Schade. Das war trotz der guten Vorzeichen - zwei offensivstarke, mutige und spielfreudige Mannschaften - kein so richtig begeisterndes Spiel. Beide Teams hatten sichtbar Respekt vor dem Können des jeweils anderen und neutralisierten sich phasenweise dadurch sehr. Man würde ein solches Spiel im Normalfall dann auch sehr schnell abhaken und vergessen. Wenn, ja wenn es nicht aus anderen Gründen ein denkwürdiges Spiel geworden wäre. Leider nicht deswegen, weswegen wir Fußball gern gucken - den sportlichen Aspekt. Sondern wegen derer, über die man am besten gar nicht schreiben sollte und gerne würde - die Unparteiischen.
Heute ist das Spiel zweier gleichwertiger Teams der eigentlich sinnvollen Einrichtung "Videoassistent", die Schiedsrichtern auf dem Feld eine Hilfe sein kann und soll, aufs Schlimmste zum Opfer gefallen.
Es wird heute und in den nächsten Tagen nicht mehr über das sportliche Geschehen zwischen Borussia und dem VfB geredet werden - und auch an dieser Stelle werde ich das nur am Rande tun. Es geht nur noch um eine einzige Szene in der Nachspielzeit, die Borussia zwei Punkte kostete - und deren Zustandekommen vom Verein nicht einfach hingenommen werden darf.
Fangen wir mit dem Sportlichen an. Der VfL begann gut und spielte zunächst auch recht routiniert auf. Er ließ sich nach etwa 20 Minuten aber zunehmend von seiner Linie abbringen und erlaubte dem starken Aufsteiger aus Stuttgart im weiteren Spielverlauf ein weitgehend dominantes Auftreten und viel Ballbesitz. Das war nicht weiter schlimm, denn Lars Stindl und seine Mitspieler machten das Beste draus. Sie verteidigten ihrerseits clever und brauchten nur vereinzelte Male auch ein bisschen Glück dabei.
Im Spiel nach vorne gab es zwar viele gute Ansätze, aber nur wenig Präzision und daher auch nur selten aussichtsreiche Torchancen. Die allerdings nutzte die Rose-Elf eiskalt. Sowohl die Führung durch einen glasklaren Elfmeter als auch der Treffer zum 2:1 nach einem blitzsauberen Konter über Stindl und Denis Zakaria fielen zum jeweiligen Zeitpunkt eher unerwartet, doch insgesamt war die Führung bis zum Schluss nicht unverdient.
Dass der VfB noch zum späten Ausgleich kam, haut mich aber auch nicht um, denn über die gesamte Spielzeit hatten sich die Schwaben das Remis ohne Frage verdient.
Nur: Diesen Ausgleich hätte es nicht geben dürfen. Nie. Nie. Niemals. Wer dafür verantwortlich ist, war sprichwörtlich mit dem Klammeraffen gepudert - auch wenn diese Einschätzung heute unter anderem die von mir (für ihre Leistungen auf dem Platz) stets geschätzte Bibiana Steinhaus trifft.
Ja, ich weiß: Dass Ramy Bensebaini die Arme um seinen Gegner gelegt hatte, war nicht geschickt. Ohne diese Umarmung hätte es natürlich auch keine Elfmeterentscheidung geben können. Aber ich habe eine plausible Erklärung dafür, doch dazu später. Denn zunächst geht es um etwas anderes, um Grundsätzlicheres und für die Zukunft des VAR viel Weitreichenderes.
Fakti ist: Der Weltschiedsrichter Dr. Felix Brych hat die Umarmung im Spiel gesehen und als nicht strafbar bewertet, wie er am Abend im Interview bestätigte (dass er sich stellte und den Fehler einräumte, ist ihm immerhin hoch anzurechnen). Es handelt sich nicht um eine klare Fehlentscheidung, denn: Bensebaini hält den Gegner nicht, er zieht ihn auch nicht herunter. Das beweisen alle Videobilder sehr deutlich. VAR Bibiana Steinhaus hätte also wegen dieser Umarmung gar nicht intervenieren dürfen, sondern nur, wenn sie unten am Fuß oder sonst irgendwo eine strafbare Aktion wahrgenommen hätte, die dem Schiedsrichter verborgen geblieben war. Diese Regel an sich öffnet schon der Willkür Tür und Tor, weil manchmal dadurch Fehlentscheidungen gar nicht korrigiert werden dürften. Und es schadet dem ohnehin in der Kritik stehenden Instrument VAR schon erheblich.
