2022-08-08

Zwischen 0 und 100

Von Hütter getrennt.

Um Vertrauen und für eine neue, alte Spielphilosophie geworben.

Farke verpflichtet.

Itakura verpflichtet.

Fraulo verpflichtet.

Plea verlängert.

Hofmann verlängert.

Das kann sich wirklich sehen lassen.

Und es sieht so aus, als folgten bei Borussia in den nächsten Tagen noch weitere gute Nachrichten von der Transfer- bzw. Vertragsverlängerungsfront.

Roland Virkus hat also jede Menge Nägel mit Köpfen gemacht, seit er überraschend als Nachfolger von Max Eberl den Sportdirektorposten übertragen bekommen hat. Hut ab!

Und mit jedem gelungenen Baustein fliegen ihm mehr Fanherzen zu. Das sei ihm gegönnt, denn er musste gerade zu Beginn seiner Amtszeit auch einiges an Häme und voreiligen Schlüssen über sich ergehen lassen. Und mancher, der ihn nun hochleben lässt, hat ihn am Anfang leichthin belächelt.

Von der Witzfigur "Onkel Rollo" zum "König Virkus und seiner Transferrunde" - das ist für Fußballfans kein weiter Weg. Und es ist für viele, die sehr schnell zum Urteil bereit sind, auch gar kein Widerspruch, jemanden heute in den Himmel zu loben und morgen wieder zu verdammen. Heute der Depp, morgen der King - und umgekehrt. Das geht schnell im Fußball, auf den Rängen und vor dem Fernseher.

Und das ist etwas, was mich an dem gerade ausbrechenden Virkus-Hype etwas stört. Ich könnte mir vorstellen, dass es auch dem erst unter- oder gar gering Geschätzten und jetzt so Gefeierten selbst so geht. "Beurteilt mich am Ende der Saison", hat er sinngemäß in der letzten Pressekonferenz gesagt. Und er hat recht damit.  Denn es gibt nicht nur 0 und 100. Es gibt auch noch viel dazwischen.

Ob Virkus' Arbeit die Früchte trägt, von denen mancher schon träumt, kann man heute nicht sagen. Es lässt sich gut an, mehr wissen wir noch nicht.

Ohne Zweifel: Es ist geradezu sensationell, dass es in dieser kniffligen Vertragslage - mit mehreren diese Saison auslaufenden Verträgen von absoluten Stammspielern - gelingt, mit Alassane Plea und Jonas Hofmann überraschend, vorzeitig und langfristig zu verlängern. Möglicherweise klappt das ja auch bei Sommer, Stindl, Kramer, sogar bei Thuram und am Ende mit Ramy Bensebaini. Vielleicht auch nicht.
Wenn nicht, ist auch nicht alles wieder gleich total schlecht, denn schon Hofmanns und Pleas Ja nehmen eine ganze Menge sportlichen und finanziellen Druck und Konfliktpotenzial raus. Es scheint aber mit diesen Signalen in die und aus der Mannschaft deutlich wahrscheinlicher geworden zu sein, dass der Verein weitere ablösefreie Wechsel von Spielern mit hohem Marktwert vermeiden kann, was für die Wettbewerbsfähigkeit in der Liga kaum hoch genug einzuschätzen ist.

Aber: Das alles hat nicht "Rollo" alleine eingefädelt und durchgezogen. Es steckt eine Teamleistung dahinter, wie in all den Jahren vorher auch. Max Eberl hat nicht als einsamer Wolf gehandelt, Virkus tut das auch nicht. Das Team ist sogar weitgehend das Gleiche wie in der Ära Eberl.
Es ist undenkbar, dass Roland Virkus reinkam, sah und siegte, ohne dass er von der Vorarbeit und der Unterstützung von Steffen Korrell und seinem Team profitiert hätte.
Ohne die Assistenz durch einen Trainer, der vom ersten Tag in Gladbach verstanden hat, wie er die Spieler packen und für seine Vorstellungen von Fußball begeistern kann. Der Wertschätzung ausstrahlt, der aufzeigen kann, warum es sich für Spieler auszahlen kann, wenn sie bei Borussia bleiben. Virkus ist aber genausowenig ein Grüßaugust, der nur den finalen Handschlag mit Spielern macht und den Vertrag unterschreibt.

Hinter den Vertragsverlängerungen steckt allerdings auch kein magischer Spruch eines Zauberers. Wie auf dem Rasen geht es auch in Vertragsverhandlungen um die beste Taktik und die beste Ausgangsposition zum Erfolg. Und da sind derzeit die Spieler im Vorteil. Was die ganze Geschichte teuer machen kann.

Spieler entscheiden selten aus dem Bauch heraus, ob sie bleiben oder gehen. Sie wägen ab, was sich für sie am besten auszahlt, und wo die Wahrscheinlichkeit, selbst gesetzte Ziele zu erreichen, am höchsten ist. Gladbach kann gute Argumente liefern, aber niemanden zum Bleiben überreden oder zwingen.

