2019-02-02

Vier legendäre Minuten

Hecking raus!!
Wisst ihr noch? Vor genau einem Jahr verlor Borussia ein enges Spiel gegen Leipzig kurz vor Schluss mit 0:1 und hatte damit drei von vier Spielen der Rückrunde verloren. Es folgten unmittelbar darauf noch zwei weitere bittere Niederlagen gegen Stuttgart und Dortmund. Letztlich zu viel, um sich noch in der Spitzengruppe der Bundesliga etablieren zu können. Und auch wenn in dieser Phase viel Pech neben dem Platz und viel Unvermögen auf dem Rasen zusammenkam (wer mag, kann es bei mir hier in den alten Texten noch mal nachlesen): Es formierten sich immer mehr Fans, die dem Trainer dafür die Schuld gaben.

Und ein Jahr später?

Borussia spielt - Stand jetzt - die beste Saison seit den siebziger Jahren, hat einmal mehr Bayern München in der Tabelle überholt und ist nicht einmal utopisch weit von Platz eins weg. 10 Punkte und 10 Tore Vorsprung sind es bis Platz 5, 12 Punkte und 21 Tore zu Platz 7. Der Klassenerhalt darf getrost als gebucht abgehakt werden. Der Trainer hat Wort gehalten, und er kann sich nach seinem spielerischen Neustart mit der Mannschaft getrost an seinen Taten messen lassen. Der Blick auf diese angenehme Zwischenbilanz ist aber nur ein Grund, warum ich meinen Text heute mit einem besonderen Hochgefühl und großer Genugtuung verfasse.

Nö, Borussia Mönchengladbach 2019 ist bis jetzt noch nicht wieder so brillant, so spielerisch überzeugend wie die Borussia der zweiten Jahreshälfte 2018. Aber sie vereinigt derzeit Dinge, die VfL-Fans in dieser Kombination von ihrer Mannschaft kaum kennen. 
Trotz dreier sehr unterschiedlich verlaufenen Spiele steht hinten noch die Null - zum zehnten Mal in der Saison, also in jedem zweiten Spiel. 
Neun Punkte und 5:0 Tore sind für sich schon eine astreine Bilanz. Wenn man weiß, dass die zudem bei zwei für Borussia traditionell schweren Auswärtshürden errungen wurden, nötigt mir das schon hohen Respekt vor der Mannschaft ab.
Und dann diese Abgezocktheit, selbst in Phasen, wo nicht alles klappt. Fast schon beängstigend ist die stoische Selbstverständlichkeit, mit der die Hecking-Elf ihr Spiel durchzieht, egal ob es nun eine Abwehrschlacht wie in Leverkusen ist oder das geduldige Mürbe-Spielen eines Defensiv-Riegels wie gegen Augsburg und heute auf Schalke. 

Wenn das Erfolg hat, wie im Moment, ist das ein hervorragendes Gefühl. Aber bis dahin ist es äußerst anstrengend, auf dem Platz, auf den Stadiontribünen und vor dem Fernseher. Wenn die Belohnung dafür ist, dass sich von Spiel zu Spiel mehr das Gefühl verfestigt, dass in diesem Jahr etwas Großes möglich ist, will ich das aber gern auf mich nehmen. Und mit dieser langen Vorrede will ich endlich auf das Spiel von heute einschwenken.

Das war längst nicht so gut, als dass es meine überschwänglichen Worte von weiter oben rechtfertigen würde. Aber: Borussia ist bislang nicht nur mit dem Fußballgott im Bunde, was das Verletzungspech angeht, sondern auch mit dem Spielglück. Das bezieht sich auf die kleinen, oft entscheidenden Situationen im Spiel (wie einen Platzverweis) oder auf manche Schiedsrichterentscheidungen, die einem Spiel eine falsche Richtung geben können (habe ich schon oft moniert, wenn es gegen uns lief). Das bringt dann Punkte, die das Team in anderen Jahren oft liegengelassen hat.

