2022-11-05

Zaubern, zittern, zusammenhalten

Heute können wir mal wieder zufrieden und ein bisschen glücklich sein. Ja, natürlich war im Spiel gegen zeitweise sehr starke Stuttgarter auch diesmal einiges zu bemängeln. Der Gegner legte den Finger in so manche Gladbacher Wunde. Das Spiel stand so bis zum Schluss auf der Kippe, und es wäre ohne den Sippel-Reflex kurz vor Schluss vielleicht sogar verloren gegangen. Und mit dem gleichen "Spielglück" wie im Union-Spiel wäre dieses Spiel heute wohl auch nicht zu gewinnen gewesen. 

Aber diesmal gelangen dafür auch viel mehr Dinge, die in den vorangegangenen Spielen schiefgegangen wären, mancher Ball sprang genau so, wie es Gladbach nutzte. Das Glück im Fußball ist eben ein wechselhafter Begleiter. Und dann gab es mal wieder einen Schiedsrichter, der sich trotz vieler kniffliger Zweikämpfe und Situationen seiner Aufgabe gewachsen zeigte.

Doch der Hauptgrund, warum Borussia am Ende siegreich aus dem Spiel heraus ging, hieß Borussia.

Endlich spielte die Mannschaft wieder mutiger und agierte zielstrebig nach vorn, setzte den Gegner unter Druck und zerlegte bei den Toren das Stuttgarter Defensivkonzept sogar mit akkuraten, feinen Schnitten. Die heute von Lasso Plea vorgelegten Treffer gehörten sicher zu den schönsten Kunstwerken, die in den vergangenen zehn Jahren im Borussia Park zelebriert wurden. Es lag an diesem Freitagabend schon ein Hauch von Arango und "Legenden-Spiel" in der Luft, als Gladbach die Stuttgarter in der Anfangsphase von einer Verlegenheit in die nächste stürzten.

Zur Wahrheit gehört selbstverständlich, dass die Gäste diesen Spielwitz und die Dominanz des VfL im Spielverlauf besser in den Griff bekamen und selbst immer wieder für Gefahr vor dem Kasten von Tobias Sippel sorgen konnten. Da hätte einiges in die Hose gehen können, wenn die Farke-Elf heute nicht so füreinander gekämpft hätte und gelaufen wäre. Es ist deshalb zwar nach dem Spielverlauf kein selbstverständlicher Sieg, aber ein dennoch verdienter Erfolg, der erstmal durchschnaufen lassen kann.

Meine besondere Zufriedenheit kommt dabei vor allem durch ein paar Nebenaspekte für Fußballromantiker.

Mit den Rückkehrern Manu Koné und Jonas Hofmann fehlte Daniel Farke heute immer noch eine erhebliche Zahl an Stammkräften. Aber die beiden bewiesen durch ihre hervorragende Leistung, welchen Unterschied sie im Spiel nach vorne und nach hinten für Borussia machen können.

Das letzte Innenverteidigeraufgebot spülte wiederum Tony Jantschke in die Startelf, eine äußerst seltene Konstellation. Es tat gut, ihn so kompromisslos und konzentriert wie immer zu erleben - vor allem, nachdem er bei seinem Kurzeinsatz gegen Union beim entscheidenden Gegentor keine so gute Figur gemacht hatte. Leider ist der Fußballgott aber auch heute wieder vor Ablauf der Spielzeit kaputt gegangen und wird daher möglicherweise weitere Einsätze verpassen. Das ist der Wermutstropfen, und die Verletzungsanfälligkeit zieht sich bei Tony leider schon durch die vergangenen Jahre.

Pluspunkte sammelte zum Glück auch Tobi Sippel, der seinen Kredit bei vielen Fans durch ein paar unglückliche Situationen gegen Darmstadt und Union offenbar schon verloren hatte. Umso mehr gönne ich ihm diese Monsterparade, mit der er das 2:2 verhinderte - wie auch immer er dies in der Szene gemacht hat. Es ist aber vor allem ein Lehrstück für all die, die Spieler bei der ersten Gelegenheit hochjubeln und sie sofort fallen lassen, wenn sie dann mal nicht wie erwartet abliefern.
Jeder im Kader ist ein Könner seines Fachs und ein wichtiger Teil des Ganzen - aber zugleich ein Mensch, der Fehler machen kann. Es wäre so schön, wenn das in manche Köpfe mal reingehen würde: Man gewinnt gemeinsam, man verliert gemeinsam. Und auch wenn man Fehler macht, ist man kein Versager.
Einen Spieler wie Marcus Thuram liebe ich dafür, wie er diesen Zusammenhalt auslebt, nach außen trägt und auch manchem in der Kurve den Spiegel vorhält, wenn er etwa nach dem 2:0 den Passgeber Plea hochleben lässt oder nach dem Spiel mit dem Sippel-Trikot in Richtung Fans feiert. Das ist eine intakte Gruppe, in der jeder jeden unterstützt und feiert. Und alle Fans sollten das auch tun.

