Ich bin sehr zufrieden. ICH. BIN. SEHR. ZUFRIEDEN. Habe ich das so schon mal geschrieben, seit ich
mein Blog hier habe? Ich glaube nicht. Aber es gibt - sehr selten -
Tage, da muss man eigentlich gar nicht viel mehr sagen über das Fußballspiel, das
man gerade gesehen hat. Nur dieses: Ich bin sehr zufrieden. Es spricht
für sich. Und jeder kann nicken und sagen: Ich auch. Wir verstehen uns.
Heute war im technischen Sinne ein perfektes Spiel, eins, wie man es nur
äußerst selten erlebt. Und als Gladbach-Fan ja sowieso - na ja, wisst
ihr ja selbst.
Jeder hat so seine Leidensgeschichte, seine tragischen Momente mit diesem Verein. Umso höher ist einzustufen, was da heute gute 1900 (!) Kilometer östlich von Mönchengladbach geschehen ist. Diese fußballerische Sternstunde - überhaupt erst der dritte Sieg in der Champions League für den VfL - haben natürlich in erster Linie Yann, Matze, Nico, Stevie, Ramy, Chris, Flo, Lars, Jonas, Lasso und Marcus herausgeschossen.
Aber wer es wirklich mit diesem Verein hält, weiß, wer am Anfang dieser Reihe steht. Wer heute nach diesem unglaublichen Abend nochmal innehält, denkt an Igor de Camargo, ohne dessen Tor gegen Bochum der phönixhafte Aufstieg Borussias aus der Asche nicht möglich gewesen wäre. So wie Reus, Arango, Favre und so viele andere ihr Scherflein dazu beigetragen haben, dass der Traditionsverein Borussia im Jahr 2011 nicht einen Weg in eine ganz andere Richtung angetreten hat.
Und allen voran ein äußerst geschicktes Team um Max Eberl und Stephan Schippers, die den Verein zu einer der besten und solidesten Adressen Europas gemacht haben - ohne ihn an einen reichen Investor zu verscherbeln.
Daran gerade heute zu denken, hat viel mit dem berühmten "Wir-wissen-wo-wir-herkommen"-Mantra zu tun; nämlich auch in einer Stunde des Triumphs den Erfolg nicht für selbstverständlich zu halten. Er ist flüchtig und der glanzvollste Sieg von heute kann morgen schon nichts mehr wert sein - wenn man sich darauf ausruhen will. Genau diesen Eindruck kann man bei den Schützlingen von Marco Rose beim besten Willen nicht gewinnen. Die Spieler sind fokussiert und lassen keinen Zweifel daran, dass sie an sich und ihre Fähigkeiten glauben. Und das macht mich sehr froh.
Die erste Halbzeit heute war dafür das beste Beispiel. Die Mannschaft war wach, von der ersten Minute an. Sie war dominant,
nicht bereit, den kombinationsstarken Gegner auch nur ansatzweise ins
Spiel kommen zu lassen. Es kam dazu, dass die frühen Tore - zum Teil
hervorragend herausgespielt, zum Teil mit etwas Glück erzielt -, dem
Gegner schnell jeden Schneid nahmen, sich dagegen groß aufzulehnen.
Gladbach machte die Ansage, wer das Spiel heute in die Hand nehmen
würde. Und Schachtar musste das schnell akzeptieren, weil der
spielerische und spieltaktische Unterschied heute einfach zu groß war.
Die Tore waren wieder einmal aus dem Bilderbuch - wie das warme Messer durch die Butter schnitten Borussias Pässe durch die ukrainische Abwehr.
Doch es gab nicht nur das. Auch die Wucht des platzierten Distanzschusses brachte Erfolg, was in dieser Saison
noch keine große Rolle gespielt hatte. Und die Stärke bei
Standards spielte eine Rolle, genauso wie das unerbittliche Verhalten bei gegnerischem Ballbesitz, wo sich Schachtar ein ums
andere Mal nicht gegen die aggressiven Pressingmomente zur Wehr setzen
konnte. Bestes Beispiel das 5:0, bei dem der Ball vom misglückten
Abschlag des Donezker Torwarts bis zu Stindls Abschluss drei Stationen
brauchte. Ein sensationell erzwungenes Tor, wenn auch gegen einen zu
diesem Zeitpunkt schon demoralisierten Gegner.
Klar: An perfekten Tagen spielt auch immer das Glück ein bisschen mit , in engen Situation springt der Ball dann nur zu dir und nicht zum
Gegner. Umgekehrt haben wir das ja auch schon des öfteren erlebt. Aber
auch wenn das vorentscheidende 2:0 von Kramer glücklich abgefälscht war
und auch beim Eckball zum vierten Tor von Bensebaini der Ball genau so
sprang, wie er musste: Das ist ja auch immer ein bisschen Lohn der
eigenen Mühen.
