Schon mehrfach hatte ich angesetzt, um eine kleine erste Zwischenbilanz der Rose-Borussia zu ziehen. Doch das enge Spielprogramm fordert nicht nur bei den Akteuren auf dem Platz ihren Tribut. Es fordert auch mich, da ich zu jedem Spiel ja ebenfalls einen Bericht schreibe. So verging die Zeit und auch zwei Länderspielpausen, die ich in dieser Hinsicht zugegebenermaßen auch mal genossen habe.
Inzwischen wir alle, wie es um Borussia steht, nämlich blendend. Und ich will endlich das tun, was ich vorhatte. Ein bisschen eintauchen in die Bilanz des ersten Saisondrittels, das Borussia bravourös absolviert hat: Als unglücklicher Pokalverlierer, als ambitionierter Euro-League-Teilnehmer mit allen Chancen aufs Weiterkommen - und als Tabellenführer der Bundesliga.
Anfangen will ich diesmal etwas ungewöhnlich: mit den Angreifern und denen, die noch keine Rolle gespielt haben. Der Grund ist ein sehr simpler. Dieser Teil war als erstes fertiggeschrieben. Und für einen einzigen Text ist die Aufstellung des Tabellenführers dann doch vielleicht etwas zu lang(atmig).
Die Stammelf
Gefühlt gibt es sie nicht, die Stammelf. Denn kaum ein Spiel endet, ohne dass nicht irgendein Spieler verletzt raus muss oder eine Pause braucht. Doch wie in manchem Spiel hat der VfL bislang trotz der immensen Verletzungsserie doch auch gehöriges Glück gehabt. Denn lange Ausfallzeiten von Schlüsselspielern waren die Ausnahme, manche Verletzung konnte spieltagsfreundlich rechtzeitig wieder auskuriert (oder spielfit "repariert") werden.
Aus diesem Grund gibt es dann doch eine Elf mit Spielern, die alle zehn Bundesligaspiele gemacht haben oder höchstens eins oder zwei verpasst haben: Sommer (10) - Lainer (10), Elvedi (10), Ginter (8), Wendt (9) - Zakaria (10), Benes (9), Neuhaus (9) - Thuram (10), Embolo (9), Plea (8).
Auf der "Bank" wird es dann schon dünner: Kramer und Herrmann haben je 7 Spiele, dann folgen schon unter ferner liefen Raffael (4), Stindl und Johnson (je 3). Bensebaini und Hofmann (je 2) sowie Beyer, Traoré und Strobl (je 1) spielten noch keine tragende Rolle. Das bedeutet natürlich auch, dass die Belastung ungleicher verteilt war als es der breite und recht ausgeglichene Kader im Normalfall hergeben würde.Das wurde allerdings oft kompensiert dadurch, dass der jeweilige Ersatz das Niveau halten konnte.
Ein Prunkstück der bisher erfolgreichsten Bundesligamannschaft der Saison war natürlich die Offensive mit 24 Toren in der Liga. Und der widme ich meinen ersten Teil der Zwischenbilanz.
Lars Stindl: Er war lange nicht da, und ist doch seit seinem Comeback schon wieder kaum wegzudenken aus der Startelf. Lars Stindl, der Kapitän der Mannschaft, übernahm gleich im ersten Rom-Spiel die Verantwortung und knallte den unberechtigten Handelfmeter erbarmungslos ins Tor. Er wird sicher einer sein, der weniger spielt als bisher gewohnt - dazu drängen zu viele Kollegen mit großer Qualität ebenfalls in die Startelf. Aber er wird auch der sein, an dem sich die Mannschaft aufrichten kann, wenn es mal nicht so läuft. Wie wertvoll seine Arbeit mit und gegen den Ball ist, sein giftiges Zweikampfverhalten und auch die Übersicht und die Torgefahr (die er hoffentlich bald wieder effektiver einbringen kann als zuletzt), das muss man niemandem mehr erzählen. Aber auch er wird davon profitieren, dass es kein Risiko ist, an seiner Statt auch jemand anderen öfter spielen zu lassen. Denn das Abrutschen in der Rückrunde hatte natürlich auch damit zu tun, dass einige Schlüsselspieler zu viele Kilometer auf dem Tacho hatten.
Breel Embolo: War es ein Risiko, den wuchtigen Sturmblitz aus Schalke zu holen, nachdem der dort mit einigen langwierigen Verletzungen zu kämpfen hatte? Auf jeden Fall. Doch angesichts der übersichtlichen Ablösesumme und dem Versprechen, das der Schweizer als erst 22-Jähriger zu diesem Zeitpunkt immer noch war, war das ein Risiko, das man einfach in Kauf nehmen musste.
Und so hat Max Eberl wieder einmal alles richtig gemacht, als er im zweiten Anlauf bei Embolo Nägel mit Köpfen machte. Schließlich war Borussia schon vor Embolos Schalke-Wechsel ernsthafter Kandidat für dessen nächsten Karriereschritt gewesen. Es ist müßig, darüber zu spekulieren, ob seine jüngste Vergangenheit dann anders verlaufen wäre.