Aber es betrifft auch Dinge wie die Tatsache, dass sich drei wichtige Stammspieler des Gegners in der Woche vorher verletzt haben. Das gönne ich keinem Gegner. Andererseits ist diese Misere wahrscheinlich die beste Entschuldigung, die Schalke für diesen schwachen Auftritt heute vorbringen kann. In einem Heimspiel über 90 Minuten kaum ein vernünftiger Angriff, nur zwei Schüsse, die überhaupt einer Torchance nahe kamen, kein Pressing, das Gladbach in irgendeiner Weise hätte in Verlegenheit bringen können. Schalke war im Vergleich zu den Jahren zuvor nicht wiederzuerkennen. 
Und da dem VfL gerade in diesen Duellen zuletzt so viel Ungerechtigkeit und Pech zuteil wurde, fand ich den Ausgang dieses vom fußballerischen Glanz her überwiegend mauen Spiels umso befriedigender. Sowohl wie der Gegner von den Toren ins Mark getroffen wurde als auch die Art und Weise waren klasse, wie Elvedi (erneut der Beste auf dem Platz) und Co. dem Heimpublikum in der Schalker Turnhalle die Harmlosigkeit ihrer Stars über 90 Minuten vorführten - ohne dass der VfL dafür selbst restlos überzeugend spielen musste.

Denn eins ist auch klar: Mit dieser abgeklärten, aber doch oft sehr gebremsten Darbietung hätte Gladbach heute gegen wenige andere Teams der Liga gewonnen. Jedenfalls gegen keins, dass sich gewehrt hätte. Der VfL konnte es sich sogar leisten, zwei Totalausfälle mitzuschleppen. Alassane Plea sah überhaupt kein Land, er scheint in ein kleines Leistungsloch gefallen zu sein. Und der bisher so überragende Tobi Strobl stand völlig neben sich. Schwache Spieleröffnung mit haarsträubenden Fehlpässen, in den Zweikämpfen kaum auf der Höhe - das war nix. Die Art und Weise, wie Strobl die Gelbe Karte nehmen musste, weil ihm der Gegenspieler einmal mehr entwischt war, war symptomatisch. Ich hätte da schon zur Halbzeit gehandelt. 
Auch Ginter und Zakaria spielten deutlich unter ihrem Niveau - dennoch geriet Gladbach gegen diesen Gegner kaum in Gefahr. Und hatte wieder einmal durch die Einwechselspieler Entscheidendes zuzusetzen. Kramer und Neuhaus schossen nicht nur die Tore, sie brachten auch wieder mehr Struktur in das Spiel gegen die zehn Schalker, das zuvor immer mehr zu zerfasern drohte.

Auch wenn die Partie wirklich keinen Schönheitspreis verdient hatte, bot sie doch etwas Besonderes. Etwas, was ich (glaube ich) noch nie gesehen habe - nicht einmal von den Bayern, Barcelona oder anderen Übermannschaften. Es geht um die Minuten zwischen dem 1:0 und dem 2:0. In der 85. Minute das 1:0 zu erzielen und dann zu versuchen, das Spiel so über die Bühne zu bekommen, das kenne ich. Das geht auch gern mal schief. 
Aber heute? Nach dem Schalker Anstoß eroberte der VfL den Ball und gab ihn über Minuten nicht mehr her. Das ist die absolute Machtdemonstration, die maximale Demütigung für einen Gegner im eigenen Stadion - und das nicht mal aus Überheblichkeit, sondern aus einem Gefühl der Sicherheit und des Selbstvertrauens heraus, das dann genau so auch zu Ende spielen zu können. 
Es wäre toll, zu erfahren, wieviele Pässe Borussia in diesen etwa vier Minuten hintereinander zum eigenen Mann brachte, bevor wie auf einen unsichtbaren Wink plötzlich der Angriff nach vorne ging und der Ball nach weiteren vier Kontakten zum zweiten Mal im Schalker Tor lag. Das war die Höchststrafe für die Blau-Weißen und: Chakka! Das tat mir richtig gut - unter anderem als Rache für das skandalöse Ausscheiden in der Euro-League gegen die Glück(s)-auf-Ritter, das ich im Stadion miterleiden musste. Danke dafür!

