2018-08-04

Gutes, Schlechtes und noch viele Fragen

Zwei Wochen noch, dann gilt es, im ersten Pflichtspiel im DFB-Pokal. Zeit also, dass der VfL der Saison 18/19 sich den Feinschliff gibt. Und Zeit, ein etwas aussagekräftigeres Zwischenfazit über die neue Borussia zu ziehen. Denkt man. Doch das Bild, was ich mir in den Testspielen einschließlich des heutigen 3:0 in Southampton gemacht habe, ist kein eindeutiges.
Und auch wenn das in ein paar Wochen wieder ganz anders aussehen kann - vieles, was ich gesehen habe, erinnert mich durchaus beunruhigend an die vergangene Saison. Was bedeutet, dass ich trotz der Neuzugänge - die ich alle für eine gute Wahl halte - derzeit nicht behaupten würde, dass die jetzige Mannschaft schon stärker wäre als die der letzten Saison.

Das hat Gründe, die in der Natur einer Saisonvorbereitung liegen (unterschiedliche Trainingsstände, viele Wechsel in den Testspielen, personelle Experimente, unterschiedlich fitte und leistungsfähige Gegner und so weiter). Es hat aber auch Gründe, die tiefer liegen und offenbar noch nicht überwunden sind (Verletzungen, Rückfall in alte Spielmuster). Und es hat Gründe, die mit der Eingewöhnung neuer Spieler zu tun haben und mit der Umstellung auf neue Spielsysteme.

Bevor ich hier noch mehr Rätselhaftes von mir gebe, fange ich lieber mit konkreten Dingen an: Etwa dem Kader. Noch immer ist nicht ganz klar, wie er zum Saisonstart aussehen wird. Klar ist, dass Max Eberl mit Alassane Plea, Andreas Poulsen, Keanan Bennetts, Michael Lang und Torben Müsel den Kader gut ergänzt hat. Ob er ihn verstärkt hat, muss man sehen.
Um das beurteilen zu können, dazu waren die Testspiele nur bedingt geeignet. Lang war verletzt, bevor man sich ein Bild machen konnte.
Plea zeigt gute Bewegungen, aber noch wenig Bindung zum Spiel. So ganz unbeeindruckt davon, welche Erwartungen ihn in Gladbach begleiten, scheint er nicht zu sein. Jedenfalls wirkte er auf mich noch etwas zurückhaltend, wie mit angezogener Handbremse spielend, was vielleicht auch noch mit leichtem Trainingsrückstand erklärbar ist.
Der junge und flexibel einsetzbare Torben Müsel machte einen guten Eindruck, doch Maßsstab ist hier nicht der Anspruch auf einen Bundesligaplatz, sondern erstmal nur, im Kader zu bleiben, der auf den offensiven Positionen im Normalfall für ihn noch zu stark besetzt ist.
Andreas Poulsen und Keanan Bennetts sieht man im Spiel an, dass sie das Zeug zum Erstligaspieler haben, das nötige Selbstvertrauen sicher auch - aber man sieht in einigen Szenen auch, warum derzeit die Routiniers Wendt und Johnson klar die Nase vorn haben würden, wenn es um die Startaufstellung ginge.

Nicht gleichwertig ersetzt wurde Jannik Vestergaard bis jetzt in der Innenverteidigung. Nico Elvedi ist zwar sein erklärter Nachfolger, aber ob er der Innenverteidigung gleich die Stabilität geben kann wie der abgewanderte Däne, muss sich erst noch weisen. Ich erwarte es schon, aber es kann auch etwas Anlaufzeit benötigen.
In jedem Fall ist Borussia auf dieser Position noch immer nicht für alle Widrigkeiten gerüstet. Denn ohne Vestergaard gibt es keinen Linksfuß in der Innenverteidigung mehr - mit Ausnahme von Mamadou Doucouré, dessen Debüt für Borussia aber weiterhin in den Sternen steht. Da Florian Mayer (auch Rechtsfuß) links innen auf mich in den letzten Testspielen einen eher unsicheren Eindruck gemacht hat, sehe ich schon die Notwendigkeit, dass auf dieser Position noch etwas passiert, möglicherweise auch wieder auf Leihbasis. Dann wäre im besten Fall - Elvedi macht sich und Doucouré kommt auf die Beine - ein Backup auf Zeit da.
Der Portugiese Diogo Leite, der inzwischen bei Porto verlängert hat und aus dem Rennen ist, hätte als Linksfuß insofern für mich mehr Sinn gemacht als eine plötzlich auch wieder denkbare Verpflichtung von Reece Oxford (der heute im Stadion war), zumal beide wohl in der gleichen Preisklasse ausgezeichnet wären (wenn auch mit zweistelligem Millionen-Preisschild doch auch reichlich teuer). Eine sichere Bank wäre Oxford aufgrund seiner Gladbacher Vergangenheit auf jeden Fall - aber eben auch noch kein natürlicher Stammelf-Kandidat. An Erfahrung sollte es der neuformierten Abwehr mit Ginter, Lang und Wendt allerdings auch dann nicht mangeln.

