2022-03-12

Ein Moment des Durchatmens

Einmal tief durchatmen, bitte! Das zweite Abstiegsduell innerhalb einer Woche geht an Borussia - zum Glück -, und man muss sagen, dass es an der Richtigkeit dieses Spielausgangs auch keine Zweifel gibt. Gladbach war von Minute eins Herr im Borussia Park und leistete sich nur direkt nach Wiederanpfiff eine etwas lethargischere Phase gegen offensiver aus der Kabine gekommene Herthaner. Da hätte das Spiel durch einen schnellen Anschlusstreffer aber durchaus noch mal kippen können. 

Doch insgesamt blieb es bei einem gefährlichen Kopfball von Kempf, den Sommer über die Latte wischte (54.) und einem Schuss von Herthas Ekkelenkamp, der auch einen Meter übers Tor geflogen wäre, hätte ihn nicht Kramer ungewollt mit dem Gesicht abgefälscht (77.). Zum Glück prallte der Ball aber an der Latte ab und fiel (diesmal) nicht unglücklich ins lange Eck. Mehr klare Chancen verzeichneten die Gäste nicht - in der ersten Halbzeit blieben sie ganz ohne Torschuss, auch in der zweiten gelang es der Gladbacher Defensive ebenfalls meist, das Tor auch bei dicht vors Tor geschlagenen Flanken recht gut zu verteidigen. Und wenn nicht, räumte Yann Sommer ungewohnt robust im Rauslaufen auf.

Der durch Covid19 verhinderte Adi Hütter und sein Team hatten das wenig überzeugende Experiment mit einer sehr tiefstehenden Ordnung aus dem Stuttgart-Spiel gleich wieder beerdigt und diesmal ultra-offensiv aufgestellt. Neben dem vorderen Trio Embolo, Thuram und Plea sorgten die jungen Scally und Netz über außen für Druck. Koné und Neuhaus entwickelten das Spiel immer wieder durch mutige Läufe durchs Zentrum vertikal nach vorne. 

Begünstigt durch die sehr defensive Aufstellung des Gegners gelang es zumindest in Halbzeit eins fast optimal, den Gegner aus der eigenen Hälfte und vor allem aus dem letzten Drittel vor dem eigenen Tor herauszuhalten. Eine aber nachvollziehbare taktische Ausrichtung, denn der VfB Stuttgart hat offensiv auch deutlich mehr zu bieten als die Berliner, die auch heute keine Argumente dafür sammeln konnten, warum sie nicht absteigen werden.

Für den offensiven Aufwand mit einigen sehenswerten Angriffen belohnte sich die Mannschaft von Interimscoach Christian Peintinger allerdings noch zu lange nicht. Zwar verzeichnete vor allem Thuram in der ersten halben Stunde einige Abschlüsse, die aber alle zu ungenau waren. Die einzige richtig dicke Chance hatte Embolo in der 9. Minute mit einem schönen Schlenzer an den Pfosten gehabt. 

Das 1:0 in der 24. Minute fiel hingegen nicht unbedingt aus einer zwingenden Torchance. Marcus Thuram hatte im Eins-gegen-Eins-Duell gegen Kempf zwar einen Geschwindigkeitsvorteil und er hätte mit dem nächsten Schritt aufs Tor schießen können. Doch Kempfs Grätsche verhinderte das in strafbarer Art und Weise. Plea verwandelte den Strafstoß zur wichtigen Führung, die leider bis zur Halbzeit gegen einen wankenden Gegner nicht weiter ausgebaut werden konnte.
Insofern war das gefährlich, weil sich die Gäste erwartbar nach der Pause offensiver zeigten und Gladbach einmal mehr eine Weile brauchte, um selbst darauf angemessen zu reagieren. Das gelang immerhin dann besser
und das defensiv sehr konsequente Vorgehen und das gegenseitige Helfen in Bedrängnis war ein deutlicher Fortschritt zu manch anderem Spiel.

Dass am Ende ein doch ungefährdeter Sieg stand, lag aber auch daran, dass der VfL heute aus den wenigen guten Torchancen das Optimum herausholte. Die Vorentscheidung fiel nach einer Stunde, nachdem Scally auf schönen Pass von Thuram Hertha-Torwart Lotka zu einer Glanzparade gezwungen hatte und Matze Ginter die direkt darauf folgende Ecke von Luca Netz per Kopf sehr cool im Berliner Tor versenkte.
Natürlich ging dem ein individueller Fehler von Herthas Niklas Stark voraus, aber sowohl die Qualität der Flanke als auch der Abschluss machten einen einstudierten Eindruck. Ganz wichtig, gerade zu diesem Zeitpunkt! 

