2021-10-03

Horrorserie, weggebügelt

Wow. Zweites Spiel gegen einen favorisierten Gegner hintereinander, und mit dem zweiten, nicht unbedingt zu erwartenden Sieg befreit sich Borussia erstmal aus den Niederungen der Tabelle. Sechs Punkte gegen den BVB und Wolfsburg nach zuvor mageren vier aus fünf Spielen: Das ist klasse, das ist wichtig für den Kopf, aber natürlich auch dafür, dass Adi Hütter und das Team in den nächsten Tagen etwas ruhiger arbeiten können. Solange jedenfalls, bis irgendwelche Boulevard-Sportjournalisten uns gleich wieder zum Titelaspiranten küren. ;-)

Ich muss zugeben, diese Leistungen gegen den BVB und Wob habe ich so nicht erwartet. Das Auf und Ab vorher, der Rückfall in alte, schlechte Muster wie beim 0:1 in Augsburg ließ doch erhebliche Zweifel daran, dass die Mannschaft (zumal durch prominente Ausfälle gehandicapt) den Schalter auf dem Feld schnell wieder zum Besseren umlegen könnte. 

Das haben das Trainerteam um Hütter - taktisch wie emotional - und die Spieler mit einer hervorragenden Einstellung und einem verschworenen Auftreten dann wie aus dem Nichts dann doch geschafft. Und auch gestern durchgezogen, anders als sonst oft nach begeisternden Spielen gegen "übermächtige" Gegner.

Denn auch wenn diese letzten beiden Partien gezeigt haben, was der VfL an einem guten Tag zu leisten imstande ist - das ist kein Selbstläufer für die Saison. Dazu war auch das Spiel gestern enger, als es am Ende wirkte.

Erneut in der "Junge-Wilde-Aufstellung" mit Netz, Scally, Koné und diesmal auch Jordan Beyer in der Startelf gelang Borussia ein absoluter Sahnestart - und das ausgerechnet in den hässlichen Ausweichtrikots ohne Borussia-Wappen. Zwei Tore Vorsprung schon in Minute 7 gegen eine bisher defensiv sehr stabile gegnerische Defensive, das ist schon ein Ausrufezeichen. 

Allerdings: Beide Tore gingen zu mindestens 70 Prozent auf die mutige Aktion eines Spielers zurück, sie waren nicht aus einer kontrollierten Ballbesitzphase herauskombiniert. 

Der herausragende Breel Embolo erkämpfte sich zunächst die gute Freistoßsituation vor dem ersten Tor mit einem wuchtigen Lauf über die linke Seite gegen Bornauw. Und mit etwas Glück bekam er den Ball dann im Strafraum auch so serviert, dass er ihn sehenswert per Fallrückzieher ins Tor schießen konnte. 

Noch besser allerdings die Vorbereitung des 2:0. Da behauptete er sich gleich gegen drei Gegner an der Außenlinie und fand auch noch die richtige Länge für den Steilpass auf Jonas Hofmann - eine Präzision, die der Mannschaft in den Spielen zuvor einfach zu oft gefehlt hatte, wodurch sehr viele gute Gelegenheiten - und damit womöglich auch bessere Resultate - liegen gelassen wurden.

Zum kontrollierten Spiel gegen stärker werdende Wölfe trug jedoch die sichere Führung nicht bei. Zwar fiel das 1:2 eher zufällig, aber die Gastgeber bekamen das Spiel nach etwas mehr als 20 Minuten zunehmend besser in den Griff und es entwickelte sich daraus ein offenes Spiel zweier williger und physisch starker Teams, weniger jedoch ein Feuerwerk an Chancen auf beiden Seiten.

In der zweiten Halbzeit setzte sich das fort. Wolfsburg zwang Borussia durch zusätzliche Offensivkräfte oft in die eigene Hälfte und zum Reagieren, auch der Platzverweis gegen Lacroix sorgte nicht dafür, dass Gladbach seine numerische Überlegenheit besser ausspielen konnte. Auch in dieser Szene war der gefoulte Embolo wieder der entscheidende Mann. Doch Lars Stindl nutzte die Elfmeterchance nicht, sodass wieder bis weit in die Nachspielzeit zittern angesagt war, ehe Scally seine Leistung mit dem bravourösen Lauf zum 3:1 krönte.

Dass der Sieg verdient war, daran gibt es keinen Zweifel. Der VfL war die schlauere Mannschaft, brachte vollen Einsatz in den Zweikämpfen und leistete sich deutlich weniger Fehler als der Gegner. Doch zur Geschichte gehört eben auch, dass es dennoch - wie so oft in den vergangenen Jahren - trotz guter Leistung eine herbe Enttäuschung hätte geben können, wenn der Gegner seine Chancen (Lukebakio, Weghorst, Waldschmidt) besser genutzt hätte.

