintragen zu können.

Sicher noch kein Spieler des Spiels, aber eine große Versprechung war der erste Startelfeinsatz von Alassane Plea in der Bundesliga. Ein ganz feiner Fußballer, der nicht nur ein Näschen für die gefährlichen Situationen vor dem Tor hat, sondern auch andere hervorragend in Szene zu setzen versteht. Mitunter passt es bei den Zuspielen noch nicht ganz mit der Präzision, aber im Spiel ohne Raffael zeigte er heute schon einmal, dass ihm auch das Spiel mit einem größeren Aktionsradius liegt. Es ist natürlich noch viel Luft nach oben bei ihm, er braucht noch einige Spiele, um blind mit den anderen zu harmonieren (Ich fürchte, ich wiederhole mich).

Doch gerade in vielen kleinen Szenen sieht man das Potenzial des Franzosen. Er kann sich körperlich hervorragend auch gegen Abwehrklötze wie heute Naldo und Sané behaupten. Und er ist einfach ein toller Fußballer. Wie er vor dem 2:1 Wendts Flanke leicht herunternahm, sodass Herrmann der Ball direkt vor die Füße fiel, war ganz fein - wobei er sicher nicht assistieren, sondern selbst abschließen wollte. Aber darauf kommt es dann ja nicht an. Auch vor dem Pfostenschuss war es Plea, der sich klasse durchsetzte und den Pass auf Hofmann spielte.

Es ist ja immer wieder so viel über Gladbach und seine (nicht vorhandenen) Mittelstürmer geschrieben worden. Hier haben wir endlich wieder einen, der an alte Helden anknüpfen könnte.

Ansonsten zeigt sich die Ausgeglichenheit im Kader auch an den Erfolgserlebnissen: 5 Tore, 5 verschiedene Torschützen. Das macht es den Gegnern schwer, sich auf einzelne Spieler des VfL besonders einzustellen. Und das kann uns nur nutzen.

Das Spiel ist gewonnen, deshalb muss man sich heute nicht so sehr mit Fehlern des Schiedsrichterteams aufhalten. Doch ganz ohne geht es natürlich auch heute nicht. In den vergangenen Jahren haben sich die Benachteiligungen Borussias gerade in Spielen gegen Schalke so gehäuft, dass man nicht von "Normalität" sprechen kann. Und das setzte sich heute leider auch mit Manuel Gräfe wieder fort.

Wenn ein Spieler zweimal innerhalb weniger Minuten dermaßen rücksichtslos seinen Gegenspieler umtritt, ohne eine Chance gehabt zu haben, den Ball zu spielen, ist es ein Skandal, wenn er nicht zum Duschen geschickt wird. Was Gräfe geritten hat, Mendyl beim zweiten Foul zu verschonen, sodass ihn sein Trainer noch fix auswechseln konnte, möchte ich gar nicht wissen. Es ist für einen Bundesligaschiedsrichter einfach inakzeptabel. Inakzeptabel ist für mich auch, dass sich Köln zwar bei roten Karten einschalten darf, bei Gelb-Rot-Szenen wieder dieser aber nicht. Das ist völliger Quark.

Und es greift möglicherweise erheblich in ein Spiel ein. Denn im Normalfall hätte der VfL mehr als eine Stunde in Überzahl spielen dürfen. Dazu kamen in der zweiten Halbzeit heute drei oder vier Szenen, bei denen klare Schalker Abseitsentscheidungen nicht geahndet wurden und die Gäste dadurch in Ballbesitz blieben. Solange aus solchen Fehlern keine Tore resultieren, kann man am Ende einen Strich drunter machen. Aber wehe, dadurch kippt ein Spiel.

Bundesliga 2018/19, 3. Spieltag: Borussia Mönchengladbach - FC Schalke 04 2:1 (Tore für Borussia: 1:0 Ginter, 2:0 Herrmann)

2018-09-02

Überwiegend halbvoll

Ein Punkt in Augsburg, vier zum Saisonauftakt - gut oder nicht gut? Darüber kann man geteilter Meinung sein. Bei mir überwiegt - nachdem ich während des Spiels wieder viel zu hadern hatte - am Ende das Positive. Und ich will auch erklären, warum.

