2020-11-21

Das Silbertablett aus der Hand geschlagen

Was soll man dazu sagen? Ein bitteres 1:1 in letzter Minute gegen eine dezimierte Gästemannschaft, in einem Spiel, das der VfL stets unter Kontrolle hatte. Wieder einmal in einem Heimspiel, dem man den eigenen Ansprüchen entsprechend das klare Etikett "Pflichtaufgabe", ergo auch Pflichtsieg, aufkleben musste.

Aber es hilft nichts: Dieses Remis war für Augsburg so unverdient wie es für Borussia verdient war. Und umgekehrt. Aber es zählt nun mal. Und es zeigt einmal mehr, dass Gladbach zwar oft wie eine Spitzenmannschaft spielt, aber immer noch nicht zuverlässig in der Lage ist, auch genauso oft die verdiente Ernte einer Spitzenmannschaft einzufahren. Das war gegen Wolfsburg so, gegen Inter und Real, gegen Leverkusen und jetzt gegen Augsburg.

Und auch wenn ich das Thema der späten Gegentore medial immer noch für zu hoch gehängt halte: Heute war nach einer Stunde Spielzeit schon zu ahnen, dass es auch heute ein dickes Ende geben könnte.
Denn etwa zu dieser Zeit hörte das Team um Lars Stindl auf, den Gegner in der Defensive miut aggressivem Pressing in Bedrängnis zu bringen und zu beschäftigen. Stattdessen verlegte man sich zunehmend auf die Verteidigung des eigenen Ballbesitzes - mit ein paar Nadelstichen nach vorne, die dann irgendwann schon das erlösende 2:0 bringen würden. Doch dieser Plan ging nicht auf.
Weil Augsburg nicht mitspielte und sich auch mit zunehmender Spielzeit nicht aus der massierten Defensive herauslocken ließ. Selbst dann nicht, als Framberger (völlig zu Recht) nach 66 Minuten mit Gelb-Rot vom Platz musste.

Zu dieser Zeit lag das Spiel servierfertig auf dem Silbertablett vor der Borussia. Die Mannschaft musste nur noch zugreifen. Stattdessen schlug sie es dem Kellner buchstäblich aus der Hand. Weil sie vorne oft zu hektisch und dann von Minute zu Minute passiver auftrat und weniger gierig auf das zweite Tor zu drängen schien. Und weil sie hinten zwar insgesamt wenig Fehler machte, aber dafür am Ende zu viele auf einmal.

Am offensichtlichsten wurde das in der Szene vor dem Ausgleich, als Augsburg nach einigen unglücklichen Gladbacher Abwehrversuchen in Serie noch einmal für etwas Alarm im eigenen Strafraum sorgte und Lainer und Ginter sich für einen Moment nicht einig waren, wer den Ball aus dem Strafraum auf die Tribüne prügeln sollte. So schossen irgendwie beide, sodass der missglückte Befreiungsschlag in der Gefahrenzone blieb und damit (ausgerechnet!) den Schuss von Gladbach-Schreck Caligiuri ermöglichten. Der wäre an sich für Yann Sommer kein Problem gewesen - wenn er nicht von Oscar Wendt unglücklich und unhaltbar in Richtung kurzes Eck abgefälscht worden wäre.

Man kann natürlich diese Szene und die dort offenbar gewordenen Konzentrationsschwächen hernehmen und für das unbefriedigende Endergebnis verantwortlich machen. Denn so unsortiert sollte sich eine Mannschaft mit Champions-League-Ambitionen in den letzten Spielminuten wirklich nicht in Bedrängnis und zum wiederholten Male um den Lohn der Arbeit bringen lassen. Aber natürlich muss man den Fehler viel stärker auf der anderen Seite des Platzes suchen, bei den fehlenden eigenen Toren. Und heute über weite Strecken der zweiten Halbzeit auch in den Räumen dazwischen.

Dass sich die Borussen in jedem Spiel eine Reihe hochkarätige Chancen herauskombinieren können, sind wir inzwischen gewohnt. Dass viele klare Chancen nicht genutzt werden leider auch. Heute waren es bestimmt sechs oder sieben Situationen, aus denen eigentlich ein Tor fallen musste. Herrmann, Stindl, Wolf und dann immer wieder Breel Embolo, dessen Scheitern vor dem Tor seine ansonsten richtig starke Leistung leider überdeckt. Da muss einfach mehr herauskommen als das sehr konsequent erarbeitete 1:0 von Flo Neuhaus.