Personell hervorragend aufgestellt ist das, was vor der Abwehr agieren soll. Das vergisst man leicht bei diesen Testspielen, weil da kein Stindl und kein Hazard mitwuseln und Cuisance gerade erst wieder ins Training eingestiegen ist. Spätestens wenn diese drei wieder voll an Bord sind, wird Dieter Hecking die Qual der Wahl haben, wem er von Anfang an das Vertrauen schenkt. In der Vorbereitung haben nämlich genau die besonders auf sich aufmerksam gemacht, hinter denen zuletzt die größten Fragezeichen standen. Der oft geschmähte Jonas Hofmann läuft im Mittelfeld alles in Grund und Boden und glänzte in mehreren Spielen mit Torvorlagen, unwiderstehlichen Pässen in die Tiefe und ja: sogar mit einem Tor! Eine Ausnahme war das schwache Spiel gegen Ingolstadt zum Abshcluss des Trainingslagers, bei dem aber fast jeder Borusse einen gebrauchten Tag erwischt hatte.
Fabian Johnson macht wieder einen hervorragenden Eindruck, sowohl von der Fitness und der Spritzigkeit als auch von der Spielfreude her. Torgefahr geht von ihm ebenso aus wie von Patrick Herrmann, der sich gerade von den quälenden Verletzungsjahren freizuspielen scheint.
Höhepunkt war sein Auftritt heute mit zwei Toren. Und das, wo im Borussenkosmos gerade alle davon sprechen, dass er Gladbach verlassen müsse oder solle. Ich hoffe das nicht, weil wir alle das Beispiel Nico Schulz vor Augen haben, der unmittelbar nach seinem ähnlich unnötigen Abgang dann in Hoffenheim voll aufdrehte und gerade vom Kicker zum besten Linksverteidiger der Rückrunde gekürt wurde. So wie Herrmann zuletzt spielte, ist er für mich ein klarer Startelfkandidat als rechter Angreifer im Dreiersturm. Also: Wenn Max Eberl den dann freiwerdenden Kaderplatz nicht mit einer deutlich besseren Alternative besetzen kann: Bitte an Herrmann festhalten!

Ähnlich sehe ich es im Fall Drmic. Josip ist drauf und dran, in die Form zu kommen, die ihn für Gladbach damals interessant gemacht hat. Einen vergleichbaren bezahlbaren Offensiv-Spieler, den man statt ihm verpflichten könnte, seh ich weit und breit nicht. Zudem kann Drmic auch über die Flügel kommen oder eben als Mittelstürmer für Tore sorgen, falls Alassane Plea doch nicht von Anfang an der erhoffte Knipser sein oder verletzt ausfallen sollte. Ohne Drmic wäre dieser Typ Stürmer nicht mehr im Kader, da auch Müsel und Villalba andere Typen sind - ganz abgesehen avon, dass sie keine Bundesligaerfahrung haben. Hecking wäre dann wieder gezwungen, Raffael oder Stindl nach ganz vorn zu schicken, und der Dreiersturm wäre einer seiner Säulen beraubt.