Dass das Spiel bei den Kampfrobotern aus der Puppenkiste ein ganz anderes werden würde als der Auftakt gegen die spielerisch anspruchvolleren Leverkusener, das lag auf der Hand. Und genauso kam es. Augsburg presste extrem hoch bis zum gegnerischen Strafraum und zwang Borussia so zu vielen langen Bällen, die wiederum gegen Spieler wie Hazard, Raffael oder Johnson relativ leicht zu verteidigen sind. Dazu kam ein sehr geschicktes Spiel nach vorne, entweder mit weiten Schlägen, mit denen Spieler wie Gregoritsch oder Hahn besser zurechtkommen als etwa unsere filigranen Offensivkünstler. Oder eben mit zwei drei präzisen Pässen durch das Mittelfeld, die Borussias Abwehr (egal ob in Dreier- oder in Viererformation) immer wieder vor Probleme stellte. Es ist das Erfolgsrezept, das schon in der vergangenen Saison gegen den VfL zu oft aufgegangen war. Und auch gestern wurden mit diesem schnörkellosen Spiel so sowohl das Tor als auch die anderen Großchancen der Gastgeber eingeleitet.

Leider gelang es dem FCA auch diesmal über weite Strecken des Spiels, das Gladbacher Spiel zu lähmen oder in die ungefährliche Zone der Gladbacher Hälfte zu verschieben. Dass sie trotz des Wissens um die Taktik des Gegners vor allem in der ersten Halbzeit - von zwei, drei Torgelegenheiten abgesehen - kein Gegenmittel fand, muss man der Mannschaft ankreiden, auch wenn wir erst am Anfang der Saison sind. Wenn man in der eigenen Hälfte von vier oder fünf Gegners angelaufen wird, müssen dahinter logischerweise Räume entstehen, die man nutzen kann. 
Das gelang aber nur selten, weil dann doch wieder statt dem schnellen, risikoreicheren Pass oft der quer oder nach hinten gesucht wurde und häufig am Ende einer solchen Ballbesitzpassage nur der lange Schlag des Torwarts als Alternative blieb. So ist es auf der einen Seite zwar klasse, dass Yann Sommer mit fast 100 Ballaktionen als Torwart und erster Spielmacher rekordverdächtig aufspielte. Andererseits ist es genau das, was der Gegner vorhatte: lange Bälle zu provozieren, die in der Genauigkeit eine große Streuung haben und mit der Körperlichkeit der Augsburger Verteidiger recht sicher zu verteidigen sind.
Dennoch brachte der VfL in der ersten Halbzeit drei gute Angriffe durch, bei denen Hazard leider wieder einmal bei Abschluss oder Zuspiel zu lange zögerte. Ein Spieler seiner Klasse muss da einfach effektiver sein. (Einschub: Ich habe mir gerade das Video mit den 100 Bundesligatoren von Marco Reus angeschaut. Das sieht man den Unterschied.)

So, das war ziemlich viel Kritik. Wieso sehe ich das 1:1 am Ende trotzdem positiv? Weil die Mannschaft funktioniert, weil sie fokussiert bleibt, weil sie in der Lage ist, taktisch schnell umzustellen und auch nach einem Rückstand gegen eine solche Abwehrmannschaft geduldig bleibt. Das hat sich gestern nur zum Teil ausgezahlt, weil nach der Halbzeit die kurze Drangphase nicht ausgereicht hat, den FCA stärker zu erschüttern. Die mutige Umstellung auf Dreierkette und die dadurch im Mittelfeld vorhandene Überzahl setzte dem Gegner zwar sichtlich mehr zu. Allerdings passte es in der Rückwärtsbewegung dann nicht immer, sodass Hecking das Risiko eines zweiten Gegentreffers wohl zu hoch wurde und er Johnson in die Viererkette zurückbeorderte. 
Dennoch war es taktisch (und vom Coaching her) ein Fortschritt zur vergangenen Saison, auch wenn man das Spiel gestern nicht besser reden muss als es war. Nicht jeder konnte gestern an seine Form der Vorwoche anknüpfen (Hofmann, Jantschke, Raffael, Hazard, Strobl...) und es hakt weiterhin an einigen Stellen, etwa wenn es schnell nach vorne gehen müsste. Es sind aber die guten Ansätze und die verbesserte Spielanlage, die ich in die Länderspielpause mitnehme. Da ist Alassane Plea, an dem wir viel Freude haben werden, weil er gezeigt hat, dass er weiß, wo er stehen muss, wenn es nach Tor riecht. Ein bärenstarker Torwart klärt so manchen Ball, den nicht jeder hält. Die Einstellung stimmt, die Zweikampfhärte ist da, die Mannschaft lässt sich auch durch robusten Körpereinsatz des Gegners nicht so leicht aus dem Konzept bringen, auch nicht, wenn der nicht ausreichend geahndet wird.