Damit bin ich bei dem, was gestern vielleicht die größte Erleichterung ausgelöst hat. Nach wahnsinnigen 18 Jahren gewinnt Borussia wieder mal ein Spiel in der trostlosen VW-Werksarena, damit ist jetzt bis auf den Freiburg-Fluch jede Horrorserie des 21. Jahrhunderts mal geknackt. Besonders gegönnt sei das all den Fans, die Jahr für Jahr immer wieder dorthin aufgebrochen sind, um ihren Teil zum Erfolg in Wob beizutragen. Dass sie sich in dem leblosen Stadion jederzeit die stimmliche  Hoheit verschaffen können, ist ja nichts Neues. Aber dass es auch gestern dort trotz des guten Saisonstarts der Gastgeber nur zu einer so jämmerlichen Kulisse (12000 Zuschauer, über 17000 hätten reingedurft) gereicht hat, das sagt schon viel über die emotionale Relevanz der VW-Truppe aus.

Was war noch bemerkenswert?

Top-Spieler: Erneut war das eine vor allem geschlossen gute Leistung der Mannschaft, in der jeder für jeden rennt und Fehler des einen gemeinsam wieder ausgebügelt werden. Drei Akteure verdienen dennoch eine besondere Erwähnung.

Breel Embolo zeigt es bisher nicht oft genug - aber wenn er so gut aufgelegt ist wie gestern, dann ist er ein Fels in der Brandung und eine echte Waffe als Sturmspitze. Bälle sichern, ablegen, robust verteidigen, spielerisch fokussiert, nicht überhastet und präzise in den Aktionen, und dann auch noch torgefährlich. Das war eine Eins mit Sternchen. Der Schweizer agierte gestern in bester Lukaku-Manier, war kaum zu verteidigen.

Als idealer Partner zeigte Jonas Hofmann gestern, welchen Wert er für die Mannschaft hat. Als Taktgeber, Balleroberer und Pressingspieler, und natürlich auch als Torschütze. Aber: Gegen tiefstehende Gegner funktioniert das (Konter-)Rezept von gestern wohl weder bei Embolo noch bei Hofmann so effektiv.

Ein Hoch auf Joseph Scally: Er flog ins kalte Wasser, weil Lainer und Bensebaini fehlen. Und er machte einen unglaublichen Schritt nach vorne. Sieben Spiele in der Liga, und er ist derzeit kaum noch aus der Mannschaft wegzudenken. 

Äußerst clever im Zweikampf, mutig im Eins-gegen-Eins (wenn auch manchmal noch etwas zu risikofreudig), athletisch auf der Höhe und nicht müde zu kriegen, links wie rechts sofort on fire, und auch mit einem Selbstbewusstsein bis nach New York ausgestattet: wohl deshalb gelingt ihm im Moment fast alles. Es ist kein Zufall, dass er gestern den Schlusspunkt setzte und die Entscheidung markierte. Mit einem Angriff, den er über Sommers Abschlag selbst einleitete und eiskalt zum 3:1 vollendete. Es gab selten einen verdienteren Torschützen als Joe Scally in diesem Spiel.

Was ihn auszeichnet, ist auch das Selbstverständnis, das vielen US-Amerikanern eigen ist - "du kannst alles erreichen, wenn du nur willst". Und in dieser extrem fokussierten und ehrgeizigen, von dem eigenen Leistungsvermögen überzeugten Haltung vermag ich ein wenig auch unseren Ex-Kapitän und Scallys Landsmann Kasey Keller wiederzuerkennen. 

Schiedsrichter: Drei Spiele hintereinander, bei denen es auch für den Schiedsrichter eine gute Note gibt - das ist wirklich selten. Ganz konnte Frank Willenborg die Leistung seiner Vorgänger zwar nicht halten. Aber er lieferte eine souveräne und trotz des intensiven Spiels mit vielen Fouls geräuschlose Leistung ab. Bis auf die ärgerliche Gelbe Karte gegen Zakaria, bei der der Schiri auf eine Schauspieleinlage von Waldschmidt reinfiel, war die Strafbemessung und die Foulbewertung in Ordnung. Beim möglichen Elfmeter an Hofmann in der ersten Halbzeit und der Roussillon-Szene, bei der er letztlich zu Recht die Rote Karte zurücknahm, hätte auch die Möglichkeit einer Interpretation in die andere Richtung gegeben, weil bei beiden Szenen die Wolfsburger durch nur unter dem Mikroskop beobachtbare Ballberührungen vor größerem Ärger bewahrt wurden. Aber im Sinne des intensiven Spiels konnte man damit auch so leben.

Nicht akzeptieren kann ich allerdings wieder einmal die Schwächen des VAR, einmal mehr durch den in Köln sitzenden Sascha Stegemann. Auch wenn der Elfmeter von Lars Stindl wirklich schlecht geschossen war und es am Ende für den Spielausgang unerheblich war: Es darf nicht passieren, dass die korrekte Ausführung eines Strafstoßes keinen des Feldschiri-Teams und keinen VAR interessieren.

