2020-03-11

Geisterhaft gelöst

Geisterderby - Entgeisterung. Geistersieg - Begeisterung? Na ja, geht so.

Borussia hat sich im Nachholspiel - des vom Winde verwehten Derbys gegen Köln am 21. Spieltag - absolut verdient den erst am Wochenende verlorenen vierten Tabellenplatz zurückgeholt.
Der Gegner aus der Domstadt spielte bieder und war die meiste Zeit über keine große Gefahr für das Tor von Yann Sommer. Erst durch Gladbacher Nachlässigkeiten und Sommers Fehler beim Abschlag vor dem 1:2 geriet der 50. Derbysieg nach hinten heraus noch einmal ins Wackeln. 
Doch das gute Ergebnis und ein recht souveräner Auftritt geht ziemlich unter, in einem historischen Spiel, das so kein Mensch gewollt und gebraucht hat. Und an das wir uns doch vielleicht gewöhnen müssen.

Wenn es eines Beweises bedurft hätte, was Profifußball ohne Fans ist - ab heute weiß es jeder. Es ist eine durch und durch traurige Veranstaltung. 
In Minute 11 habe ich mir das erste Mal gewünscht, dass dieses Spiel möglichst schnell vorbeigehen möge, so deprimierend waren die ersten ausgeglichenen, risikolosen Minuten in einer gespenstischen Soundkulisse, in der jeder einzelne Tritt gegen den Ball von den Sky-Außenmikrofonen eingefangen und als dumpfer Ton wiedergegeben wurde. 
Nach dem schön herausgespielten Führungstreffer wurde das Spiel zwar deutlich lebendiger, aber es hatte doch nichts von dem Kitzel, den wir Woche für Woche in den Stadien der Bundesliga erleben können. Das heute war ein Trainingsspiel, das immerhin drei Punkte wert war. Ein Sieg unter diesen Umständen ist längst nicht selbstverständlich, er gibt Selbstvertrauen. Und er erhält das kleine Polster auf den Verfolger Leverkusen. Das ist gut und beruhigend.


Die Verlierer des Tages waren allerdings nicht nur die Gäste vom Effzeh. Als wäre es noch nicht schlimm genug gewesen, was die Corona-Eindämmungspolitik aus dem vielleicht elektrisierendsten Spiel einer Borussen-Saison gemacht hatte. Der einzig übertragende Sender Sky schaffte es auch noch, den einzigen Höhepunkt des Spiels - die Siegesfeier mit den Fans nach dem Spiel vor der Nordkurve - völlig zu verschnarchen. 
Während die Jungs von Marco Rose die Stehtribünen erklommen und sich dem vor dem Stadiontor stehenden harten Kern der Fans präsentierte, plapperten die Feldreporter lieber mit dem *ölner Manager und Trainer über Unwesentliches. Dazu wurde immer mal ein verzweifelter Kamerazoom durch eine der Block-Luken auf die Fans eingespielt. Bilder von draußen? Fehlanzeige.

Ihr Leute von Sky: könnt ihr eigentlich gar nichts? Die Bildregie ist ja ohnehin immer beschissen, etwa wenn man wieder und wieder sekundenlang Ersatzspieler, Trainer oder Publikum gezeigt gekommt, während der Ball auf dem Rasen schon wieder weiterläuft; von den sonstigen Unannehmlichkeiten beim Verfolgen einer Sky-Übertragung ganz abgesehen.
Aber warum zum Teufel ist denn keiner in eurem Laden in der Lage, spontan eine Kamera in die Hand zu nehmen und kurz mit rauszugehen, um den einzigen richtig guten Moment dieses Spieltages für die Zuschauer einzufangen? Sky Deutschland - das war wirklich erbärmlich. 
Zum Glück gibt es genug Videos im Netz, um diesen verlorenen Moment noch zu genießen. 

Mein Respekt an die Fans, die die Mannschaft vor dem Spiel angemessen empfangen und angefeuert haben, und die später im Regen vor dem Stadion ausgeharrt und ihr Bestes gegeben haben, um wenigstens etwas Atmosphäre ans und ins Stadion zu tragen. 
Und an alle, die in den vergangenen Wochen so auf "die Ultras" und "die Idioten" geschimpft haben: die, die ihr heute wegen der Szenen nach dem Spiel feiert - das sind zu einem großen Teil genau dieselben Menschen.

