2020-09-12

Leichter Galopp

Willkommen in der Saison 2020/2021! Ich muss sagen, es ist schön, auch mal so entspannt wie heute in eine Spielzeit starten zu können. 

Ohne Plea, Embolo, Zakaria, Lazaro, Beyer, Benes und mit einem gerade erst wieder ins Teamtraining eingestiegenen Marcus Thuram: Bei dieser Verletztenliste hätte es auch deutlich unangenehmere Erstrundenerfahrungen geben können als gegen den bemühten, aber chancenlosen Regionalliga-Aufsteiger FC Oberneuland. Wir müssen dafür nur an das Jahr zuvor in Sandhausen denken.

Doch das Losglück war Borussia diesmal geneigter, dazu kam die Corona-Situation, die dem Amateurverein den kleinen Vorteil "Heimspiel" nahm und die dafür gesorgt hat, dass auch ein anderer kleiner Wettbewerbsvorteil ausblieb. Denn normalerweise sind die unterklassigen Vereine schon eine Weile im Spielbetrieb, wenn die erste Pokalrunde ansteht, während dies für die Profis das erste Pflichtspiel ist. Das alles - inklusive des "Auswärtsspiels daheim light" - spielte dem VfL heute natürlich in die Karten.

Doch wenn man sich den Auftritt der heute sperrungsbedingt Rose-losen Mannschaft anschaut, weiß man auch, dass es das alles wohl nicht gebraucht hätte, um auch so zu gewinnen. Anders als zu früheren Gelegenheiten im Pokal war die Mannschaft von Beginn an wach, spielte konzentriert und gekonnt ihre individuellen Vorteile aus und kombinierte sich sehenswert durch die Abwehr des Bremer Pokalsiegers. Es wurde deutlich, dass Borussia nicht gewillt war, den Gastgeber-Gästen auch nur den Hauch einer Hoffnung auf eine Überraschung zu gönnen. Gleich zu Beginn wurden zwar hochkarätige Chancen im Minutentakt vergeben, bis Patrick Herrmann mit seinem Doppelpack in der 12. und 13. Minute den Bann brach. Der Rest war gut und entspannt anzuschauen: sehenswerte Tore, clevere Spielzüge, wirksames Pressing mit vielen Ballgewinnen, aufmerksame Abwehrarbeit. Also alle Dinge, die man in der Theorie natürlich in einem Spiel gegen einen unterklassigen Gegner erwarten muss. 

Dabei machte Oberneuland in der eigenen Hälfte durchaus die Räume eng. Doch das reichte nicht. Weil der VfL in der gegnerischen Hälfte - variabel wie vielleicht nie zuvor - Lösungen selbst auf engstem Raum fand, liefen die Gegner in der ersten Halbzeit trotzdem gefühlt immer hinterher. 

Es wäre vertane Zeit, eine ausführliche Spielanalyse dieser einseitigen Partie zu schreiben. Denn dies wird voraussichtlich das einzige Mal in dieser Saison bleiben, wo man es mit einem Gegner so leicht haben wird. Dennoch gibt es Dinge, die auffallen.

Dazu gehört, dass die heutige Startelf in der gegnerischen Hälfte einen sichtlich anderen Fußball spielt als eine Borussia mit der Sturmbesetzung Plea, Thuram und Embolo. Die quirlige Offensive mit Wolf, Hofmann, Neuhaus, Stindl, Herrmann und dem immer wieder auf die Acht vorstoßenden Chris Kramer war heute kaum auszurechnen, weil die spielfreudigen Mittelfeldspieler die Positionen ständig wechselten und es ihren Gegnern so schwer machten, sich auf sie einzustellen. Selbst Bensebaini war teilweise zentral statt links zu finden, von wo er ja auch sehenswert zum 4:0 traf. 

