2018-02-11

Angezählt


Vor drei Wochen ging es um die Champions League, ab heute gegen den Abstieg. Natürlich ist das sehr zugespitzt. Aber der Ausflug nach Stuttgart hat gezeigt, dass Stindl und Co. derzeit die Voraussetzungen für einen erfolgversprechenden "Europa"-Anwärter nicht erfüllen - vor allem die mentale Stärke fehlt dazu. 31 Punkte stehen auf dem Konto, doch das reicht nicht für den Klassenerhalt. Sollte der VfL so weiterspielen, wie er sich heute präsentiert hat, holt er in dieser Liga keinen Punkt mehr. So sieht es leider aus. Das bedeutet: Es muss sich schnellstens etwas tun.

Denn: Der Gegner heute war der schwächste seit langem - mit Ausnahme von Insua und Pavard sogar fußballerisch von einiger Erbärmlichkeit. Aber der VfB hatte verstanden, dass er sich gegen eine Niederlage wehren kann. Und das reichte, um diese drei Punkte einzusammeln.
Borussia hingegen klammert sich noch immer krampfhaft an das Können ihrer Einzelspieler, hofft auf die feine Klinge, selbst wenn nicht viel zusammenläuft wie heute. Mit der feinen Klinge schnitt man zwar auch heute einige Male durch die gegnerische Abwehr, aber nur, um im Anschluss - wieder einmal - den Ball vor dem Tor auf die eine oder andere Weise zu verstolpern.
Während in den Spielen vorher der Spielausgang immer noch als unglücklich oder unverdient zu bezeichnen war, blieb heute nur noch Kopfschütteln. Das Gezeigte kann sicher nicht Gladbacher Anspruch sein.

Was stellt man sich vor, wenn man bei einem abstiegsgefährdeten Club antritt, der gerade seinen Trainer gewechselt hat? Wie geht man in ein solches Spiel? Zaghaft, mit einem neuen Vereinsrekord in unerzwungenen Rückpässen in der Anfangsphase? Phlegmatisch, behäbig, kompliziert, mit heiklen Anspielen, die eigene Ballverluste geradezu herausfordern? Möglichst langsam im Spielaufbau, um den angeschlagenen Gegner einzuladen, selber die Initiative zu übernehmen? 
Nein, natürlich nicht. In ein solches Spiel, bei dem es auch für uns schließlich um einiges ging, muss man aggressiv und entschlossen gehen, dem Gegner von Beginn an zeigen, dass er keine ruhige Sekunde auf dem Platz haben wird. Das Frappierende ist, dass der VfL vor drei Wochen gegen Augsburg genau das sehr gut auf die Reihe bekam und damit auch das Spiel gewann. Und heute? Nichts davon.

Gegen Stuttgart war Borussia über weite Strecken des Spiels genau das Gegenteil. Die Hecking-Elf spielte feige, zitterig und mit teilweise gruseligen Stockfehlern. Viel Ballbesitz, optische Überlegenheit, aber kaum gewonnene zweite Bälle, wenige Balleroberungen, die in vernünftige Gegenangriffe verwandelt werden konnten. Einfach zu wenig von allem, was man für einen Sieg gebraucht hätte. 
Und es spricht für sich, dass der VfB trotzdem bis auf drei vernünftige Angriffe kein nennenswertes Angriffsspiel auf die Reihe bekam.

