2018-11-26

Süßer Sieg, bitterer Beigeschmack

Vier Punkte noch, dann sollte der Klassenerhalt im Kasten sein. Nein, im Ernst: VfL-Fan zu sein, macht gerade richtig viel Spaß. Ein weiterer ungefährdeter Sieg, trotz des Ein-Tore-Vorsprungs, den Elvedi und Co den Gästen mit auf den Weg gaben. Die ersten zehn Minuten waren dann aber auch die einzigen, in denen einer unserer Lieblingsgegner der Hecking-Elf gefährlich werden konnte. Doch dazu später mehr.

Denn bei aller Freude über die souveräne Leistung - dieser Sieg wurde teuer erkauft, mit der schweren Verletzung von Matthias Ginter. Der Horror-Crash mit dem Hannoveraner Sarenren Bazee wurde wohl ausgelöst durch leichte Schubser im Mittelfeld gegen den Gästeakteur im Zweikampf mit Florian Neuhaus und Jonas Hofmann, wobei letzterer den Gegner wohl so verhängnisvoll ins Straucheln brachte, dass er voll mit dem Schädel in Ginters Gesicht krachte. 
Die lange Behandlungsdauer noch im Stadion lässt Schlimmes befürchten, auf jeden Fall eine lange Pause für den so wichtigen Aufbauspieler und Abräumer in der Abwehr. 
Und by the way: Dass Hannovers Ärzte ihren sichtlich angeknockten Spieler nochmal aufs Spielfeld ließen, fand ich unverantwortlich. Wie gefährlich das für die Gesundheit der Spieler sein kann, davor wird immer wieder gewarnt (zum Beispiel hier: Kopfverletzungen: Die unterschätzte Gefahr, Deutsche Welle). Falscher Ehrgeiz des Spielers müsste hier durch die Vernunft der Fachleute eigentlich gebremst werden können.

Die Verletzung Ginters, über die natürlich bisher noch nichts näheres bekannt ist, wirft nicht nur einen unserer Dauerbrenner auf dem Feld aus der Bahn. Der Ausfall des unumstrittenen Stammspielers könnte Borussia als Team empfindlich treffen. Denn der heutige Ersatz Tony Jantschke machte zwar seine Sache gewohnt gut, allerdings auch gegen ziemlich harmlose Gäste. In manchen Spielen, etwa nächste Woche in Leipzig, sind auf dieser Position aber viel stärker als heute Spieleröffnungs-Qualitäten gefragt und vor allem auch das kühle und geschickte Verhalten bei extrem aggressivem gegnerischen Angriffs-Pressing. 
Da andere Innenverteidiger-Alternativen im Moment fehlen - Doucouré erneut verletzt, Florian Mayer in der U23 offenbar auch nicht nachhaltig aufgefallen - wäre es natürlich möglich, dass Dieter Hecking Tobi Strobl nach hinten zieht, wobei dies angesichts des auch heute wieder bärenstarken Auftritts Strobls als Sechser keine Ideallösung wäre, vor allem, falls Christoph Kramer noch nicht wieder fit sein sollte. Aber denken wir nicht zu weit in die Zukunft, hoffen erstmal, dass es Matze Ginter nicht so schlimm erwischt hat, wie es aussah. Und wünschen alles Gute und schnelle Genesung für die Nummer 28.

Ansonsten gibt es heute wirklich nichts zu meckern. Das Premierentor von Michael Lang nach einer mustergültig ausgespielten Vorteilssituation des sehr guten (!) Schiedsrichters Siebert. Und überhaupt vier sehr schön herausgespielte Treffer. 
Klar, die Schlafmützigkeit vor dem 0:1 erinnerte an Freiburg, aber die Reaktion der Mannschaft war großartig. Unbeeindruckt zog sie ihr Spiel auf, geduldig, bisweilen noch einmal zu viel mit dem zirkulierenden Ball hintenrum. Aber wie es dann plötzlich blitzschnell und blitzgescheit nach vorne geht, egal ob über die Außen oder durch die Mitte, das ist ganz großes Kino. 

Neben dem umsichtigen Strobl, der auch immer wieder perfekt getimte lange Bälle in den Angriff spielen kann wie zum 4:1, haben mich heute wieder einmal Florian Neuhaus und der emsige Jonas Hofmann überzeugt. Hofmann spielt nicht mehr ganz so auffällig wie vor ein paar Wochen, aber er ist enorm wichtig mit seinen Laufwegen. Und er schafft damit auch Räume für die Spielmacherqualitäten von Neuhaus, der sehr viele Angriffe clever einleitet und tolle Pässe in die Spitze zu spielen vermag und heute beim 1:1 bereits seinen siebten Assist buchte, das bedeutet Liga-Spitze gemeinsam mit Frankfurts Haller und den BVB-Spielern Sancho und Reus. Auch zweikampftechnisch hat er enorm zugelegt, ihm unterlaufen kaum noch blöde Foulspiele oder Stellungsfehler, wie es zu Beginn der Saison noch ab und zu der Fall war. Eine tolle Entwicklung, die es Cuisance, Benes und Zakaria schwer macht, ihn aus der Startelf zu verdrängen.

