2021-12-30

Raus aus dem Tränen-Tal I: kurzfristig

Das neue Jahr steht vor der Tür und wohl jeder Borussia-Fan schaut mit gemischten Gefühlen auf den zweiten Saisonabschnitt, der am 7. Januar zur besten Sendezeit beim Meister in München beginnt.

Denn einerseits steht der VfL zum Jahreswechsel dank seiner unsteten Leistungen in der Hinrunde, insbesondere der zum Teil unterirdischen letzten fünf Spiele, so schlecht da wie schon sehr lange nicht mehr: nämlich an der harten Kante zu den Abstiegsplätzen.
Andererseits hat die gleiche Mannschaft doch genau gegen Gegner von diesem Kaliber in den vergangenen Jahren deutlich häufiger ihre besten Leistungen abgerufen, als dass sie etwa von den Bayern ihre Grenzen aufgezeigt bekommen hätte.

Eins ist aber sicher: So wenig, wie Stindl und Co. in der kommenden Woche mit den gezeigten Leistungen aus dem Dezember die Spur eine Chance gegen die Stars von der Säbener Straße hätten, so wenig taugt die Sternstunde beim 5:0-Sieg im Pokal gegen die gleiche Mannschaft als Vergleich in die andere Richtung. 

Das Gute: Zwischen beidem liegen nur ein paar Wochen, es handelt sich um die gleiche Mannschaft, die gleichen Spieler, das gleiche Trainerteam. Was seit dem Pokal-Coup alles in die falsche Richtung ging, könnte also auch schnell wieder in die richtige Richtung gedreht werden.

Formschwächen, mentale Verschleißerscheinungen bei den Dauerspielern, fehlende Frische - all das könnte auch in einer so kurzen Erholungspause "rausgepflegt" werden. Die Spielfitness und taktische Finessen werden in einer Trainingswoche nicht nachhaltig angegangen werden können. Doch im Prinzip müssten diese Voraussetzungen ohne Dreifachbelastung in dieser Saison ausgiebig genug trainiert worden sein. Und die Gegner haben schließlich auch nicht mehr Zeit, um sich wettkampffertig zu machen.   

Bleibt das, was auch im Fußball in der Regel den Unterschied macht: der Kopf. Und hier liegt der Schlüssel für Borussias Weg aus dem Tal der Dezember-Tränen. Auch wenn bei einer Reihe von Spielern bis zum Ende der Transferphase am 31. Januar theoretisch noch etwas passieren könnte, sollten doch mit den geklärten Vertragskonstellationen bei Zakaria und Ginter (vermutlich ablösefrei im Sommer weg, eventuell auch noch im Winter gegen geringe Ablösesumme, dann aber mit dem Fragezeichen, wer sie SOFORT ersetzen kann) die wesentlichen Dinge wieder in den Vordergrund rücken.

Es gibt allerdings auch so personell offene Fragen - und einmal mehr - coronabedingte Widrigkeiten. Zakaria und Bennetts sind schon nach Ankunft aus dem Urlaub positiv getestet worden und verpassen so wahrscheinlich die kurze Vorbereitung weitgehend. (Edit: Das gleiche gilt seit heute auch für Scally und Doucouré). Möglicherweise fallen sie auch für den Auftakt in München aus. Es ist aber nicht auszuschließen, dass noch mehr Akteure betroffen sein könnten. Es war ja auch kaum abzusehen, dass Weltreisen über Weihnachten möglcherweise im Moment nicht so die beste Idee sein könnten (Ironie off).

Dazu kommt: Bayern-Schreck Ramy Bensebaini weilt den Januar über beim Afrika-Cup, im für ihn besten Fall bis Anfang Februar - das bedeutet, er verpasst vier oder fünf Spiele inklusive der Pokalpartie in Hannover. Auch wenn der Algerier ebenfalls zuletzt ein ziemliches Leistungsloch hatte, ist er ein sicherer Stammspieler, der zum Auftakt der Rückrunde fehlt und adäquat ersetzt werden muss. 