Wenn Jonas Hofmann bei der Winter-WM mitmachen will, wäre es jetzt ein schlechter Zeitpunkt, sich auf ein Wechselwagnis einzulassen und am Ende irgendwo anders auf der Bank zu sitzen. Ließe er den Vertrag auslaufen, wie es Matze Ginter gemacht hat, weiß er, was auf ihn zukommt: Unmut im Verein, vor allem aber Unruhe, Gerüchte und wöchentliche Nachfragen aus den Medien, wohin es denn jetzt geht. Was also bringt ihn wahrscheinlich dazu, jetzt zu verlängern? 

Solche Überlegungen. Das Wissen, dass er beim VfL immer eine Hauptrolle spielt. Ein merklicher Gehaltsaufschlag. Und möglicherweise eine moderate Ausstiegsklausel, die ihm den ganz großen Schritt bei Bedarf im kommenden oder übernächsten Jahr immer noch erlauben würde. Man muss realistisch davon ausgehen, dass er so etwas ausgehandelt hat.

Nicht viel anders wird es sich bei Alassane Plea verhalten, und bei Yann Sommer und den anderen, so sie denn verlängern. Denn natürlich geben die Spieler ihre starke Verhandlungsposition nicht einfach auf, weil sich der Verein und die Fans das (aus moralischen oder sonstigen Gründen) wünschen. Warum sollten sie auch.

Wenn es so ist, verlangt das Borussia finanziell einiges ab, erhöht aber auch die Chance, kommende Saison vielleicht doch international spielen zu können oder zumindest mit Spielertransfers mehr Geld zu generieren als im Moment. Im Fall Hofmann bringt es Borussia im besten Fall durch dessen Abstellung zur WM sogar sehr bald schon eine erkleckliche Summe ein. 

Wir alle können froh darüber sein. Denn selbst wenn eine Ausstiegsklausel vorhanden ist und gezogen würde, wäre Borussia in der Lage, einen angemessenen Preis aufzurufen und mit dem Erlös einen Ersatz mit Potenzial zu verpflichten. Und es vermeidet in den kommenden Monaten viel böses Blut und ständige leistungsbeeinträchtigende Unruhe durch die köchelnden Gerüchte. Es ist also eine Win-Situation für beide Seiten. 

Was will ich mit all dem sagen? Feiert alles, was gerade gut läuft, was zukunftsweisend klingt und dazu beiträgt, die Lethargie und die schlechten Vibes der vergangenen eineinhalb Jahre loszuwerden. Borussia ist im Aufwind und diese Wochen haben Begeisterungspotenzial.
Umso wichtiger ist es aber, trotzdem bei der Einschätzung von Leistungen auf und abseits des Feldes realistisch zu bleiben und vor allem nichts und niemanden zu überhöhen - davon hat keiner etwas, es sei denn, er hat genausoviel Spaß daran, Denkmäler bei erstbester Gelegenheit wieder vom Sockel zu stoßen. Dann wäre er aber kein Borusse.

6 Kommentare:

  1. perfekt beschrieben, ganz meine Meinung!! Weiter so

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  2. „Und es ist für viele, die sehr schnell zum Urteil bereit sind, auch gar kein Widerspruch, jemanden heute in den Himmel zu loben und morgen wieder zu verdammen. Heute der Depp, morgen der King - und umgekehrt. Das geht schnell im Fußball, auf den Rängen und vor dem Fernseher.“ Und auch bei Ihnen!!

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    1. Danke für die Rückmeldung! Ich will mich von der Kritik nicht ausnehmen, aber dass ich jemanden erst hochjubele und dann fallenlasse (oder umgekehrt) ist nicht meine Art. Ich habe nicht alles aus inzwischen acht Jahren meines Blogs präsent, aber ich habe immer versucht, fair zu bewerten und nicht voreilig zu urteilen. Wenn Sie konkrete Beispiele haben, bei denen Sie das anders sehen, können wir gern darüber sprechen.

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  3. Danke für den ausgewogenen Kommentar. Geht mir auch so. Bin froh, dass sich einige Themen ganz gut entwickeln. Virkus hat ein sehr schweres Erbe angetreten. Unser Sportkamerad König ist kommunikativ mal falsch abgebogen und Virkus hat ein paar kommunikative Aussetzer zu Beginn. Daran sollte gearbeitet werden. Aber erst nachdem die Hauptbaustellen bei den Spielerverträgen geschlossen wurden. Da ist man gut vorangekommen und Daumendrücken für den Rest. Was alles wert ist, wird die Zukunft zeigen. Aber so war es schon immer. Irgendwo zwischen 0 und 100! Auf gehts Borussia!

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    1. Dankeschön! Genauso ist es: Auf geht's, Borussia!

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