2020-09-19

Und wieder grüßt das Verschaukeltier

Vor nicht einmal 24 Stunden ging ein Text von mir zum Saisonstart online, in dem ich 11 Wünsche für diese Saison formuliert habe. Und obwohl ich ja bekanntermaßen ein Schiedsrichterbenörgler bin, habe ich darin bewusst darauf verzichtet, einen Wunsch auch in diese Richtung zu adressieren. Ich hatte mir sogar im Stillen vorgenommen, in dieser Saison möglichst wenig Zeit mit Entscheidungen von Unparteiiischen zu verplempern oder zumindest, sie nicht immer wieder hadernd in meinem Blog zu thematisieren.

Und jetzt? Schon nach den ersten 90 Bundesligaminuten der Saison kann ich diesen Vorsatz nicht mehr halten. Und das kotzt mich in mehrfacher Hinsicht an, ganz ehrlich. Und das nicht zuletzt, weil wieder einmal der Verein aus Dortmund der Nutznießer davon war.

Aber zunächst zum wirklich Sportlichen. Ich habe heute einen sehr guten Auftritt meiner Borussia gesehen. Eigentlich sogar besser als erwartet. Dortmund fand in der ersten halben Stunde im eigenen Stadion praktisch gar nicht statt. Der VfL gab den Takt vor, attackierte gekonnt in der Hälfte des BVB, sodass es dem Gegner in der ersten Halbzeit nur ganz selten überhaupt gelang, mit sinnvollem Spiel in die Gladbacher Hälfte zu kommen. Gladbach war die bestimmende Mannschaft, hielt den Gegner, anders als bei vielen Begegnungen zuvor also, recht gut vom eigenen Tor weg. 

Allerdings: So effektiv die vorderste Reihe mit Wolf, Stindl und Hofmann im Anlaufen und in der Vorbereitung vieler Balleroberungen war - viele eigene Chancen kreierten sie nicht. Einmal rettete Bürki mit viel Glück vor dem einschussbereiten Flo Neuhaus, ein guter Schuss von Stevie Lainer prüfte den BVB-Keeper ebenfalls, viel mehr sprang aber auch nicht heraus. 

So war es aus den Erfahrungen der letzten sieglosen Spiele fast schon absehbar, dass im Gegenzug Dortmund irgendwann mit der ersten richtig guten Chance und zu diesem Zeitpunkt äußerst unverdient - in Führung gehen würde. Als das Befürchtete eintrat, spielte das dem Gegner selbstverständlich in die Karten. Aber das 1:0 war längst noch nicht spielentscheidend, auch weil die wahre Borussia auch nach der Halbzeit fast unbeeindruckt weiter gut mitspielte und das Risiko nur dosiert erhöhte. Das reichte der Favre-Elf dennoch - weil sie in der entscheidenden Phase des Spiels Hilfe von außen bekam.
Über die letzten halbe Stunde der Partie ist dann nicht viel mehr zu sagen, als dass sich die Mannschaft weiter nicht aufgab und bis zum Schluss sichtlich bemüht war, in einem verlorenen Spiel wenigstens noch ein kleines Ausrufezeichen zu setzen - dies allerdings vergeblich.

Am Ende könnte man es auch darauf reduzieren: Die drei Tore, die heute gegen Gladbach fielen, machten den Unterschied deutlich zwischen diesen beiden sehr talentierten Mannschaften. Es ist unstrittig, dass die Rose-Elf in allen drei Situationen nicht gut genug verteidigt hat. Und dass sie im Angriff eben nicht genauso kaltschnäuzig auftrat wie der Gegner.

Das erste Gegentor war gut herausgespielt, die Szene hätte aber nicht bis in den Strafraum führen müssen. Der Angriff zum Elfmeter und das 0:3 waren ebenfalls gut vorgetragene Konter, denen natürlich Fehler des VfL vorausgingen. Und sicherlich muss man immer auch die Frage stellen, ob man sich im fremden Stadion auskontern lassen muss. Beim 0:3 war der Grund dafür offensichtlich.
Patrick Herrmann hätte den abspringenden Ball risikolos auf die Tribüne kloppen können und müssen, damit wäre kein schneller Gegenangriff möglich gewesen. Doch beim Stand von 0:2 versuchst du natürlich, auch einen nicht optimal springenden Ball nochmal irgendwie in den Strafraum oder zum eigenen Mann zu bringen. Gelingt dir das nicht, ist es für den Gegner relativ einfach, einen solchen Konter dann auch erfolgreich zu Ende zu bringen. In diesem Fall war es die Prise Risiko zu viel. Aber das weiß man hinterher natürlich immer besser.

Insofern hat das Trainerteam allein mit diesen drei Szenen gutes Anschauungsmaterial für die taktische Schulung und damit in der Trainingswoche auch gute Vorlagen für die Feinarbeit. Das ist das Positive, das sich auch aus diesem Nackenschlag ziehen lässt.

Dass man die Partie aber trotzdem nicht einfach so abhaken und die Niederlage klaglos schlucken kann und will, liegt einerseits an der tadellosen Vorstellung von Kramer und Co. Auch die Statistik belegt ein sehr ausgeglichenes Kräfteverhältnis, mit einer Ausnahme - der erzielten Tore. Zum anderen liegt das Hadern mit dem Ausgang des Spiels aber an der Benachteiligung, die dem VfL gerade gegen diesen Gegner nun zum wiederholten Mal widerfuhr.