Wie gut der Spirit im Team ist, wurde auch deutlich beim Schlusspunkt des Spiels, als der gerade eingewechselte Patrick Herrmann nach gefühlten Jahren endlich mal den Konter so zuende brachte, wie es sein musste, mit einem trockenen Schuss ins lange Toreck. Die gemeinsame Freude der anderen Spieler mit Flaco - das allein war das Zittern bis zum Schluss wert. Es war einer dieser Gänsehautmomente im Park, die zeigen, wie diese Mannschaft lebt, was sie kann und was sie erreichen könnte, wenn sie die Energie, den Willen, die Spielfreude und die Cleverness von heute dauerhaft auf den Platz bringen könnte.

So, zum Schluss gehen Grüße raus an den heutigen Referee Matthias Jöllenbeck, der aus meiner Sicht einer der talentiertesten seiner Zunft ist. Verbindliches, aber freundliches Auftreten, nicht aufdringlich, aber auch nicht aus der Ruhe zu bringen. Das wurde belohnt - trotz vereinzelter falscher Entscheidungen wie einem übersehenen Foul an Thuram direkt vor seinen Augen und zwei nicht ausgesprochenen Verwarnungen  gegen Anton und den absichtlich Hand spielenden Mavropanos, für den dies später zu Gelb-Rot geführt hätte. Insgesamt allerdings kam er trotz eher kleinlicher Regelauslegung mit wenig Verwarnungen aus, und das Spiel drohte dennoch nie auszuarten.

Vor allem behielt Jöllenbeck aber in den entscheidenden Szenen die Übersicht. Er gab zu Recht nur Gelb für Bensebaini bei dessen Befreiungsschlag vor einer Ecke gegen Anton, weil die Bewegung zwar heftig war, aber zum einen das Festhalten von Anton mit beiden Händen der Ausgangspunkt der Aktion war und Anton zudem dann eine ziemlich erbärmliche Schauspieleinlage abgab, als er so tat, als wäre er im Gesicht getroffen worden, was nicht der Wahrheit entsprach. Solche Sachen will ich nicht von Tikus sehen, aber schon gar nicht von einem gegnerischen Spieler.
Genauso richtig war die Entscheidung, keinen Elfmeter zu geben, als Scally im Duell mit VfB-Torwart Müller fiel. Wobei in beiden Szenen auch mal der VAR Tobias Welz Lob verdient. Denn gerade weil er Jöllenbeck bei der Bensebaini-Szene an den Monitor rausschickte und ihm so eine eigene Entscheidung ermöglichte, nahm er der Szene auch einiges an nachträglichem Erregungspotenzial.

Saison 2022/23, Bundesliga, 13. Spieltag: Borussia Mönchengladbach - VfB Stuttgart 3:1. Tore für Borussia: 1:0 Hofmann, 2:0 Thuram, 3:1 Herrmann.

Drei Tore bringen zwar nur drei Euro, das Spiel aber ein viel besseres Gefühl heute Abend. Neuer Spendenstand ist 66 Euro.

Das gilt in der Saison 22/23: Für jedes erzielte Tor von Borussia in Bundesliga oder DFB-Pokal zahle ich 1 Euro. Für jedes Tor von Tony Jantschke oder Christoph Kramer: 10 Euro. Gehaltener Elfmeter von Yann Sommer (oder einem Ersatzmann): 2,50 Euro; Zu-Null-Spiel: 1 Euro. Derbysieg gegen K***: 10 Euro. Siege gegen Bayern, Dortmund oder Leipzig: 10 Euro. Ein Sieg in Freiburg: 10 Euro. Einstelliger Tabellenplatz am Saisonende: 10 Euro. Internationaler Startplatz am Saisonende: 20 Euro. Deutsche Meisterschaft: 122 Euro. DFB-Pokalsieg: 50 Euro. Gladbacher Torschützenkönig: 30 Euro.