Klar kann man einwenden, dass der VfL auf allen Offensivpositionen gut besetzt ist, weil viele Spieler flexibel einsetzbar sind. Doch die erneuten Muskelverletzungen (!) von Laszlo Benes und Ibo Traoré beweisen einmal mehr, wie schnell die Alternativen schwinden können. Das Verletzungsdrama von letzter Saison habe sicher nicht nur ich gleich wieder vor Augen, wenn man sieht, wie pro Testspiel einer verletzt vom Platz humpelt.
Auf rechts zeigt sich das zerbrechliche Konstrukt ganz gut jetzt schon. Stellt euch vor, Traoré fällt länger aus und Herrmann wechselt. Drmic auch. Dann wäre Hofmann schon der letzte "gelernte" Rechtaußen/rechte Mittelfeldspieler im Kader. Raffael, Johnson und Hazard könnten zwar auch nach rechts ausweichen, waren dort aber nie so effektiv wie über links.
Alle anderen - Cuisance, Neuhaus, Stindl, Benes, Zakaria - sind zentrale Mittelfeldspieler. Dort sollte es das meiste Gerangel um die Plätze geben, weil alle das Zeug zum Stammspieler haben. Kramer dürfte hinten auf der Sechs gesetzt sein, Zakaria und Benes die aussichtsreichsten Backups in der defensiven Zentrale. Um die vermutlich zwei Achterpositionen konkurrieren mit offenem Ausgang Neuhaus, Hofmann, Cuisance, Zakaria und Benes. Sollten Raffael oder Stindl auf diese Position zurückgezogen werden, bleibt den anderne nur eine offene Stelle. Da wird es wirklich spannend, wer sich durchsetzt. Mit keiner dieser Konstellationen hätte ich wirklich Sorgen, dass der VfL nicht genug Durchschlagskraft entwickelt. Nur wenn Herrmann und Drmic ohne Ersatz gingen, fände ich es aus den oben genannten Gründen gewagt.
Gute alternativen hat Heclking aus meiner Sicht auf der Position des verletzten Michael Lang. Sowohl Luis Jordan Beyer als auch Manny Egbo haben sich dort gut verkauft, Beyer für sein Alter besonders gut - unaufgeregt, mit klarem Blick für den Mitspieler und dem Muit,auch mal den Vorwärtsgang einzuschalten. Egbo hat ihm da noch etwas voraus, aber er ist auch schon länger dabei und muss seine Chance langsam auch nutzen, um sich im Profikader festzuspielen. Natürlich stünden auch noch Jantschke oder je nach sonstiger Aufstellung Elvedi oder Johnson bereit, aber ich hätte keine Probleme, zumindest mal im Pokal mit Egbo oder Beyer zu starten.

So. Langer Text, viel erzählt. Und wie weit ist die Mannschaft mit ihrer Neuausrichtung jetzt? Wie gesagt, schwer zu beurteilen. Ich bin mir nicht sicher. Die Offensive zeigte sich bis auf das Spiel gegen Ingolstadt spielfreudig, einfallsreich und bemüht, schnell nach vorne zu spielen und die endlosen Passketten im Niemandsland zu vermeiden, mit denen man nur Zeit gewinnt, aber keine Spiele. Die Tore waren überwiegend überzeugend herausgespielt, immer wiedr zeigte Borussia, wie sie dank der hervorragenden Techniker im Mittelfeld und ihren Ideen den Gegner knacken kann. Negativ ist anzukreiden, dass die Balance zwischen Angriffs- und Abwehrverhalten oft noch fehlt.

Die Defensive war häufig alles andere als sattelfest, wenn sie denn gefordert wurde - und das, egal in welcher Konstellation sie auf dem Platz stand. Dass es gegen Ingolstadt keine Packung gab, war vor allem der Unfähigkeit der gegnerischen Stürmer zu verdanken, die die VfL-Abwehr mehrmals überlaufen konnten, aber nichts Zählbares draus machten. Die Konteranfälligkeit war auch in den Spielen zuvor schon zu sehen. Sie ist mit der etwas offensiveren Ausrichtung mit Doppelacht statt Doppelsechs naturgemäß auch höher. Aber gerade das kollektive Verteidigen bei Ballverlust und Kontern muss bis zum Bundesligastart sitzen. Sonst haben wir schnell ein Problem.

Umgekehrt zeigte die Hecking-Elf heute beim neuen Club von Jannik Vestergaard eine blitzsaubere Leistung mit einem nie gefährdeten Sieg, bei dem man sich sogar noch leisten konnte, in der zweiten Hälfte eine Teenagerabwehr ins Stahlbad zu schicken und sich komplett aufs Verteidigen zu beschränken. Der Haken daran: Der FC Southampton war der bei weitem schlechteste Gegner in dieser Vorbereitung. Es war also ein Muster fast ohne Wert. Mehr als eine Stunde lang kam von den Gastgebern überhaupt nichts, und als sie zum Ende ein bisschen mehr Druck entwickelten und zu Standardsituationen kamen, schwamm auch die Gladbacher Defensive um Egbo, Mayer, Beyer und Poulsen schnell.
Das sind alles Indizien für oder gegen einen guten Start in die neue Saison, darf aber weder in die eine noch in die andere Richtung übertrieben werden. Bei Testspielen spielen einfach zu viele Einflüsse eine Rolle, als dass man daraus belastbare Schlüsse für den Ernstfall ableiten könnte. In diesem Sinne müssen wir uns auch jetzt weiter gedulden, hoffen, dass nicht noch mehr Verletzungen dazu kommen und die Transfermeldungen im Auge behalten. Hoffen wir das Beste. In jeder Hinsicht.

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