P.S. Neue Mode scheint zu werden, dass die gegnerischen Trainer von der schwachen Leistung ihrer Teams abzulenken versuchen, indem sie angebliche Regelverstöße bei Gladbacher Toren monieren. Der eigenen Glaubwürdigkeit zuliebe sollten sie das lassen. Wenn Domenico Tedesco heute jammert, der Freistoß, der zum Zweikampf geführt hat, in Folge dessen Torwart Nübel rot sah, sei von einer falschen Stelle ausgeführt worden, kann ich nur mit dem Kopf schütteln. Wir erinnern uns: Der Schalker foult, will es nicht wahrhaben, läuft noch weiter, schnappt sich den Ball, nimmt ihn mit in Richtung Schalker Hälfte und lässt ihn etwa drei Meter (nicht zwölf, Herr Tedesco!) von der eigentlichen Foulsituation zu Boden fallen. Warum um alles in der Welt sollte ein Schiedsrichter die Mannschaft, die in Ballbesitz ist, jetzt noch dafür bestrafen, dass der Gegner sich unsportlich verhalten hat, indem er den Ball nicht freigibt und ihn in der Absicht, Zeit zu schinden, vom Tatort wegträgt. Ich bin wirklich kein Fan von Schiedsrichter Marco Fritz. Aber hier nicht nochmal zu intervenieren und damit die gefoulte Mannschaft ein zweites Mal zu benachteiligen, gehört für mich zu einer vorbildlichen und souveränen Spielleitung, die vollkommen im Sinne des Fußballs ist. Gut so, Herr Fritz! Dass viele Schiedsrichter solche Szenen lieber einmal mehr zurückpfeifen als sie laufen zu lassen, stimmt natürlich auch. Das ändert aber nichts daran, dass ein Freistoß aus Regelsicht ein Vorteil für die ausführende Mannschaft sein soll und eben keineswegs für die, die gefoult hat.


Bundesliga 2018/19, 20. Spieltag: FC Schalke 04 - Borussia Mönchengladbach 0:2 (Tore für Borussia: 0:1 Kramer, 0:2 Neuhaus)

7 Kommentare:

  1. Dass die Borussen auch gestern Abend alle drei Punkte aus Gelsenkirchen mitnehmen konnten und sich so durch den dritten Sieg in Serie auf den zweiten Tabellenplatz vorschieben konnten, ist für mich am Ende das verdiente Produkt einer Geduldsprobe gewesen.

    Ich möchte an dieser Stelle gar nicht weiter auf das Spiel eingehen. Dass ich gestern am TV via Sky mitgelitten und -gefiebert habe, versteht sich von selbst, dass ich mich riesig über die drei Punkte gefreut habe und immer noch freue auch. Worauf ich eingehen möchte ist der Platzverweis für den jungen Nübel im Tor der Schalker. Auch wenn dieser laut Regelwerk richtig war: Es war kein „böses Foul“, aber beim letzten Mann und dem Vereiteln einer klaren Torchance zieht der Schiri eben zu recht den roten Karton. Es gab folgerichtig auch keine großen Diskussionen. Nübel verließ mit hängendem Kopf den Platz und ich hätte mir gewünscht, dass Tedesco ihn kurz beiseite genommen hätte, umarmt, auf die Schulter klopft - irgend so eine tröstende Geste für den niedergeschlagenen Keeper eben, aber da kam gar nichts. Traurig. Schlimm! Ich mag Tedesco nicht.

    Und als ich dann später noch Tedescos Lamentieren im Interview nach dem Spiel hörte, fand ich den Schalker Trainer noch unsympathischer. Schade, denn nach der ersten Saison bei den Gelsenkirchenern dachte ich noch, Tedesco wäre einer dieser jungen Trainer, die mit ihrer Idee vom Fußball die alte Trainergarde aufmischen würden. Da habe ich mich getäuscht.