Will ich zu dem Spiel selbst noch etwas schreiben? Ich glaube nicht. Was etwas unfair ist, weil damit die gute Leistung von Breel Embolo genauso untergeht wie die hervorragenden Staubsaugearbeiten, die Chris Kramer, Tobi Strobl und die Abwehrreihe über 90 Minuten verrichtet haben. Vieles sah wenig spektakulär aus, zu oft wurden Angriffe abgebrochen und zu oft war das Tempo im Angriffsdrittel nicht hoch genug. Aber insgesamt war das eine ganz saubere und souveräne Leistung, die zurecht am Ende gefeiert wurde. Wenn man es im Kontext dieser Tage ausdrpcken wollte, dann wohl so: Das hat die Mannschaft geisterhaft gelöst.
Und ja, ich habe auch am Schiedsrichterteam weiter nichts auszusetzen. Sehr sympathisch übrigens die offene Worte von Deniz Aytekin nach Abpfiff zu den Umständen des Spiels. Wenn selbst die Schiris unter der Geisteratmosphäre leiden, sagt das auch viel Gutes über das gewohnte (hitzige) Stadionerlebnis.

Dass mich der Derbysieg dennoch heute nicht euphorisiert, liegt auch an der Unsicherheit, wie es weitergeht. Spielen wir jetzt alles ohne Publikum? Wie wirkt sich das auf Dauer aus? Oder zieht demnächst irgendjemand die Notbremse und wir treten die ganze Saison in die Tonne? 
Keiner weiß es, keiner hofft es. Und doch hängt dieses Szenario bedrohlich über uns. 
Während des Spiels heute habe ich mich persönlich schon ein bisschen von dieser Saison verabschiedet. Schade drum. Die Leichtigkeit, die Begeisterung, das Hoffen und Bangen bis zuletzt - all das ist mir in den vergangenen Tagen ein Stück abhanden gekommen. Schließlich gibt es wirklich wichtigeres als Fußball.


Wobei ich auch betonen will, dass ich absolut nichts gegen die Maßnahmen sage, die wegen Corona ergriffen werden (zumal sie jetzt offenbar endlich auch einheitlich umgesetzt werden). Es gibt gute Gründe dafür, auch wenn vieles bis dahin wieder ziemlich dämlich gelaufen ist und Politik, DFB und DFL sich dabei einmal mehr nicht mit Ruhm bekleckert haben. Aber das ist ja auch nichts Neues.



Bundesliga 2019/20, 21. Spieltag: Borussia  Mönchengladbach - 1. FC K*** 2:1 (Tore für Borussia:  1:0 Embolo, 2:0 Eigentor Meré/Vorlage Embolo)

2 Kommentare:

  1. Spielbericht wie immer passend.Und emontional habe ich mich über Busempfang und Feier mit den Fans auch gefreut . .. aber ganz ehrlich, das war daneben, daneben weil es jetzt nicht angesagt ist, mit 1000 Leuten vor dem Stadion zu stehen und dort die Weiterverbreitung des Viruses zu riskieren. Auch wenn es total blöd ist, sollten wir alle - insbesondere für die, die Schutz benötigen- uns nicht selbst zum möglichen Träger machen und eben die Menschen mit Vorerkrankung oder älter 65 zu schützen. Deshalb gehen auch keine gemeinsamen Kneipen-TV-Ereignisse und ein Fan-Haus sollte auch nicht öffnen! Auf bessere Zeiten mit Fans, wenn der Ball rollt. Bis dahin Hygieneregeln einhalten, gesund und fröhlich bleiben!

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    1. Schön ausgedrückt. Vom Verstand her hast du vollkommen recht, es war nicht vernünftig. Aber Herz und Bauch haben sich eben auch über den "Regelbruch" der Fans gefreut an diesem trostlosen Abend. Zumal es erstmal so aussieht, als wären wir wieder mal die einzigen Deppen, die in den Genuss eines solchen Geister-Erlebnisses gekommen sind.

      Wie auch immer: Haltet zusammen und die Ohren steif!

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