2020-02-01

Um den Sieg gebracht

Wieder kein Sieg gegen Leipzig. Slapstick-Gegentor. 2:0-Vorsprung nicht über die Zeit gebracht. Den Sack nicht frühzeitig zugemacht. Dämlicher Platzverweis. So könnte man über das Spiel heute urteilen - wenn man es nicht gesehen hätte. 

In Wirklichkeit gab es eine erste Halbzeit zu sehen, die man in dieser Brillanz von Borussia Mönchengladbach nicht alle Tage geboten bekommt. Fußballerisch hervorragend, kämpferisch überragend, dominant und taktisch glänzend umgesetzt. Der Gegner, angesichts seiner fußballerischen Klasse ein klarer Meisterschaftskandidat, fand im eigenen Stadion keinerlei Mittel, um furios aufspielende Fohlen auch nur ansatzweise zu stoppen. 

Mit Denis Zakaria wieder einmal als glänzenden Abfangjäger in der Dreierkette, in einem äußerst diszipliniert verteidigenden Kollektiv, hatte Borussia das Spiel von Beginn an fest im Griff und stellte im oft kritisierten Jonas Hofmann, der als erster Forechecker und tiefer Verteidiger über sich hinauswuchs, nach 45 Minuten auch den mutmaßlichen Spieler des Spiels. 
Zwei blitzsauber herausgespielte beziehungsweise erzwungene Tore sorgten für peinliche Stille bei den Heimfans und für Heimspielatmosphäre in der Brause-Arena. 
Den VfL-Anhang konnte der souveräne Auftritt in Halbzeit eins denn auch noch aus einem anderen Grund freuen. Egal wie man zum Pfeifprotest bei Leipzig-Ballbesitz in den ersten 19 Minuten steht: An diesem Spieltag mussten die Fans im Stadion gar nicht so oft und so lange ins Horn stoßen wie befürchtet. Denn die Ballbesitzphasen der Nagelsmann-Truppe waren stets von angenehm kurzer Dauer.
   
Es sah also nach einem großen Ausrufezeichen aus, das Gladbach an diesem Samstagabend gegenüber der Konkurrenz setzen konnte. Schon in Halbzeit eins waren Plea und Co. dem vermutlich vorentscheidenden dritten Tor einige Male sehr nahe gekommen. Und als Marco Roses Mannschaft nach dem Wiederanpfiff genauso konzentriert und hart am Gegner blieb und die beiden offensiven Wechsel der Gastgeber wegsteckte, ohne groß in die Bredouille zu kommen, schien alles auf einen Sieg im Spitzenspiel hinzudeuten. 
Klar, der frühe Anschlusstreffer war in seiner Entstehung blöd - ein typisches Borussia-Gegentor eben. Es war kein Fehler, es war eher ein unabwendbares Unglück. Auf jeden Fall nicht der Rede wert. 
Und es spiegelte auch dann noch nicht die Leistung des Gegners wider, der bis dahin keine nennenswerten Abschlüsse zu verzeichnen gehabt hatte. Der VfL hingegen zeigte sich von dem 1:2 genausowenig beeindruckt wie schon in der ersten Hälfte durch den erneuten frühen Knockout von Chris Kramer. Und Borussia versuchte in dieser Phase seinerseits unbeirrt, gegen offenere Leipziger über Konter zum vorentscheidenden Torerfolg zu kommen. 

Es hätte bei normalem Spielverlauf an diesem Abend nur einen Sieger geben dürfen. Und es wäre an diesem Abend auch nichts mehr angebrannt, wenn...

Hätte. Wäre. Wenn.

Diese Worte benutzt man, wenn es dann doch anders kam. Dafür gibt es meist Gründe, die in der eigenen Leistung zu suchen sind. Heute nicht. Heute ist der Rose-Elf nichts vorzuwerfen. Sie hat eine grandiose erste Halbzeit gespielt, sie wurde von äußeren Umständen mit einer neuen Situation konfrontiert. Sie nahm diese veränderten Vorzeichen mit großem Kampf und viel Geschick an. Sie ließ auch dann - gegen einen zahlenmäßig überlegenen Gegner - nur sehr wenig zu. Und sie wurde am Ende doch kurz vor Schluss um den verdienten Erfolg gebracht - oder betrogen -, je nachdem, wie man es sehen will.