Dass ein zweites Tor mal nicht fallen will, kann ich akzeptieren. Ein spätes Gegentor prinzipiell auch - wenn es nicht so vermeidbar gewesen wäre wie heute. Was mich wirklich gestört hat, war der Versuch, in der letzten halben Stunde im wahrsten Sinne des Wortes den Ball flachzuhalten und das Spiel zur Not mit einem knappen Vorsprung über die Zeit zu bringen. Schön, wenn sowas klappt. Aber doch nicht, wenn man in dieser Zeit auch noch 11 gegen 10 spielt und alle Anlagen besitzt, den Gegner unter Druck zu setzen, zu Fehlern zu zwingen und das entscheidende 2:0 zu schießen.
Ich habe heute den absoluten Willen vermisst, auf die Entscheidung zu drängen.
Ich kann mich täuschen, aber es schien mir auch bei den Einwechselspielern ein unausgesprochenes Agreement zu geben, dass man die Nummer jetzt sicher und vielleicht etwas kräftesparend nach Hause spielen und im Weg nach vorn gar kein großes Risiko mehr eingehen wollte. So wenig Zug zum Tor wie diesmal habe ich jedenfalls beim eingewechselten Marcus Thuram noch nicht gesehen.

Schade drum. Denn die durch die Corona-Ausfälle von Plea und Bensebaini sowie die Verletzung von Jonas Hofmann erzwungene neue Startelf ohne den bei Frankreich zuletzt dreimal eingesetzten Thuram gefiel mir insgesamt sehr gut, vor allem in der ersten Hälfte. Stindl ist längst wieder in der Nähe der Bestform, Chris Kramer setzte vor der Rückkehr von Denis Zakaria ein eindrucksvolles Ausrufezeichen, wie wichtig er für Borussias Spiel in beide Richtungen ist. Neuhaus ist derzeit ohnehin über jede Kritik erhaben. Und die Abwehrreihe ließ sich nur kurz nach dem Anstoß einmal kurz erschüttern, was Yann Sommer jedoch ausbügelte, genauso wie die Fehler vor den beiden anderen Chancen der Gäste rund um die 70. Minute. 

Embolo, Wolf und Herrmann machten vorne zusammen auch einen spritzigen und guten Eindruck, so dass ich zur Halbzeit eigentlich das Gefühl hatte, dass auch dieser erste Anzug passt - trotz mancher Fehlpässe und Missverständnisse im Zusammenspiel. Auch Oscar Wendt machte seine Sache gegen Caligiuri gut. Umso ärgerlicher war der Ausgang des Spiels, indem die Gäste lange weniger mit gelungenen Kontern - ihrer klaren taktischen Devise - als mit dem gewohnt rücksichtslosen Zweikampfverhalten auffielen.

Klar, ich bin zu weit weg, um beurteilen zu können, was die taktischen Überlegungen des Gladbacher Trainerteams für die letzte halbe Stunde des Spiels waren. Doch auch die Wechseltaktik hat mich heute enttäuscht. Stevie Lainer war die Dauerbelastung heute erstmals richtig anzumerken, mit zunehmender Spielzeit verhaspelte er sich immer öfter, brachte die Bälle dann nicht mehr präzise zum Mitspieler. Dennoch lief das Spiel weiterhin sehr häufig über seine Seite, sodass er auch jeden Weg mitgehen musste. Spätestens, als Augsburg mit Hahn und Gregoritsch, später noch mit dem wendigen Richter frische Kräfte für die Offensive brachte, hätte ich mir gewünscht, dass auch Marco Rose dem defensiv etwas Frische von der Bank entgegensetzt und zum Beispiel Jantschke bringt. 

Das Trainerteam blieb aber eher zurückhaltend und nutzte nicht einmal die möglichen fünf Wechsel. Die eingewechselten Spieler - Lazaro und Thuram - brachten diesmal nicht den erhofften neuen Schwung, das sehr erfreuliche Comeback von "Krake" Zakaria in der 89. Minute kam aber so spät, dass daraus keine unmittelbare Wirkung mehr zu erwarten war. Es sollte wohl auch eher ein taktischer Wechsel sein, um noch etwas an der Uhr zu drehen. Dummerweise fiel genau da der Ausgleich.
Ich weiß ja selbst, dass ich kein Trainer- oder Taktik-Profi bin wie die Jungs um Marco Rose. Aber für dieses Spiel wüsste ich schon gern, was die taktischen Überlegungen waren und was vielleicht in der Kommunikation zwischen Team und Trainern nicht optimal lief, dass es zu diesem Spielausgang kam. Nochmal: Ein Lucky Punch des Gegners ist immer möglich, das kann passieren. Aber es standen heute wirklich alle Ampeln auf grün, dass es nicht so kommen musste. Und dann ist es schon irgendwie fahrlässig, auf diese Weise Punkte abzugeben. 

