2016-11-05

Höchstwert auf der Frust-Skala

Ich habe mal angefangen, dieses Blog zu schreiben, weil ich nach einem Spiel genauso frustriert war wie heute. Was für ein bescheidener Abend in Berlin!

Es gibt heute viel zu notieren, ich hoffe, ich bekomme es strukturiert hin, weil zu dem ernüchternden Ablauf dieses Abends eine Reihe sehr verschiedener Dinge beigetragen haben.

Fangen wir mit der Rolle des Schiedsrichters an. Ich gebe Tobias Stieler nicht die Schuld für die Niederlage, dazu haben in erster Linie die Fehler der Spieler geführt. Aber es gibt Spiele, in den der Schiedsrichter einem Spiel ungewollt eine Richtung gibt. Heute war so ein Spiel. Knackpunkt war die frühe Gelbe Karte gegen Christoph Kramer, über die ich mich schon im ersten Moment maßlos aufgeregt habe, weil ich ahnte, welche Folgen es hat, wenn sich ein defensiver Mittelfeldspieler 82 Minuten lang nichts mehr erlauben darf. Angesichts der Tatsache, das Kramer in dieser Saison schon einige Karten gesammelt hatte, ahnte ich da schon nichts Gutes.

Wenn die erste nennenswerte Foul-Aktion nach 8 Minuten mit Gelb bestraft wird, dann sollte es dafür einen triftigen Grund geben. Denn damit legt sich der Unparteiische für das ganze Spiel fest, nämlich, dass er von Anfang an hart durchgreifen muss und will. In der Regel kann er das nicht durchhalten, und in diesem bis dahin absolut fairen Spiel war es zu diesem Zeitpunkt auch nicht notwendig, ein Zeichen zu setzen.
Kramers Griff nach der Schulter des Gegenspielers war zweifellos ein Foul, aber aus meiner Sicht nicht zwingend eine Verwarnung. Denn Kramer bekam den Gegner nicht wirklich zu fassen, er brachte ihn auch nicht dadurch zu Fall, der Berliner war auch nicht in so aussichtsreicher Position, dass der Schiri an der Bewertung "taktisches Foul" nicht vorbei kam. Stieler wollte diese Verwarnung geben, er zögerte keine Sekunde und das war deutlich zu sehen. Wenn es aber so ist, dann möchte ich bitte auch, dass dies konsequent so gehandhabt wird - dann allerdings hätte in den allermeisten Spielen, die ich in den vergangenen Jahren begleitet habe, Borussias Gegner nicht zu elft den Schlusspfiff auf dem Rasen erlebt. Mehr noch: Dann gehört es sich nicht, den Karton stecken zu lassen, wenn dreimal Gladbacher Spieler von hinten brutal umgesenst werden, ohne dass der Abwehrspieler die Möglichkeit gehabt hätte, den Ball zu spielen.

Und ich kann es nicht akzeptieren, dass der Herthaner Mittelstaedt, der in der zweiten Hälfte Fabian Johnson mit einem festen Griff ans Trikot daran hinderte, alleine mit dem Ball aufs Tor zu laufen, mit Gelb die gleiche Strafe erhält wie Kramer für seinen noch halb missglückten Versuch in der 8. Minute. Um nicht falsch verstanden zu werden: Stieler muss dem Herthaner in der Szene Gelb geben, Rot wäre nicht richtig. Aber die Verhältnismäßigkeit ist in diesen Szenen nicht gewahrt - weil der Schiedsrichter nach der frühen Verwarnung keine Abstufung mehr zur Verfügung hat.

So, ich habe etwas etwas länger ausgeholt, um diesen Frust zu erklären. Kommen wir zu den anderen Gründen dafür, dass man diesen Abend schnell aufarbeiten und dann vergessen sollte. 17 Minuten lang hatte der VfL ein hervorragendes Auswärtsspiel gemacht, sich mehrfach in gute Positionen gebracht und auch zwei Abschlüsse zu verzeichnen. Deshalb war es eigentlich ein Hohn, dass die bis dahin völlig ungefährlichen Gastgeber in Führung gingen und Gladbach damit den ersten Tiefschlag versetzten, der aber entscheidend nachwirkte. Mit dem 0:1, dem mehrere unkonzentrierte Aktionen vorausgingen - ein schwacher Befreiungsschlag von Elvedi, der fehlende Druck auf Flankengeber Weiser und ein noch schlechteres Stellungsspiel gegen Kalou, brach das Selbstvertrauen der Schubert-Elf in sich zusammen. Das geschah nicht zum ersten Mal nach einem Rückstand in dieser Saison. In der Folge wirkten die Borussen fahrig im Spielaufbau, verloren Zweikämpfe gegen die deutlich spritzigeren Berliner und holten auch die zweiten Bälle nicht zurück. Ablesen ließ sich das zum Beispiel an den Fouls, die zu den Verwarnungen von Strobl, Wendt und Kramer (die zweite zum Platzverweis) führten - jedesmal kamen die Gladbacher deutlich zu spät.