Eine Schlüsselrolle in der heute gezeigten Aufstellung könnte neben Hofmann und Neuhaus dem Neuzugang Hannes Wolf zufallen, der heute zwar vielleicht nicht ganz so effektiv wirkte wie in den ersten Testspielen, der aber dennoch an fast jeder guten Szene maßgeblich beteiligt war. Der Österreicher kann sich buchstäblich auf einem Bierdeckel umdrehen und in der Gegenrichtung seinem Gegenspieler entwischen. Zusammen mit den Nebenleuten beherrscht er das Kurzpassspiel auf engstem Raum, um auch komplizierte Situationen in massierten Deckungen zu lösen. Dieses ZUsammenspiel funktionierte heute schon erstaunlich sicher. Dazu die immer anspielbaren Herrmann und Stindl, das war schon sehr anspruchsvoller Angriffswirbel, der da mit Ausnahme einer kurzen Phase nach der Pause geboten wurde. Als Wolf vom Feld ging und Marcus Thuram ins Spiel kam, um etwas Spielpraxis zu sammeln, wurde das Gladbacher Spiel auch gleich etwas statischer. Mit Thuram, Plea und Embolo wäre ein klassischeres Flügelspiel mit Mittelstürmer zu erwarten, wie es in der vergangenen Saison sehr erfolgreich war. Es wird spannend zu sehen, ob diese Spielweisen nach und nach verschmelzen oder ob sich über die Saison vielleicht zwei "Grundgerüste" herauskristallisieren, deren Einsatz (und Personal) sich dann auch immer ein wenig nach der Taktik und den Stärken des Gegners richtet. Auf jeden Fall ist es beruhigend, dass mit Hannes Wolf (und später mit Valentino Lazaro) in dieser Hinsicht auch noch mehr Optionen fürs Kreative zur Verfügung stehen. 

 Was mir sonst noch auf- und gefiel:

Sehr schön und verdient, dass Tobi Sippel mal wieder in einem Pflichtspiel die Chance bekam, das Borussen-Tor zu hüten. Er tat dies gewohnt konszentriert und wurde mit einem Zu-Null belohnt, das natürlich kein Maßstab für die nächste Woche startende Bundesligasaison ist. Wie weit die Abstimmung des gesamten Teams in der Defensive ist, wie gut sich das aggressive und risikoreiche Pressing schon in des Gegners Hälfte bewährt, wenn der Gegner über äußerst geschickte Spieler verfügt, die sich aus solchen Situationen besser befreien können als die Oberneuländer Spieler, das wird sich zum Auftakt gegen Dortmund zeigen. Ungeachtet dessen können wir uns darauf verlassen, dass hinter Yann Sommer hervorragende Ersatzleute stehen, die im Ernstfall problemlos einspringen könnten.

Gefallen hat mir, dass auch Ibo Traoré sein Tor machen konnte. Er war schon in den Testspielen einige Male kurz davor gewesen. Bleibt er in dieser Verfassung, wird er auch seine Spiele bekommen, da bin ich mir sicher. Klar, ein bisschen mehr Präzision bei manchen Abspielen, dann ist er noch enger dran. 

Gut, dass auch Nico Elvedi mal wieder das Tor traf. Gefährlichkeit und Effktivität bei Standards vorne, das ist definitiv noch etwas, wo er Luft nach oben hat. Und das Tor wird ihm Auftrieb geben.

Ganz im Gegensatz dazu unser "Fußballgott". Für den Fehlschuss aus drei Metern, der ungefähr genausohoch drüber ging, muss sich Tony Jantschke bestimmt in der Mannschaft noch den einen oder anderen Spruch anhören. Zu Recht. Denn natürlich erwartet niemand von Tony Tore. Aber diese Chance? Die musste verwandelt werden, da gibt's keine Ausrede.  