Was zählt ist, dass er seine enormen Fähigkeiten nun im Rautentrikot einbringt. Unsere Nummer 36 ist nicht nur schnell und ein aggressiver Forechecker, er ist im Sprint auch kaum aus dem Tritt zu bringen oder zu foulen. Was er da bisweilen an geschickter Ballführung an den Tag gelegt hat, bewundere ich sehr.
Dass er vor dem Tor in mancher Szene weit weniger filigran mit dem Ball umging und so einige Großchancen ausließ, sollte man ihm nicht nachtragen. Denn das dürfte weniger an seinem Ballgefühl gelegen haben als an der ungewohnten Belastung und der daraus folgenden nachlassenden Konzentration. Breel stieg ja verletzungsbedingt später ins Training ein und musste letztlich aufgrund der Verletztensituation vielleicht manchmal ein bisschen zu viel spielen. Wenn er jetzt zurückkommt und die Verletzungsseuche mal eine Pause macht, könnte er dosierter spielen, ist insgesamt aber auch in der Fitness weiter und sollte vor dem Tor so richtig "explodieren". Ich bin da sehr zuversichtlich, denn der Schweizer bringt alle Voraussetzungen mit für einen Topstürmer in der Liga.
Patrick Herrmann: Was ist doch alles geschrieben worden über Flaco. Mehrfach war er angeblich schon fast weg, kaum einer hätte ihm schon unter Dieter Hecking noch eine tragende Rolle zugetraut, auch ich zeitweise nicht mehr.
Als Marco Rose kam, die gleiche Diskussion: Wo soll Herrmann in diesem System seinen Platz finden? Die Antwort des gebürtigen Saarländers ist beeindruckend. Er machte 7 von 10 Spielen in der Liga und präsentierte sich in einer Form, die er zuletzt wohl in der Anfangsphase des Favreschen Wirkens abrufen konnte.
Gereift, spielfreudig, schnell - und mit einem guten Zusammenwirken mit seinen offensiven Mitspielern. Patrick Herrmann ist nicht nur wegen seiner beiden Tore gegen Augsburg und den Ausgleich in Istanbul ein Gesicht des Gladbacher Höhenfluges. Er ist ein Typ (Flügel-)Stürmer, den Borussia sonst nicht hat.
Und seit er den "Torkomplex" aus der vergangenen Saison überwunden hat, ist er mehr als ein ernsthafter Herausforderer für Thuram, Embolo und Plea. Er hat es selbst in der Hand, sich in der Stammelf festzuspielen. Und wenn er diese Form konstant abrufen könnte, wäre er unter normalen Umständen (bei einem anderen Bundestrainer) sogar wieder eine Option für die DFB-Elf.
Alassane Plea: Vergangene Saison hob der neue Stürmer Borussia in der Hinrunde mit seinen 9 Toren auf ein neues Niveau. In der Rückrunde konnte er seinen Killerinstinkt dann allerdings nicht im gleichen Maße abrufen, auch weil zu viel Verantwortung im Sturm auf ihm allein lag.
In diesem Jahr wirkt der Franzose nochmals athletisch verbessert und dank der breiter aufgestellten Angriffsreihe kann er noch mehr von dem einbringen, was ihn in Nizza neben dem Star Balotelli ebenso ausgezeichnet hatte wie seine Tore - seine Spielmacher- und Vorbereiterqualitäten.
In dieser Saison ist Pleas Spiel längst nicht so auffällig und spektakulär. Aber sein Wert für die Mannschaft ist aus meiner Sicht noch höher. Mit vier Toren und fünf Assists steht er Marcus Thuram in der Statistik letztlich kaum nach, er bindet aber im Spiel immer wieder Gegner, sichert Bälle (wird immer noch sehr oft ungestraft gefoult) und entlastet auf diese Weise seine Mitspieler in vorbildlicher Weise.
Marcus Thuram: Wer Marcus Thuram nicht liebt, hat auch den Fußball nie geliebt. Was für ein menschlicher Volltreffer und was für ein vielversprechender Stürmer!
Er hat sich reinkämpfen müssen in die Liga, in die Laufarbeit, in die dafür notwendige Fitness. Aber seit er da auf einem guten Level ist, kann ihn kaum eine Abwehr stellen. Auch er wird Momente in der Saiosn haben, wo es nicht so nach Plan läuft. Aber er bringt alles mit, um bald schon zu groß für Borussia zu werden. Dessen muss man sich bewusst sein.
Aber das ist eben auch die große Chance, die sich diese Saison auftut. Denn jetzt spielt er hier und er fühlt sich dabei wohl. Der 1,92-Meter-Mann wirkt zwar auf dme Platz manchmal so, als wäre er langsamer als die meisten Abwehrspieler, doch das täuscht. Mit großen Schritten, geschickter Ballbehauptung und ziemlich humorloser Effektivität vor dem Tor hat er sich in kürzester Zeit die Aufmerksamkeit der gesamten Liga und darüber hinaus erarbeitet.