Alles in allem eine fabelhafte Leistung der gesamten Mannschaft, aus der man trotz des sicher herausragenden dreifachen Torschützen Alassane Plea niemanden weniger loben sollte. Es war ein Triumph des Kollektivs, das in Angriff wie Abwehr fast ideal verschob und sich auf dem Feld als taktische Einheit bewegte. Nichts war in diesem Verbund zufällig. Dass der Gegner dem schnell gar nichts entgegenzusetzen hatte, auch keine taktische Veränderung während des Spiels, schmälert die Leistung von Lainer und Co. in keiner Weise.
Klar ist aber auch: Dieser Sieg hat seinen Preis. Wie hoch der sein wird, wissen wir
noch lange nicht. Kurzfristig wird der mediale Hype jetzt wieder eine
Woche lang hochschlagen - über die entzückende Spielweise und die
traumhaft herauskombinierten Spielzüge des VfL. Das ist in der Woche vor
dem schweren Spiel gegen Leverkusen nicht unbedingt hilfreich. Aber vielleicht hat die Mannschaft
von Marco Rose ja auch in dieser Hinsicht gelernt, sich davon nicht in
Sicherheit wiegen zu lassen.
In der Champions League, und das ist die
zweite Konsequenz aus der Gala von Kiew, wird niemand mehr Borussia
unterschätzen. Die Rückspiele in der Gruppe werden damit ganz anders als
das bisher gekannte. Denn alle drei Gegner müssen im Moment deutlich
mehr um das Weiterkommen zittern als Yann Sommer und seine Vorderleute.
Es wird also ein heißer Tanz in jedem Spiel werden, bei dem es am Ende
auch um das physische Aufreiben gehen wird. Es ist nicht so, dass der
VfL da nicht mithalten könnte, aber: die Karten werden in der Rückrunde neu gemischt, und auch wer jetzt Tabellenführer ist, hat noch lange nichts erreicht.
Und schließlich gibt es dann noch die langfristig drohenden Konsequenzen. Mit den
beherzten Auftritten vor aller Augen in der Champions League haben sich gleich ein
halbes Dutzend Spieler ganz oben in die Notzibücher der Großclubs
gespielt. Alassane Plea und Marcus Thuram
sowieso, aber sicher auch Ramy Bensebaini, Flo Neuhaus, Matthias Ginter und
Nico Elvedi. Über die Begehrlichkeiten um Denis Zakaria wissen wir ja ohnehin, obwohl der heute ja gar keine Rolle spielte.
Auch hier gilt: Borussia fliegt
nicht länger unter dem Radar. Und wenn das so ist, wird es für das Team
um Max Eberl immer schwerer, die Angebote von finanziell weit entrückten
Konkurrenten alle abzuwehren. Die Ablösesummen könnten das Bittere daran versüßen, aber der große Vorteil dieser Mannschaft, immer besser aufeinander eingespielt zu sein, kann man nicht einfach dazukaufen. Das braucht Zeit.
Natürlich wissen wir auch, dass der eine
oder andere Spieler über Gladbach hinauswächst und irgendwann zu einem
finanziell potenteren Club wechseln wird und vielleicht auch muss. Dieser Zeitraum hat sich
aber spätestens heute wohl deutlich verkürzt, denn es war in den vergangenen Wochen für
niemanden mehr zu übersehen, welche Juwelen wir da im Kader haben.
Aber gut, wir leben im Hier und Jetzt. Und da spielen all diese tollen
Spieler für uns. Sie haben sich in den vergangenen drei Wochen
dermaßen abgezockt weiterentwickelt, dass man derzeit vor keinem Gegner
Angst haben muss. Der Borussia-Fußball sieht nicht nur schön aus, es wirkt auch so,
als hätten die Borussen um Kapitän Stindl sich diese
Selbstverständlichkeit und ein sehr unarrogantes Selbstvertrauen "antrainiert" und
"angespielt", mit dem man auf internationaler Bühne auch mal die Vorrunde
der Champions League überstehen kann.
Noch ist es lange nicht so weit,
auch wenn der direkte Vergleich mit Donezk mit dem heutigen Ergebnis als
gewonnen gewertet werden kann. Doch das allein reicht nicht, das ist
klar. Es bleibt also spannend. Und vor allem bin ich sehr gespannt, ob
unsere Jungs nach diesem Erfolg dran und demütig bleiben, oder ob sie es am Wochenende
dann doch unbewusst ein klein wenig lockerer angehen lassen.
Vielleicht fällt euch an meinem Text auf, dass ich zwar äußerst entspannt und sehr beseelt und glücklich über
das 6:0 bin - aber nicht so richtig euphorisch. Das hat seinen Grund natürlich in
den Umständen, unter denen Fußball gerade stattfinden muss. Das heute war ohne Zweifel einer der glänzendsten Siege in der
Europapokal-Geschichte von Borussia Mönchengladbach und er wäre in
dieser Deutlichkeit für mich vorher nie im Leben denkbar gewesen.
