2021-03-13

Alte Fehler schlagen alte Stärken

Es gibt Fußballspiele, die sind nicht zu verstehen. Engagierte und spielerisch phasenweise sehr ansehnliche Leistung, Chancen für drei Spiele, Elfmeter bekommen und verschossen, zurückgelegen, wieder zum Ausgleich gekämpft und am Ende doch im Ergebnis klar geschlagen - und dein Torwart ist dreimal chancenlos und hat ansonsten keinen Ball zu halten. Genau das macht ja auch oft den Reiz des Spiels aus. Dass Fußball unberechenbar ist. Dass eine völlig überlegene Mannschaft das Tor nicht trifft und eine andere dreimal aufs Tor schießt und mit 3 Toren gewinnt. Auch wenn sich das für uns heute wie Hohn anhört.

Ich würde ja gern sagen, dass ich das mit meiner Mannschaft noch nie erlebt hätte. Aber das stimmt natürlich nicht. Auch wir haben schon so gewonnnen. Und umgekehrt gab es gerade gegen Augsburg des öfteren so unglückliche, auch unverdiente Niederlagen. Es ist kein Einzelfall, wirklich nicht. Unter Marco Rose schien Borussia dies eine Zeit lang in den Griff bekommen zu haben, solche Spiele nicht zu verlieren. Auch in der Hinrunde, wo man sich des öfteren des Chancenwuchers schuldig machte, aber nur selten ganz ohne Punkte aus den Spielen ging. Doch inzwischen laufen nicht einmal die klarsten Spiele für den Nochtrainer und seine unglückliche Elf. Und das macht rationale Erklärungen umso schwieriger.

Heute war das eine besonders tragische Erfahrung. Die letzten fünf verlorenen Spiele zeigten zwar vielleicht punktuelle Verbesserungen, aber letztlich verlor man keins dieser Spiele wirklich unverdient. Heute dagegen war eindeutig die Zeit und der Ort gekommen für einen Befreiungsschlag. Alles sprach während des Spiels dafür. Die Mannschaft erarbeitete sich alles für einen Befreiungsschlag, der Gegner zeigte sich in der ersten Halbzeit als freundlicher Gastgeber und schien mit haarsträubenden Fehlern auch dabei helfen zu wollen, Borussia in Führung zu bringen. Der Befreiungsschlag blieb dennoch wieder aus. Eher noch: Er wurde - bildlich gesprochen - überhastet ins Aus gedroschen. Mit dem Hintern eingerissen, was man sich mühsam mit Händen und Füßen aufgebaut hatte. Oder, anders ausgedrückt: Alte Fehler schlagen alte Stärken.

Sicher, Augsburg war im Vergleich zu den Gegnern der letzten Wochen kein vergleichbar starker Gegner. Aber wer dennoch heute keine erhebliche Verbesserung im Gladbacher Spiel bemerkt hat, wollte sie offenbar auch nicht sehen. Trotzdem verlieren Flo Neuhaus und seine Mitspieler am Ende deutlich mit 1:3 gegen einen Gegner, der es ja sonst auch nicht so mit dem Toreschießen hat. Das ist schon kurios.

Die erste Hälfte war aus meiner Sicht genau so, wie es sein sollte. Dominierende Borussen spielten schnell, dynamisch und mit vielen One-Touch-Bällen selbstbewusst nach vorne, nutzten die Räume auf den Flügeln, kamen aber auch gegen die defensiv gestaffelten Augsburger immer wieder durch die Mitte zum Zug. Diesmal auch häufiger in der Box oder aussichtsreich an der Strafraumgrenze. Was fehlte, war der entscheidende Punch ins Tor.

Defensiv standen Elvedi und Ginter bombensicher, ließen bis auf einen guten Angriff des FCA nichts zu. Aber auch Oscar Wendt stand seinen Mann mit großer Entschlossenheit - sehr zweikampfstark, auch mit ungewöhnlich vielen Kopfballduellen, die er gewann. An ihm und seinen Nebenleuten sah man durchweg den Willen, dass heute der berühmte Bock umgestoßen werden sollte - um jeden Preis, so wie ich es letzte Woche thematisiert habe. Hofmann und Stindl rackerten unermüdlich, Neuhaus war stark verbessert, Lainer gewohnt kompromisslos, aber auch Thuram und Plea nahmen viel mehr und zwingender am Geschehen nach vorne teil als in den Spielen zuvor.

