2023-01-22

Nach-Katar-Kater

Die sogenannte Fußball-Weltmeisterschaft in der Wüste, die die Bundesliga-Saison aus niederen Beweggründen unangemessen lange unterbrochen hat, ist für vieles verantwortlich zu machen. Daran, das Borussia sich einmal mehr an Bayer Leverkusen die Zähne ausbiss, allerdings nicht.

Der Neustart in den Rest der Hinrunde brachte neben dem schmerzlichen Verlust unserer langjährigen Nummer 1 einige unschöne und doch nicht ganz neue Erkenntnisse. Immerhin: Yann Sommer ist zwar weg, doch er wurde (heute) durch Jonas Omlin ohne Qualitätsverlust ersetzt. Der neue Schweizer war an den drei Gegentoren schuldlos, einmal konnte er sich mit einer waghalsigen Aktion auszeichnen, viel mehr bekam er nicht zu tun.
Das war aber noch die beste Nachricht. Die zweitbeste Nachricht war, dass Lars Stindl ein längst hergeschenktes Spiel noch einmal zum Leben erwecken konnte, indem er zweimal Dinge tat, die er sonst nur noch selten tut: Bälle aus mehr als elf Metern unter Zuhilfenahme von Pfosten und Latte platziert ins gegnerische Tor zu schießen.

Der Rest ist so frustrierend wie er fast absehbar war. Natürlich wissen wir alle, dass Bayer Leverkusen kein Team für die untere Tabellenhälfte ist. Und doch: Borussia lief den Bayer-Kickern nach 15 defensiv konzentrierten Minuten - wie immer in den vergangenen Jahren - einmal mehr willig in die Konterfalle. Der Gegner brauchte wenig mehr zu tun, als konsequent tief und gut gestaffelt in der eigenen Hälfte zu stehen, dort Bälle zu erobern, mit denen man die pfeilschnellen Diaby, Adli oder Frimpong dann vorne füttern konnte.

Dass die Gäste sich so zwischen der 20. und 70. Minute eine 3:0-Führung ersprinten konnten, die gut und gerne auch zwei Tore mehr hergegeben hätte, war aber nicht gottgegeben. Denn nach besagter Anfangsphase, wo Borussia früh und recht erfolgreich anlief und auch einige Ballgewinne, aber nur weitgehend ungefährliche Abschlüsse verzeichnete, ebneten vor allem individuelle Fehler den Weg für das Team von Xabi Alonso. Das Spielgerät wurde bei allen Gegentoren in der gegnerischen Hälfte verloren, aber Gegner und Ball wurden nicht gestellt - bis der Ball im Tor war. Das hatte auch unter Farke schon erheblich besser geklappt als in diesem Spiel.

Beim dritten Tor war es zum Beispiel Plea, der den Ball im Zweikampf wenigstens ins Seitenaus hätte klären können. Dann hätte Koné die Chance gehabt, den Angriff mit einem taktischen Foul zu unterbinden, konnte sich das aber nicht leisten, weil er zuvor für ein dummes Ballwegdreschen schon die Gelbe Karte gesehen hatte.
Beim ersten Tor verblüffte Bensebaini mal wieder mit Kreisklasse-Abwehrverhalten, beim zweiten tat es ihm Nico Elvedi mit einem falsch eingeschätzten Ball und dem dann verlorenen Laufduell gegen Adli gleich - wobei der Angreifer sich den Luxus erlauben konnte, noch einen Bogen um Elvedi zu laufen und dieser ihn trotzdem nicht am platzierten Schuss hindern konnte.

Trotz einer kurzen Druckphase um den Dreifachwechsel (Wolf, Stindl und Scally für Ngoumou, Kramer und Lainer) in der 56. Minute sah es nie wirklich danach aus, als könnte Borussia dem Spiel noch eine andere Wendung geben. Der VfL verschob zu langsam, passte sich die Bälle in ungefährdeten Zonen zu und fand keine Idee, wie man den Bayer-Riegel knacken könnte.
Die Gäste verwalteten das Ergebnis ohne große Mühe und in jedem in Richtung der Gladbacher Hälfte gedroschenen langen Balles lag die Drohung eines weiteren Gegentores durch die Sprinter in Rot, so wie eben im vorentscheidenden 0:3 in der 67. Minute.

