Dass Borussia Mönchengladbach im eigenen Stadion eine Macht ist, ist bekannt. Dass die gleiche Mannschaft auswärts punktemäßig kaum ein Bein auf die Erde bekommt, auch. Es ist schon wieder so auffällig, dass unter Gladbachfans mitunter das böse "Auswärtsdeppen"-Wort aus überwunden geglaubten finsteren Zeiten wieder hervorgekramt wird. Kein Wunder, wenn man sich früh so ein Slapstick-Gegentor einfängt wie das Dänenduo Vestergaard/Christensen, das den wohl überschätztesten Stürmer der Liga, den fußballerisch weitgehend talentfreien Sprinter Timo Werner, zum billigen Torschuss förmlich einlud.
War das 1:1 beim ungeliebten Aufsteiger Leipzig also dann ein Fortschritt? Ja und nein.
Nein, weil sich der VfL einmal mehr über weite Strecken des Spiels von einem physisch robust auftretenden Gegner einschüchtern und vom gewohnten Spiel abbringen ließ und es folgerichtig bis kurz vor Schluss nach der befürchteten Niederlage aussah.
Nein, weil das, was Borussia unter dem Pressing des Gegners zu spielen in der Lage ist (Raffaels Fehlen hin oder her), bislang eher enttäuschend ist. Viele lange Bälle, die für die Stürmer kaum zu kontrollieren sind, kaum gewonnene zweite Bälle, kaum brauchbare eigene Angriffe, nahezu keine ernsthaften Torchancen. Dafür in der Defensive immer wieder unsicheres Spiel und der mitunter hilflose Pass zurück zum Torwart, der den langen Schlag nach vorne und den nächsten Ballverlust forciert.
Ja, ein Fortschritt war das Spiel dennoch, weil das Team sich den einen Punkt mit zunehmendem Druck auf die ballführenden Spieler und mit dem richtigen Zweikampfverhalten ab der 60. Minute auch verdient hat. Weil man - allen voran Christoph Kramer - in der zweiten Halbzeit das Spiel besser annahm, sich ebenfalls in den Gegner verbiss, vom eingeübten spielerisch-komplizierten Lösungsweg abwich, selbst mehr dazwischenhaute und nach vorne schnelle einfache Pässe in die Spitze spielte.
Hervorragend war das beim Ausgleich zu beobachten, bei dem Wendt endlich mal schnell nach vorne spielte, Hazard den Ball eindrucksvoll mit dem Körper behauptete, Stindl den abprallenden Ball mustergültig in den Lauf von Johnson schickte und der nicht wie sonst kopflos aufs Tor drosch, sondern den Gegner elegant ins Leere laufen ließ und überlegt ins lange Eck zirkelte.
Dieser Angriff allein versöhnte für eine ansonsten überschaubare Leistung des gesamten Teams. Und er belohnte die vor allem kämpferische Leistungssteigerung im Laufe des Spiels, womit sich Stindl und Co. auch ein wenig für die hilflose Vorstellung in Freiburg rehabilitieren konnten.
Ist Borussia also nun eine Spitzenmannschaft, weil sie in einem komplizierten Spiel in der Lage war, einen wichtigen Auswärtspunkt zu retten? Oder ist es eines Champions-League-Teilnehmers nicht würdig, sich von einem Bundesliga-Neuling so unter Druck setzen zu lassen, dass man mit einem 1:1 zufrieden sein muss?
Wer Spiele nach dem Tabellenstand oder nach der sogenannten Favoritenrolle bewertet, neigt sicher zu letzterem. Ich tendiere zur ersten These. Denn dass kein Team in der Bundesliga ein anderes so ohne Weiteres wegfidelt, zeigt sich jede Woche. Und dass der Emporkömmling aus Leipzig ein normaler Aufsteiger wäre, wird niemand ernsthaft behaupten wollen. Der Verein hat sicher sinnvoll eingekauft und sich sportlich gut entwickelt, dabei aber deutlich mehr Geld ausgegeben als die meisten anderen Bundesliga-Clubs (auch mehr als Borussia).
Es ist keine Überraschung, dass er gut aus den Startlöchern gekommen ist. Rote Brause kombiniert guten Konterfußball mit der ekligen Körperlichkeit im Zweikampf, die spielerisch begabten Mannschaft so weh tut. Also ist es in Ordnung, gegen so einen Gegner je nach Spielverlauf auch ein Remis als angemessen zu empfinden.
Eine richtige Spitzenmannschaft ist der VfL aber erst dann, wenn er auch in der Lage ist, sein Spiel von Anfang an so anzupassen, dass er gar nicht erst in die Bredouille zu bringen wäre. Natürlich ist die Schubert-Borussia nicht ohne Weiteres in der Lage, auf Knopfdruck die defensive Stabilität der alten Favreschen Schule wieder einzuschalten. Aber manchmal würde man sich doch wünschen, dass man gerade auswärts nicht auf Biegen und Brechen die Dominanz im Ballbesitz anstreben würde, sondern sich bewusst zurückzieht, den Gegner zum Spielaufbau gegen eine massive Deckung zwingt und das macht, worauf Generationen von Auswärtsteams seit jeher bauen: schnelle, überfallartige Konter. Gerade heute in Leipzig mutete es oft genau andersherum an. Borussia war um geordneten Spielaufbau bemüht, die Gastgeber auf schnelle Ballgewinne und Konter im eigenen Stadion.
Vielleicht fehlt den Fohlen dafür aber derzeit - man hätte es vor der Saison ja kaum für möglich gehalten - am richtigen Personal. Oscar Wendt hat auf links leider doch keinen Konkurrenten, der ihm in einem Leistungstief Beine macht. Dafür ist Nico Schulz nach der langen Pause noch nicht eingespielt genug. Wer die Ersatzbank heute gesehen hat, weiß auch, dass von dort im Moment keine besonderen Impulse zu erwarten sind. Da waren jede Menge Defensivarbeiter aufgeboten (Elvedi, Korb, Jantschke, N. Schulz). Alle diese Spieler standen in dieser Saison schon auf dem Feld, mit keinem aber stand die Abwehr bisher wirklich bombensicher.
Für die Offensive stand nur noch Hofmann zur Verfügung, dazu der noch formschwache Dahoud. Auch diese beiden haben sich bisher nicht nachhaltig aufdrängen können. Auch wenn man als Gladbach-Fan auf eine verletzungsfreiere Saison gehofft hatte als letztes Jahr, es fehlen schon wieder viele wichtige Spieler: Herrmann hätte heute eine Alternative sein können (vor allem für einen schwachen Traoré), die jungen Benes und Sow scheinen noch nicht so weit zu sein, dass Schubert sie bringen möchte. Dass ein Dominguez in Topform natürlich seit langem fehlt, und nun wohl auch noch der brave Kämpfer Strobl, macht die Sache am Samstag gegen Ingolstadt nicht leichter. Hoffen wir, dass wenigstens Raffael rechtzeitig wieder fit wird. Und Borussia dann im dritten Anlauf gegen einen dieser unbequemen spielzerstörenden Gegner den richtigen Schlüssel zum Erfolg findet.
Bundesliga 2016/17, 4. Spieltag: RB Leipzig - Borussia Mönchengladbach 1:1
(Tor für Borussia: 1:1 Johnson)
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