Allein: Es zahlte sich nicht aus. Wieder nicht. Und das, obwohl der sichere Elfmeterschütze Lars Stindl nach Foul an Thuram die Chance auf die Führung hatte, aber nicht nur den gegnerischen Torwart verlud, sondern sich selbst auch, weil er einen halben Meter neben den linken Pfosten zielte. Wer ein bisschen Erfahrung mit Fußballdramaturgie und dem blöden Fußballgott hat, weiß, dass das selten etwas Gutes für den Ausgang des Spiels bedeutet. Das war die beste von mehr als einem halben Dutzend erstklassiger Torchancen, die auf dem Augsburger Rasen liegenblieben.

Vielen der vergebenen Torabschlüssen von Neuhaus, Lazaro, Plea und Thuram fehlte vielleicht die letzte Prise Überzeugung, um den Ball noch besser und damit vielleicht unhaltbar zu platzieren - so wie es Neuhaus dann beim Ausgleich gelang, als er einmal den Überblick behielt und sehr platziert vollendete.

Wie es besser geht, zeigte der Gegner eindrucksvoll. Und die drei Gegentore waren wiederum Paradebeispiele für nahezu alle Gegentore, die der VfL in dieser Saison geschluckt hat - und das sind für eine gute Platzierung längst schon viel zu viele. 

1) Standardsituation: Beim 0:1 läuft Vargas seinem offenbar unaufmerksamen Gegenspieler Lazaro weg und köpft die Ecke von Caligiuri am kurzen Eck vor Lars Stindl ein, der den Gegner gar nicht kommen sieht. Individueller Fehler, der nicht zu reparieren ist.

2) Nicht sauber geklärte Abwehraktion: Vor dem 1:2 gibt es sogar drei- oder viermal die Möglichkeit, mit einem gewonnenen Zweikampf in der eigenen Hälfte oder im eigenen Strafraum einen Angriff einzuleiten oder sich wenigstens mit einem langen Ball aus der Situation zu befreien. Doch das gelingt nicht, der Gegner wurschtelt sich so zurück bis in den Strafraum, der letzte Pass kommt sogar halb von einem Gladbacher und Richter schaltet beim Torschuss aeinfach schneller als sein Gegenspieler.

3) Naiver Angriff, naiv verteidigter Konter: Gut, das Tor fiel kurz vor Schluss gegen eine weit aufgerückte Abwehr. Aber ich weiß nicht, wieviele Gegentore in dieser Saison schon auf diese Weise gefallen sind - Ballverlust tief in der gegnerischen Hälfte und zwei, drei schnelle Pässe bis zum Einschlag in Yann Sommers Tor. Diesmal war es Patrick Herrmann, der an der Seitenauslinie bedrängt wurde und der den Ball relativ unkontrolliert in die Mitte passt und so den Ballverlust einleitet.

Alle drei Gegentore haben etwas gemeinsam: Sie sind durch individuelle Unachtsamkeiten begünstigt, die man sonst nicht so von den Spielern kennt. Außer den Toren gab es in der Schlussphase ja noch einige haarsträubende Fehlpässe mehr, die sich hätte rächen können. Oder die zumindest verhindert haben, dass Borussia in den letzten Minuten auch das Tor des Gegners noch einmal stärker berennen konnte. Unkonzentriertheiten mit zunehmender Spielzeit, erlahmende oder harmloser werdende Angriffsbemühungen in der Schlussphase, schlechte Befreiungen aus der Bedrängnis - das alles gepaart mit vielen Gegentoren gerade in der zweiten Halbzeit.

Und da drängt sich mir ein Verdacht auf: Die Mannschaft hat auch ein Kräfteproblem. Die ersten 45 Minuten lief das Bällchen auch heute sicher, setzte Borussia dem Gegner auch läuferisch enorm zu. Da und auch in den Sprints zeigte sich Gladbach heute wie ich finde klar verbessert. Doch nach einer Stunde gehen dann merklich die Körner aus, die Unkonzentriertheiten häufen sich; aber auch die überhasteten Abschlüsse, wie bei Plea und Lazaro, die heute nach dem 0:1 immer wieder unnötig Schüsse von der Strafraumgrenze nahmen, die leicht zu blocken waren.

