"Wenn man mit dieser Einstellung, mit dem Vertrauen in die eigenen Stärke und dem Wissen um die vorhandenen Schwächen, das nächste Spiel angeht, mit einem ausverkauften Borussia-Park im Rücken - warum sollte da nicht auch gegen die Bayern etwas drin sein?"
Das schrieb ich in der vergangenen Woche als Schlusswort nach dem Kraftakt gegen Hoffenheim. Gehofft hatte ich da schon, dass Gladbach die Mannschaft sein könnte, die den Bayern als erste das Bein stellt. Weil Borussia im Spiel nach vorne auch schon gegen Juve, Sevilla und Man City grandiose Angriffe gezeigt und dabei einige Weltstars ins Schwitzen gebracht hatte. Und dass die Bayern in ihrer auf Angriff gebürsteten Abwehrreihe ihre Achillesferse haben, konnte man auch als gelegentlicher Beobachter wissen - auch wenn die wenigsten Mannschaften es in dieser Saison geschafft haben, diese Schwäche offenzulegen, weil sie vorwiegend mit verzweifeltem Verteidigen beschäftigt waren.
Wirklich geglaubt habe ich an einen Erfolg allerdings nicht, da bin ich ehrlich. Zu viele Großchancen hatte der VfL in den jüngsten Spielen gegen Teams aus den unteren Tabellenrängen zugelassen. Dass das gegen Müller, Coman und Lewandowski gutgehen würde, war nicht unbedingt zu erwarten, auch wenn die Gäste (vor allem ohne Costa, Robben und Alaba) natürlich deutlich geschwächt anreisten.
Und doch stand am Ende auf der Anzeigetafel dieses unglaubliche Ergebnis: 3:1, drei Tore gegen die Bayern in 14 Minuten. Eine rauschhafte zweite Halbzeit, die für die Gäste auch durchaus noch bitterer hätte enden können, wenn man die Chancen durchzählt.
Auf der anderen Seite stand nur ein letztlich wertloser Treffer von Ribery und die Erkenntnis, dass die über Jahre von Lucien Favre im engen taktischen Korsett perfektionierte Mannschaft plötzlich auch fast fliegende Wechsel in der Taktik hervorragend umzusetzen weiß. Mit seiner Dreierketten-Taktik und dem brutal-lauffreudigen Mittelfeld, verstärkt um die eigentlichen Außenverteidiger Korb und Wendt, hat André Schubert nicht nur mich überrascht, was kein so großes Wunder ist, sondern auch den Übertrainer Pep Guardiola. Und er hat zumindest für diesmal den richtigen Schlüssel gefunden, um die Münchner Überflieger auszubremsen.
Nach einer starken Anfangsphase des VfL, in der sich der Gegner offenbar erst orientieren musste, schien es allerdings für 20 Minuten so, als sei alles vergebens gegen ein solch sicheres Pass-und Kombinationsmonster wie den FC Bayern. Immer enger zog sich die Schlinge um den Strafraum der Borussen, immer klarer wurden die Möglichkeiten für die Bayern, in Führung zu gehen. Startelf-Debütant Nico Elvedi hatte merklich Schwierigkeiten, im Sprint nicht nur die Sohlen von Kingsley Coman zu sehen. Doch der Schweizer rechtfertigte das Vertrauen seines Trainers, indem er schon in der ersten Halbzeit ganz stark verteidigte, wo immer er den blitzschnellen Franzosen stellen konnte. In den zweiten 45 Minuten wirkten die drei Innenverteidiger Elvedi, Christensen und Nordtveit immer sicherer, fingen auch viele Pässe in die Spitze frühzeitig ab und leiteten Gegenangriffe ein. Die teilweise in Manndeckung bearbeiteten Müller und Lewandowski verloren schnell den Spaß an dem Spiel, das merkte man ihnen auch deutlich an.
Dennoch: Man muss kein Prophet sein, um zu wissen: Wäre der amtierende Meister in der ersten Hälfte im Borussia Park in Führung gegangen, hätte man am Wochenende sicher nicht so viele Lobeshymnen auf Schubert und seine Elf zu hören bekommen. Doch seine Taktik passte, Yann Sommer stand da, wo er stehen musste, Bayerns Angreifer waren nicht so effizient wie sonst und einmal rettete auch der Pfosten.
Somit ist für alle Anhänger des selbsternannten Sterns des Südens zumindest eine tröstliche Erklärung für die doch schmerzhafte Klatsche gegen den Angstgegner gefunden: Neben den fehlenden Spielern hatte Gladbach in der ersten Hälfte ziemlich Glück. Das stimmt.
Es ändert aber nichts daran, dass Borussia über die gesamte Spielzeit gesehen die bessere Mannschaft war. Nicht nur, weil sie ihre Torchancen besser genutzt hat, sondern auch, weil sie den Gegner so intelligent bearbeitet und angelaufen hat, dass der nicht wie gewohnt zur Geltung kam. Und mit zunehmender Spielzeit bespielten Xhaka und Co. gerade die Räume, in denen die Bayern verwundbar sind - die hinter den aufgerückten Verteidigern und die im Strafraum, den andere Gegner in dieser Saison in der Regel nur selten aufgesucht haben.