Woran liegt es, dass das Spiel des VfL zunehmend im Niemandsland des Spielfelds feststeckt? Und der Verein im Niemandsland der Tabelle? Unter anderem, daran, dass die Aufstellung und die taktischen Ideen, die Dieter Hecking seinem Team offenbar vorgibt, nicht aufgehen. Die Idee, mit Hofmann (statt Herrmann) und Grifo auf den Außen für mehr Variabilität im Spiel sorgen zu können, war nicht schlecht. Sie scheiterte aber daran, dass kaum einer in der Mannschaft heute Normalform erreichte, schon gar nicht die beiden genannten. 
Die defensive Außenvariante mit Elvedi links und Jantschke rechts musste nach 30 unterirdischen Minuten durch den Flügeltausch der beiden beendet werden. Mit der Folge, dass wenigstens der Schweizer fortan etwas mehr zum Spiel beitragen konnte. Tony Jantschke aber, so leid es mir für ihn tut, erfüllt im Moment nicht das Aufgabenprofil, das dieses System von ihm verlangt. Er ist keiner, der über die Flügel stürmt und auch keiner, der zu einer guten Flanke in der Lage wäre. Er ist auch keiner, mit dem man sich im Kurzpassspiel gut aus einer engen Situation lösen kann (so wie Elvedi es kann). Kurzum: Tony ist in der Hälfte des Gegners ein Totalausfall. Das aber kann man sich im heutigen Fußball nicht mehr leisten, vor allem in dieser taktischen Aufstellung. Denn damit leidet zugleich der offensivere Flügelpartner, was heute an Hofmann, Grifo und in der zweiten Halbzeit auch an Thorgan Hazard gut zu sehen war. 
Dass Jantschke dann trotzdem in dieser taktischen Variante auf dieser Position spielt, wirft Fragen auf. Die nach dem fehlenden Backup für Oscar Wendt ist schon oft gestellt worden, ohne befriedigende Antwort geblieben und auch für den Rest der Saison nicht mehr zu reparieren. Das Spiel heute hat aber gezeigt, dass hier eine der Lehren aus der Saison gezogen werden muss.
Die zweite Frage ist, warum Jantschke dann nicht innen spielt und zum Beispiel Ginter auf die rechte Seite gezogen wird. Oder warum Reece Oxford nicht den Vorzug bekommt. Oder gegen zwei Brecherstürmer wie Gomez und Ginczek vielleicht doch eine kompromisslose Dreierkette eine Alternative wäre. Hinterher kann man natürlich immer schlauer sein. Aber das ist nicht das einzige, was heute aus meiner Sicht taktisch nicht gestimmt hat.

Die beste Phase hatte Borussia heute nach der Pause. Das hatte Gründe. Zum einen stand die Mannschaft ein ganzes Stück höher und merkte, dass sie damit Stuttgart noch besser im Griff haben konnte als vorher - mit dem Ballquergeschiebe in der eigenen Hälfte. Dazu kam mit Raffael ein ballsicherer Spieler, der zum Teil fast an gleicher Stelle die Verteilerrolle Zakarias übernahm, aber doch auch sehr vorsichtig agierte, als ob er harte Zweikämpfe möglichst vermeiden wollte. Hazard, der in der zentralen Stürmerrolle in Halbzeit eins nicht zum ersten Mal ein Totalausfall gewesen war, rückte nach außen und fand dort - vorübergehend - seine Dynamik wieder. Alles war bereitet für einen spielerischen Kurzpasswirbel, mit dem man die doch sehr schnell zu verunsichernde VfB-Abwehr gut hätte aushebeln können: Raffael, Stindl, Hofmann, Hazard, Elvedi hätten das Zeug dazu gehabt. Und die beste Phase der Borussia schien Hecking recht zu geben, sein Gegenüber verdichtete auch aus diesem Grund mit Badstuber und Mangala merklich die Defensive.
Doch als der Ausgleich nicht fiel, wechselte Hecking nacheinander zwei Mittelstürmer ein, die die vom VfB schon stark verdichteten Räume vorne noch enger machten. 
Nominell war Drmic zwar auf der rechten Außenbahn aufgestellt. Doch anders als Herrmann konnte er dort weder mit Schnelligkeit noch mit Flanken noch mit bissigen Zweikämpfen punkten. Er hing in der Luft, und von Bobadilla ging überhaupt kein Effekt aus. Sinn hätte die Mittelstürmerparade ja noch gemacht, wenn sich der VfL mehr Standardsituationen erspielt hätte. Oder damit Gefahr heraufbeschworen hätte. Aber auch dazu war man kaum in der Lage. Und den deutlichen Eckenvorteil (8:1) wusste man auch nicht zu nutzen: Von der vielgerühmten Gefährlichkeit bei offensiven Standards ist nichts mehr geblieben. 
68 Prozent Ballbesitz waren am Ende umsonst, weil beim Gegner ein gescheiter Angriff mit viel Rennen und Grätschen bis zum Schlusspfiff verteidigt werden konnte. Und das jetzt auch nicht so mühevoll, wie es Borussia ihnen hätte machen können. Denn wenn man ehrlich ist, war außer dem knappen Fehlschuss von Drmic in den letzten 20 Minuten kaum noch etwas zwingendes dabei. 