4 Kommentare:

  1. Ich war im Stadion und kommentiere quasi „live“ und nicht vom TV aus. Dennoch kann ich fast allem zustimmen. Mit einer Ausnahme. „Und auch wenn man Fehler macht, ist man kein Versager.“ Das sagt auch niemand über Sippel. Er selber kritisiert sich für seine Leistungen in den vergangenen Spielen am meisten. Aber auch gestern viel er durch Ängstlichkeit in seiner Spieleröffnung auf und ballerte wie zu Tureks Zeiten den Ball am liebsten in den Gladbacher Himmel. Zu 90% landete der dann auf einem Stuttgarter Kopf. Und seine Rettungstat? Sagen wir mal so: Richtig sauber angeschossen und mit viel Glück seitlich abgeprallt. Darüberhinaus konnte er fast nie einen Ball festhalten - was im Stadion zu deutlich hörbarem Raunen führte - und bewies erneut, dass er ein aktuell ein Unsicherheitsfaktor ist. Und im Profifußball sollte Leistung zählen und nicht Sentimentalität. By the way - Jonas Hofmann machte eine tolle Bude und tat dem Mannschaftsgeist sehr gut. Aber er leistete sich auch ohne Bedrängnis zahlreiche Abspielfehler. Das war ein Sieg der Marke „sehr glücklich aber am Ende verdient“. Mit Abstand bester Spieler war Lasso Plea, dessen Job von gestern Abend kann man nicht hoch genug loben.

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  2. Ich sehe es ähnlich "nüchtern" wie mein Vorredner.
    Wir sind gut beraten, den Ball nach wie vor flach zu halten....
    Keine Frage, es waren (sehr!) wichtige 3 Punkte aber auch ein überaus glücklicher Heim-Sieg.
    Richtig überzeugend waren allenfalls die ersten 25 Minuten!
    Wenn es die Mannschaft aber jetzt nicht schafft, gegen Bochum nachzulegen sowie dann zuhause gegen Dortmund ein -ordentliches- Spiel abzuliefern, um sich nicht bei deren Offensiv-Qualitäten abschiessen zu lassen, bleibt dies alles doch letztendlich ein Muster ohne Wert....
    Ich bin weit davon entfernt, nach -nur- einem Spiel, dass Team schon wieder in der Spur oder auf dem richtigen Weg zu sehen...die Mannschaft hat geliefert...mehr aber auch (noch) nicht...
    Die Raute im Herzen

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  3. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  4. Als TV-Betrachter sehe ich es trotzdem ähnlich wie meine Vorredner. Die Rettungstat Sippels war einfach dem präzisen "Anschuss" geschuldet. Ich sehe ihn immer noch (aktuell) als Unsicherheitsfaktor. Daher stellt sich mir die Frage, ob nicht eine (junge) Nr. 3 eine Chance erhalten sollte? Auch Hoffis Fehlpässe waren deutlich im TV zu sehen.
    Gänzlich anders bewerte ich Bensebainis Aktion. "Live" am TV war ich mir sicher, dass er Rot sehen würde, als der Schiri zum Monitor schritt. Dass es bei Gelb blieb überraschte mich, ähnlich wie die einhelligen echten und selbsternannten Experten, wie im Nachgang allenthalben zu lesen. Wie das Spiel geendet hätte, hatte man fortan mit 10 Mann gespielt, bleibt hypothetisch. Leider habe ich bei Bensebaini immer unterschwellig die Angst, dass er, seinen Emotionen geschuldet, die Mannschaft durch solche Aktionen schwächt.
    Zum Schluss eine Anmerkung zum aktuell besten Gladbacher: Thuram. Tore hin oder her, ja, er ist aktuell in bestechender Form. Aber was wäre er im Stande zu leisten, wenn er auch mal Leidenschaft und Einsatz auf den Plätz bringen würde. Auch gegen Stuttgart ist er mir mehrmals aufgefallen, dass er bei langen Bällen den Kürzeren zog, weil er nicht energisch genug dem Ball entgegen ging, sondern wartete, dass dieser zu ihm kommt. Leider waren in den meisten Fällen die Stuttgarter schneller. Eine der ersten Lektionen, die ich im Jugendfußball lernen musste: immer dem Ball entgegen gehen.

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