Es wird aber noch schlimmer. Denn eine Szene, die sich der Feldschiedsrichter nochmal anschaut, muss dann auch die besten Perpektiven und alle Informationen bieten. Was auch immer Brych bewogen hat, seine Entscheidung zu korrigieren: In den Zeitlupen ist es nicht zu erkennen. Es ist für mich ein Rätsel, wieso er dann doch zu einer anderen Einschätzung kam. Es wundert mich allerdings auch wieder nicht, da er im Interview auch offen mitgeteilt hatte, dass er im ganzen Spiel ein gutes Gefühl für die Bewertung der Zweikämpfe gehabt habe. Das Gefühl hatte er wohl weitgehend exklusiv.
Wenn das jedenfalls der über die Elfmeterentscheidung ohnehin schon verständnis- und fassungslose Jonas Hofmann gehört hätte, wäre er Brych wahrscheinlich an die Gurgel gegangen. Doch Hoffi hatte recht mit seiner Kritik am Sky-Mikrofon, die ihn wahrscheinlich demnächst noch wie üblich ein paar tausend Euro Strafe kosten wird.
Auch ich habe selten in dieser Saison eine einseitigere Zweikampfbewertung zu Ungunsten der Gladbacher gesehen wie in diesem Spiel. Absurder Höhepunkt dessen war vielleicht, dass Brych abpfiff, als er selbst einem Stuttgarter in der eigenen Hälfte im Weg stand und Borussia dadurch vielversprechend in Ballbesitz kam. Abpfeifen und Schiedsrichterball geben wäre seit dieser Saison aber nur korrekt gewesen, wenn er den Ball berührt hätte. Hatte er aber nicht. Klar, im Sinne der sportliche Fairness ist das natürlich ok, nichtsdestotrotz ist es ein Regelverstoß, der auf dem Niveau eines Fifa-Schiedsrichters unerklärlich ist. Einiges an Brychs Spielleitung war also unterirdisch, aber eben auch nicht spielentscheidend. Bis zur letzten Entscheidung des Spiels.
Denn da kam ja noch etwas zum VAR-Eingriffs-Desaster hinzu. Der für den Sturz des Stürmers nämlich ursächliche "Foul" am Fuß durch den eigenen Mitspieler wurde in Köln gar nicht erkannt und dementsprechend auch von Brych nicht gewürdigt, weil er wohl nur auf den Klammergriff achtete.
Damit wird aus einer - von Brych nach dem Spiel auch eingeräumten - Fehlentscheidung innerhalb des Schiedsrichterteams ein Skandal. Denn Gladbach wurde durch einen klaren Regelverstoß der Unparteiischen unmittelbar um den Sieg gebracht, es gab anschließend keine weitere Spielzeit mehr, um das Ergebnis nochmals zu verändern.
Im Normalfall wäre die Konsequenz ein Protest gegen die Spielwertung und die richtige Entscheidung, das Spiel neu anzusetzen. Wir alle wissen aber, dass das nicht passieren wird. Dann aber wird es interessant, welche Konsequenzen sich am Ende der Saison daraus für die Fohlen ergeben werden. Und ob man gegebenenfalls Schadenersatz wegen möglicherweise entgangener EL- oder CL-Qualifikation einklagen könnte (und will).
Wie es mit dem VAR insgesamt weitergehen, vermag ich nicht zu sagen. So geht es jedenfalls nicht. Diese Fehlleistung kann nicht ohne Konsequenzen bleiben. Wahrscheinlich wird man sich im Verband - wie üblich - an den handelnden Personen, vor allem Bibi Steinhaus, abarbeiten und schadlos halten, aber die grundsätzliche Problematik weiter ignorieren.
Das kann aus meiner Sicht aber nicht im Sinne der Aktiven sein. Denn natürlich sind die meisten Eingriffe des VAR, selbst wenn sie falsch sein sollten, nicht direkt und ausschließlich spielentscheidend. Aber es kann auf Dauer nicht so sein, dass das Abschneiden von Bundesligisten am Saisonende von wöchentlich diskutierten willkürlichen Entscheidungen abhängt. Dann muss man dieses Hilfsmittel vielleicht dann doch nur noch für Entscheidungen zulassen, die sich in "Ja oder Nein" auflösen lassen, wie etwa beim Abseits oder beim Ort eines Foul- oder Handspiels - im oder außerhalb des Strafraums.