Woran das liegt, dass dem VfL in der entscheidenden Saisonphase in der "Crunchtime" die Körner ausgehen? Es hat sicher viele Gründe. Es hat vielleicht mit der ausgesetzten alten Saison und der um Wochen nach hinten verschobenen neuen Saison im Jahr 2020 zu tun und mit den nicht optimalen Erholungsphasen im Sommer und im Winter. Mit der Dreifachbelastung, wo man nicht zwischendurch mal Kondition nachbolzen kann. Es hat natürlich auch mit der individuellen Formkurve der einzelnen Spieler zu tun. Auf jeden Fall scheint mir das mental eine nicht unerhebliche Rolle zu spielen, genauso wie die Unruhe im Verein und bei den Fans. Vielleicht hat auch das Trainerteam Fehler in der Steuerung des Trainings gemacht. Aber das kann ich von weit weg nicht beurteilen. Ich sehe nur, dass die Steh-auf-Mentalität, mit der Borussia zeitweise glänzen konnte, derzeit nicht vorhanden scheint.  

Ein paar Sätze noch zu Marco Rose. Ich werde weiter keinen Rauswurf fordern. Denn auch wenn man viel kritisieren kann an seinem Verhalten in den vergangenen Wochen und Monaten, was seine Vertragssituation angeht und sicher auch bei der einen oder anderen sportlichen und taktischen Entscheidung. Aber seine Arbeit mit der Mannschaft scheint mir - aus der Ferne - weiterhin sachgerecht und vernünftig zu sein, und das Verhältnis zu den Spielern entgegen anderer Aussagen und Gerüchte wohl auch.

Aber man merkt deutlich, dass die herbe Kritik, die permanenten Rose-Raus-Forderungen ihre Spuren hinterlassen, bei dem Menschen Marco Rose, und auch bei den Spielern. War Rose anfangs trotzig-selbstbewusst im Umgang mit der Situation als scheidender Trainer, ließ er schon letzte Woche Unsicherheit erkennen, gab zu, dass auch ihn die Situation beschäftigt. Heute war im Interview nach dem Spiel vom Selbstvertrauen des sonst so klaren und unmissverständlichen Leaders nichts mehr übrig.

Das lag natürlich an dem erneuten Nackenschlag der unverdienten Niederlage und der Enttäuschung darüber, die man erstmal verarbeiten muss. Aber es klang heute auch so etwas wie Ratlosigkeit durch, so als überlege Rose selbst, ob er der Mannschaft noch Impulse geben kann. Es wäre absurd, ihm die heutige Niederlage in die Schuhe schieben zu wollen. Dazu hat auf dem Platz im Spiel zu viel funktioniert. Und die Tore kann der Trainer immer noch nicht selber schießen.

Aber es bleiben immer mehr Zweifel, ob sich die Trendwende schnell genug einleiten lässt, wenn die Mannschaft selbst solche Einladungen wie die der Augsburger heute nicht in drei Punkte verwandeln kann. Ich glaube, das beschäftigt auch den Trainer und sein Team gerade. Dazu passt die Aussage Roses, dass das Champions-League-Spiel am Dienstag ihm nun eigentlich nicht mehr so recht kommt, weil man lieber die Zeit hätte, um im Training an wichtigen Dingen zu arbeiten. Es scheint, als hätte man jetzt auch überall im Verein realisiert, dass längst der Blick nach unten gerichtet werden muss, wenn man die Saison noch halbwegs annehmbar beenden will.

Doch dazu braucht es endlich bessere Ergebnisse. Und so schön es war, dass heute wieder mal richtig viele Chancen herausgearbeitet wurden: Im Moment fehlt mir trotzdem die Fantasie, aus diesem am Ende doch wieder enttäuschenden Spiel(ergebnis) die große Hoffnung abzuleiten, dass gegen Man City eine Überraschung gelingt - oder wenigstens dann am kommenden Samstag der FC Schalke mit aller gebotenen Vehemenz aus dem Borussia Park geschossen wird.

P.S. Schiedsrichter Sven Jablonski hat mir heute gut gefallen: Klare Ansprache, unauffällige Spielleitung, er hatte die (faire) Partie gut im Griff und kam ohne Gelbe Karten aus.

Bundesliga, 25. Spieltag: FC Augsburg - Borussia Mönchengladbach 3:1. Tor für Borussia: 1:1 Neuhaus.


Saisonspende: 98,50 Euro bisher. 50 Cent für ein Tor kommen dazu, also jetzt 99 Euro. Ich fürchte, ich muss noch eine Nichtabstiegsprämie ausloben.