Puh. Einmal tief durchatmen.


Hatte ich nicht gerade erst geschrieben, dass ich gern weniger über Schiedsrichterleistungen lamentieren würde und mich mehr auf das Sportliche auf dem Platz konzentrieren möchte? Es tut mir leid, auch heute wird es damit nichts. Aus Gründen.

Gesetzt den Fall, ein Schiedsrichter legte es wirklich darauf an, ein Spiel aktiv und willentlich zu beeinflussen und zu manipulieren, dann fände er in der heutigen Spielleitung eine Blaupause dafür, wie es geht. Damit sage ich ausdrücklich nicht, dass Tobias Stieler dies mit seinem Team heute getan hat oder tun wollte. Allerdings war die Leistung des Unparteiischen heute keine. Zumindest keine eines Bundesligaschiedsrichters. Sie war schon in der ersten Halbzeit an Einseitigkeit kaum zu überbieten, was nicht geahndete Fouls der in dieser Spielphase völlig überforderten Leipziger anging, die allein für die geahndeten taktischen Fouls in den ersten 45 Minuten drei Verwarnungen hätten kassieren müssen. In der zweiten Halbzeit wurde es dann aber endgültig zur Farce.

Der Tiefpunkt von Stielers Auftritt, der der Gladbacher Überlegenheit den Stecker zog, war natürlich der Platzverweis für Alassane Plea.
Die beiden Verwarnungen innerhalb weniger Sekunden sind natürlich regeltechnisch zulässig - aber sie waren völlig überzogen. Das machte auch Lothar Matthäus in seltener Deutlichkeit am Sky-Mikrofon klar - übrigens zum Unverständnis der ihm an die Seite gestellten RB-Fanboys beim Pay-TV-Sender.

Diese beiden innerhalb von Sekunden verhängten Gelben Karten nahmen in jedem Fall aber erheblichen Einfluss auf das Spiel, auf die bis dahin herrschenden Kräfteverhältnisse und auf die taktischen Möglichkeiten des ab da in Unterzahl agierenden VfL. 
Das kann und darf man einem Schiedsrichter nicht anlasten, aber natürlich ist ihm sehr bewusst, dass er mit einer solch folgenreichen Entscheidung erheblichen Einfluss auf den Spielverlauf nimmt. Also sollte er auch im eigenen Interesse abwägen, ob die aus seiner Sicht zu ahnenden Vergehen einem Platzverweis auch wirklich angemessen sind. Und: Ob er in der Lage ist, diese Entscheidung als Maßstab im Spiel auch durchzuhalten. Meine Antwort auf beides ist - natürlich - ein entschiedenes Nein.

Pleas Platzverweis (und auch die Gelbe Karte für Trainer Rose) ginge dann in Ordnung, wenn Stieler auf der anderen Seite genauso konsequent gehandelt hätte. Beispiele: Der (grundlos) ewig lamentierende Werner hätte dann schon in der ersten Halbzeit Feierabend gehabt. Und nicht nur Rose hätte Gelb gesehen, sondern auch sein tobender Kollege von der anderen Trainerbank, der sich überflüssigerweise nach dem Spiel dann noch als Plea-Versteher inszenierte, um im gleichen Atemzug zu rügen, dass Neuhaus nicht Gelb-Rot sah. 
Das Instrument, mit Verwarnungen mäßigend auf Meckerer und Unsportlichkeiten einzugreifen, ist vom Grundsatz her richtig gedacht. Ob es sinnvoll ist, eine derartige Verschärfung mitten in der Saison einzuführen, würde ich schon verneinen. Aber schlimer ist, dass es der willkürlichen Anwendung durch den Schiedsrichter Tür und Tor öffnet. Allein schon, weil mancher Schiri solche Situationen mit seiner deeskalierenden Art ohne Karten lösen kann und will - und andere eben nicht. 
Das sorgt schon bei den "Konsequenzen" - also Spielsperren, die aus mehreren Verwarnungen folgen - für eine eklatante Ungleichbehandlung. Heute allerdings wurde dies schon innerhalb eines Spiels auf die Spitze getrieben.