Bei Stindls Fehlschuss wurden gleich zwei Regeln gebrochen, die zu einer Wiederholung hätten führen MÜSSEN. Maxi Arnold lief - als einziger - viel zu früh in den Strafraum rein. Und Torwart Koen Casteels hatte beim Schuss nicht wie vorgeschrieben einen Fuß auf oder über der Torlinie.

Bei ersterem musste ich von "Collinas Erben" lernen, dass es zwar ein klarer Verstoß sei, aber in der Praxis dies meist nur geahndet würde, wenn der gegnerische Spieler den Schützen auch irritiert bzw. beeinflusst. Das öffnet der willkürlichen Bewertung mal wieder Tür und Tor. Allerdings war Arnold bei Stindls Schuss höchstens noch eineinhalb Meter vom Schützen entfernt und somit durchaus in einer ahndenswerten Reichweite.

Klar ist die Nummer mit Casteels. Dieses Vergehen kann der Schiedsrichter im Stadion vielleicht nicht unbedingt klar sehen und bewerten. Deshalb ist es ein Muss für den VAR, hier einzugreifen. Anders übrigens als beim Fall Arnold. Wegen einer solchen Aktion hätte Stegmann sich nicht melden dürfen. Alles klar? Natürlich nicht, denn das ist absolut albern - oder man müsste eben einen der drei Assistenten im Stadion damit beauftragen, auch die Einhaltung dieser Regel zu überwachen und gegebenenfalls zu monieren.

Es ist gutgegangen und daher kein Grund, sich noch groß darüber aufzuregen, zumal ein verwandelter Elfmeter uns die ganze Diskussion erspart hätte. Es zeigt allerdings einmal mehr die tief im System verwurzelten Unzulänglichkeiten des VAR-Regelapparats - und die von VARs, die einfach nur ihre Arbeit nicht machen.

Für uns hatte das Ganze immerhin noch etwas Gutes. Hätte Stindl getroffen, wäre wohl die Schlussphase mit dem aufopferungsvoll verteidigten Vorsprung nicht gewesen (gut gerade nach den vielen in der Schlussphase verspielten Punkten in der Vorsaison) - und natürlich nicht der letzte Angriff mit Scallys wunderbarem Lauf über den ganzen Platz. 

Beides sind Dinge, die bei der Teamwerdung, beim Aufbau von Vertrauen in sich selbst sehr hilfreich sein können. Und daran gilt es weiter zu arbeiten. Damit solche Siege künftig noch weniger von der Chancenauswertung des Gegners und noch mehr von der eigenen Spielkontrolle abhängen können.

Bundesliga, 7. Spieltag: VfL Wolfsburg - Borussia Mönchengladbach 1:3. Tore für Borussia: 0:1 Embolo, 0:2 Hofmann, 1:3 Scally.


Saisonspende: Die beiden jüngsten Spiele machten nicht nur Spaß, sie waren auch lukrativ für das Spendenschwein: Gegen Wolfsburg kamen durch drei Tore und den so lange ersehnten Sieg auf dem Bestriebssportplatz des VW-Werks 13 Euro zusammen. Mit den 12 Euro aus dem Dortmundspiel und den vorher eher mühsam gesammelten 7 Euro aus 5 Spielen liegt die Summe nun bei 32 Euro. Gut so!

Folgendes gilt für die Saison 2021/22: Ich spende am Ende der Saison einen Betrag X für einen (oder mehrere) gute(n) Zweck(e), auf den/die ich mich später festlege. Die Spendensumme setzt sich wie folgt zusammen: Jedes erzielte Tor von Borussia in Bundesliga oder DFB-Pokal: 1 Euro. Jedes Tor von Tony Jantschke: 10 Euro. Platzverweis von Max Eberl: 2,50 Euro. Gehaltener Elfmeter von Yann Sommer (oder einem Ersatzmann): 2,50 Euro; Zu-Null-Spiel: 1 Euro. Derbysieg gegen K***: 5 Euro. Siege gegen Bayern, Dortmund oder Leipzig: 10 Euro. Ein Sieg in Freiburg oder Wolfsburg: 10 Euro. Internationaler Startplatz am Saisonende: 20 Euro. Deutsche Meisterschaft: 121 Euro. DFB-Pokalsieg: 50 Euro. Gladbacher Torschützenkönig: 30 Euro.

4 Kommentare:

  1. War unterwegs und hörte den Sieg im Radio, das erste, was mir einfiel war: ein Sieg in Wolfsburg sollte doch 10 Euro bedeuten :-)

    Ansonsten, wie eigentlich immer, bei Dir…
    Die Siege gegen den BVB und die Wölfe waren nicht eingeplant, umso schöner :-)

    Grüße aus D'dorf
    Elke

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  2. Diese jungen Wilden machen Lust auf mehr. Jetzt noch mit Zak und Ginter verlängern, dann darf man wieder auf Europa hoffen.

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  3. Wir dürfen gespannt sein, ob sie das Niveau der letzten Spiele halten können. Ich freue mich drauf.

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