Zur Erinnerung, darum geht's: Ich spende am Ende der Saison einen Betrag X für einen (oder mehrere) gute(n) Zweck(e), auf den/die ich mich später festlege. Die Spendensumme setzt sich wie folgt zusammen: Jedes erzielte Tor von Borussia in den drei Wettbewerben: 50 Cent. Jedes Tor von Tony Jantschke: 10 Euro. Platzverweis von Max Eberl oder Marco Rose: 2,50 Euro. Gehaltener Elfmeter von Yann Sommer (oder einem Ersatzmann): 2,50 Euro; Zu-Null-Spiel: 1 Euro. Derbysieg gegen K***: 5 Euro. Siege gegen Bayern, Dortmund oder Leipzig: 10 Euro. Ein Sieg in Freiburg oder Wolfsburg: 10 Euro. Tore oder Vorlagen von Gladbacher Spielern in der deutschen Nationalelf: 1 Euro. Erreichen der K.o-Phase und für jede weitere erreichte CL-Runde: 10 Euro. Internationaler Startplatz am Saisonende: 20 Euro. Meisterschaft oder Finalsieg in CL oder EL: 50 Euro. DFB-Pokalsieg: 30 Euro. Gladbacher Torschützenkönig: 30 Euro.

4 Kommentare:

  1. Ich schließe mich deinen Ausführungen vollumfänglich an, gebe aber zu bedenken, dass Borussia nicht sehr intelligent spielt. Sie überpowern, spielen dieses blöde Ballbesitzspiel, wollen Tore erzwingen und verkrampfen mehr und mehr.
    Statt endlich wieder aus einer gesicherten Abwehr heraus zu kontern, bieten sie selbst auch den allerschwächsten Gegner die größten Räume an. Erst wenn die Ergebnisse wieder stimmen, sollten sie nach und nach wieder ihr dominantes Spiel aufnehmen.

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  2. Ein Spiel das einen ratlos zurück lässt. Vieles richtig gemacht, aber in den entscheidenden Momenten versagt. Vorne wie hinten. Das hat aber leider nichts mit fehlendem Spielglück zu tun, sondern einfach mit fehlender Qualität. Zumindest momentan. Deshalb stehen wir da wo wir sind. Die Tabelle lügt nicht.

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  3. Da stimmt Vieles, aber das Wesentliche am Scheitern ist meiner Ansicht nach, dass zurzeit wegen Der Rose- Geschichte die Unsicherheit innerhalb der Mannschaft doch groß ist, und das verhindert die 100% Leistung in vielen Bereichen: Motivation, Einsatz, Leichtigkeit, Fokussiertheit, Spielfreude, Selbstvertrauen usw., usw.

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  4. Kann mich Deinem Kommentar auch nur anschließen. Die Verunsicherung der Mannschaft konnte man beim Anlauf von Stindl zum Elfmeter sehen. Bei den Trippelschritten konnte man schon erahnen, daß das nichts wird. Dabei war er bei den letzten Elfmetern immer ziemlich sicher. Dazu kommen die haarsträubenden individuellen Fehler bei den Gegentoren. Wenn man oben mitspielen will, kann man sich sowas nicht erlauben. Im Vergleich zur Vorsaison ist Yann Sommer auch auf einem anderen Niveau unterwegs. Letzte Saison hatte er Top-Werte und diese Saison ist er eher am unteren Ende der Tabelle. Sicher kann man ihm die vielen Gegentore nicht anlasten, aber ein sehr guter Torwart hält halt auch mal den ein oder anderen Unhaltbaren, was diese Saison nicht sehr häufig vorkam. Es ist schon so. Die Tabelle lügt nicht. Ich kann mich auch bei den gewonenen Spielen an kaum eines erinnern, daß mal souverän gewonnen wurde. Fast jedes mal mußte man bis zur letzten Minute zittern, daß es gut geht. Selbst gegen einen Abstiegskandidaten wie Bielefeld. Das war vorige Saison ganz anders. Da hat Rose die Mannschaft überhaupt nicht weiterentwickelt. Die Sapison ist für mich abgehakt. Man kann nur hoffen, daß von den vermeintlich Guten nicht all zu viele den Abflug machen und dann hoffen wir mal, daß es zur neuen Spielzeit wieder besser wird.

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