Die Torvorlage zum 2:0 krönte auch die Leistung des sehr giftigen, aufmerksamen und zweikampfstarken Luca Netz ("ausgerechnet" gegen seinen alten Club), der wie schon gegen die Bayern zeigte, dass wir uns in Zukunft auf einiges von ihm freuen können - nicht nur auf gute Standards. Auch für Matthias Ginter freut es mich, auch er machte ein gutes Spiel und war vor allem in der ersten Hälfte auch als quasi zusätzlicher Offensivspieler unterwegs, fast wie in seiner Nationalmannschaftsrolle. Das sollte ihm Auftritt geben, nachdem er zurecht zuletzt ja auch oft kritisiert worden ist.

Das heute war ein wichtiger Schritt raus aus der Krise. Doch es gibt natürlich mehrere "abers". Gladbach war heute über weite Strecken der Partie gut auf den Gegner eingestellt. Allerdings war das aus meiner Sicht auch der zweitschwächste Gegner, der sich in dieser Saison im Borussia Park vorgestellt hat. Nur der Auftritt von Greuther Fürth in der Hinrunde war noch harmloser. 

Insofern stellt sich die Frage, ob das auch gegen einen konterstärkeren Gegner heute gutgegangen wäre. Hertha hatte zwar nur wenige gute Abschlüsse, diese hätten im schlechten Fall aber dennoch für Gladbacher Punktverluste ausreichen können. Die Mannschaft ist also noch lange nicht über den Berg - das wäre auch vermessen zu glauben, nach den letzten Wochen. Aber sie stabilisiert sich.

Das wäre eine gute, Hoffnung gebende Nachricht, aber: Wie oft haben wir nach guten oder wenigstens verbesserten Auftritten gehofft, dass jetzt der Groschen gefallen, der Knoten geplatzt, der Ernst der Lage erkannt worden war? Um uns dann doch immer und immer wieder eines Schlechteren belehren zu lassen.

Ich kann deshalb beim besten Willen nicht vorhersagen, von welcher Seite sich dieses Team am kommenden Freitag in Bochum zeigen wird. Ob sie an das heutige Spiel anknüpft oder ob sie sich möglicherweise einmal mehr den Hintern versohlen lässt.
Deshalb glaube ich auch am Fernseher vernommen zu haben, dass die Erleichterung im Stadion zwar sehr zu spüren war, aber eben keine Euphorie aufkam. Es ist und bleibt ein schwerer Weg bis zum letzten Spieltag. Die drei Punkte von heute wiegen schwer - gegen die Berliner und für Borussia. Mit denen von Stuttgart wäre das Abstiegsthema aber heute schon sehr sehr klein geworden. Mit einer Niederlage in Bochum dagegen kann es wieder groß werden, denn es sind immer noch "nur" sieben Punkte bis zu den Plätzen 16 und 17.
Allerdings zeigt zum Glück die Formkurve von immer mehr Borussen wieder nach oben, sodass es - konzentrierte Leistungen vorausgesetzt -, heute ein ganzes Stück wahrscheinlicher geworden ist, dass Gladbach auch in der kommenden Saison im Fußball-Oberhaus dabei ist.  

Auch der psychologische Effekt dieses erst vierten Zu-Null-Spiels der Saison - dem ersten seit dem 4:0 gegen Fürth am 20. November - ist nicht zu unterschätzen. Mit diesem Erfolg kann sich die Mannschaft weiter festigen, kann wieder mehr an die eigenen Stärken glauben, auch in der Defensive. Das ist gut - sofern die Spieler nicht leichtsinnig oder überheblich werden. Hoffen wir also, dass dieses Gefühl des Erfolgserlebnisses diesmal von längerer Dauer ist.

Meine wöchentlichen 5 Cent zum Schiedsrichter: Florian Badstübner gefällt mir von seiner ruhigen Art und seiner klaren Gestik (trotz verhältnismäßig wenig Erstligaerfahrung) eigentlich sehr gut. Er versucht auch, viel laufen zu lassen, was mir heute in einigen Szenen aber auch deutlich zu viel war. Beim Elfmeter konnte er offenbar schlecht sehen, ob Ball oder Fuß getroffen wurde, das kann passieren. Und das gibt zugleich dann heute auch mal wieder einen ganz großen Pluspunkt für das reine Vorhandensein des VAR, der diese offensichtliche Fehl- oder Nichteinschätzung logischerweise leicht korrigieren konnte.

Unverständlich ist für mich aber, wie in einem solchen Spiel mit vielen engen und knackigen Zweikämpfen Gladbach am Ende mit drei gelben Karten und Hertha ohne Verwarnung rausgehen konnte. Hier war doch eine erhebliche Ungleichbehandlung zu erkennen, allein die Foulstatistik mit 17:7 für Hertha sagt ja schon einiges über die Frage aus, wer hier erheblich öfter danebengehauen hat.
Ein kompletter Witz des Systems ist es für mich, dass man zwar für einen unabsichtlich mit der Hand abgefälschten Ball im Strafraum zwingend Gelb sieht (wir erinnern uns an Marvin Friedrich oder Denis Zakaria), während es bei Foulspielen (wie beim Elfer von Kempf) aber offenbar ins freie Ermessen des Schiris gestellt wird, ob eine Verwarnung gezogen wird oder nicht. Kempf jedenfalls bekam weder in der Szene noch in zwei anderen eine (verdiente) Karte, dafür auf der anderen Seite aber Marcus Thuram, der dem Schiedsrichter bei der Auswechslung nicht schnell genug vom Platz trabte. 