Die Leistung von heute weist auf tiefergehende Probleme hin, die vielleicht jeder von uns schon seit dem Köln-Spiel befürchtet hat. Die Spieler sind angeknockt, die Erfolglosigkeit vor dem Tor und die Negativerlebnisse der vergangenen Wochen nagen erheblich am Selbstvertrauen und damit am Leistungsvermögen. Das ist gefährlich, weil es in einen Abwärtsstrudel führen kann, aus dem man selbst vielleicht nicht mehr heraus findet.
Und das kann schneller als erwartet auch den Trainer gefährden. Heute hatte ich zum ersten Mal den Eindruck, dass auch Dieter Hecking und sein Trainerstab etwas ratlos waren. Wenn man lange verletzte und noch lange nicht in Form befindliche Spieler wie Drmic und Bobadilla in ein solches Spiel schickt, um die drohende Niederlage abzuwenden, dann müsste man damit schon einen besonderen Plan verfolgen - etwa, dass man damit den Gegner irgendwie beeindrucken kann. Es sah für mich heute aber eher wie Verzweiflung aus, nach dem Motto: Sollen die es halt mal probieren, denn Herrmann und Cuisance treffen ja auch nix. Aber wie wir aus leidiger Erfahrung wissen, werden Stürmer mit Ladehemmung ja ausschließlich von unserer Borussia aufgebaut: ein gewisser Herr Terodde hat seit seinem Erfolgerlebnis gegen uns in Köln bekanntlich fünf Tore erzielt - Borussia kommt seitdem insgesamt auf drei.

Ausgerechnet jetzt kommt Marco Reus mit dem wiedererstarkenden BVB vorbei. Es wird also wohl eine unruhige Woche. Und es kommt mehr denn je auf den Trainerstab und jeden einzelnen Spieler an, aus dem vielbeschworenen guten Mannschaftsgefüge auch wieder eine Mannschaft zu formen, die darauf eingestellt ist, am nächsten Sonntag um jeden Ball zu fighten. Der kein Weg zu weit ist und kein Zweikampf zuviel. 
Und noch etwas wünsche ich mir: bitte keine Versprechungen und markige Ankündigungen von Spielern, jetzt alles besser machen zu wollen. Mund halten, eine Woche arbeiten, abliefern. Dann können sie von mir aus wieder was bei Facebook, Twitter oder Instagram posten oder über die Vereinskanäle schicken. Vorher nicht. Lasst die Beine sprechen, kämpft, rackert. Spielt einfach, schnell und zielstrebig, ohne Angst und bügelt eure Fehler wieder aus. Glaubt an eure Stärken, aber übertreibt nicht. Schießt Tore, holt Punkte. Der Rest kommt dann von allein.



Bundesliga, Saison 2017/18, 22. Spieltag: VfB Stuttgart - Borussia Mönchengladbach 1:0

2 Kommentare:

  1. Ich hätte es nicht besser ausdrücken können.Vor allen Dingen der Hinweis auf das bla bla vor den Spielen trifft es auf den Punkt. Leider liest das von den Protagonisten niemand!

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