2018-04-28

Überzahl mit Nebenwirkungen

Die Saison der verpassten Möglichkeiten macht bis ganz zuletzt ihrem Namen alle Ehre. Wieder hätte der VfL mit einem einzigen Törchen mehr (und dem Sieg) heute die unverhoffte Möglichkeit gehabt, ganz dicht an die europäischen Plätze heranzurobben. Wieder machten sich die Gladbacher dies Chance selbst zunichte, trotz guten Beginns, trotz numerischer Überzahl und 1:0-Führung. Natürlich, auch heute war Schalke wieder mit einer anderen Macht im Bunde. Aber in erster Linie hat es sich Borussia selbst zuzuschreiben, dass die gute Gelegenheit zum Sieg in der Schalker Turnhalle nicht ergriffen wurde. Das hatte mit einem Rückfall in alte schlechte Angewohnheiten zu tun, natürlich aber auch mit den Geschehnissen, die den Spielverlauf beeinflussten.

Chistoph Kramer brachte es am Ende gut auf den Punkt. Hätte es nicht Rot gegen Bentaleb gegeben, hätte der Schiri wohl auch keinen Handelfmeter gepfiffen und nicht die drei folgenreichen Gelben Karten gezeigt. In der Tat: Der frühe Platzverweis gegen Bentaleb entpuppte sich weniger als Schwächung der Schalker als man hoffen konnte. Denn zum einen kam es der Stärke der Gastgeber, kompakt zu verteidigen, sogar eher entgegen als gegen umschaltstarke Gladbacher das Spiel machen zu müssen. 
Zum anderen hatte die Szene in der 12. Minute zur Folge, dass Schiedsrichter Harm Osmers in der restlichen Spielzeit offenbar etwas gutzumachen versuchte, was er eigentlich nicht verbrochen hatte. Denn der Platzverweis war völlig korrekt, auch wenn Stindl für seinen Schubser konsequenterweise auch hätte Gelb sehen müssen. 
Stindls Theatralik in der Szene muss man aus meiner Sicht nicht ernsthaft kritisieren, denn ohne das Hinfallen würde eine Tätlichkeit in den meisten Fällen von den Unparteiischen überhaupt nicht wahr- oder ernstgenommen. Zudem waren diese Bilder nur in der Superzeitlupe zu sehen, wo die unnatürlich verzögerte Reaktion auf den Wischer ins Gesicht natürlich unfreiwillig komisch wirkt, was sie in Realgeschwindigkeit nicht war. 
Grundsätzlich will ich solches Theater von meiner Mannschaft überhaupt nicht sehen. Aber andererseits verlangen wir auch vom Team, dass es sich gegen Ungerechtigkeiten wehrt. Und da Schalke den Unsportlichkeitsdreiklang zur Spielkultur erhoben hat - wegen allem grundsätzlich Reklamieren und dabei am liebsten mit mindestens fünf Mann den Schiedsrichter bestürmen; verletzte oder gefoulte Spieler wegen angeblicher Schwalben anschreien (Stindl); bei schon verwarnten Gegnern mit Schwalben bei jeder Aktion versuchen, Gelb-Rot zu provozieren (wie heute gegen Zakaria) - darum habe ich mit Stindls Verhalten heute auch kein Problem.

Nach dem Platzverweis allerdings ging es bergab mit der Leistung des jungen Schiedsrichters, der nicht zum ersten Mal überfordert wirkte. Er gab nach Videobeweis einen Handelfmeter, der nach den geltenden Regeln eigentlich keiner war. 
Denn ein Handspiel ist nur strafbar, wenn ein Spieler den Ball absichtlich mit der Hand oder dem Arm berührt. Das ist anhand der Bilder aus meiner Sicht klar auszuschließen. Es findet keine Bewegung der Hand zum Ball statt und die kurze Entfernung zwischen Gegner und Ball erlaubte keine aktive Reaktion Kramers. Auch die Position der Hand ist für mich völlig regelkonform. Da der Arm im Rahmen der Laufbewegung nicht am Rumpf "kleben" kann, ist das für mich eine völlig natürliche Körperhaltung, auch wenn der Arm etwas abgestreckt ist. Selbstredend war somit auch die Verwarnung gegen Kramer wegen absichtlichen Handspiels falsch. Seltsam, warum ein Schiri eine solche Entscheidung am Bildschirm korrigiert, die er bei normaler Geschwindigkeit völlig korrekt bewertet hatte. 

Das hilft natürlich jetzt nix mehr. Die Folge ist die Sperre für Kramer im kommenden Spiel. Im Laufe des Spiels verwarnte er zudem auch noch Zakaria und Vestergaard aus meiner Sicht zu Unrecht nach Allerweltsfouls, sodass Dieter Hecking am nächsten Samstag neben dem verletzten Kapitän Stindl gleich drei zentrale Stammspieler ersetzen muss - dem SC Freiburg gefällt das. 

