2020-09-26

Mit gebremstem Schaum

Hat jemand gedacht, der VfL sei hervorragend gerüstet für die neue Saison? Ja, ich auch. Doch gerade dann kommt es ja oft anders, als man denkt.  

Nach der enttäuschenden Premiere in Dortmund nun also im eigenen Stadion ein 1:1 gegen Union Berlin. Ein Ergebnis, das völlig in Ordnung geht, aber nicht ganz zu Borussias selbstbewusst formulierten Zielen passt. Das bedeutet: Ins Derby beim 1.FC K*** in der nächsten Woche geht das Team von Marco Rose nun schon mit ordentlich Druck, nicht gleich den Anschluss nach oben zu verlieren. Der kommende Gegner ist zwar noch schwächer in die Spielzeit gestartet als der VfL, doch das heißt in einem solchen Prestigeduell bekanntlich gar nichts.  

Schlimm oder dramatisch finde ich dabei noch nicht einmal, das beim VfL bisher erst ein Punkt auf der Habenseite steht. Gegen Dortmund kann man verlieren, und Union ist auch nicht der FC Oberneuland. Das kann also so passieren, wie es passiert ist. Die Frage ist aber, welches Bild die Mannschaft dabei abgibt. Und da gibt es noch viele Fragezeichen.

Die 90 Minuten von heute gehörten zu der Art Spiele, über die man möglichst schnell den Mantel des Vergessens breiten möchte. Borussia traf auf eine biedere Gästemannschaft, die nicht mehr als untere Bundesliga-Mittelklasse repräsentierte. Dennoch hatten die "Eisernen" kaum Mühe, das Spiel offen zu gestalten, Gladbachs Offensivkräfte im Zaum zu halten und unter dem Strich auch einen verdienten Punkt mitzunehmen.

Es war dementsprechend keine Mannschaftsleistung, für die man gute Noten verteilen kann - anders als noch in Dortmund. Aber auch individuell gab es unübersehbare Schwächen. Sonst so ballsichere und zweikampfgeschickte Spieler wie Flo Neuhaus und Ramy Bensebaini standen in einigen Szene völlig neben sich und brachten nicht den Gegner, sondern sich und die Mitspieler immer wieder in Not. Das Gegentor war ein defensiver Offenbarungseid, auch in der ersten Hälfte brannte es schon ab und zu lichterloh im Strafraum vor Yann Sommer. 

Kaum etwas war zu sehen war vom aggressiven Mannschaftspressing, mit dem der BVB eine Halbzeit lang richtig getriezt worden war. Zwar gab es auch ein paar gute Torchancen, viel mehr Versuche aber wurden mit unpräzisen Pässen und Zuspielen ins Nichts schon "gekillt", bevor sie relevant werden konnten. 

Fast folgerichtig fiel das vermeintlich erlösende 1:0 von Thuram auch durch einen Hofmann-Eckball, bei dem sich die Union-Verteidiger kaum besser anstellten als Elvedi und Co. beim 1:1. Der Kopfball von TIKUS wäre wahrscheinlich auch noch nicht einmal im Tor gelandet, wenn er nicht von einem Gegner noch abgefälscht worden wäre.

Aber egal, wie das Tor fiel - es gab den Spielern nicht wie erhofft endlich mehr Sicherheit und Räume, um ein vorentscheidendes zweites Tor nachzulegen. Nein, es blieb absehbar, dass an diesem Tag ein einziges Tor nicht zum Sieg reichen würde. Irgendwie ahnte wohl jeder, dass es hinten nochmal einschlagen würde.
Solche Spiele sind selten gut erklärbar, aber sie laufen irgendwie immer gleich ab. Und das ist der Grund, warum ich mich heute über den Punktverlust zu Hause nicht so ärgere wie sonst. Denn solche Spiele enden eben oft damit, dass man verliert. Auch heute war das nicht so unwahrscheinlich. Deshalb nehme ich den Punkt - zähneknirschend, aber im Wissen, dass er völlig okay ist für die heutige Leistung des VfL.

Aber warum ist das so? An einem Wochenende mutig, mit viel Druck, gutem Passspiel, Selbstbewusstsein und Vertrauen ins eigene Auftreten; am nächsten Spieltag gehemmt, fahrig und eher hinterher- als voranlaufend? Diese Bandbreite passt nicht zu dem Schritt nach vorne, den die Mannschaft unter Marco Rose gemacht zu haben glaubte.    

Natürlich gibt es Gründe dafür, dass es bei Borussia zum Saisonstart noch nicht so rund läuft wie erhofft. Zum Beispiel die verletzten Stammelfkandidaten Embolo, Lazaro, Zakaria und die aus gleichen Gründen noch nicht wieder in alter Form befindlichen Leistungsträger Plea und Thuram. Aber man muss angesichts der mageren Punkteausbeute auch aufpassen, dass dies nicht zur Entschuldigung auf dem Platz hergenommen wird. Denn dort stehen ja noch genug andere, die für sich den Anspruch haben, das Spiel von Borussia prägen zu können.

Und auch wenn Plea und Thuram Spielpraxis  und damit Wettkampfminuten in der Bundesliga brauchen, um in Topform zu kommen: Wenn sie in der Startelf stehen, müssen sie auch den Unterschied machen können. Nun kann man ja sagen, dass sie heute ja "geliefert" haben. Alassane Plea zeigte in einigen Szenen seine Extraklasse, Marcus Thuram war nicht nur beim Tor zur Stelle, er stand auch noch weitere Male einschussbereit vor dem Tor, wo der letzte Pass dann aber noch von einem Berliner entschärft wurde. Es war aber auch zu sehen, was beiden noch an Spritzigkeit, Spielpraxis und Effektivität zur Topform fehlt. Und dann ist es schon eine berechtigte Frage, ob man mit einem voll im Saft stehenden Hannes Wolf oder Patrick Herrmann nicht heute etwas mehr Durchschlagskraft entwickelt hätte.