Mann des Spiels war aber nicht Neuhaus, diesmal auch nicht Alassane Plea, der eher wirkungslos blieb, trotz untadeligem Einsatz. Es war Thorgan Hazard, der wie von einem anderen Stern aufspielte. Er eroberte Bälle in der eigenen Abwehr, leitete Angriffe ein, schloss sie ab, wechselte die Seiten und hatte bei seinen Aktionen - anders als sonst oft - keinerlei "Ausschuss". Alles, was er anpackte, hatte Hand und Fuß. Und auch nach 88 Minuten hatte er noch nicht genug, spielte weiter gnadenlos nach vorne. Nebenbei bereitete er seinem früheren Teamkollegen Julian Korb einen Alptraumabend. Ein ums andere Mal tanzte er den bedauernswerten "Juli" aus - und nahm ihn nach dem Schlusspfiff dafür auch tröstend in den Arm. 
Was der Belgier in dieser Saison zeigt, besonders aber heute, ist die Erfüllung dessen, was man sich bei seiner Verpflichtung vor vier Jahren von ihm versprechen konnte, zumindest wenn man ein wenig Fantasie in ein solches Talent zu stecken vermag. Oft genug hat Thorgan Hazard sein Genie im entscheidenden Moment vor dem Tor etwas verschlampt. Doch in dieser Saison ist er ein Spieler, der den Unterschied macht, auch in engeren Partien als der heute. Das macht ihn natürlich für größere Clubs auch noch interessanter. Aber das muss uns heute noch nicht die Laune verderben.

Oben schrieb ich, dass Hannover in den ersten zehn Minuten durchaus eine Gefahr darstellte. Und das sollte man bei Borussia auch ganz genau analysieren. Denn diese Phase zeigte, dass die Gegner natürlich genau beobachten, wo Gladbach am verwundbarsten ist. Diese Stelle liegt eindeutig auf der linken Abwehrseite im Rücken von Oscar Wendt. Der Angriff zum 0:1 heute war alles andere als Zufall, er wirkte einstudiert. Und er bewies, wie man mit nur einer geschickten Weiterleitung (hier per Kopf durch Füllkrug) in den Raum zwischen Nico Elvedi und Wendt die Borussen-Defensive gekonnt aushebeln kann. 
Wendt kommt hinter schnellen Außenstürmern dann einfach nicht ganz hinterher, Elvedi wäre zwar schnell genug, er erreicht aber von seiner Position den ballführenden Gegner nicht, zumal er auch einen Querpass in die Mitte im Blick haben muss. Es ist deutlich, dass viele Gegner des VfL immer wieder über die rechte Angriffsseite zum Erfolg zu kommen versuchen. 
Und wenn mich nicht alles täuscht, sind auch die meisten Gegentore über diese Seite eingeleitet worden. Dabei muss man sagen, dass Oscar Wendt nicht mal schlecht spielt, auch sein Stellungsspiel hat sich in den vergangenen Wochen wieder enorm stabilisiert. Dennoch bleibt ein Risiko. Und wer weiß, ob der schnelle Saranren Bazee nicht noch ein größeres Problem geworden wäre, hätte er nicht doch noch ausgewechselt werden müssen.

Daran sieht man: Borussia ist zwar - Stand jetzt - ein Spitzenteam mit einer bewundernswerten Abgeklärtheit auf dem Platz, aber es ist nicht vor Rückschlägen oder Fehlern gefeit. Gegen Freiburg hat sich ein solch früher Nackenschlag nicht mehr reparieren lassen. Heute war es letztlich keine Frage, wer den Platz als Sieger verlassen würde. Aber das war eben auch nur einer der schwächeren Gegner in dieser Liga, zumindest an diesem Tag.

Das kann uns egal sein. Denn ich sage es mit steigender Begeisterung: Wir sind Zweiter und sollten es auch nächste Woche bleiben (können). Wir stehen fünf Punkte vor Bayern München und acht vor Platz sieben. Dass man deshalb noch lange nicht irgendwelche Überlegungen zum Tabellenstand am Ende der Saison anstellen oder gar das Wort in den Mund nehmen sollte, das mit T beginnt und mit itelkandidat endet, versteht sich eigentlich von selbst. 
Doch ich gebe zu: Ich habe mir auch eine Karte für das Heimspiel am 34. Spieltag gesichert. Man kann ja nie wissen, ob die beiden Borussias, von denen nur unsere die einzig wahre ist, nicht da doch den Titel unter sich ausmachen - oder es irgendetwas anderes Tolles zu feiern gibt. Die Wahrscheinlichkeit schätze ich zwar nicht als sehr hoch ein. Aber sicher ist sicher. 
Allen Rauten-Borussen eine wunderschöne Woche - und Kopf hoch unseren Pechvögeln Matze Ginter und Mams Doucouré. Wir können es kaum erwarten, Euch wieder auf dem Rasen zu sehen. Die Seele brennt!


Bundesliga 2018/19, 12. Spieltag: Borussia Mönchengladbach - Hannover 96 4:1 (Tore für Borussia: 1:1 Hazard, 2:1 Lang, 3:1 Stindl, 4:1 Zakaria)

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