Bewegung kam in die unerfreuliche Angelegenheit erst mit den letzten beiden Wechseln. Wie so oft in letzter Zeit brachte die Hereinnahme von Patrick Herrmann (und das Comeback von Flo Neuhaus) im Zusammenspiel mit dem agilen Capitano Stindl nochmal Impulse in kämpferischer Hinsicht, und auch bei den Standards.
Dass es nochmal knapp wurde, lag aber vor allem an Lars Stindls präzisen Treffern, dem es auch gelang, den Rest der noch nicht nach Hause geeilten Zuschauer nochmal aus der Lethargie zu holen. Ich möchte nicht vom Fernseher aus das Publikum kritisieren. Aber es wirkte doch sehr gedämpft, was da vor allem in jenen Phasen von den Rängen kam, wo der Mannschaft ein Impuls und Lautstärke von außen gutgetan hätte. Es brauchte das überraschende 1:3, um das Stadion zu wecken und einen Rahmen zu schaffen, in dem auch die Gäste von außen nochmal beeindruckt werden konnten. 

Hätte das Spiel noch länger gedauert, vielleicht hätte es noch zum Ausgleich gereicht - denn erst da war Borussia so dominant, wie sie mancher Aktive hinterher am Mikro gerne darstellen wollte. Mehr als ein 2:3, so ehrlich muss man sein, wäre aber nach diesem Spiel nicht ok gewesen - wenngleich uns das bei einem gewonnenen Punkt natürlich egal gewesen wäre.

In den Interviews sahen Spieler und Trainer sich selbst jedenfalls gar nicht so schlecht. Viel Platz für Selbstkritik war nicht erkennbar. Doch wenn ein Team mit europäischem Format bis auf den Topstürmer komplett ist, und man doch über 70 Minuten keine Durchschlagskraft, kaum gefährliche Aktionen nach vorne, sondern höchstens nach hinten kreiert - trotz Vorteilen im Ballbesitz, im Passspiel, in den Zweikämpfen und mit einer für den Farke-Ball weit überdurchschnittlichen Laufleistung von 121 Kilometern - dann ist das einfach zu wenig.

2:3 gegen Leverkusen - das klingt am Ende ok, das klingt verschmerzbar. Es klingt aber auf jeden Fall deutlich besser, als es war. Und das ist etwas, was hoffentlich intern auch so aufgearbeitet wird.

Schiedsrichter Harm Osmers war heute übrigens bei weitem nicht so schlecht wie befürchtet (und auch schon erlebt). Klar, manche Zweikampfbewertungen, auf die er klare Sicht aus wenigen Metern hatte, waren wieder unterirdisch. Aber es gab nichts Dramatisches zu bemängeln.

Ärgerlich war vor allem der Schlussakkord, als Herrmann kurz vor Ende der Nachspielzeit in Strafraumnähe einen Einwurf auf Stindl schnell ausführen wollte, sich der Leverkusener Hincapié aber just in diesem Moment auf den Boden sinken ließ, um eine Verletzung vorzutäuschen und das Spiel zu verzögern. Osmers fiel sofort auf das Schauspiel rein, unterbrach das Spiel noch, bevor der Ball zu Stindl kam - und das hatte Folgen.
Das Schauspiel des Leverkuseners erboste Stindl so, dass er den gerade wieder aufgesprungenen Gegner leicht schubste, woraufhin Knöchelbrecher Bakker bei der folgenden Rudelbildung dem Gladbacher Kapitän an den Kragen wollte. Beide wurden verwarnt und Stindl fehlt somit gelbgesperrt am Mittwoch in Augsburg. Es war die zweite wirklich unnötige gelbe Karte dieses Spiels.