Es gibt also nichts, weswegen man sich für diesen Sieg entschuldigen müsste. Bis auf den Ballbesitz (40:60 Prozent), die Passgenauigkeit und Torschusshäufigkeit war der VfL an diesem Nachmittag über die gesamte Spielzeit gesehen besser. Die Schubert-Schützlinge (mit drei 19-Jährigen in der Startelf, die zusammen eine lächerliche Bundesligaerfahrung von 28 Spielen in das Spiel einbrachten) lief erheblich mehr als der Gegner (laut Kicker 122,08 zu 115,92 Kilometer). Lars Stindl (12,56 km) und Mo Dahoud (12,27 in 85 Minuten) lagen weit vor dem besten Münchner Vidal. Der lief 11,67 Kilometer und hätte damit im Gladbacher Team noch Xhaka (11,97), Johnson (11,79) vor sich und Korb und Wendt (11,64 und 11,63) neben sich gehabt. Na klar, Laufleistung allein gewinnt keine Spiele. Aber sie zeigt, mit welcher Intensität die Borussen den Gegner bearbeitet haben. Die Münchner mussten nämlich auch in diesem Spiel zusammen ganze fünf Kilometer mehr laufen als im Durchschnitt dieser Saison (110,99) und verzeichneten sowohl eine unterdurchschnittliche Ballbesitzquote von 60 Prozent (Schnitt der 15 Spiele: 71) als auch eine schwächere Passquote (82 statt 89 Prozent). Dass der Torschnitt pro Spiel (2,87) diesmal deutlich verfehlt wurde, war für jeden an der Anzeigetafel leicht ersichtlich. Das alles war zum großen Teil Verdienst unserer Borussen, die man dafür kaum genug loben kann. Nicht zuletzt, weil ja auch der VfL personell aus dem letzten Loch pfeift und doch Woche für Woche staunenswerte Leistungen abliefert.
Da wir Borussen-Fans aber auch nicht zu Größenwahn neigen, können wir diese Momentaufnahme auch richtig einordnen. Es ist immer möglich, so einen Gegner an einem Tag zu schlagen. Das hat der VfL nun schon über einige Jahre immer mal wieder bewiesen. Das heißt nicht, dass man schon auf Augenhöhe mit ihm ist oder ihm den Kampf ansagen könnte. Beim FC Bayern München stehen schon noch andere Kaliber auf dem Platz als bei Borussia, das wird sich auch in der Endabrechnung entsprechend deutlich bemerkbar machen. Allerdings ist die Entwicklung der vergangenen drei, vier Jahre schon sehr gut zu sehen. Gegen Bayern waren die beiden Spiele in der vergangenen Saison zwar auch überdurchschnittlich erfolgreich - allerdings auch da mit deutlich mehr Glückmomenten in der Defensive durchzogen als am Samstag.
Auch international sieht man die Reife der Mannschaft: Wo wir in der ersten Euro-League-Saison doch sehr schnell Lehrgeld zahlen mussten, war der VfL schon vergangene Saison ganz nah an der Überraschung gegen den Champion Sevilla. In dieser Saison wurde der gleiche Gegner im Rückspiel zeitweise ähnlich auseinandergenommen wie die Bayern gestern. Und es ist nicht utopisch, dass Sevilla letztlich in der CL-Gruppenphase an der Borussia scheitert. Dazu die erstklassigen Partien gegen Manchester und Juve.
Aus Borussia ist also eine deutsche Spitzenmannschaft geworden (gegen die ersten sieben Teams in der Tabelle gab es fünf Siege und nur die Niederlage gegen Dortmund). Und Borussia kann auf europäischem Parkett gut mitspielen, wenngleich die Spitze noch weit entfernt scheint. Den nächsten Schritt dazu kann das Team von André Schubert schon am Dienstag machen. Die Chancen stehen auf der derzeitigen Euphoriewelle nicht schlecht.
Allerdings muss auch jedem klar sein, dass das Pendel auch mal wieder gegen die Elf vom Niederrhein ausschlagen kann. Dass Spiele wie Dahoud oder Christensen in ein Leistungsloch fallen können und es mal ein paar Spiele nichts zu feiern gibt. Dann kommt es auf den Zusammenhalt in der Mannschaft und natürlich auf die Geduld der Fans an. Auch wenn die derzeitigen Ergebnisse uns insgeheim schon wieder von einer weiteren Champions-League-Saison träumen lassen - bis dahin ist es noch ein weiter Weg, der nicht ohne Rückschläge bleiben wird. Dann ist es wichtig, sich daran zu erinnern, womit wir nach dem Katastrophen-Auftakt noch Ende September zufrieden gewesen wären: "Hauptsache die Saison ordentlich zu Ende bringen und nicht wieder im Abstiegssumpf verschwinden". Auch das gehört an einem Feiertag wie diesem, an dem man sich wie der König der Bundesliga fühlt, zur Wahrheit dazu. Es gibt auch jetzt keinen Grund, übermütig zu werden.
Bundesliga 2015/16, 15. Spieltag: Borussia Mönchengladbach - FC Bayern München 3:1 (5.12.15)
(Tore für Borussia: 1:0 Wendt, 2:0 Stindl, 3:0 Johnson)
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