Sicher, wir haben mit unserem VfL in unterschiedlichen Konstellationen - ob im Abstiegskampf oder als Topclub in der Bundesliga - immer mal wieder solche Nackenschläge erlebt. Und ja, es war auch noch nicht mal eine Niederlage. Aber doch einer der ärgerlichsten Punktverluste der vergangenen Jahre. Weil er so unnötig und dabei von außen fast vorhersehbar war.

Enden will ich trotzdem mit etwas Positiven. Denn auch wenn es keine spielerische Glanzleistung war: Es ist bemerkenswert, wie sich diese Startelf ohne vier absolute Erste-Elf-Stammspieler (Plea, Bensebaini, Hofmann, Thuram - und in klammern den fünften, nun wieder zur Verfügung stehenden Zakaria) über die gesamte Spielzeit verkauft hat. Da war kein großer Qualitätsverlust zu sehen, der einem während des Spiels irgendwelche Sorgen machen musste. Allerdings: Die Vielspieler stoßen ziemlich sicher sehr bald an ihre Grenzen, da wird manche rote Leuchte angehen - vor allem für Elvedi, Ginter, Lainer und Neuhaus wird es in den kommenden Wochen Pausen geben müssen. Es wird viel davon abhängen, inwieweit man dies selbst gestalten kann und welchen Einfluss auf die Belastungssteuerung da Verletzungen oder etwa positive Corona-Tests nehmen werden. 

Bundesliga 2020/21, 8. Spieltag: Borussia  Mönchengladbach - FC Augsburg 1:1. Tor für Borussia: 1:0 Neuhaus.

Saisonspende: Ein Tor, kein Zu-Null, das gibt nur 50 Cent an diesem Spieltag. Dazu kommt aber noch mein Nachtrag aus der Länderspielpause: Matze Ginter sorgte mit einer Vorlage gegen die Ukraine für einen Euro. Und ja, natürlich tue ich so, als hätte Yann Sommer die beiden Elfmeter von Ramos für Gladbach gehalten und nicht für die Schweiz (um diese Gelegenheit verstreichen zu lassen, hält er einfach zu selten Elfer). Das sind weitere fünf Euro, insgesamt sechs aus den Länderspielen.

Der aktuelle Stand also: 43 Euro im Spendentopf.

Zur Erinnerung, darum geht's: Ich spende am Ende der Saison einen Betrag X für einen (oder mehrere) gute(n) Zweck(e), auf den/die ich mich später festlege. Die Spendensumme setzt sich wie folgt zusammen: Jedes erzielte Tor von Borussia in den drei Wettbewerben: 50 Cent. Jedes Tor von Tony Jantschke: 10 Euro. Platzverweis von Max Eberl oder Marco Rose: 2,50 Euro. Gehaltener Elfmeter von Yann Sommer (oder einem Ersatzmann): 2,50 Euro; Zu-Null-Spiel: 1 Euro. Derbysieg gegen K***: 5 Euro. Siege gegen Bayern, Dortmund oder Leipzig: 10 Euro. Ein Sieg in Freiburg oder Wolfsburg: 10 Euro. Tore oder Vorlagen von Gladbacher Spielern in der deutschen Nationalelf: 1 Euro. Internationaler Startplatz am Saisonende: 20 Euro. Meisterschaft oder Finalsieg in CL oder EL: 50 Euro. DFB-Pokalsieg: 30 Euro. Gladbacher Torschützenkönig: 30 Euro.

1 Kommentar:

  1. Eine überaus zutreffende und gelungene Zusammenfassung des Spiels und der Leistung unserer Jungs. Wenn ich mit meinem letzten Kommentar Wolf sehr kritisiert habe, so muss ich gestehen, dass das Spiel gegen Augsburg für mich bisher sein stärkstes war (selbst stärker als gegen RB). Nichts desto trotz bleibe ich bei meiner Meinung, dass er körperlich noch erheblich zulegen muss, um auf Bundesliga-Niveau in Zweikämpfen gegenhalten zu können. Bei jedem kleinen Rempler geht meist der Ball verloren. Und er hat auch gegen Augsburg relativ zu Beginn schon wieder (mindestens 1x pro Spiel) den sterbenden Schwan gemimt. Das muss er unbedingt abstellen.
    Ansonsten stach für mich definitiv Christoph Kramer aus der Mannschaft hervor. Er hat für mich gegen Augsburg ein unglaublich starkes Spiel gemacht. Noch ein Satz zur Belastung...Im Angriff und im Mittelfeld mach ich mir eigentlich wenige Sorgen. Dafür ist auch die Bank noch immer stark besetzt. Dagegen teile ich in der Abwehrreihe durchaus die Bedenken. Hier sehe ich aktuell nur Janschke. Wie die Form von Beyer (den ich grds ebenso sehr schätze) derzeit ist, lässt sich aktuell nur schwer einschätzen.

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