Solange er damit so unbefangen umgeht wie jetzt, wird er noch manchen Fahnentanz aufführen können. Wenn irgendwann der Punkt kommt, wo nicht alles gelingt und er beginnt zu zweifeln, müssen und werden seine Mitspieler einspringen. Denn wie ich es schon an anderer Stelle geschrieben habe: Der Kader ist so ausgeglichen, dass man Leistungslöcher einzelner Spieler auffangen können müsste. Und das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass junge Spieler wie "Tikus" frühzeitig die Pausen bekommen, die sie zwischendurch brauchen werden.
Die Intensität der vergangenen Wochen war da eigentlich schon zu viel und vor allem den Verletzungen von Plea, Embolo, Raffael und Johnson geschuldet. Aber wie Thuram da die Fahne im Sturm im wahrsten Sinne des Wortes hochgehalten hat, war sensationell. Hoffentlich hat er in der Länderspielpause wieder genug Körner eingesammelt für den Jahresendspurt, der ja ebenfalls ziemlich heftig wird.
Raffael und Fabian Johnson haben zwar vier beziehungsweise drei Bundesligaeinsätze auf dem Konto. Doch eine Rolle spielten die beiden noch nicht. Raffael schaffte inklusive zweier Euro-League-Spiele gerade mal gut 100 Spielminuten, und Fabian Johnson war nur in den ersten vier Pflichtspielen eine Option. Da aber zeigte er in Ansätzen, dass man ihn auch im Rose-System als beidfüßigen und schnellen Kombinationsspieler gut gebrauchen kann.
Dass Raffael immer eine Option im Spiel ist, weiß auch jeder. Allerdings lief das schnelle Spiel nach vorne doch oft an ihm vorbei. Um wirklich zu beurteilen, ob der Brasilianer zum Auslaufmodell wird, reichen mir die paar Minuten auf dem Platz aber noch nicht aus. Hier muss das nächste halbe Jahr zeigen, welche Rolle dem Maestro beim VfL noch zukommt.
Louis Jordan Beyer, Ibrahima Traoré und Tobias Strobl habe ich aus der Bewertung diesmal herausgelassen, weil sie einfach bislang vor allem wegen ihrer Verletzungen keine Rolle spielten. Dass sie natürlich Alternativen sind, jetzt, wo sie wieder fit sind, ist ebenso klar.
Vor allem bieten Traoré und Strobl jeweils nochmal einen etwas anderen Spielertyp als die anderen, die derzeit auf ihrer Position die Nase vorn haben.
Und dass man bedenkenlos auf Youngster Beyer setzen kann, hat er bei seinen Einsätzen gegen Frankfurt und im Pokalspiel gegen Dortmund einmal mehr bewiesen.
Im Wartestand:
Während Mamadou Doucouré große Fortschritte gemacht hat und vielleicht in absehbarer Zeit dann doch endlich zum Bundesligadebüt kommt, gibt es andere, deren Entwicklung - von außen beobachtet - bestenfalls stagniert.
Julio Villalba macht nach wie vor einen sehr sympathischen Eindruck und er ist sicher ein guter Stürmer. Doch seit er in Gladbach ist, läuft es nicht für ihn. Die Spielpraxis ist katastrophal. Da er nicht in der U23 spielen darf, ist er auf Testspiele angewiesen. Seine Verletzungsanfälligkeit verhinderte meist auch noch das. Ich bin gespannt, was sich in dieser Personalie tun wird. Denn so ist es für beide Seiten doch nicht zufriedenstellend.
Torben Müsel war schon mal ganz nah dran an der Mannschaft. Doch mit den offensiven Verstärkungen im Sommer und einigen Blessuren und Verletzungen ist der Kaderplatz für den schlaksigen Offensivspieler wieder in weite Ferne gerückt. Perspektive: eher dünn.
Gleiches gilt für Keanan Bennetts. Der 20-Jährige ist mir seiner Schnnelligkeit und Spielanlage eigentlich prädestiniert für Roses Spielansatz. Doch bevor er sich eine Chance erarbeiten konnte, riss ihn eine schwere Verletzung aus dem Geschehen. Er wird also eine Weile brauchen, bis er den nächsten Anlauf machen kann.
Nicht viel besser sieht es bei Andreas Poulsen aus. In der dänischen U21 beweist er sein Können, doch bei den Profis stehen in Wendt und Bensebaini nun zwei Konkurrenten vor ihm, an denen er aus meiner sicht in dieser Saison nicht vorbeikommen wird. Erst wenn Oscar geht, könnten auch seine Aussichten auf Bundesligaeinsätze besser werden. Aber da Poulsen zudem noch mit einem Bänderriss von der Nationalmannschaft zurückkehrte, wird sich da in näherer Zukunft wohl nicht viel tun, selbst wenn sich einer der beiden anderen verletzen sollte. Schade für ihn.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Wenn du auf meinem Blog kommentierst, werden die von dir eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. deine IP-Adresse) an Google-Server übermittelt. Mehr Infos dazu findest du in meiner Datenschutzerklärung und in der Datenschutzerklärung von Google.