Mit dem zweiten Gegentor, das nach Herrmanns Verletzung in Unterzahl fiel, die man eventuell bei einer schnelleren Auswechslung hätte vermeiden können, war Borussia angezählt. Mit dem Platzverweis in der 40. Minute war das Team vorzeitig erledigt. Ich habe ernsthaft nachgedacht, ob ich mir die zweite Halbzeit schenke - es wäre das erste Mal in meinem Borussia-Leben gewesen.
Und doch hatten Stindl und Co. am Ende der zweiten Halbzeit noch genug Chancen gehabt, um sogar den Ausgleich zu schaffen. Vestergaards Kopfball und Stindls Chance, die beide von Jarstein entschärft wurden und der Kann-Handelfmeter nach Wendts langem Einwurf - wäre Borussia vor dem Tor nur annähernd so effektiv gewesen wie der Gegner gestern, es hätte eine unerwartete Auferstehung der auf dem Boden liegenden Mannschaft geben können. Allein, die Spieler selbst schienen nicht daran zu glauben. Und wohl auch nicht ihr Trainer, der den durch die frühen Wechsel verbleibenden letzten Trumpf Thorgan Hazard erst zog, als Kalou den Sack mit dem dritten Tor endgültig zugemacht hatte.

Das alles macht wenig Hoffnung für die kommenden Aufgaben, die nach der Länderspielverschnaufpause unter anderem mit dem Derby (ohne den Kämpfer Kramer) gegen Köln und der letzten Champions-League-Chance gegen Manchester warten. Zudem wird Patrick Herrmann wahrscheinlich wieder lange ausfallen, sodass die in Berlin erneut nicht überzeugenden Hofmann, Johnson, Wendt eine Alternative weniger "fürchten"  müssen, die ihnen Dampf machen könnte.
Na klar, dass ein Spiel wie heute aus dem Ruder läuft, kann passieren. Dass ein junger Kerl wie Elvedi mit unglücklichen Aktionen Gegetore verschuldet, auch. Dass ein Yann Sommer mal nicht über sich hinauswächst und seine Farben mit einer Weltklasseparade länger im Spiel hält, ebenso.
Was ich von den gestandenen Spielern aber erwarte, ist, dass sie vorangehen und zumindest sichtbar versuchen, die anderen anzutreiben und mitzureißen. Doch Wendt, Johnson, Stindl, auch Jantschke und Raffael waren dazu heute nicht in der Lage. Erstmals übrigens auch das Trainerteam nicht. Das hat sicher in der Nachbetrachtung in manchen Spielen auch Fehler gemacht. Doch dass heute gar keine Impulse von außen kamen, fand ich bemerkenswert.

Daher ist es auch nicht die mittelmäßige Bundesliga-Bilanz, die mir Sorgen macht, nicht die Auswärtsmisere oder die Tatsache, dass die Mannschaft jetzt xy Stunden lang in der Liga kein Tor geschossen hat. Dafür gibt es gute und weniger gute Erklärungen - und ein Spiel wie heute darf man aus meiner Sicht auch nicht seriös unter normalen (Auswärtsspiel-)Maßstäben bewerten. Was mir am meisten Sorgen macht ist, dass die Mannschaft in verzwickten Situationen nicht voller Überzeugung in ihre Stärken zu sein scheint und dass sie außer Kramer keinen hat, der eine Trotzreaktion einfordert und mit gutem Beispiel vorangeht. Ein ausgeruhter Lars Stindl könnte es sein, im Moment ist er es nicht, aber es springt auch kein anderer in die Bresche.

Es soll keine Ausrede sein, aber das sind die Phasen in der Saison, wo man sich einen Martin Stranzl oder Granit Xhaka zurückwünscht - nur für die moralische Präsenz, um der Mannschaft die nötige Ansprache zu verpassen. In diese Rolle müssen die jetzigen Spieler erst reinwachsen. So zeigt sich immer deutlicher, dass diese Saison eine Übergangsaison werden wird, wie nach dem Abgang von Reus, Dante und Neustädter. Eine Spielzeit, in der es über allem steht, die Nerven zu behalten und bis ins neue Jahr damit zufrieden zu sein, nicht nach hinten abzurutschen und nach vorne nicht ganz abreißen zu lassen.
Wenn das gelingt, hat der VfL in der entscheidenden Saisonphase noch ausreichend Zeit zuzulegen - wenn das europäische Abenteuer beendet sein wird, das derzeit, wenn wir ehrlich sind, zu viel Saft aus dem Akku zieht, um in der Liga vorne dabei sein zu können.

Bundesliga 2016/17, 10. Spieltag (4.11.16): Hertha BSC  - Borussia Mönchengladbach 3:0

2 Kommentare:

  1. Sehr guter Bericht!
    Was fehlt ist die unsportliche Spielansetzung auf Freitag. Unsportlich wie der Schiri.
    Warum spielen am Freitag nicht die Münchener?

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  2. Danke!
    Das mit der Spielansetzung ist blöd, aber es regt mich nicht so auf. Denn von Mittwoch bis Samstag ist ja auch nicht mehr Erholungszeit. Mich hat gewundertt, dass Max Eberl davon nochmal angefangen hat, wo doch der Spielplan seit vielen Wochen bekannt war.

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