Auf Torejagd war auch Neuzugang Hannes Wolf. Oft nahe dran am Erfolg, doch am Ende wurde er für seine gute Arbeit auf dem Platz nicht mit einem Treffer belohnt. Was ihn sichtlich nervte und in zwei, drei Szenen vor seiner Auswechslung dazu führte, dass er gute Abspielmöglichkeiten liegenließ und es aus ungünstigerer Position (vergeblich) auf eigene Faust versuchte. Hier lohnt es, sich vom Kapitän etwas abzuschauen. Der gierte auch nach seinem Torerfolg beim Schützenfest, die Konkurrenz in der Offensive ist schließlich enorm. Vor dem achten Tor überlegte er auch sichtlich, selbst zu schießen,  wählte aber dann doch den besseren Weg, den Pass auf Thuram, der seinerseits den Torschützen Neuhaus bediente. Dieses Auge und diese Mannschaftsdienlichkeit ist das, was wichtig ist, wenn es mal nicht so viele Torchancen gibt wie heute. Und ich bin sicher, dass Hannes Wolf das künftig auch beherzigen wird. Heute war einfach die Verlockung zu groß, sich gegen diesen Gegner gleich beim neuen Verein in die Torschützenliste eintragen zu können. Und gerade dann, wenn man es zu stark will, klappt es dann nicht.

Die Fans: Die Kulisse war dürftig, aber da Borussia die 300 Karten an Allesfahrer gegeben hatte, war unter den gegebenen Umständen doch eine gute Stimmung mit gewohnten Sprechchören und Gesängen im Park. Es ist ein steiniger Weg zurück zu vollen Stadien, aber immerhin. Was nächste Woche passiert, werden wir sehen. Es scheint, als bewegte sich die Politik in den Bundesländern zu einer einheitlicheren Linie, was die Zulassung von Zuschauern angeht. Für mich ist jedoch eins ziemlich klar. Ich gehe erst wieder ins Stadion, wenn es auch voll werden darf.

Habe ich schon was zum Schiedsrichter gesagt? Nein, und ich belasse es angesichts des ungefährdeten Sieges auch bei wenigen Anmerkungen. Sportskamerad Stegemann hatte natürlich relativ wenig Probleme mit dem Spiel, durchaus aber in zwei Szenen. Als ein Oberneuländer um die 60. Minute Patrick Herrmann mit einer rustikalen Grätsche kurz vor dem Strafraum gut sichtbar zu Fall brachte, ließ er großzügig weiterspielen, was ihm "Schieber, Schieber"-Sprechchöre der Fans eintrug. Kurz vor Schluss hätte er aus meiner Sicht dem Stürmer Ifeadigo glatt Rot geben müssen für dessen unmotivierten Tritt gegen Tobi Sippel, der den Ball längst abgefangen hatte. Normalerweise reicht Gelb für ein langes Bein gegen den Torwart im Kampf um den Ball. Hier aber war die Szene lange vorbei, der Stürmer fuhr das Bein absichtlich noch aus und traf dabei den Keeper deutlich über Knöchelhöhe, am Schienbein. Völlig überflüssig, zumal kurz vor Schluss. Dass dem VfL in der ersten Halbzeit zudem ein klarer Handelfmeter versagt wurde, laste ich nicht dem Schiri an, der schlechte Sicht auf die Szene hatte. Aber da es in den ersten Runden des Pokals wieder keinen Videobeweis gibt, hätte dies in einer anderen Spielkonstellation für viel Ärger sorgen können. Genauso wie die Beurteilung von möglichen Abseitsstellungen vor den ersten beiden Toren. Beide Situationen sahen für mich ok aus - aber wer weiß, was man im Kölner Keller herausgefunden hätte? Insgesamt also nichts, was einen heute aus der Ruhe bringen musste. Hoffentlich kann ich in dieser Hinsicht so entspannt bleiben. Denn eins ist klar: So gemütlich wie heute wird es in dieser Saison wohl nicht nochmal.   

DFB-Pokal 2020/21, 1. Runde: FC Oberneuland - Borussia 0:8 (im Borussia Park). Tore für Borussia: 0:1 Herrmann, 0:2 Herrmann, 0:3 Hofmann, 0:4 Bensebaini, 0:5 Elvedi, 0:6 Neuhaus, 0:7 Traoré, 0:8 Neuhaus.


2 Kommentare:

  1. Wieder einmal sehr treffend analysiert.
    Lese Deinen Blog wirklich sehr gerne und freue mich schon auf den naechsten.
    Lieben Gruss aus Irland
    Jens

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  2. Danke sehr, Jens! Freut mich zu hören, dass Borussia und mein Blog auch "abroad" gern gelesen werden. Sehnsuchtsgrüße auf meine Lieblingsinsel!

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