Das ist insofern bitter, weil wir nicht wissen, ob Marcus Thuram bis dahin wieder fit (oder nicht doch nach Paris oder sonstwohin gewechselt) ist. Damit fehlt also eine weitere Alternative für die Zehnerposition oder die Rolle in vorderster Spitze. Die heute wieder durchwachsen ausgefallene Lösung mit Chris Kramer, Florian Neuhaus, Alassane Plea oder Hannes Wolf wären weitere Alternativen auf der Zehn. Für besondere Durchschlagskraft nach vorn stehen aber alle nicht.
Genau wie Nathan Ngoumou, dem das heute als Thruam-Ersatz angesichts des tiefstehenden Gegners auch kaum vorzuwerfen war. Er braucht Tiefe im Spiel, um seine Schnelligkeit einzubringen, ein Wandspieler ist er nicht. Und wenn der Spielaufbau so langsam und ratlos ist wie heute über weite Strecken der Partie, gibt es weder für ihn Räume noch für andere. Dass sich das im nächsten Spiel angesichts des Gegners Augsburg ändert, ist nicht zu erwarten. Es wird spannend zu sehen, wie Daniel Farke die Erkenntnisse von heute nutzen wird, damit Weigl und Co. bei den Puppenspielern besser aussehen können.       

Saison 2022/23, Bundesliga, 16. Spieltag: Borussia Mönchengladbach - Bayer Leverkusen 2:3. Tore für Borussia: 1:3 Stindl, 2:3 Stindl.

Zwei späte Tore, die ein verlorenes Spiel nochmal spannend gemacht haben, bringen immerhin 2 Euro ein. Gesamtstand ist nun 83 Euro.

Das gilt in der Saison 22/23: Für jedes erzielte Tor von Borussia in Bundesliga oder DFB-Pokal zahle ich 1 Euro. Für jedes Tor von Tony Jantschke oder Christoph Kramer: 10 Euro. Gehaltener Elfmeter von Yann Sommer (oder einem Ersatzmann): 2,50 Euro; Zu-Null-Spiel: 1 Euro. Derbysieg gegen K***: 10 Euro. Siege gegen Bayern, Dortmund oder Leipzig: 10 Euro. Ein Sieg in Freiburg: 10 Euro. Einstelliger Tabellenplatz am Saisonende: 10 Euro. Internationaler Startplatz am Saisonende: 20 Euro. Deutsche Meisterschaft: 122 Euro. DFB-Pokalsieg: 50 Euro. Gladbacher Torschützenkönig: 30 Euro.

4 Kommentare:

  1. Auch 2023 beginnt wieder mit einer guten, ja trefflichen Analyse. Dafür, wie auch für viele frühere Beiträge, herzlichen Dank.

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  2. Da stimme ich Frau oder Herrn Korne 100 % zu. Weigl fehlt mir allerdings in der Analyse. In der Form sicher keine zweistellige Millionensumme wert.

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    1. Ja, da kann ich leider nur zustimmen.

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  3. Ganz ehrlich: Meine Vorredner (Korne + Anonym) sowie die Analyse selbst treffen voll ins Schwarze!!! Wir als Fans predigen schon Jahren das wir mindestens einen vernünftigen Stürmer benötigen. Jeder andere Verein schafft dies, jetzt sogar wieder der FC Augsburg.. Warum schafft es unsere ach so tolle Scoutingabteilung nicht?? Auch bei dem neuen Stürmer vom FCA sollen wir angefragt haben.. Wieso ist er für wesentlich weniger Money zum FCA gewechselt?? Da kann doch etwas nicht stimmen. Irgendetwas muss die Borussia unternehmen. Das Geld auf der Bank, das ja lt. unserem Finanzboss da ist, muss dringend zum Teil genommen werden um einen Stürmer zu verpflichten, sonst sehe ich für diese und nächste Saison absolut schwarz.. Außerdem sollten wir uns um einen finanzstarken Investor Gedanken machen, das was unsere (FlatEx usw.) bringen ist doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein..

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