Denn Fakt ist auch, dass die Aufstellung der beiden Franzosen die zuletzt eingespielte Formation mit Herrmann, Stindl, Hofmann, Neuhaus sprengt und die Aufgaben der anderen verändert. Nicht nur zum Vorteil. Wenn Flo Neuhaus so abgebrüht agiert wie in Dortmund, ist er auf der Sechs ein starker Partner von Chris Kramer und ein wichtiger Mann im Aufbauspiel. Wenn er aber so fehlerhaft spielt wie heute, wird das zur Gefahr. 

Wenn Jonas Hofmann aus dem Zentrum auf die Außenposition geschoben wird, macht er natürlich dort auch seine Kilometer. Doch es kann auch passieren, dass er, wie heute, am Spiel kaum teilnimmt. Die Flanke zum 1:0 war mit Abstand seine beste Aktion heute. Was ich nicht ihm zum Vorwurf mache, sondern der taktischen Position, auf der er überhaupt nicht zum Zug kam, weil auch der gewohnte flexible Positionenwechsel heute im dichten Union-Gestrüpp nicht so funktionierte wie es notwendig gewesen wäre, um die Gäste-Abwehr öfter durcheinanderzubringen.

Doch noch entscheidender fand ich heute etwas anderes. Als es zum Auftakt vor zwei Wochen an gleicher Stelle gegen den Regionalligisten Oberneuland ging, fiel auf, dass die Borussen von der ersten Sekunde an aggressiv auf den Gegner draufgingen und ihm damit signalisierten, dass es keinen Spielraum für deren Spielidee geben würde. Das sah heute von Beginn an ganz anders aus. Da passte eher die Redewendung vom "gebremsten Schaum".

Sicher, Union ist kein Viertligist. Aber die Körpersprache der Gladbacher Spieler war aus meiner Sicht heute eine weniger entschlossene (bis auf Stevie Lainer natürlich). Sie gingen das Spiel zurückhaltender an, spielten oft nicht schnell und direkt und vor allem überraschend nach vorn, sondern behäbig, mit zu wenig Bewegung auf dem Feld und viel Quergespiele - so als wüssten sie nicht so recht, welchen Gefallen sie Union damit taten, weil genau diese Art abwartender Ballbesitzfußball ohne Überraschungsmoment es dem gegnerischen Abwehrriegel leicht macht, mit zu verschieben und Räume zu schließen. 

Das erinnerte zeitweise an überwunden geglaubte Spiele unter Favre und Hecking. Aber auch unter Rose gab es schon eher passive Auftritte. Die beweisen allerdings nur einmal mehr, dass der Fußball, für den Marco Rose steht, nur mit dem vollen Einsatz aller elf Spieler auf dem Platz wirklich funktioniert. Wenn eine Mannschaft es nicht schafft, dies über 90 Minuten komplett abzurufen, tut sie sich schwer - so wie heute. 

Na gut, es sind erst zwei Spiele gespielt, und auch die letzte Woche aufgrund des klaren Ergebnisses etwas zu Unrecht so hochgejubelten Dortmunder sind heute in Augsburg wieder eingefangen worden. Aber es wird spannend, die Reaktion von Trainerteam und Mannschaft auf diesen Auftritt heute im Borussia Park zu beobachten. 

Egal wie die Tabellenkonstellation heute ist: Gegen K*** kann es nur eine deutliche Leistungssteigerung richten - bei der Intensität der Zweikämpfe, in der Schnelligkeit nach vorne und im Pressing und "Stressing" des Gegners. Der muss zu Fehlern gezwungen werden, bevor er unsere Spieler zu Fehlern zwingen kann. Das, was heute im Park zu sehen war, reicht definitiv nächste Woche nicht. Nicht einmal zu einem Punkt. Aber ich bin ziemlich sicher, dass Marco Rose das den Spielern auch vermitteln wird. 

Aus Gründen noch ein paar Worte zum Schiedsrichter: Bei der Bekanntgabe der Ansetzung wurden zwar üble Erinnerungen wach, unter anderem natürlich an das Witz-Rot gegen Alassane Plea im Leipzig-Spiel. Doch das Unken war heute unbegründet. Tobias Stieler behielt in einem alles andere als giftigen Spiel souverän die Übersicht, nach meinem Eindruck fielen diesmal sogar mehr enge Entscheidungen zugunsten des VfL aus. Insgesamt eine unaufregende  und unauffällige Spielleitung, mit der wohl beide Teams gut leben konnten. Das muss ja auch mal gesagt werden, wenn man wie ich sonst schnell meckert.

Bundesliga 2020/21, 2. Spieltag: Borussia  Mönchengladbach - FC Union Berlin 1:1. Tor für Borussia: 1:0 Thuram.

 

Stand Saisonspende: Das erste Saisontor von TIKUS bringt 50 Cent. Da Tobias Stieler heute keine Normalform erreichte, ist das die einzige Erhöhung der Spendensumme heute. Gesamtstand: 4,50 Euro. Da geht mehr, Borussia!

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Wenn du auf meinem Blog kommentierst, werden die von dir eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. deine IP-Adresse) an Google-Server übermittelt. Mehr Infos dazu findest du in meiner Datenschutzerklärung und in der Datenschutzerklärung von Google.