Unabhängig von der Bewertung des Elfmeters hatte ich ja geschrieben, dass ich auch eine Erklärung dafür habe, warum Bensebaini in der Szene gegen Kalajdzic die Arme so einsetzte, ohne dabei zu klammern oder gar zu ziehen.
Ihr müsst es nicht genauso sehen. Aber es hat für mich etwas mit praktischer Fußballerfahrung zu tun, und Lothar Matthäus hat dies im übrigen ganz ähnlich ausgedrückt. Worum geht es mir? Bensebaini ist erfahren genug, hier nicht foulen zu wollen und zu müssen. Der Stürmer ist nicht in einer gefährlichen Position, er kann höchstens den Ball ablegen, das aber kann Bensebaini ohnehin nicht verhindern.
Aber er muss in der Szene zurückweichen, weil der Stürmer relativ rücksichtslos mit dem Blick auf den Ball rückwärts in ihn reinläuft und sich auch weiter in ihn reinlehnt, als der Ball näher kommt. Bense muss die Bewegung nach hinten also mitgehen, ihm bleibt keine Wahl. Wenn er dann aber die Arme unten lassen würde, könnte er mit keinem Körperteil mehr verhindern, dass Kalajdzic mit seinem vollen Gewicht auf ihn drauf fällt. Die Arme freizuhaben ist in dieser Situation also wichtig und intuitiv richtig. Die Arme dienen dazu, den Gegner möglichst noch im Fallen zu einer Seite schieben zu können, bevor er ihn unter sich begraben würde.
Natürlich, das sah auf den ersten Blick schon "klammerig" aus, aber die Zeitlupen zeigen sehr deutlich, dass Bensebaini nicht aktiv wird, sondern passiv bleibt und die Arme mehr der Kontrolle der Situation gelten.
Sei es, wie es sei: Es gab genug aufschlussreiche Bilder, um diese Szene richtig zu entscheiden. Dass das dennoch gründlich in die Hose ging, wird nachwirken. Aber ob sich Borussia dafür etwas kaufen können wird, ist stark zu bezweifeln. Und das ist wieder einmal eine bittere Erkenntnis.
Bundesliga 2020/21, 16. Spieltag: VfB Stuttgart - Borussia Mönchengladbach 2:2. Tore für Borussia: 0:1 Stindl (FEM, Lainer), 1:2 Zakaria.
Saisonspende: Die beiden Tore ergeben einen Euro, mehr kommt heute leider nicht dazu. Aktueller Stand: 80,50 Euro.
Zur Erinnerung, darum geht's: Ich spende am Ende der Saison einen Betrag X für einen (oder mehrere) gute(n) Zweck(e), auf den/die ich mich später festlege. Die Spendensumme setzt sich wie folgt zusammen: Jedes erzielte Tor von Borussia in den drei Wettbewerben: 50 Cent. Jedes Tor von Tony Jantschke: 10 Euro. Platzverweis von Max Eberl oder Marco Rose: 2,50 Euro. Gehaltener Elfmeter von Yann Sommer (oder einem Ersatzmann): 2,50 Euro; Zu-Null-Spiel: 1 Euro. Derbysieg gegen K***: 5 Euro. Siege gegen Bayern, Dortmund oder Leipzig: 10 Euro. Ein Sieg in Freiburg oder Wolfsburg: 10 Euro. Tore oder Vorlagen von Gladbacher Spielern in der deutschen Nationalelf: 1 Euro. Erreichen der K.o-Phase und für jede weitere erreichte CL-Runde: 10 Euro. Internationaler Startplatz am Saisonende: 20 Euro. Meisterschaft oder Finalsieg in CL oder EL: 50 Euro. DFB-Pokalsieg: 30 Euro. Gladbacher Torschützenkönig: 30 Euro.
Gut kommentiert. Es fehlt mir nur die Alternative: Was wäre passiert, wenn Brych den Elfmeter pfeift? Wird er dann vom Keller zurückgenommen, wegen des "Fouls" vom eigenem Spieler? Man weiss es nicht....So oder so. Es war einfacher keiner.
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