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  2. Joachim Koch2/03/2019 3:36 PM

    Äußerst treffsicherer Blog, der bei mir zu noch deutlich entspannterem Denken beiträgt...

    Danke dafür !!!

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  3. Carsten Schmidt2/04/2019 7:46 AM

    61 Ballkontakte waren es wohl vor dem 2:0. Für mich eine geniale Vorstellung, ich war verwundert das in den Berichterstattungen so wenig darauf eingegangen wurde. Speziell die resignierenden Gesten der Schalker Spieler die uns in dieser Phase ohne Erfolg anliefen.

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  4. Die Stationen von Ginters Freistoßausführung bis zum Torerfolg im Detail:
    87:33 Minuten:
    Freistoß Ginter - Lang - Neuhaus - Lang - Ginter - Elvedi - Stindl - Kramer - Elvedi - Wendt - Elvedi - Sommer - Ginter - Stindl - Kramer - Stindl - Ginter - Kramer - Ginter - Lang - Ginter - Sommer - Stindl - Wendt - Hazard - Wendt - Elvedi - Kramer - Lang - Ginter - Lang - Neuhaus - Kramer - Stindl - Elvedi - Wendt - Hazard - Elvedi - Kramer - Elvedi - Wendt - Elvedi - Kramer - Stindl - Kramer - Wendt - Hazard - Kramer - Ginter - Kramer - Ginter - Lang - Kramer - Ginter - Lang - Kramer - Ginter - Kramer - Elvedi - Plea - Stindl - Hazard - Neuhaus:
    Tor bei 90:18 Minuten.

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  5. Danke für den treffenden Kommentar zu diesem Spiel. Habe damals auch das unglückliche Aus in der EL mit Platzfehler und Witzelfmeter des Weltschiedsrichters Clattenburg im Stadion miterleben müssen und dieses Ungerechtigkeiten ziehen sich ja weiter gegen Schalke. Ich erinnere da an die Rücknahme eines Elfmeters nach Viedeobeweis letzte Saison, weil es Vorher angeblich ein Foul gegeben hat. Aus heutiger Sicht ein ganz schlechter Witz. Diesem Verein gönne ich nicht das Schwarze unter dem Fingernagel. Die Fans sind das Asiozialste was es in der Bundeligafanszene gibt. Von "Aufwiedersehen"-Gesängen bei Spielern die verletzt vom Platz getragen werden bis zu "Steh auf Du Sau" wenn ein Spieler verletzt am Boden liegt und behandelt wird. Da war es mir am Samstag doch eine besondere Genugtuung, wie wir die am Ende haben ins Leere laufen lassen. Dazu noch das Rumgeheule wegen des Freistoßes. Läuft zur Zeit :-)

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  6. Danke für Euer Feedback und die guten Ergänzungen!

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  7. Habe mich lange nicht mehr auf diesem Blog gemeldet. Bin nach wie vor ein begeisterter Leser dieses Blogs und möchte auf diesem Weg mal wieder 'Danke' sagen für diese immer wieder anregende und treffende Lektüre (die dazu auch noch grammatikalisch und orthographisch überaus korrekt ist; ein wohltuender Kontrast zu so einigen Beiträgen im Netz).

    Und was das Geheule von Tedesco & Co. angeht... Wie soll ich es sagen? Am prägnantesten wohl mit "Getroffene Hunde bellen". Und wer einem der fairsten Teams in der Liga irgendwelche Dinger unterschieben will, na, sollnse halt. Im Übrigen, wenn der Schalker schon einfach den Ball davonträgt (nur dusseligerweise halt in Richtung eigenem Tor), dafür vom Schiri unbestraft bleibt... der darf sich nicht wundern, wenn das dann tatsächlich auch mal in die Hose geht.

    Von daher: Zurücklehnen und die Momentaufnahme genießen. Obwohl Herr H. aus München es nicht wahrhaben will - die Tordifferenz zählt am Ende des Tages nämlich doch.

    Viele Grüße
    Fohlen

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