Das wiederum war eine völlig überzogene Entscheidung, Thuram war ja nicht mal aufreizend langsam vom Platz gegangen, er wählte nur den etwas längeren Weg zur eigenen Bank, was ihm der Schiri auch nicht anders aufgetragen hatte. 

Aktualisierung/Korrektur: Ich bin dankenswerterweise darauf aufmerksam gemacht worden, dass Badstübner Thuram doch bedeutet hatte, dass er auf der anderen Spielfeldseite raus gehen sollte. Dann geht die Verwarnung natürlich grundsätzlich in Ordnung. Das ist mir entgangen. Es ändert aber nichts an meiner Kritik daran, dass so etwas nur alle Jubeljahre mal geahndet wird (siehe folgende Zeilen) und auch, wie in diesem Spiel auch wieder, nicht wenigstens konsequent nachgespielt wird.  

Ich würde gern mal wissen, wann der letzte Spieler in der Bundesliga für so etwas Gelb gesehen hat (und wie oft es überhaupt geschieht) oder ob es da nur wieder ein neues Gegen-Gladbach-"Commitment" à la Stieler gegeben hat, das dann genau bis zum Anpfiff des nächsten Spieltages gilt.
Sicher, es war erst die zweite Karte von Tikus und sie wird wohl diese Saison keine großen Konsequenzen mehr haben. Aber in Ordnung ist das für mich trotzdem nicht (im Gegensatz übrigens zu den anderen beiden Gelben Karten, die angemessen waren).     

Bundesliga, 26. Spieltag: Borussia Mönchengladbach - Hertha BSC 2:0. Tore für Borussia: 1:0 Plea (FEM, Thuram), 2:0 Ginter.

Saisonspende: Zwei Tore steigern den Spendenstand um zwei Euro. Für das erste Zu-Null seit gefühlten Äonen gibt es einen weiteren Euro. Wenn ich gewusst hätte, wie selten die weißen Westen für Yann Sommer in dieser Saison sind, hätte ich den Einsatz vor Saisonbeginn sicherlich höher bewertet. Macht insgesamt nach dem 26. Spieltag: 107 Euro.

Folgendes gilt für die Saison 2021/22: Ich spende am Ende der Saison einen Betrag X für einen (oder mehrere) gute(n) Zweck(e), auf den/die ich mich später festlege. Die Spendensumme setzt sich wie folgt zusammen: Jedes erzielte Tor von Borussia in Bundesliga oder DFB-Pokal: 1 Euro. Jedes Tor von Tony Jantschke: 10 Euro. Platzverweis von Max Eberl: 2,50 Euro. Gehaltener Elfmeter von Yann Sommer (oder einem Ersatzmann): 2,50 Euro; Zu-Null-Spiel: 1 Euro. Derbysieg gegen K***: 5 Euro. Siege gegen Bayern, Dortmund oder Leipzig: 10 Euro. Ein Sieg in Freiburg oder Wolfsburg: 10 Euro. Internationaler Startplatz am Saisonende: 20 Euro. Deutsche Meisterschaft: 121 Euro. DFB-Pokalsieg: 50 Euro. Gladbacher Torschützenkönig: 30 Euro.

4 Kommentare:

  1. Erstmal danke für deinen Text. Stimme voll zu. Drei wichtige Punkte, aber definitiv keine Offenbarung gegen ganz schwache Berliner. Der Auftritt lässt auch keine seriösen Schlüsse auf die kommenden Spiele zu, dafür sind wir schon zu oft brutal enttäuscht worden. Immer noch ganz viel im Argen bei Borussia. Aber irgendwie sollten noch 9 Punkte in den kommenden Spielen möglich sein. Siege gegen K... und das Böse wären natürlich besonders gut für die geschundene, immer noch brennende, Seele. :)

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  2. Danke für deine Einschätzung und die Bewertung des Spiels, wie immer lesenswert. Zur Karte von Thuram, der Schiri hat Thuram sehr wohl gebeten auf der Ostkurve vom Platz zu gehen, deshalb war die Karte in Ordnung. Allerdings habe ich genauso gelbe Karten für die harte Spielweise der Berliner vermißt.

    Weiterhin viel Spaß mit deinem Blog!

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    1. Danke für deinen Hinweis, das habe ich tatsächlich im TV nicht gesehen. Habe den Text entsprechend aktualisiert. LG, Michael

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