Auch wenn es von Plea nicht geschickt war, sich nach der Gelben Karte noch zu einer weiteren Geste hinreißen zu lassen: Ich kann ihn wegen seiner Reaktion auf das nicht gepfiffene Foul in keiner Weise verurteilen. Der Tritt des Leipzigers gegen Plea, dem der Platzverweis vorausging, war schon einer der übleren Sorte, denn er ging klar gegen das Knie. Und es war natürlich ein glasklares Foul, das Stieler da einfach ignorierte - eins, für das es hätte Gelb geben sollen, oder eher müssen. 

Es war heute auch nicht das einzige Foul, das gegen Plea nicht gepfiffen wurde. Und das hat ja durchaus Tradition. Ich bin mir sehr sicher, wenn sich jemand die Mühe machen würde, Pleas Spiele für Gladbach durchzugehen, würde sich herausstellen, dass er derjenige Spieler bei Gladbach und vielleicht sogar in der Liga ist, für den am seltensten klare Fouls (an ihm) gepfiffen wurden. 
Das zog sich auch durch das Spiel heute, in dem Stieler eine bemerkenswert einseitige Zweikampfbeurteilung an den Tag legte. Da blieb ein rotverdächtiger Bodycheck von Upamecano an Thuram völlig ungeahndet, ebenso wie mehrere Ellenbogen in Gladbacher Spielergesichtern oder ein Tritt mit gestecktem Fuß auf Kniehöhe gegen einen Gladbacher an der Seitenlinie. Und nicht zuletzt wurde Wendt vor dem Ausgleich bei seiner Kopfballabwehr von der Seite rüde abgeräumt. Das wäre auch etwas gewesen, was man im Mittelfeld ziemlich sicher abgepfiffen hätte.

Nun gut. Es ist, wie es ist. Und ein Punkt in Leipzig zählt eben auch in der Tabelle, egal wie frustriert und ohnmächtig man sich nach so einem Spielverlauf auch fühlt, zumal sich die Mannschaft heute nichts vorwerfen muss. Aber eins sollte man von dem ganzen Haufen Ärger nicht zuschütten lassen: Das war gegen eine Spitzenmannschaft der Liga heute eine absolute Spitzenleistung zu elft, und es war eine absolute Willensleistung zu zehnt. 
Und daraus sollten wir alle unseren Nektar saugen für die nächsten Aufgaben. Den VfL kriegt in diesem Jahr jedenfalls so schnell keiner klein. Auch nicht mit unlauteren Mitteln. Danke Jungs - für einen Auftritt, auf den man stolz sein kann!      

Bundesliga 2019/20, 20. Spieltag: RB Leipzig - Borussia  Mönchengladbach 2:2 (Tore für Borussia: 0:1 Plea, 0:2 Hofmann)

1 Kommentar:

  1. Während einem Spiel sich über die SR-Leistung aufregen, ist das eine, häufig sieht man es dann im TV noch einmal und kommt zu einem "kann man auch anders sehen" oder gar zu einem "war doch nix" oder doch "Foul wie vermutet" ... das ist nach dem Spiel oder am Tag danach dann mehr oder weniger weg. Ganz anders die gestrige Unverschämtheit von Stieler: zu einseitig, klare Fouls übersehen und zu eigendarstellerisch. Diese Beeinflussung eines Fußballspieles durch den SR habe ich so lange nicht gesehen. Das Einfordern von sportlichem Verhalten ist richtig - das hieß früher mal Tatsachenentscheidungen des SR sind zu akzeptieren. Diese werden aber per Amtswege (VAR) schon lange untergraben. Die SR sollten sehen, dass sie ihre Souveränitat auf dem Platz wieder bekommen. So wird das allerdings nichts. Das Interview von Stieler als Hüter der neuen Regel und Moral nach dem Spiel war eklig! So wird unser Sport kaputt gemacht.

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