Dabei hatte Schiedsrichter Felix Brych in der ersten Halbzeit eine nahezu fehlerlose Leistung gezeigt. Er zeigte Gelb, wo Gelb angesagt war, er leitete das Spiel ruhig, bestimmt und souverän und überraschte mich tatsächlich sehr positiv. Dass er sich auf Initiative des Videoassistenten dann in der zweiten Halbzeit zum spielentscheidenden Mann für Dortmund entwickelte, war darum umso irritierender.

Denn der Eingriff des Videoassistenten in der Elfmeterszene entschied in der 54. Minute das Spiel vorzeitig, und das auf eine für mich nicht akzeptable Weise. Brych hatte hervorragende Sicht von hinten auf die Szene, als Bensebaini mit hohem Risiko in den Zweikampf ging und den Ball verpasste. Es war aus Brychs Perspektive, die in der Zeitlupe im Fernsehen auch zu sehen war, kein Kontakt Bensebainis mit Reyna zu sehen, wohl aber, dass dieser nach Bensebainis Grätsche beide Beine frei hatte, demnach auch hätte weiterlaufen können, aber stattdessen doch lieber beidfüßig zur dreisten Schwalbe abhob. Deshalb signalisierte Brych auch Weiterspielen. Er hätte - trotz der Intervention des VAR - auch problemlos bei dieser Entscheidung bleiben können. Und von einem so erfahrenen Schiedsrichter erwarte ich es sogar, dass er nachder Überprüfung zu seiner ersten Beobachtung stehen kann.

Die Entscheidung auf Strafstoß steht jedenfalls auf äußerst dünnen Füßen. Denn die leichte Berührung von Bensebainis nachgeführten Bein an Reynas Ferse lässt sich in der Zeitlupe zwar erahnen. Doch die Tatsache, dass der Dortmunder dadurch nicht zu Fall oder ins Straucheln kam, ist ebenso deutlich zu sehen. Im Gegenteil, der junge Dortmunder machte ungehindert und ohne Einknicken zwei weitere Schritte, bevor er zur Andi-Möller-Gedächtnis-Schwalbe ansetzte (im übrigen nicht zum ersten Mal in seiner Karriere). Das alles spricht für sich und ganz deutlich auch für Brychs ersten Eindruck: kein Elfmeter. Als er zum Monitor rauslief, hätte ich mir deshalb auch im Traum nicht ausgemalt, dass er dafür dann tatsächlich einen Elfmeter geben würde. 

Und so wurde aus der korrekten Einschätzung in Realgeschwindigkeit eine sportwidrige Entscheidung auf Zeitlupenbasis, die dieses Spiel heute zweifellos entschied. Und das auch deshalb, weil Brych kurz darauf auf der anderen Seite bei einem fast identisch zu bewertenden Zweikampf von Hummels gegen Thuram die Chance verpasste, dann wenigstens gleiches Maß anzulegen. 

Auch hier spielte der Abwehrspieler deutlich sichtbar nicht den Ball und beeinträchtigte den Stürmer mit einer leichten Berührung. Im Gegensatz zu Reyna spielte Thuram in der Szene aber wenigstens den Ball. Dass der VAR hier nicht eingriff, war ok. Nur hätte er es in der anderen Situation dann auch lassen sollen. Lässt man die ungleiche und damit ungerechte Beurteilung beider Szene mal außer Acht, hielte ich beide Szenen überhaupt nicht für elfmeterrelevant. So aber wird aus der nachträglichen Umdeutung ein weiterer Skandal in der jüngsten Geschichte der Duelle zwischen den Namensvettern aus Gladbach und Dortmund. Es ist schwer, diese einseitige Benachteiligung der wahren Borussia dann am Ende immer wieder zu akzeptieren.

Nun gibt es keinen Grund, nachdem ersten Spieltag deswegen in eine Depression zu verfallen. Wir wussten alle, dass man in Dortmund nicht unbedingt mit den ersten Punkten kalkulieren konnte - selbst ohne die Hilfe des zwölften Mannes für den Gegner. Auf der Leistung von heute lässt sich aufbauen, und das werden Marco Rose und seine Jungs tun. Da bin ich mir sehr sicher. Und das nehme ich jetzt auch als einzig verbliebenen positiven Ausblick nach dem auf ungehörige Art zustandegekommenen ersten Negativerlebnis der Saison mit in die Nacht. 

Bundesliga 2020/21, 1. Spieltag: Borussia Dortmund - Borussia Mönchengladbach 3:0.

Stand Saisonspende: Heute leider nichts dazugekommen. Es bleibt bei den 8 Toren aus dem DFB-Pokal, also derzeit 4,00 Euro. 

1 Kommentar:

  1. Sehr treffend analysiert. 100% Zustimmung. Der VAR muss weg. Früher konnte man sich über den Mann in Schwarz aufregen, wenn er einen Fehler machte aber man konnte ihm eine Fehler zugestehen. Der VAR sollte alles gerechter machen, tut er aber nicht. Im Gegenteil. Man bekommt den Eindruck, dass in Köln Spiele, zugunsten der Spannung in der Meisterschaft oder nur pro eines Vereins, verschoben werden. Anders ist es nicht zu erklären, dass so unterschiedlich eingegriffen wird. Ich fahre seit über 30 Jahren zum Fussball und habe echt keine Lust mehr. Es macht mir keinen Spass mehr. Jubeln mit 3 Minuten Aufwärmphase, ungerechtes Eingreifen, ja sogar falsche Entscheidungen trotz oder durch den VAR, Kalibrierte Linien etc. Ich bin nicht traurig, dass ich vorerst, Corona bedingt, nicht mehr ins Stadion darf. Ich gucke es mir nicht einmal mehr gerne im Fernsehen an. Schade, die guten, alten Zeiten sind vorbei...

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