Damit bin ich zum Abschluss wieder mal bei meinem Lieblingsthema, das ich aber etwas gelassener ansprechen kann, da es am Samstag keine spielentscheidende Wirkung entfaltete wie diverse Male in früheren Spielen. Schiedsrichter Willenborg war mit dem Spiel leider überfordert, und ich frage mich, warum wir gerade gegen solche körperbetonte Gegner immer wieder Schiedsrichter bekommen, die überharten Einsatz nicht angemessen ahnden. Nach 90 Minuten hatte Augsburg eine gelbe Karte, Gladbach zwei. Dabei unterließ der Schiri auf Augsburger Seite nicht weniger als vier Pflichtverwarnungen, zwei weitere hätte er bei Gladbach zeigen müssen. Stattdessen gefiel er sich darin, an unnötigen Stellen Spielzeit mit Ansprachen an Spieler zu verplempern, die er anschließend nicht angemessen nachspielen ließ. Von der Nachspielzeit am Ende verbrauchte er allein gut eineinhalb Minuten, weil er bei Ecken und Freistößen für Verzögerungen sorgte. 
Dazu kommt eine Reihe von nicht geahndeten klaren Fouls (auf beiden Seiten) und der Regelverstoß kurz vor der Halbzeit, als Hahn den Freistoß von Hofmann aus einem halben Meter Entfernung blockte und ein gefährlicher Angriff daraus resultierte. Sicher, in diesem Fall hätte eher sein Gespann reagieren müssen, weil es hinter Willenborgs Rücken geschah. Und bei einem Gegentor hätte der Videoassistent noch die Möglichkeit gehabt, einzugreifen. Aber ehrlich gesagt hätte ich mich darauf nicht verlassen wollen. Insgesamt also wieder eine überschaubare Leistung der Unparteiischen, ausgerechnet in einem Spiel, in dem es auf solche Feinheiten besonders ankommt.

Sei es, wie es will. Für mich steht unter dem Strich nach zwei Ligaspielen ein guter Saisonstart, denn es hätten mit wenig Fantasie bei Betrachtung der "Papierform" und auch bei Betrachtung der beiden Spiele genausogut 0 werden können. Insofern wäre es zu früh, von einer gefestigten Borussia zu sprechen, die ihren Weg in der Saison machen wird. Aber wir haben gesehen, dass da mental, taktisch, von der Einstellung her und auch von den individuellen Stärken schon eine Mannschaft auf dem Platz ist, die sich vor (fast) keinem Team verstecken muss. Bedenkt man, dass dazu noch in Stindl, Traoré, Elvedi, Lang sowie Kramer und Drmic gestandene Spieler dazu kommen und die Talente Bennetts, Benes, Cuisance und Zakaria erst ein paar oder gar keine Spielminuten auf dem Tacho haben, sieht die Perspektive erstmal gut aus. Hoffen wir, dass alle gut und gesund durch die unnötige Länderspielpause kommen. Dann sehen wir weiter.

Bundesliga 2018/19, 2. Spieltag: FC Augsburg - Borussia Mönchengladbach 1:1. (Tor für Borussia: 1:1 Plea)