Für das Spiel auf Schalke bedeuteten die eben geschilderten Entscheidungen eine merkliche Spielbeeinflussung. Zakaria musste kurz nach der Pause schon dringend vom Feld genommen werden, weil sich die Schalker Spieler ganz offensichtlich vorgenommen hatten, ihn mit gespielten Fouls in eine zweite Gelbe Karte zu treiben. Hier muss man Osmers zugestehen, dass er dreimal hintereinander nicht auf die Faller von Burgstaller und Co. reinfiel. Doch es wäre fahrlässig gewesen, darauf zu warten, dass es den Schweizer doch erwischt.
Insofern war Dieter Hecking gezwungen, schon früh auf entscheidenden Positionen zu wechseln. Mika Cuisance konnte Stindl heute trotz ein paar guter Ideen zu keiner Zeit ersetzen, ihm fehlte dazu noch viel Kaltschnäuzigkeit in den Zweikämpfen. Ich glaube, ich hätte heute lieber mal Vincenzo Grifo auf der zentralen Position gesehen. Tobi Strobl war als Zakaria-Ersatz solide, aber eben auch nicht mit dem Zug nach vorne ausgestattet, um für mehr Druck und auch mal ein überraschendes Dribbling zu sorgen, so wie es Zakaria auszeichnet.

Das alles trug zur mäßigen Bilanz des Spiels bei - aber es erklärt nicht, warum der VfL trotz fast 80 Minuten Überzahl das Spiel nicht für sich entscheiden konnte. Das Problem liegt offenbar tiefer. Denn nach dem engagierten Beginn und dem Platzverweis passierte das, was bei frühen Führungen in dieser Saison schon sehr häufig passiert war. Die Spannung im Team scheint nachzulassen. Bildlich gesprochen lehnte sich die Mannschaft im Wissen der numerischen Überzahl im Liegestuhl etwas zurück, verlangsamte Tempo und mied zusehends das Risiko im Spiel nach vorn. Nach dem Motto: Nur nichts überstürzen, wir sind ja im Vorteil. 
Mit der Konsequenz, dass es den deutlich aggressiveren Schalkern auch in Unterzahl zu leicht fiel, die eigene Hälfte dichtzumachen und Gladbach dazu zu bringen, immer wieder Angriffe abzubrechen und quer- oder zurückzuspielen. Das Gesamtbild, das sich dann auf dem Rasen bietet - auch wenn dazwischen immer mal wieder saubere Kombinationen aufblitzen und auch gute Chancen herausspringen - dieses Bild ist das, was viele Fans so aufregt. Weil man nicht das Gefühl hat, dass die Mannschaft alles in die Waagschale haut und den Erfolg mit Vollgasfußball erzwingen will, gerade gegen einen angeschlagenen Gegner. 
Im Gegenteil wird der Gegner so eher noch aufgebaut. Und das kostet Punkte, viel zu oft - weil der VfL eben nicht der FC Bayern ist, der solche Schwächephasen in der Regel auch während eines Spiels schnell wieder zu reparieren vermag, wie wir aus eigener bitterer Erfahrung wissen.

Am Ende stehen wir also da mit einem Punkt aus Gelsenkirchen, der grundsätzlich ein Erfolg ist. Der uns aber heute wieder nicht so richtig zufriedenstellen kann - weil mal wieder viel mehr drin war und ein Spiel fahrlässig aus der Hand gegeben wurde. Länger hadern werden wir mit dem Ausfall von Führungsspieler Lars Stindl, der, so steht zu befürchten, auch die WM durch seine üble Verletzung verpassen wird. Das ist eine erhebliche Schwächung im Endspurt der Saison und es ist wirklich traurig für den Kapitän, der richtig gute Chancen hatte, nominiert zu werden. 
Aber auch hier beweist das Spieljahr seine unschöne Konstanz - ohne schwere Verletzungen kommen wir nicht über mehr als zwei Spiele. Wir können gespannt sein, wie Hecking ohne Stindl, Vestergaard, Kramer und Zakaria am kommenden Samstag die giftigen Freiburger bespielen will. Scheint aber doch wieder so zu sein wie über weite Strecken der Saison: Die Mannschaft stellt sich von selbst auf. 
Für mich riecht das - "Stand jetzt" - nach einer Dreierkette vor Yann Sommer, mit Ginter, Elvedi und Jantschke, davor ein breites Mittelfeld mit Wendt, Strobl, Cuisance/Benes und Hofmann/Traoré sowie Raffael, Hazard und Grifo/Drmic vorne. Hoffen wir, dass es diese Woche keinen mehr erwischt. Es reicht jetzt wirklich endgültig mit den Verletzungen.
 
Bundesliga, Saison 2017/18, 32. Spieltag: FC Schalke 04 - Borussia Mönchengladbach 1:1 (Tor für Borussia: 0:1 Raffael)

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