Aber:
Vermutlich wäre er in einem vollen Stadion so auch nie und nimmer
zustandegekommen. Selten hat Publikum einem Spiel so sehr gefehlt wie
hier. Die Emotionen von außen, jubeln, pfeifen, anfeuern, rumoren - all das geht dem Spitzenfußball ab, und vielleicht forciert es auch solche Ergebnisse wie heute, wenn der Druck durch die Zuschauer von außen fehlt.
Vor allem tut mir diese verpasste Chance für unsere Allesfahrer leid, die sonst jeden noch so langen Weg auf sich genommen haben, um dabei zu sein. Wie oft mit Ergebnissen, die einfach nur enttäuschend waren. Und dann jetzt dieses Spektakel, einen sensationellen Hurra-Auftritt im Stadion einer absolut etablierten Champions-League-Mannschaft? Und wir können alle nur einzeln vor dem Fernseher sitzen, wenn überhaupt. Keine Ahnung, wie viele ganz in die Röhre geschaut haben werden, weil sie kein DAZN haben?
Diese Leere rund um das Spielfeld nimmt mir leider einen großen Teil der Euphorie, die heute Abend angebracht gewesen wäre. Aber wir können es ja nicht ändern. Also trinke ich jetzt allein mit mir und diesem Bericht noch ein ganz entspanntes Bierchen - auf einen perfekt aufgegangenen Matchplan unseres Trainerteams, auf die tollen Jungs da in der Ukraine, die das Spiel so kühl und so kunstvoll auf den Rasen gezaubert haben. Und auf Euch und mich, die sich so etwas vor weniger als 10 Jahren nicht mal in ihren kühnsten Träumen hätten ausmalen können.
Einer von denen, die damals dauerhaft und mit viel
Gewürge gegen den Abstieg gekrebst haben, war auch heute noch dabei und
bekam ein paar Einsatzminuten in der Königsklasse: Tony Jantschke wurde genauso
eingewechselt wie Ibo Traore und Michael Lang. Was zeigt, dass auch die,
die weit weg sind von der normalen Startelf, im Mannschaftsgefüge keine
Außenseiter sind. Und wenn ich sehe, dass ein Marcus Thuram vor dem Spiel mit einem breiten Grinsen und fast kindlicher Freude die eingespielte Champions-League-Hymne laut mitsingt, dann geht mir das Herz auf. Das sind die kleinen Dinge, auf die es ankommt, wenn eine Mannschaft
etwas erreichen will.
Solange sie zusammenhält, zusammen gewinnt,
zusammen verliert und sich gegenseitig den Erfolg gönnt, kann nicht viel
schiefgehen. Im Gegenteil. Manchmal kommen dann sogar Sternstunden des
Fußballs dabei heraus.
Champions League
2020/21, Gruppenphase, 3. Spieltag: Schachtar Donezk - Borussia Mönchengladbach 0:6. Tore
für Borussia: 0:1 Plea, 0:2 Kramer (ich weiß, offiziell ein Eigentor, aber das ist mir doch egal), 0:3 Plea, 0:4 Bensebaini, 0:5 Stindl, 0:6 Plea.
Saisonspende: Sechs
Tore und ein weiteres "Zu-Null" innerhalb von nur drei Tagen, dafür wandern 4 Euro in den Spendentopf. Einen solch historisch hohen Sieg in der Königsklasse konnte nun wirklich niemand vorhersehen. Ich will ihn nicht unbelohnt lassen, aber auch nicht überbewerten, es gibt schließlich auch dafür nur drei Punkte - also spende ich 2,50 Euro extra. Damit klettert der Spendenbetrag
heute um 6,50 auf 35 Euro.
Schön geschrieben. Kleine Anmerkung: Es war bereits der dritte Sieg in der Champions League für den VfL. :-) Und zu DAZN: Ich möchte jetzt keine Werbung machen. Aber DAZN kostet 12,- Euro p.M., ist monatlich kündbar, der erste Monat ist kostenlos und es können zwei Streams gleichzeitig geschaut werden. Wer sich das also mit einem Bekannten teilt, zahlt ab dem zweiten Monat 6,- Euro p.M. Das Spiel nicht gesehen zu haben, sollte also nicht an finanziellen Dingen liegen.
AntwortenLöschenVielen Dank für deinen Hinweis, du hast natürlich recht! Es war der zweite Auswärtssieg nach dem 2:0 bei Celtic Glasgow, aber insgesamt der dritte Sieg (mit dem 4:2 gegen Sevilla). Ich werde das im Text korrigieren. Das mit DAZN lasse ich mal so stehen. Sicher ist das für viele machbar. Aber ich denke, dass es immer noch auch viele Menschen gibt, die wirklich wenig Geld zur Verfügung haben, die keinen internetfähigen Fernseher (oder Computer) haben oder das einfach nicht wollen. Und wenn man sich für andere Spiele oder Sportarten nicht interessiert, ist es für fünf oder sechs Spiele von Borussia in der Saison schon wieder ein nicht unerheblicher Preis.
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