Weder Joe Scally noch Luca Netz sollte man diese Bürde allein schultern lassen, zumal sich bei einer möglichen Verletzung gleich ein neue Baustelle auf der linken Außenbahn auftun würde. Zudem ist Bensebaini ja eine Option in der Innenverteidigung. Geht man davon aus, dass Jordan Bayer und Tony Jantschke in Kürze wieder komplett fit sein werden, würde letzteres nicht so sehr ins Gewicht fallen. Da Stefan Lainer auf der rechten Abwehrseite schnell seine alte Form erreichen sollte, wäre Scally zumindest auf dieser Seite etwas entlastet. 

Handlungsbedarf gibt es aber auf links kurz- bis mittelfristig dennoch, denn Ramy Bensebaini wird ein Wechselkandidat für den Sommer bleiben, davon ist auszugehen. Andreas Poulsen, dessen Leihe in Ingolstadt offenbar erneut keinen Mehrwert gebracht hat, wird wohl keine Alternative für Borussia mehr. Doucouré lässt sich weiterhin nicht verlässlich einplanen. Und Netz ist aus meiner Sicht kein Linksverteidiger, sondern in offensiverer Rolle in der Fünferkette am besten aufgehoben (oder er muss in der Viererkette einen guten Partner vor sich haben, der ihm konsequent hilft).
Mit Abstrichen gilt das auch für Scally, dem man Leistungsschwankungen zubilligen muss, die man sich aber in einem Mannschaftsgefüge auf diesem Niveau eigentlich nicht leisten kann. Das zeigt sich selbst bei den Münchnern, wenn sich ein Pavard oder Upamecano Auszeiten nehmen.

Mit welcher Mannschaft würde Borussia also in die Rückrunde gegen die Bayern gehen, vorausgesetzt, es kommen keine weiteren Verletzungen oder Wechsel dazwischen? Es fehlt sicher: Bensebaini (Afrika-Cup). Unsicher sind zum Rückrundenauftakt: Zakaria, Bennetts, Doucouré und Scally (Corona), Hofmann (Trainingsrückstand nach OP), Thuram (Erkältung). Wie fit Jantschke und Beyer (der zusätzlich erneut Corona hatte) schon wieder sind, kann ich nicht sagen. Sie sollten aber wieder im Kader stehen können.

Gehen wir also von dieser Elf aus: Sommer - Ginter, Beyer (Jantschke), Elvedi - Lainer, Kramer (Koné), Zakaria (Neuhaus, Benes), Scally - Thuram (Plea), Stindl (Hofmann) - Embolo. Nicht nur von der Papierform ist das eine Mannschaft, der man es zutrauen kann, den Bayern Paroli bieten zu können. Wenn, ja wenn der Kopf mitspielt und ein Team auf dem Platz steht. Daran müssen sich die Borussen allerdings jetzt auch ganz besonders messen lassen. Die Zeit der Ausreden ist vorbei. 

Und wenn das Spiel dann doch verloren geht, wird es wegweisend für den Rest der Saison sein, auf welche Art und Weise sich die Hütter-Schützlinge dagegen gewehrt haben werden. Denn ab jetzt warten Spiel für Spiel nur noch Charaktertests. Und davon wird auch abhängen, ob sich die Fans wieder mitgenommen fühlen, oder ob sich neben der räumlichen Entfernung durch die nächsten Geisterspiele auch die emotionale Distanz verfestigt. 

Das kann und darf kein Spieler, kein Trainer und kein Funktionär auf die leichte Schulter nehmen. Die Gefahr der Entfremdung ist real. Natürlich hat das nicht nur mit den Entscheidungen bei und den Darbietungen von Borussia zu tun, sondern liegt auch an der Corona-Zeit und der gleichzeitig fortschreitenden Zementierung der Ungleichheiten im europäischen Fußball.
Dem drohenden Auseinanderdriften von Fans und Team kann man am wirksamsten durch das begegnen, was immer der Kern des Spiels sein sollte: Guter Fußball, Einsatz, Kampf und Emotionen. Lasst uns hoffen, dass wir davon im neuen Jahr mehr zu sehen bekommen als im ablaufenden Seuchenjahr 2021. 

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